Tierschutz und böse Tiernutzer – ein Kommentar

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Landwirte seien doch eh nur auf ihren Vorteil bedacht und ihre Lobby sorge schon dafür, dass sie mit Verstößen weitgehend davonkämen und überhaupt würden sie sich immer rechtliche Schlupflöcher offen halten. So schallte es mir die Tage mal wieder entgegen. Ein Kommentar des Schweizer Tierschutzanwalts Antoine F. Goetschel zum Tierschutzgesetz auf Spektrum machte es nicht besser, bestärkte gar die erstgenannte Laienansicht – und das geht mir mittlerweile derbe auf die Testikel.

Ich will mich ja gar nicht ausnehmen, war ich doch selbst lange Zeit argumentativ durchaus ähnlich unterwegs. Der Besuch eines modernen Kuhstalls und das Gespräch mit dem Landwirt legte bei mir dann allerdings einen Schalter um. Ich war plötzlich fasziniert und beschäftigte mich intensiver mit dem Thema Tierwohl in der Landwirtschaft Mich verschlug es bis nach Bayern, wo ich mich über die hier im Blog hinlänglich bekannte Tierwohl-Haltung beim Mastgeflügel informierte, ich erwähnte Jamie Oliver, der in England auf ganz ähnlichen Pfaden wandelte. Ich berichtete über ein geniales Konzept aus Holland, das sogenannte Rondeel, wo Legehennen so ziemlich alles haben, was sie brauchen, um glücklich, mindestens aber zufrieden zu sein. Ebenfalls aus Holland stammt die Initiative Beter leven, wo Tiere unter besonderer Berücksichtigung des Tierwohls gehalten werden. Obwohl ich es wirklich wollte, habe ich leider gar nicht über das Schweinespielzeug berichtet, welches auch das Tierwohl verbessern soll. Kurz: da kommt schon so einiges zusammen.

Fast noch interessanter als all diese Tierwohl-Konzepte waren aber die Landwirte selbst. Der Milchvieh-Halter freute sich sehr darüber, dass es seinen Tieren gut ging und auch die Geflügel-Halter konnten ihren Stolz kaum verbergen, wenn sie mir die völlig intakten Fußballen zeigten (am Tier natürlich, das hing dann mal kurz über Kopf), nicht zu vergessen jene Landwirte, die mein Blog lesen und mit denen ich über Twitter und Facebook kommuniziere. Auch sie machen nicht gerade den Eindruck als fristeten sie ein Dasein als verkappte Tierquäler. Weshalb also die Ansicht, man müsse ihnen nur regelmäßig die Daumenschrauben enger stellen, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen? Wenn der Klempner zu Euch kommt, um ein Rohr zu verlegen, dann sagt Ihr dem ja auch nicht, wie das zu laufen hat, oder?

Keine Frage, ein Tierschutzgesetz ist richtig und wichtig, schließlich sind Landwirte nicht per se verantwortungsbewusst und die schwarzen Schafe müssen zweifellos zur Verantwortung gezogen werden können. Sicherlich ist dort auch nicht alles Gold was glänzt. Aber mal ehrlich: wirkliche Innovationen, die weit über Tierschutz hinausgehen und wirklich das Tierwohl im Blick haben, entstehen nicht in einem Gesetzestext, sondern tatsächlich dort, wo Landwirte, Agrarwissenschaftler und Tierärzte zusammen anpacken. Dass trotz guter Ideen vieles aber doch nur schleppend vorangeht, liegt natürlich auch an der Angst, dass solche Projekte schließlich auf dem Lebensmittelmarkt baden gehen oder eben doch nur eine Alternative bleiben. Verständlich, geht es doch hier nur um Tiere und nicht um ein iPhone.  Wir sollten uns also tatsächlich darum kümmern, hier klar Stellung zu beziehen – und zwar für Tierwohl beim Einkauf (wenn sich die Möglichkeit bietet), anstatt mit einer moral-sauren Kritik des Ungefähren ein lärmendes Grundrauschen zu erzeugen, welches jegliche tatsächliche und wichtige Kritik zu übertönen droht.

Über Gebühr tiernutzerfreundlich, wie es Goetschel formuliert? Etwas mehr Vertrauen in die Landwirte und Landwirtschaft wäre schon angebracht. Vorteil dessen: die Murksereien im und Zerrereien um das Tierschutzgesetz ließen sich damit sogar ein Stück weit umgehen.

In diesem Sinne

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Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

9 Kommentare

  1. Wo geht es in dem Kommentar um Landwirte

    Hi Sören,

    Goetschel bezieht sich in seinem Kommentar auf von der Bundesregierung abgelehnte Verschärfungen im Tierschutz für Pelztierhalter, Zirkusse, Kupieren von Hundeschwänzen u.ä. Wo siehst du Kritik an Landwirten? Das Thema Ferkelkastration bsp., das auch umstritten ist, schneidet er nicht mal an…

    Viele Grüße
    Antje

  2. Hallo Antje,

    Goetschel war für mich nur der letzte Tropfen, nachdem ich mal wieder eine sehr merkwürdige FB-Diskussion erlebt habe. Und das im Artikel hervorgehobene Zitat hat ja durchaus allgemeinen Charakter:

    “Die Bundesregierung sollte sich stärker von der Auffassung lösen, dass die Interessen der Menschen von denjenigen des Tieres gleichsam selbstverständlich den Vorrang haben.”

    Er erwähnt auch eine Anhebung des Tierschutzniveaus innerhalb der EU. Und genau dafür habe ich die Beispiele aus der Landwirtschaft gebracht, die weit über Tierschutz hinausgehen, sich aber eben auch lohnen müssen. Und das völlig ohne Tierschutzgesetz, sondern aus eigenem Antrieb.

    Oder nehmen wir mal das Beispiel Zirkus: im Artikel steht etwas davon, dass Stress in der Zirkustier-Haltung stress-immanent sei. Lässt sich jetzt so nicht bestätigen, zumindest nicht wissenschaftlich…Und was ist im Interesse des Tigers? Vielleicht hat er ja Spaß daran und nutzt die Zeit in seinem Gehege zur Ruhe 😉
    Natürlich sollen auch hier Verfehlungen nicht legitimiert werden.

  3. Hallo Sören

    Hallo Sören,
    ich als Landwirt stimme dir da voll und ganz zu. Das Hauptproblem ist mangelnde Kommunikation. Entscheidungsträger und Leute die schärfere Verordnungen fordern sollen doch erstmal an der Basis arbeiten um zu wissen von was Sie reden. Das ist nicht nur in der Landwirtschaft so.

    Gruß

    Franz

  4. Hallo Franzbua,

    Du hast recht, das ist nicht nur in der Landwirtschaft so. Aber genau hier nervt es mich besonders und ich werde es solange hier reinschreiben, bis sich diese Ansicht durchgesetzt hat 😉

  5. Ich habe Zweifel daran, dass die oftmals geforderten Verschärfungen des Tierschutzgesetzes den Tieren nützen, sondern eher dem Wohlfühlfaktor der Fordernden. Diesen Eindruck gewinne ich z.B., wenn ich mir die Forderungen des Bundesrates anschaue.

  6. Hallo Reuben C.

    Genau das ist es ja, was mich so fuchst. Das Tierschutzgesetz wird so oder so immer nur die Minimal-Anforderungen beinhalten. Wie oben schrieb: die wirklichen Revolutionen bzgl. Tierwohl starten woanders…

  7. Hallo Sören,
    Was mich auch noch weiter aufregt ist die maßlose Unterstellung das alle Tierhalter Tierquäler sind.
    Letztens habe ich eine Diskussionsrunde verfolgt in der die Teilnehmer nach ihrem Fleischverzehr befragt wurden. Und alle haben dann noch so ein “aber aus artgerechter Tierhaltung” oder “ich achte das die Tiere nicht gequält werden” hinterher geworfen. Das sind alles vorgefertigte Meinungen. Als wenn die Leute den Unterschied erkennen würden, das macht doch die Werbung für sie.
    Von mir aus können wir alle Tiere im Freiland halten, konsequentes Antibiotikaverbot auch im Krankheitsfall, kein GV-Futtermittel, keine Enthornung, kein Ferkelschutzkorb, keine Ferkelkastration, kein Schnabelkürzen alles auf Stroh usw. Aber dann soll bitte schön auch den Verbrauchern gesagt werden, das es dann nicht mehr für alle reicht und schon gar nicht zu den Preisen von heute. Wenn ich das Beispiel der Effizienz der Bioschweinehaltung (sh. topagrar) heranziehe, dann wird diese Form der Planwirtschaft nur hochsubventioniert funktionieren.

  8. Hallo Reuben C: Freiland-Stress

    Und selbst wenn wir alles so umstellen: Stroh ist ja auch nicht gerade ein völlig unproblematischer Faktor, gerade in feuchten Sommern (Stichwort Mykotoxine). Bzgl. der Freilandhaltung möchte ich dann aber auch nicht erleben, wenn man wieder irgendein Virus die Runde macht…da sind mir die geschlossenen Stallungen mit ebenfalls geschlossenen Außenbereichen doch deutlich lieber – und das auch preislich. Ein Bruchteil mehr im Vergleich zu konventionellen Produkten ist leichter zu kommunizieren als das x-fache.
    Hoffe ja wirklich sehr, dass sich da beim Geflügel mit Rondeel und den Tierwohl-Ställen in der Mast bald wirklich grundsätzlich was tut…

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