Jamies Hühnerhölle – keine Kuschelpädagogik

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Auch in England wird nach Haltungs-Varianten gesucht, die das Tierwohl besonders berücksichtigen. Unter meinem Artikel zur Fußballen-Problematik verlinkte Lesern und Kommentatorin Mona vor einigen Tagen „Jamies Hühnerhölle“. Jetzt habe ich Äußerungen von Fernseh-Köchen bezüglich unserer Nahrung und Landwirtschaft nicht in bester Erinnerung und machte mich schon innerlich auf das Übliche – sprich böse Landwirte und noch viel bösere Konzerne – gefasst, wurde aber zu meiner großen Überraschung eines Besseren belehrt. Dabei geht Fernsehkoch Jamie Oliver keineswegs sonderlich rücksichtsvoll mit seinen geladenen Gästen um, denn auch nicht alle live gezeigten Tiere haben den Abend überlebt. Vermutlich wird auch der eine oder andere Zuschauer mal geschluckt haben.

Auf youtube wurde die Sendung in insgesamt 4 Teile aufgeteilt. Es geht um die beiden großen Bereiche, in denen Geflügel eine Rolle spielt: Konsumeier-Produktion und die Fleisch-Produktion. Alles wurde synchronisiert, ist also auf Deutsch, weshalb ich auf eine grundlegende Erläuterung verzichten werde. Ein paar Anmerkungen möchte ich aber dennoch – wenig überraschend zur Fleischproduktion – loswerden, die in den Teilen 3 und 4 beschrieben wird. Kurze Anmerkung noch: bei der Legehennen-Haltung kommt die meiner Meinung nach unter Berücksichtigung aller Aspekte beste Variante aus Holland: das Rondeel. 

Enge Ställe, hohe Besatzdichten, schwere Tiere – die konventionelle Haltung macht es einem nicht unbedingt leicht, sie grundlegend sympathisch zu finden. Aber sie ist eben wirtschaftlich – muss sich also zwischen den Kaufinteressen der Menschen und den Preisvorstellungen der Lebensmittelketten behaupten – und beherrscht das Angebot hier wie dort. Diese simple Feststellung Jamie Olivers rechne ich ihm hoch an, vielleicht höher als notwendig, weil ich damit schlicht nicht gerechnet hätte. Irgendwo ab Minute 8:40 des dritten Teils wurde ich plötzlich etwas aufgeregt, es gäbe eine Alternative, hörte ich: eine langsam wachsende Rasse, kombiniert mit einer geringeren Besatzdichte, Sitzstangen und Spielzeug wie beispielsweise Picksteine zur Beschäftigung. Außerdem sollen diese Tiere dann gerade mal ein Drittel mehr als jene aus konventioneller Haltung kosten. Huch! Irgendwie kommt mir dieses Konzept doch seltsam bekannt vor…In der folgenden Stall-Sequenz sieht man dann tatsächlich einen roten Ball als Spielzeug (ob der so optimal ist, lasse ich mal dahingestellt), die Tiere flitzen herum und machen einen äußerst munteren Eindruck. Die gezeigte Fußballenkontrolle hätte ich mir allerdings auch bei den konventionellen Tieren gewünscht. Schade. 

Dann waren da noch die Biohühner, die regelmäßig auf die Wiese durften. Der Fehler war allerdings, dass es eben nur eine Wiese war. Wer möchte, dass die Tiere die ganze Fläche nutzen und nicht nur vor den Stalltüren scharren, sollte Möglichkeiten zum Schutz vor Greifvögeln einbauen, die kommen ja bekanntlich schnell von oben und nicht gemütlich zu Fuß…

Übrigens gibt es die englische Variante des Privathof-Geflügels mit einem eigenen Tierwohl-Siegel zu kaufen. Man kann jetzt geteilter Meinung darüber sein, ob das gut oder schlecht sei. Ich denke, ab einem bestimmten Punkt sorgen Siegel nicht mehr für Transparenz, sondern stiften allenfalls Verwirrung unter all jenen Menschen, die „nebenberuflich“ Lebensmittel einkaufen. Die logische Konsequenz: eine komplette Umstellung der konventionellen Haltung auf diesen Standard würde viele Skandal-Reportagen und sinnlose, weil aggressiv geführte Debatten vermeiden. Außerdem sollte uns das locker ein Drittel mehr wert sein. 

Insgesamt also eine durchaus empfehlenswerte Sendung, sachlich und drastisch, aber immer an den richtigen Stellen. Schaut es Euch an. 

PS: Danke Mona!


Zu den vier Teilen geht es hier: Teil 1Teil 2Teil 3 und Teil 4

 

 

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

15 Kommentare

  1. Was genau ist denn die Huehnerhoelle?

    Kannst du jemanden, der nur deine Tweets verfolgt, abholen und sagen, was denn diese Huehnerhoelle ueberhaupt ist? Heisst das, dass Jamie Oliver Staelle besitzt, in denen Gefluegel das Leben schwer gemacht wird und er hat dort gefilmt? Das scheint mir reichlich unwahrscheinlich, aber das lese ich aus deinem Text heraus. Danke 🙂

  2. Es geht um echte Betriebe

    Hallo julia49,

    ganz so dramatisch ist es dann doch nicht. Ich habe die vier Teile am Ende verlinkt, kannst Du Dir dann anschauen, wenn Zeit ist.

    Vielmehr hat Jamie Oliver das gemacht, womit auch ich schon eine Woche meiner gerade vergangenen Semesterferien verbracht habe: er hat richtige Betriebe besucht und das von konventionell bis bio, um den Menschen zu zeigen, wo das billige Fleisch und die billigen Eier herkommen – mit all den Problemen, aber auch Vorteilen, die damit einhergehen.

    Soweit alles klar?

  3. Zu Jamie Oliver

    Freut mich, dass Dir „Jamies Hühnerhölle“ zugesagt hat. Ich wurde auf Jamie Oliver erstmals aufmerksam, weil er sich in England für gesünderes Essen an Schulen einsetzte. Anfänglich ging es da also nicht um Hühner, sondern um die schlechte Qualität des britischen Schulessens. Der das deutsche Schulessen in nichts nachsteht, da es bei uns aber oft von Catering-Firmen geliefert wird, ist es noch schwieriger, als in England, darauf Einfluss zu nehmen.

    http://mami.erdbeerlounge.de/…sund_a1833/site1-0

    Inzwischen hat seine Kampagne z.T. auch Deutschlands erreicht. Siehe hier:
    http://www.hahne-redaktionsbuero.de/…g_fokus.pdf

    Der Name „Jamies Hühnerhölle“ bezieht sich auf das kurze Leben von Nutztieren, die keine andere Funktion haben, als die in den Filmen gezeigte. Es geht da gar nicht so sehr um Kritik daran, sondern darum, dass Jamie den Menschen zeigen will, woher ihr Essen kommt. Viele moderne Menschen, insbesondere in den Städten, haben überhaupt keinen Bezug mehr zu den Tieren, die sie täglich essen. Einziges Kriterium ist der Preis, den man für ihr Fleisch bezahlt. Wenn sie aber sehen, wie diese Tiere aussehen und wie sie leben, dann entwickeln sie auch wieder einen Bezug zu ihnen und haben ein Interesse daran, dass sie gut gehalten werden. Den Rest hat Sören bereits erklärt.

  4. Hallo Mona,

    Deine Ergänzungen kann ich so unterschreiben, wobei ich “Hölle” durchaus auch auf bspw. die Legebatterien beziehen würde. Da zu arbeiten macht sicherlich keinen Spaß und von den Tieren will ich gar nicht erst anfangen.

    Dass Menschen in der Stadt den Bezug zur Tierhaltung verloren haben, ist sicherlich auch richtig. Gut finde ich dabei, dass Oliver diese Unkenntnis nicht ausnutzt, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, sondern ihnen auch zeigt, wie es anders geht. Das kommt in dieser Form selten vor 😉

  5. @julia49 Bekannt oder nicht bekannt

    Tut mir leid, aber wenn man so im Thema ist wie ich, kann es schon mal passieren, dass man gewisse Informationen versehentlich für bekannt hält. Umso besser, dass Du nachgefragt hast 😉

  6. Ich muss sagen, dass mich das Schlachten enttäuscht hat. Ich dachte Jamie bringt da mehr Dramatik, so wie bei dem letzten Biobetrieb den ich besuchte – Kopf mit der Axt abschlagen und ausbluten lassen.

  7. Schlachten

    Hallo Reuben C,

    was mich bei der Demonstration des Schlachtens verwundert hat, war der Ablauf. Das Aufhängen des voll bewussten Tieres und dieses manuelle Betäuben hat mich doch etwas irritiert. Kenne das anders und glaube auch nicht, dass das so gemacht wird, wenn da ganze LKWs voll mit Tieren am Schlachthof ankommen…

  8. @Reuben C.

    Ich nehme an, Jamie wollte in dem Film die heutige Realität der Massentierschlachtungen zeigen. “Kopf mit der Axt abschlagen und ausbluten lassen”, kenne ich noch aus meiner Kindheit, die Bauern machten das damals alle so, wenn sie ein Hühnchen essen wollten. Aber im Prinzip macht es keinen Unterschied, auch wenn die Axt-Methode spektakulärer aussieht. Im Original hieß der Film auch nicht “Jamies Hühnerhölle” sondern “Jamie’s Fowl Dinners”. Wahrscheinlich ist der Schock für die Leute sogar größer, wenn es nicht zu übertrieben wirkt. Denn bei so reißerischen Berichten, da winkt doch jeder gleich ab.

  9. @Mona Schlachthof

    Also ich kenne es umgekehrt. Erst werden die Tiere betäubt, dann aufgehängt und dann folgt der Schnitt zum Ausbluten. Finde die Reihenfolge persönlich auch besser.

  10. Hallo Sören,
    der Link von Mona zeigt es eigentlich. Moderne Schlachtbetriebe sehen aber professioneller aus. Blut sucht man dort vergeblich und die Sauberkeit lässt auf den Bildern auch zu wünschen übrig, also sicher keine Vorzeigebetrieb.

    Und das die Hühner erst aufgehängt werden und dann betäubt, ist auch richtig. Sonst müssen alle Tiere per Hand betäubt werden oder wie hast du dir das vorgestellt? Schwein und Rind werden tatsächlich erst betäubt und dann aufgehängt.

  11. Reihenfolge

    Moment, habe da gerade einen wichtigen Punkt bei der Reihenfolge vergessen. Jamie demonstriert die Betäubung durch einen Stromschlag, ich habe es mit einer Co2-Betäubung kennengelernt und diese kam vor dem Aufhängen. Die Tiere wurden also schon bewusstlos aufgehängt und dann kam der Schnitt zum Ausbluten.

    Weißt Du wie das mit der Stromschlag-Methode läuft? Über Wasserbecken? Kann mir nicht vorstellen, dass alle Tiere einzeln einen verpasst bekommen…

  12. Hallo Sören,
    in modernen Schlachtbetrieben werden die Hühner zur Betäubung durch ein elektrisches Wasserbad geführt. Die Betäubung per Hand kommt nur in kleinen Schlachtereien vor. Betäubung per Hand ist aber nicht das Optimale, da es fast unmöglich ist das Betäubungsgerät immer zu 100% akurat anzusetzten.

  13. Hallo Reuben C,

    genau das war meine Sorge. Danke für die Bestätigung, dass es auch mit Wasserbädern geht, ich habe es ja mit Co2 erlebt…

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