Die spinnen, die Raupen

Seide ist ein sehr interessantes Material mit mehr Anwendungsmöglichkeiten als die meisten kennen. Wenn man wie ich ein ausgeprägt grünes Gewissen hat, freut man sich über einen (meist) rein biologischen Stoff, der nichts mit Erdölraffinerien zu tun hat. Es sei denn natürlich, man hat auch noch ein Herz für Raupen. Dann wird das auch wieder schwierig. Außerdem brennt reine Seide nicht so lichterloh wie Kunstfasern, was im Labor schon mal ganz praktisch sein kann. Das habe ich aber noch nicht ausprobieren können. Wo wir bei Labor sind. Seide, bzw. das Protein aus dem Seidenfasern bestehen, hat sich hier in den letzten Jahren insbesondere im Bereich des tissue engineering eine Heimat erobert. Hier bei uns an der MHH wird untersucht wie man Spinnenseide als Matrixmaterial für das Züchten von verschiedenen Geweben verwenden kann. Das Hauptaugenmerk liegt bei der Forschung vor Ort aber auf dem Einsatz in der Reparatur von Nervenfasern, wobei die Spinnenseide nicht als Nervenersatz dient, sondern wieder als Trägermaterial eingesetzt wird. Das „Labor“ der Spinnenzucht sieht auch entsprechend gruslig aus, wie hier zu sehen ist. Eine kurze Pubmed-Abfrage liefert noch weitere Einsätze von Seidenfasern, z.B. in der Wundheilung oder als essbarer Schicht auf Nahrungsmitteln um die Haltbarkeit zu verlängern. Beim letzten bin ich mir nicht sicher wie ich das finde, mein erstes Gefühl ist eher Iiihhh!! Seidenraupin in ihren KokonsCredit: Wikimedia user Colegota, CC BY-SA 2.5 ES

In der Veröffentlichung, die ich dieses Mal mitgebracht habe, wird noch eine weitere Anwendungsmöglichkeit für die besagten Seidenproteine vorgestellt. Blutproben müssen direkt nach der Entnahme stabilisiert werden, da sich einzelne Bestandteile ansonsten sehr schnell abbauen und somit die weiteren Untersuchungsergebnisse massiv verfälscht würden. Am einfachsten ist es, die Proben sofort und bis zur Analyse auf Eis zu halten. Im Krankenhaus und beim Arzt kann das noch gewährleistet werden, draußen „im Feld“ sieht das allerdings schon ganz anders aus. Eine vielfach angewandte Alternative ist das Auftropfen von Blut auf einem Trägerpapier auf dem man die wässrige Phase abdampfen lässt. Die festen Bestandteile kleben dann quasi auf dem Papier fest. Es gibt mittlerweile aber auch wesentlich ausgefeiltere Trocknungsmethoden zur Stabilisierung. Dadurch wird zunächst einmal das Volumen und Gewicht der Proben stark verkleinert und außerdem in der Theorie die Haltbarkeit der Probe erhöht, da so keine Hydrolyse oder enzymatischer Abbau erfolgen kann. In extremen Umwelten, z.B. bei hoher Temperatur und Luftfeuchtigkeit, ist dieser Schutz nicht mehr unbedingt gegeben, wodurch auch diese getrockneten Proben kühl gelagert werden müssen.

Jetzt kommen die Seidenproteine ins Spiel (dieses Mal wieder von der Raupe). Dabei handelt es sich um ein Proteinpolymer, dass unterschiedlich geformt werden kann und dann sehr robuste mechanische Eigenschaften ausweist. So können z.B. Gele oder auch feste Strukturen geformt werden. Dabei handelt es sich um keine Eigenschaft, die für die Seidenproteine spezifisch sind. Es werden für den gleichen Zweck auch regelmäßig Albumine oder Zucker verwendet, die allerdings selbst keine eigenen Strukturen bilden können. In dieser Veröffentlichung wurden die schützenden Eigenschaften der Seide auf gewonnen Proben untersucht. Dazu wurden Blutproben mit den Seidenproteinen vermischt und über Nacht getrocknet, wodurch ein sehr dünner Materialfilm erhalten wurde. Diese kann dann gelagert, transportiert und zur Analyse wieder in einer Flüssigkeit gelöst werden. Die in der Probe enthaltenen Blutbestandteile werden von der Seide quasi eingehüllt und so geschützt. Das Prozedere klingt erst einmal relativ simpel. Die Seidenproteinpolymere kommen allerdings in unterschiedlicher Größe, oder Länge. Ein Polymer ist aus sich wiederholenden einzelnen Proteinen aufgebaut, die aneinander gebunden sind. Dabei können sich beliebig viele Einzelproteine zusammenschließen. Je mehr Proteine, desto größer/länger das Polymer, abhängig davon was für Verzweigungen es gibt. Gemessen werden in Proteine in Da (Dalton, 1 Da = Masse eines Wasserstoffatoms, bzw. 1/12 eines Kohlenstoffatoms). Die gewonnen Seidenproteine bestehen aus einer Vielzahl verschiedener Polymere mit Massen zwischen 160 und 400 kDa. Das ist ziemlich groß und führt zu Löslichkeitsproblemen. Durch eine Veränderung während der Gewinnung der Seidenproteine kann man sehr viel kleinere Polymere mit Größen zwischen 40 und 200 kDa gewinnen, die dann gleich besser wasserlöslich sind. Es wurde dann ausprobiert… pardon, ich meine natürlich es wurde wissenschaftlich erforscht… inwiefern sich die Dicke des gebildeten Films dann auf die Löslichkeit bzw. die Wiederaufnahme der Probe auswirkt. Dabei wurde beobachtet, dass bei Verwendung der kleineren Polymere von max. 200 kDa die Dicke des Films keinen Einfluss auf die Rückgewinnung der Probe hat, auch nach 12 Monaten Lagerungszeit.

Um einschätzen zu können wie gut sich die Seide im Vergleich zu den herkömmlichen Methoden des Einfrierens und wieder Auftauens der Proben bzw. dem Auftropfen auf Papier macht, wurden jeweils zum Zeitpunkt der Probennahme (Tag 0) und nach Lagerung von 30 Tagen bei verschiedenen Temperaturen verschiedene kardiovaskuläre Markerproteine oder IgE (der Antikörper, der besonders bei allergischen Reaktionen erhöht vorliegt) in den Proben gemessen. Dabei zeigte sich, dass besonders beim Goldstandard des Einfrierens abhängig vom untersuchten Markerprotein teilweise starke Abweichungen zu den Tag 0 Messungen ermittelt wurden. Diese Probleme wurden bei den Seiden-Proben nicht beobachtet. Das gleiche gilt für den Vergleich mit dem Papier. Ich würde euch liebend gerne die Daten dazu zeigen, ist aber leider kein Open Access Paper. Das habe ich leider erst beim Schreiben gemerkt, ich entschuldige mich dafür und hoffe, dass ihr mir (bzw. den Wissenschaftlern) auch so glaubt. Damit trotzdem noch ein Bild hier rein kommt erkläre ich euch noch wie eigentlich gemessen wurde. Dazu wurde überwiegend die Methode mit dem schönen Namen ELISA verwendet. Dabei werden Proteine anhand der für sie spezifischen Antikörper identifiziert. Antikörper erkennen sehr spezifisch Strukturen auf Proteinen und gehen eine Bindung mit „ihrem“ Protein ein. Jetzt wird es etwas kompliziert. Der Antikörper der verwendet wird (die Y-Struktur in der Abbildung) ist nämlich so verändert, dass er an ein Enzym gebunden vorliegt, dass für die Detektion benötigt wird. Dieses Enzym kann ein Substrat so umsetzen, dass es zu einer Farbreaktion kommt. Je mehr von dem zu messenden Protein vorhanden ist, desto stärker fällt die Farbreaktion aus. Das zum ELISA, der so oder in abgewandelter Form gerne und häufig angewandt wird. Bei mir hat das irgendwie nie so richtig gut funktioniert, aber ich bin ja auch nicht mehr im Labor tätig.

ELISAWas haben wir also gelernt? Der Goldstandard ist nicht immer für was man ihn hält. Ein Dalton entspricht der Masse eines Wasserstoffatoms. Und Veröffentlichungen ohne Open Access sind unpraktisch. Ich wünsche euch ein schönes Pfingstwochenende.

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Claudia Davenport hat in Potsdam und Hannover Biochemie studiert und promoviert mittlerweile über Insulin-produziernende Surrogatzellen aus embryonalen Stammzellen zur Behandlung des Diabetes Typ 1. Wenn sie gerade mal nicht im Labor am Durchbruch arbeitet, der die Welt verändern wird, ist sie gerne im Grünen, radelt durch die Gegend oder geht Kaffee trinken.

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