Tierwohl beim Milchvieh – ein alter Hut

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

In meinem letzten Artikel ging es um “beef cattle”, also Fleischrinder und deren Wanderungen in den Norden der USA, um die dortige Fleisch-Nachfrage gewinn-bringend zu befriedigen. Bei meinen Recherchen zum Umgang mit den Tieren während dieser Reisen stieß ich auch auf Hinweise zum Milchvieh-Management. Auch hier ist der Grundgedanke eines möglichst stressfreien Umgangs nicht so neu wie man gemeinhin denken könnte.

Ich erinnerte mich daran, als ich gestern mit der Lektüre des Buches “Creating Dairyland” begann, welches ich schon vor einiger Zeit erwarb. In dem Buch, das an vielen Stellen schlecht editiert wirkt und darüber hinaus fürchterlich nervig platzierte Info-Kästen enthält, geht es um die Geschichte und Entwicklung der Milchvieh-Wirtschaft in Wisconsin, über Jahrzehnte einer der wichtigsten und populärsten “Dairy-Staaten” der USA.

In diesem Zusammenhang taucht auch der Name William Dempster Hoard auf, dessen Nachname mich aufhorchen ließ. Tatsächlich ist Hoard der Gründer des gleichnamigen Milchvieh-Magazins, welches ich immer wieder gerne online lese. Ohne zu sehr ins Detail seiner Person zu gehen, kann man ihn wohl am ehesten als umtriebig bezeichnen. Er war es auch, der mit weiteren Mittreitern einen Wandel in der Landwirtschaft Wisconsins forcierte, hielt er doch die Weitergabe landwirtschaftlichen Wissens von Generation zu Generation für überholt. Vielmehr sollten jetzt Universitäten/Fachschulen in die Forschung und Entwicklung einbezogen werden und ihre gewonnenden Erkenntnisse an die Landwirte weitergeben. Der Zeitpunkt für diese Neuerung passte gut, Wisconsin befand sich gerade im Wandel von einem Ackerstaat zum bis heute existierenden Milchvieh-Staat. Es galt also eine Menge Wissen über Kühe unter die Bauern zu bringen.

So brachte Hoard 1925 ein Buch heraus, in dem er Landwirten einen möglichst Stress-freien Umgang mit Kühen erläuterte. Dass derart betreute Tiere gesünder waren und dazu noch mehr Milch gaben, war auch damals schon bekannt. Leider habe ich das Buch nicht mehr auftreiben können, eine Zusammenfassung seiner Erkenntnisse aus erster Hand kann ich Euch daher nicht geben. Grundsätzlich ist leises Arbeiten und Kommunizieren aber immer eine gute Sache, Rumschreien ertragen Rinder überhaupt nicht.

Wenn man nach etwas “aktuelleren” Publikationen und Büchern sucht, tauchen die Namen Albright und Grant immer wieder auf. Beide widmen sich schon seit Jahrzehnten der Erforschung des Rinder-Verhaltens im Kontext des Managements (also der Herde, Fütterung usw.). Eine Zusammenfassung der Forschung würde hier den Rahmen sprengen.

Am Ende darf Temple Grandin hier natürlich nicht fehlen, die mir praktisch als erste ein ordentliches Animal Handling über ihre Videos und Artikel näher brachte. Dort entdeckte ich auch den hier schon behandelten Aspekt der fehlenden Muter-Kind-Bindung bei Holstein-Kühen. Auch die von ihr erwähnte fehlende Bechäftigung für das “Seeking-System” der doch ziemlich neugierigen Kühe ist ein interessanter Aspekt für die zukünftige Stall-Planung und Verbesserung des Tierwohls.

Wenn ich das mal grob überschlage, sehen wir auch hier, dass der Tierwohl-Gedanke mit 100-120 Jahren schon weitaus länger existiert als es die Ställe der letzten Jahrzehnte vermuten ließen (1). Wenn Ihr dazu selbst recherchieren wollt, müsst Ihr aber bedenken, dass sich Fleisch- und Milchrinder im Handling unterscheiden. Milchrinder sind Menschen gewöhnt, schließlich werden sie mehrmals täglich gemolken, die Nummer mit der Fluchtzone klappt hier nicht unbedingt. Aus dem selben Grund sind auch die gemessenen Cortisol-Werte bei Milchrindern deutlich niedriger als bei Fleischrindern. Die Quelle dazu findet Ihr in diesem Vortrag Grandins:


  1. Eine Tatsache, die übrigens nicht mit Bösartigkeit der Landwirte zu erklären ist, vielmehr spielten hier ökonomische oder hygienische Aspekte wichtige Rollen. Man sollte nicht vergessen, dass mit der Zeit immer mehr Technik Einzug in die Ställe hielt, die die Arbeit der Landwirte erleichtert und bei richtiger Anwendung auch das Management verbessert.

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Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

16 Kommentare

  1. So brachte Hoard 1925 ein Buch heraus, in dem er Landwirten einen möglichst Stress-freien Umgang mit Kühen erläuterte.

    Was ins Auge springt ist, dass William D. Hoard (1836-1918) wohl nicht mehr direkt am genannten guten Buch hat mitwirken können und dass Temple Grandin wohl keine anthropozentrischen Sichten im Auge hat, ähnliches gilt für Sportsfreunde wie Pete Singer.

    HTH
    Dr. W

    • Singer ist mal eine ganz andere Liga, der ist Tierrechtler.

      Vielleicht war das eine überarbeitete Auflage, die erschien und vielleicht auch einem größeren Publikum zur Verfügung stand. Letztlich komme ich wohl an keins der Exemplare mehr ran, was ich schade finde.

      Was meinst Du mit anthropozentrischen Sichten?

      • Es wäre schon gut, wenn den bekannten Normen gefolgt werden könnte und die Anrede auf übliche Art und Weise, wie auch die Anredeform auf regionaltypische Art und Weise, und zwar in der Dritten Person Plural erfolgen könnte.

        Sie selbst sind dazu eingeladen worden zu reflektieren, ob Sie i.p. Ökologie anthropozentrisch oder physiozentrisch (“ökologistisch”) unterwegs sind oder sein wollen.

        MFG
        Dr. W

  2. Mich verwundert eigentlich nur, dass die USA auch bei der Rind- und Milchkuhhaltung eine führende Rolle einnehmen in dem Sinne, dass es so etwas wie eine intensive Beschäftigung mit allen Begleitumständen dieser Tätigkeit gibt mit intensiver Vereinstätigkeit und gar Produktion von Büchern. Und das war scheinbar schon anfangs des 20. Jahrhunderts so.

    Bedeutet die häufige Bezugnahme auf die USA in diesem Blog, dass die Viehhaltung in Europa früher (oder gar noch heute) dem einzelnen Bauern überlassen wurde, es in Europa also keine entsprechenden einflussreichen Verbände gab und gibt?

    • Hallo Herr Holzherr,

      das ist eine ganz hervorragende Frage. Warum taucht hier so oft die USA auf? Das hat mehrere Gründe: zum einen bin ich viel auf Twitter unterwegs, ebenso wie sehr viele Menschen aus der US-Landwirtschaft, die sehr begeistert kommunizieren und bereitwillig ihr Wissen teilen. Was diese gänzlich unkomplizierte und offene Kommunikation angeht, haben deutsche Landwirte und in der Peripherie Beteiligte noch einen langen Weg vor sich. Es macht einfach großen Spaß. Hinzu kommt, dass ich über youtube und Google Play einfach sehr leicht an gute Videos bzw. spannende Bücher komme.

      Eine intensive Beschäftigung mit den Tieren, ihrer Haltung und der Zukunft der Tierhaltung gibt es natürlich auch in Deutschland. Allerdings bleibt das Wissen hier eher unter sich. Es wirkt auf mich alles noch sehr institutionalisiert.

  3. @Holzherr
    In Frankreich wurde 1761 die erste Schule für Tierärzte gegründet.
    In Bayern begann die Tierarzneischule am 1. Nov. 1790 mit der Ausbildung. Allerdings konnten Tierseuchen erst wirksam bekämpft werden, als Forschungsergebnisse von Pasteur und Koch den Nachweis von Erregern ermöglichten (Milzbrand, Tuberkulose).
    Rinder, Pferde und Hunde wurden auch als Zugtiere eingesetzt und dabei oft grausam behandelt; außerdem gab es grausame Tierkämpfe -. daher gab es schon im18.Jhdt. Bestrebungen, Gesetze zum Schutz der Tiere einzuführen. Aber erst am 22.7.1882 wurde mit dem ´Martin´s Act´ das weltweit erste parlamentarische Gesetz zum Schutz von Vieh, Pferden und Schafen erlassen

    • Hallo KRichard,

      vielen Dank für Deine deutschen/europäischen Ergänzungen. In einem alten Fachbuch zur landwirtschaftlichen Tierhaltung fand ich mal den interessanten Hinweis, dass die Gesundheit der Tiere und deren Erhaltung sehr wichtig sei, weil man über Krankheiten und deren Behandlung einfach zu wenig wisse 😉

      • Gerade im Zusammenhang mit Milchwirtschaft ist von Interesse, dass Stoß- bzw. Schwingbutterfässer in USA etwa ab 1830 bis (vereinzelt) Anfang des 20. Jhdts. mit Hundegöpeln betrieben wurden; entweder als Laufrad oder als schräges Laufband gestaltet.Der Hund lief immer ´bergauf´ und drückte dabei Laufrad/-band unter sich weg. (engl. dog power dreadmill)
        manchmal wurden auch Schaf/Ziege oder Kinder als Antrieb eingesetzt.
        Es gab Hunde, die sich offensichtlich freuten, wenn sie richtig rennen durften – es gab aber auch Laufband-Göpel, bei denen am Ende ein hölzerner Querriegel mit spitzen Stacheln eingeschoben wurde, die den Hund stachen, wenn er langsamer wurde.
        Die Drehbewegung des Göpels wurde in eine Hin-/Her- bzw. Auf-/Abwärtsbewegung umgewandelt.

        • Das klingt ja beinahe gruselig – also das mit den Stacheln. Über die Fässer stand leider nichts in dem von gelesenen Buch, muss Dir das also glauben (was mir nicht schwer fällt).

          • einfach per Google suchen und Bilder anschauen, da werden sogar Pferde-Göpel dieser Art gezeigt

          • Ah, vielen Dank. Manchmal helfen Bilder immens weiter. Interessante Anlagen sind das ja schon irgendwie…

    • Hallo Mona,

      schön Dich mal wieder hier zu sehen 😉 Natürlich gab es auch schon in der Antike Gedanken zur Landwirtchaft, dieser Bereich ist ja nicht besonders neu. Vor 100-120 Jahren setzte aber ein neues Denken ein. Wurde bis dahin eigentlich “nur” das Wissen vom Vater zum Sohn weitergegeben, forderten plötzlich Menschen eine verstärkte Integration von bildenen Schulen und Forschungsanstalten in der Landwirtschaft. Dort wurde also gewissermaßen der Grundstein dessen gelegt, was wir heute als Landwirtschaft kennen.

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