Nachtrag zum Saatgut

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Als ich meinen ersten Artikel zur Saatgut-Thematik schrieb, ging es mir erstmal um die Klarstellung, dass niemand um sein Gemüse im Garten werde fürchten müssen. Die Reaktionen zeigten mir, dass es da wohl die größten Bedenken gab. Diesen Nachtrag möchte ich dazu nutzen, um einiges anhand des ersten Artikels noch genauer zu erläutern.

Beginnen wir mit dem ersten Abschnitt:

Im Sommer 2012 erschien in der EU ein sogenanntes Non-Paper zu Neuregelungen des Saat- und Pflanzgutverkehrs. Eine neue Verordnung soll demnach die derzeit 12 Richtlinien für Saat- und Pflanzgut ablösen und dann in allen Staaten der EU gelten. Grob gesagt geht es dabei um einheitliche Mindestanforderungen oder -standards für alles, was irgendwie pflanzlich ist, unabhängig davon, ob es sich um landwirtschaftliche Nutzpflanzen oder Zierpflanzen handelt.(1)

Zu einiger Irritation führte meine Erwähnung des EuGH- Urteils aus 2012. Das wäre mit Eintritt der neuen Verordnung ja hinfällig, hieß es. Letztlich steht im Non-Papier bezüglich alter Sorten aber nichts anderes.

Concerning old varieties, such as conservation varieties (landraces, populations) or amateur varieties, less stringent requirements will be laid down. The varieties will continue to be registered, however, on the basis of an ‘officially recognised description’ which shall be recognised – but not produced – by the competent authorities. For that description no DUS testing is obligatory. It shall describe the specific characteristics of the plants and parts of plants which are representative for the variety concerned and make the variety identifiable. produced at the time by a scientific, academic body or organisation.

Wichtige Punkte in diesem Abschnitt:

  • Alte Sorten werden zwar registriert, allerdings unter erleichterten Bedingungen, verglichen mit jenen konventioneller Sorten.
  • Die Informationen müssen lediglich genügen, um die Sorten identifizieren zu können, weitere Analysen sind nicht notwendig.

Zudem hatte Lederstrumpf in den Kommentaren noch etwas zur Kostenfrage ergänzt:

Hinzufügen möchte ich noch kurz, dass aktuell die Zulassungsgebühren des Bundessortenamtes für Alte/Erhaltungssorten um ein vielfaches niedriger sind, als für herkömmliche Sorten. Zusammen mit den vereinfachten Zulassungskriterien für Erhaltungssorten stellt das also für gewerbliche Saatguthändler keine unverhältnismäßige Barriere dar. Kleingärtner können in jedem Fall davon ausgehen, daß sie immer zertifiziertes und somit ihren Ansprüchen entsprechendes Saatgut bekommen. Oder wie ich kürzlich in einem anderen Agrar-Blog las: “Eine hochwertige Heimkino-Anlage würden auch keiner auf einem Hinterhof aus einem Lieferwagen kaufen.”

Und wenn wir schon mal dabei sind:

However it would be neither feasible nor proportionate to register operators trading with small quantities of plant reproductive material intended solely to non-professional final users…

Heißt auf Deutsch: man kann Konzernen natürlich ständig ihre Größe und Macht vorwerfen – oder, dass es ihnen ums Geld ginge, aber zu überwachen, wann welche Oma auf ihrem Balkon oder im Schrebergarten drei Samen in die Erde steckt – darauf haben nicht mal die drei großen Konzerne Monsanto, Bayer oder Syngenta Bock.

Ein Artikel auf Agrarheute bringt es dann auch nochmal auf den Punkt:

Für Kleinstunternehmen soll es Ausnahmen geben, um den bürokratischen Aufwand und die Kosten zu minimieren. Die Kommission kündigt an, dass für jene Unternehmen die Anforderungen bezüglich Kennzeichnung und Verpackung gering sein werden

Und zu alten Sorten:

Auch für alte Sorten sollen schwächere Regeln gelten. Dieses Saatgut müsse zwar aus Tranzparenzgründen ebenfalls registriert werden, allerding in einfacher Form und auf der Grundlage von historischen Daten und praktischer Erfahrung. Tests seien nicht vorgesehen

Ansonsten gilt, was Lederstrumpf auf Twitter riet:

Kommt der Monsanto-Mitarbeiter mit schnellen Schritten, schubs ihn einfach in die Quitten.

Kann man sich nach richten. In diesem Sinne: lasst Euch nicht verrückt machen.

Anmerkungen

  1. Das Argument der Überbürokratisierung erschließt sich mir hier nicht. Die haben wir ja gerade jetzt. Die eigentlich spannende Frage erscheint mir jene zu sein, inwieweit eine Verordnung für alles wirklich funktionieren kann.

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

15 Kommentare

  1. Nachfrage

    Danke für Ihre Artikel zur Saatgut Thematik.
    Zu dem Thema wird hier: https://www.campact.de/saatgutvielfalt/appell/5-minuten-info/
    unter anderem geschrieben:
    “Zwar soll es für alte Sorten ein vereinfachtes Verfahren geben. Doch dies gilt nur für Gewächse, die bereits nachweislich auf dem Markt sind – und das muss im Zweifelsfall erst einmal bewiesen werden. Wieder entdeckte Sorten oder neue Kreuzungen hätten keine Chance.”

    Können Sie diese Befürchtung nachvollziehen?

    Danke für Ihre Einschätzung.

  2. Hallo Wilder Surfer,

    nach meinem Verständnis sind wiederentdeckte Sorten schon mal bekannt gewesen – und dann wird es dazu auch sicherlich Aufzeichnungen geben. Und die reichen ja völlig – auch in der neuen Verordnung.
    Was das “im Zweifelsfalle” angeht: hier geht es erstmal um Landwirtschaft im großen Stil – wie ich oben schrieb: Blumentöpfe sind nicht wirklich interessant.

  3. Warum zum Geier überhaupt regulieren?

    Auch wenn die angedrohten Änderungen nicht ganz so dramatisch sein mögen wie befürchtet, muss doch gefragt werden, warum Saatgut überhaupt reguliert werden muss? Welche Gefahr für den Verbraucher soll denn durch eine vorgeschriebene Zertifizierung abgewendet werden? Würde ein wenig mehr Transparenz nicht völlig ausreichen, so dass der Verbraucher erkennen kann, ob er gerade ein Erzeugnis aus zertifiziertem Saatgut erwirbt oder eben eine alte Sorte ohne Zertifikat? Was spricht dagegen, wenn die EU statt einer Master-Regelung einfach mal den Wegfall der nationalen Saatgutvorschriften festsetzt? So wie die Grenzen für Menschen und Waren weggefallen sind?

  4. Hallo NaturalBornKieler,

    würdest Du auch den Wegfall der Grenzwerte für Mykotoxine befürworten? Das ist jetzt nur ein Beispiel, aber genau darum geht es: Mindeststandards festzuschreiben, um besonders Landwirten die Sicherheit zu geben, dass sie gutes Saatgut erwerben.

  5. @Sören S.

    Geht es um Lebensmittel oder um Saatgut? Stellen Mykotoxine im Saatgut wirklich ein Problem dar, oder wovon sprichst du? Wie oben schon gesagt, wenn es um Gesundheitsrisiken oder andere Gefahren geht, dann mag eine Regulierung notwendig sein. Und wenn dem Landwirt mit zertifiziertem Saatgut geholfen ist, dann soll es so ein Zertifikat gern geben, aber warum der ZWANG?

    Die Vorschrift bewirkt doch nur, dass kleinere Anbieter aus dem Markt gedrängt werden. Ich möchte die Freiheit haben, unzertifiziertes Saatgut zu kaufen, zu erzeugen und zu tauschen, ohne dass ein Saatgut-Abmahnverein hinter der Hecke lauert.

  6. Danke für Ihre Einschätzung.
    Mein Gefühl ist, dass was nicht explizit im Sinne des Verbrauchers in einem Gesetz steht, wird gegen ihn verwendet (bzw im Interesse anderer Parteien). Daher bin ich bei solchen Gesetzen erst mal sehr kritisch, bis ich vom Gegenteil überzeugt werde.

  7. @NaturalBornKieler

    War vielleicht auf die Schnelle unterwegs ein unpassendes Beispiel. Mir ging es darum zu illustrieren, dass es nicht nur um Etiketten-Spielchen geht und Transparenz alleine sichert noch keine Qualität. Ich habe mal ein paar Landwirte gefragt, die alle gerne und freiwillig ihr Saatgut beziehen und nicht selbst vermehren. Liegt daran, dass nicht jede Generation über die gleiche potentielle Leistung beim Ertrag verfügt, auf die die Landwirte aber angewiesen sind – zum Beispiel. Und natürlich muss Saatgut auch gelagert werden.

  8. @Wilder Surfer

    Da sehe ich ganz genau so. Nur sollte man eben auch ziemlich gut drauf sein, wenn man sich einen so großen “Gegner” sucht. Eine polemische oder nur total ungenaue Kritik wird da direkt vom PR-Büro abgewunken, das kann es nicht sein (wobei ich jetzt nicht behaupten will, auf diesem Gebiet top zu sein, das war für mich eher ein Ausflug – und damit zurück zur Tierhaltung).

  9. Herr Kieler

    Warum zum Geier überhaupt regulieren?

    IdT stellt sich diese Frage beim Saatgut, denn das Produkt stellt das o.g. Gut nicht dar, sondern deren Basis, wenn überhaupt.

    Eurokratische Kräfte wirken hier aber und man darf das zur Kenntnis nehmen, sicherlich spielen Herstellerinteressen nur eine ga-anz untergeordnete Rolle, wie der hiesige Inhalteträger verlautbart.

    MFG
    Dr. W (der sich auch nur um sein Fortkommen bemüht, zumindest primär)

  10. Herrlich …

    … wie Sie den Grossen nach dem Mund reden. Eine gewisse kindliche Naivität und den Glauben an das Gute (Monsanto, Bayer und Syngenta wollen nur unser Bestes) ist Ihnen nicht abzusprechen. Sie geben mit Freuden Freiheiten auf und tauschen sie gegen Sicherheiten. Am Ende werden Sie beides verlieren …

  11. Sie wollen ur unser Bestes..

    ..aber das kriegen sie nicht.

    Das liest sich ja so als ob das eine Initiative der Landwirtschaft wäre, endlich gegen die bösen Saatgut Lieferanten vorzugehen, die ihnen immer minderwertige Ware verkaufen.

    DAGEGEN würde ein Gütesiegel voll ausreichen.

    Das Problem liegt aber viel tiefer. Könnten die Landwirte für ihre Produkte faire Preise erzielen, müssten sie nicht jedes Jahr noch spezialisiertere Hochleistungssorten anbauen, die widerum noch intensivere Bewirtschaftung benötigen – Dünger, Spritzmittel. Wie gut, dass all das von unseren wohlmeinenden Freunden von Monsanto und Co aus einer Hand verfügbar ist.

    Heute ein “einfacher Mindeststandard” – da kann doch wirklich keiner dagegen sein. *Mindeststandard* ist doch zu 100% ein positiv besetzter Begriff. Morgen stellt sich aber heraus, dass – uups – nur noch wenige diese (anpassbaren) Mindeststandards erfüllen. Und nun raten wir mal, wer das ist und wer bei der Beratung, welche Standards nun gelten sollen maßgeblich beteiligt ist. Wenn sich “alternatives” Saatgut nicht mehr rechnet und daher nicht mehr angeboten wird, kann ich allerdings auch für meinen Garten keines mehr kaufen.

    Es geht hier nicht darum, den Hunger in der Welt zu bekämpfen und auch nicht darum was ich in meinem Garten anbaue oder nicht. Es geht um Geld. Viel Geld. Und Macht. Große Macht. Wer das Saatgut kontrolliert, kontrolliert die Ernährung der Welt.

    Sollen sie doch Mindeststandards festlegen, wie etwa ein Verbot von Saatgut, das keine vollwertig wieder als Saatgut verwendbare Früchte produziert – bei gleichzeitiger Aufhebung der Patente. Seit etwa 7.500 Jahren ist der absolute Mindeststandard in der Landwirtschaft, dass ich die Früchte meiner Arbeit wieder ungestraft neu aussääen kann.

    Das habe ICH aber so nirgends gelesen.

  12. Warum Saatgut gerne reguliert wird

    Weil der Liebe Gott wohl leider eine Gutenachtgeschichte ist, und sich die Evolution um das Wohl jedes individuellen Genpools gleichermaßen schert, nicht das des Menschen speziell. Und weil jede Pflanzensorte (Diversität von vielleicht 2-5% eines naturbelassenen Genpools) deswegen dazu neigt, sich selbst überlassen wieder zu einem robust wuchernden ertragsarmen Wildkraut zu evolvieren, oder auszusterben.

    Weil du im Anbau gerne sicher sein willst, daß dein Kartoffelfeld genug Kartoffeln bringt, um x Menschen mit Sättigungsbeilage zu versorgen (wenn es nicht katastrophal ausfällt).

    Weil du im Anbau gerne sicher sein willst, daß wenn $Sortenname als virusfest bekannt ist, nicht eines Morgens alles so komische gelbe eckige Tüpfel auf den Blättern hat und 2 Monate später alles katastrophal ausgefallen ist.

    “Ernährungssicherheit” ist der Fachbegriff. Vermutlich kennt kein Mensch hier das Gegenteil; die Menschheit hatte hingegen die meiste Zeit exakt das Gegenteil.

    Das war wohl eher nicht so der angenehme Zustand, aber erschreckend viele wollen wieder dahin zurück, und die Härtesten geben das sogar offen zu (zB http://www.oya-online.de/…aps-_gesellschaft.html). Keine Ahnung von Botanik, Ökologie und Pflanzenzucht, kein Fachkompetenz in Gartenbau oder Landwirtschaft, biologistische bis eugenische Vorstellungen von “genetischer Reinheit”, aber stolz wie Oskar auf die kläglichen Produkte ihres stümperhaften Rumgegärtners. Die Pestizidhersteller lieben all diese Gemeinschaftsgärten und Solawis und wie sie noch heißen mögen – besser ist keiner in der Erhaltungszucht von Pathogenen, Parasiten und Beikräutern…

    (Das heißt nicht, daß Archeprojekte etc schlecht wären. Im Gegenteil, sie sind zur Erhaltung der Kulturpflanzendiversität dringender erforderlich denn je. Aber sie müssen fachkundig betreut werden; der deutsche Durchschnittsbürger denkt nämlich immer noch wie ein Kreationist, und hat seit 2 Generationen nicht mehr die leiseste Ahnung von Landwirtschaft.
    Sonst *sind* sie nämlich auf längere Sicht genauso gefährlich für die Lebensmittelversorgung wie industrialisierte Monokultur.)

  13. Echte Not durch Ausfälle

    Hallo Iteration23,

    vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich denke auch, dass viele der sich Aufregenden echte Not durch Ernte-Ausfälle nie erlebt haben. Und das mit der Entfernung von Gesellschaft und Landwirtschaft ist noch so ein leidliches Thema…

  14. @ Sören Schewe

    Anstatt einer plumpen Kumpanei mit Gleichgesinnten zu verfallen, wäre eine sachliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der von Ihnen abschätzig genannten ‘Aufregenden’ wohl dienlicher.

    Da Sie dies nicht tun kann sich jeder selber denken wessen geistes Kind Sie sind.

  15. Ach Karlie,

    wäre mir die Aufregung wirklich egal gewesen, hätte ich hier nicht zwei Artikel dazu geschrieben 😉

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