Landwirtschaft aus Eurer Sicht – die Einordnung

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Gurken, Gülle, Gatastrophen – Schluss jetzt. Ich hatte vor kurzem – na gut: vor einer ganzen Weile – mal gefragt, was Ihr persönlich über Landwirtschaft denkt, was sie Eurer Meinung nach leisten sollte, kurz: ich war an Euren Assoziationen interessiert. Tatsächlich sind auch einige Kommentare zusammengekommen, ganz zu schweigen von dem Fundus unter meinem Artikel zur Petition gegen Massentierhaltung. Jetzt werde ich mal ein wenig auswerten, einsortieren und kommentieren, was ich bisher ganz bewusst weitgehend unterlassen habe, um Euch möglichst nicht in Euren Ansichten zu beeinflussen.

Landwirtschaft – Zwischen Idylle und Realität

Insgesamt ist doch recht unschwer zu erkennen, dass immer noch ein gewisser Hang zu jenen kleinen und romantischen Bauernhöfen besteht, die wir gemeinhin in Kinderbüchern präsentiert bekommen. Landwirtschaft sollte irgendwie idyllisch sein. Anke Bebber, selbst studierte Steinchensammlerin und Bloggerin bei den Scienceblogs, hat das sehr schön auf den Punkt gebracht: moderne Mähdrescher findet sie super, aber bitte nicht mit Flutlicht. Wie putzig! Allerdings muss ich zugeben, dass ich ein gewisses Verständnis dafür habe. Wir haben hier nun mal das große Glück, dass wir uns nicht mit der Lebensmittel-Produktion beschäftigen müssen, weshalb vieles in diesem Bereich für uns schlicht fremd ist.
Ein weiterer für mich sehr interessanter Punkt war der Wunsch nach einem autarken Betrieb. Da ich bezüglich betriebwirtschaftlicher Mechanismen auf einem Betrieb nicht ganz so fit bin, war ich sehr glücklich über Daniels Einwurf, den ich einfach mal zitiere:

Nehmen wir einmal an, ein Landwirt hat Getreide produziert und es hat Backqualität. Dann ist es nicht effizient, dieses wertvolle Brotgetreide an das eigene Vieh zu verfüttern. Zum einen dient das Brotgetreide zur menschlichen Ernährung und ist zu schade für den Trog, zum anderen kann der Landwirt für das Brotgetreide mehr erlösen, als ihm Futtergetreide im Einkauf kostet.
So kann es durchaus sinnvoll sein, das eigene Getreide zu verkaufen und Getreide für das Tierfutter wieder einzukaufen.
Die Landwirte, denen es vielleicht aufgrund einer verregneten Ernte nicht gelungen ist, Getreide in Backqualität zu produzieren, müssen ihr Getreide auch vermarkten, wenn es die Qualitätsanforderungen zum Brotbacken nicht mehr erreicht. Dieses Getreide kann dann als Futtergetreide für die Tiere eines anderen Landwirts genutzt werden. So kann es deutlich effizienter sein, nicht das eigene Getreide zu verfüttern, sondern Getreide zu handeln.
Denn wie es bei einer Produktion unter freiem Himmel, ausgesetzt dem Wind und Wetter, ist, lassen sich bestimmte Qualitäten zwar anstreben, aber eine Gewähr, dass man sie erreicht gibt es nicht.

Auch zu dem Wunsch nach einem kleinen durch lediglich eine Familie geführten Betrieb, erläutert er, dass das angesichts der sich ständig ändernden Anforderungen auf dem Gebiet des Pflanzenbaus und Tierhaltung kaum zu schaffen sei – erst recht nicht in Kombination mit der Idee eines autarken Betriebes. Ein Auszug:

Ich muss zugeben, dass ich die 1.000 Mutterschafe in meinem Betrieb nicht alle persönlich kenne. Aber geht es ihnen deswegen schlechter? Ich denke nicht, denn drei Schäfer kümmern sich um die Schafe, wenn es sein muss Rund um die Uhr und das ganze Jahr. Die kennen alle Schafe. Dafür brauchen sie sich auch nicht um die Düngung des Grünlandes oder die Heuwerbung kümmern und ihre Technik auch nicht selber reparieren.

Kommentator Earli hat nach einigen Start-Schwierigkeiten bezüglich der Aufgabenstellung dann doch noch die Kurve bekommen und dabei noch einen interessanten Punkt gebracht: die Betriebe sollten überschaubar sein, amerikanische Verhältnisse sind ihm ein Graus. Falls Du dieses Fazit liest, kann ich Dich beruhigen. Amerikanisch ist nicht immer gleich groß. So liegt die durchschnittliche Größe eines Milchvieh-Betriebes bei 110 Tieren, hier sind es 100. Allerdings gibt es einen allgemeinen Trend zu größeren Betrieben, was in nicht zu geringem Maße am mangelnden Nachwuchs liegt. Betriebe werden also nach und nach übernommen. Was das Herden-Management angeht, gibt es bei Schweinen durchaus eine Gruppen-Haltung. Natürlich kann ein Landwirt nicht jedes Huhn persönlich kennen, aber auch der kontrolliert mehrmals täglich seine Tiere und schaut, wie sie auf ihn  – also ihre Umwelt – reagieren. Das ist eine recht gute Möglichkeit, um möglicherweise erkrankte Tiere zu identifizieren. Außerdem kontrolliert er stichproben-artig die Entwicklung der Tiere, also Krallen, Gefieder und so weiter. Stellt er hier Probleme fest, bekommt das Geflügel Besuch vom verhassten Tierarzt, während das humane Pendant von seinen Patienten in der Regel respektiert wird. Die Welt ist verdammt ungerecht…

Im Fadenkreuz – zwischen Moral und Wirtschaft

Natürlich ging es in der Debatte nicht nur um subjektive Störfaktoren einer romantischen Bauernhof-Idylle aus Kindertagen. Auch die Frage nach dem, was Landwirtschaft aus „unserer“ Sicht des Konsumenten leisten muss. Ute meint dazu:

Wie bei jedem Unternehmer sollte sie den Besitzer des Hofes samt der Angestellten ernähren können. Andererseits sollen die Produkte auch für die Bevölkerung noch erschwinglich sein. Gleichzeitig aber auch halbwegs haltbar.

Außerdem sollte die Landwirtschaft an sich die Umwelt so wenig wie möglich belasten. Das kann man so stehen lassen, denke ich. Martin Holzherr spricht dagegen den wichtigen Punkt der Landwirtschaft im Kontext an, denn die eine Landwirtschaft kann es in seinen Augen gar nicht geben. Landwirtschaft bedeutet demnach nicht nur die Produktion von Grundnahrungsmitteln, sondern auch von Luxusgütern, die sich eben nicht alle Menschen leisten können. Mona erinnert dabei an sehr grundsätzliche Aufgaben und Ziele der Landwirtschaft, die auch gerade jetzt in der Debatte um EHEC, Landwirtschaft und Co. wieder verstärkt ausgegraben werden, die da wären: Umweltschutz, Ressourcenschutz und natürlich ein verantwortungsvoller Umgang mit Tieren. Dyrnberg, der sich als Philosoph mit ethischen Fragestellungen beschäftigt, weiß noch zu berichten, dass sich Landwirtschaft im Fadenkreuz vieler verschiedener moralisch und emotional aufgeladener Aspekte befände.

Das ist ein ganz hervorragendes Schlusswort und insgeheim hoffe ich ja ein ganz kleines bisschen, dass ich mit meinen Artikeln hier im Blog einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass die Emotionen ein wenig entschärft werden zugunsten einer versachlichten Debatte. Und nach den Erfahrungen, die ich mit Euch als meine Leser und Kommentatoren (weibliche schließe ich da natürlich ausdrücklich mit ein) gemacht habe, bin ich da doch sehr optimistisch, dass das klappt.

Vielen Dank an alle für die vielen anregenden und wertvollen Kommentare! Kann so weitergehen…

 


Wer die Idee zu diesem Artikel nochmal nachvollziehen möchte, kann das gerne tun: Landwirtschaft aus Eurer Sicht – ein Experiment.

 

Natürlich kann ich hier auch meinen Artikel zur Petition gegen Massentierhaltung nicht unerwähnt lassen.

 

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

8 Kommentare

  1. 1. Ich bin männlich. 🙂

    2. Bei uns hat ein Milchviehbetrieb im Schnitt 46 Kühe. (Interessant dabei: 40 in Westdeutschland, 199 in Ostdeutschland).

    siehe aktuelle Landwirtschaftszählung:
    http://www.destatis.de/…plateId=renderPrint.psml

  2. Hallo Earli,

    finde ich super, dass Du hier wohl regelmäßig liest!

    1) Urgs. Werde das umgehend ändern. Tut mir leid.

    2) Danke für den Hinweis. Die Richtung stimmt aber – und sehr bald dann auch der Wert^^

  3. Endlich..

    das Fazit ist da! 🙂

    “…insgeheim hoffe ich ja ein ganz kleines bisschen, dass ich mit meinen Artikeln hier im Blog einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass die Emotionen ein wenig entschärft werden zugunsten einer versachlichten Debatte”

    Das tust du ganz sicher! Dein Blog ist ein wertvoller Beitrag zur Aufklärung, nicht nur über Landwirtschaft. Weiter So!

    Liebe Grüße

  4. Wurde auch Zeit

    Jaaa, es ist da. Wurde auch Zeit, habe im Backend das Datum des Aufrufes entdeckt und habe fast einen Infarkt bekommen. Da musste jetzt was passieren^^
    Weiß aber auch nicht, was mich da gepackt hat, dass ich es jetzt geschafft habe.

    Danke Dir für das Lob, Alo!

  5. Gute Zusammenfassung

    Hallo Sören,

    danke für Deine Zusammenfassung der wirklich vielfältigen Stellungnahmen.
    Ich möchte aus einem Text zitieren, den ich neulich gelesen habe, leider weiß ich nicht mehr wo.
    “Landleben, das nur ersehnt, nicht gelebt wird, ist eine urbane Projektion, eine Traumwelt wie im Kino.”
    So erscheint mir von so manchem, der keine direkte Berührung mit der Landwirtschaft hat, die Vorstellung von der Landwirtschaft zu sein. Die gute alte Zeit wird zu sehr ins Gute verklärt, die heutige Landwirtschaft vielfach nur negativ dargestellt. So schwarz-weiß ist die Welt nicht und die der Landwirtschaft auch nicht.

    Übrigens: Ich bin sehr froh, dass meine vier Mähdrescher “Flutlicht” haben. Es wäre schlimm, wenn ich die Maschinen, die je Stück fast eine halbe Millionen Euro kosten, abstellen müsste nur weil es dunkel wird, obwohl ich auch in der Dunkelheit noch trockenes Qualitätsgetreide dreschen kann.

  6. Landwirtschaft für Stadtmenschen

    Hallo Daniel,

    freut mich, dass Du den Artikel noch gefunden und gelesen hast. Ich war von Deinen Kommentaren so begeistert, dass ich diese nicht einfach in den Spalten versauern lassen wollte, da habe ich sie einfach eingebaut^^

    Du sprichst mit dem Zitat genau jenen Punkt an, der mich auch dermaßen stört, dass ich immer wieder darauf eingehen werde, bis es sich rumgesprochen hat. Versprochen!

  7. > 2) Danke für den Hinweis. Die Richtung stimmt aber – und sehr bald dann auch der Wert^^

    Das glaube ich eben eher nicht. Die Zahlen machen nämlich deutlich, dass die Großbetriebe in Deutschland ein Erbe des Sozialismus sind und eben kein Auswuchs des modernen Kapitalismus. (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.)

    Innerhalb Westdeutschland ist auch noch auffällig, dass in Bayern und BaWü, wo die Kuhzahlen pro Bauer am kleinsten sind, weniger als 20 % der Kühe Weidegang haben, wobei in NRW und SH mehr als 80 % Weidegang haben.

    Die Ostländer schneiden da alle ganz schlecht ab, bei denen sind die Betriebe groß und die Weidequoten klein.

  8. Betriebsgrößen

    Hallo Earli,

    Du hast recht, dass die großen Betiebe im Osten noch ein Relikt aus kommunistischen Zeiten sind. Das ändert aber nichts daran, dass die Zahl tier-haltender Betriebe rückläufig ist, die Tier-Zahl aber bleibt oder gar steigt. Hier gibt es eine gute Übersicht:

    http://www.destatis.de/…plateId=renderPrint.psml

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