Intelligenz und Empathie im Tierreich – Studien und ihre Überprüfung

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Ein Zirkuslöwe, der sich wissenschaftlich belegt nicht wirklich stressen lässt – auch nicht durch eine untypisch lange Fahrt zum nächsten Ort – ist durchaus eine Erwähnung wert. Ebenso wie eine besondere Fisch-Mensch-Beziehung und Raben als passive Nussknacker – Anekdoten, tierische Studien und ihre Tücken.

altWenn Wissenschaftler neue Erkenntnisse erlangen und diese dann anhand von Studien publizieren, kann man das erstmal so stehen lassen. Ob die Erkenntnisse in einer Studie grundsätzlichen Bestand haben oder eben nicht, klärt sich dann über die Reproduktion, sprich: andere Wissenschaftler stellen die Versuche nach und schauen, ob sie die Ergebnisse der Ausgangsstudie bestätigen können, also reproduziert haben oder nicht.

Das funktioniert soweit ganz gut, aber wie in so vielen Bereichen ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt. Ed Yong hatte dazu einen trefflichen Artikel geschrieben, der auch den Startschuss zu diesem Bloggewitter gegeben hat, welches ich wiederum dazu nutzen möchte, um über das Problem der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Bereich der Intelligenz und der Empathie im Tierreich nachzudenken.

Die Bücher Immanuel Birmelins sind voll mit Geschichten. Über seine Hündin Wisla erfahren wir so einiges, seine Sittiche bleiben auch nicht unerwähnt und dazu kommen noch viele andere spannende Geschichten, deren tierische Protagonisten allerhand Denkwürdiges anstellen. Womit wir jetzt an einen spannenden Punkt kommen: Geschichten, auch als Anekdoten bezeichnet, sorgen unter wissenschaftlich denkenden Menschen gerne mal für erhöhten Blutdruck. Wie zu Beginn erwähnt, sind es Studien und deren Wiederholung, die letztlich zählen – und das völlig zu recht. 

Bei dem schon bekannten Löwen wurde das Stresshormon Cortisol über den Speichel gemessen, ein paar Tage vor der Reise und danach. Klingt relativ einfach – wenn wir den Löwen als Versuchsprotagonisten außen vor lassen – und auch das Resultat ist eindeutig: kein Stress. Wäre das Tier tatsächlich gestresst gewesen, wäre es natürlich ebenso deutlich. Etwas anderes ist die Sache mit Einstein, einem Maulbrüter-Männchen, welches sich von seinem Besitzer Birmelin regelmäßig streicheln ließ. Wie misst man Empathie/Freundschaft? Und was veranlasste diesen Fisch dazu? Immerhin lebte er mit einem Weibchen in dem Aquarium und gefüttert wurde er natürlich auch. Existenzielle Gründe scheint er also nicht gehabt zu haben. Das Weibchen war dagegen eher scheu. Ein anderes Beipiel sind japanische Krähen, die harte Nüsse auf die Fußgängerüberwege der Straße werfen und darauf warten, dass ein Auto drüber fährt und diese somit knackt. Solltet Ihr da mal mit dem Auto unterwegs sein und seht an der Ampel einen großen schwarzen Vogel, tut ihm den Gefallen. Eine spannende Beobachtung, nur wie untersucht man diese? Ein beliebige Krähe von irgendwo auf der Welt wird da nicht einfach so tun, wenn man ihr eine Nuss, eine Ampel und ein Auto zeigt. Nicht, weil sie dumm wäre, sondern schlicht, weil sie es bisher nicht brauchte. Vielleicht hat sie auch keine Lust. Auch das ist eine Herausforderung bei Studien bzgl. Intelligenz/Empathie mit Tieren: sie müssen Spaß daran haben. Denn auch Tiere haben mal keine Lust, was man dann auch erkennen sollte, bevor man sie für unfähig hält. Obwohl es da sicher auch mal das eine oder andere weniger intelligente Tier gibt. Ähem.

Nicht falsch verstehen: Studien sind wichtig – auch oder gerade in diesem Bereich, denn nichts ist gruseliger als eine falsche Vermenschlichung tierischer Verhaltensweisen durch vorschnelle Interpretationen. Dennoch sollten wir die eine oder andere Anekdote auch ohne Studie im Hinterkopf behalten. Vielleicht noch nicht als festen Beleg, sicherlich aber als Erinnerung, welch geistiges Potential in den Tieren um uns herum auch ohne Studie möglicherweise schlummert – bis zu dem Tag, an dem Versuche mit den richtigen Aufbauten dann auch wissenschaftliche Belege erlauben und liefern.

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

7 Kommentare

  1. Auch ne Geschichte …

    Guter Artikel – und persönliches Beobachten macht noch dazu Spaß!

    Die Berliner Nebelkrähen sind inzwischen vermehrt dabei, Nüsse und andere harte Dinge auf Fahrbahnen zu werfen, wissen allerdings die Vorzüge von Ampeln nicht so zu schätzen (nach meiner Beobachtung), was auch daran liegen könnte, dass in Berlin nicht so zivilisiert gefahren wird … aber im Ernst: Ich habe dieses Verhalten das erste Mal vor drei Jahren beobachtet und diese Seitenstraße wurde im folgenden Jahr nachgerade beliebt. Bis zu fünf Vögel waren eifrig dabei. Letztes Jahr sind die Werfer abgewandert, ein paar Straßen weiter, wegen Bauarbeiten war die Seitenstr. gesperrt.

  2. Hallo Theres,

    schön, Dich mal wieder hier im Blog zu lesen!
    Das ist wirklich eine spannende Geschichte, hier hat sich das also auch schon rumgesprochen. Ob die Krähen in Japan sich immer so an die Ampelphasen halten, glaube ich auch nicht. In dem eingebauten Video jedenfalls tun sie es nicht 😉

    Und ja, das Beobachten ist sehr wichtig, in solchen Fällen vielleicht sogar wichtiger als anderswo, denn das mit der Reproduktion dürfte schwierig werden.

  3. aber ich lese doch jeden Artikel von dir!
    Immer, sogar mehrfach 🙂

    Ich verfolge hier einige Wildtiere, mehr oder minder regelmäßig, weil es mich interessiert, wie sie es in der Stadt schaffen. Wenn frischer Schnee liegt, geht es am einfachsten – und zur Zeit residiert auch ein kleiner Krähenschwarm im Hinterhof. Dreiste Viecher …
    Vermutlich werfen die im Sommer auch Nüsse vor Menschenfüße, wenn gerade mal kein Auto fährt 😉

  4. Das freut mich, dass Du meine Artikel liest. Nur eben miteinander diskutiert haben wir länger nicht.
    Tatsächlich fühlt sich gerade die Vogelwelt in den Städten besonders wohl. Klingt erstmal paradox, aber in der Stadt ist es wärmer als in den Wäldern und auch das Nahrungsangebot ist besser. Und intelligente Vögel wie Krähen nutzen eben sogar den Verkehr als Nussknacker. Städte sind also aus Sicht einiger Tiere gar nicht so schlecht 😉

  5. Tiere sind keine Automaten

    Je intelligenter eine Spezies, desto größere individuelle Unterschiede werden sich ausbilden. Da kann man einfache Reproduzierbarkeit nicht ernsthaft erwarten.
    Ich habe mich hier mit einem Rabenkrähenpaar “angefreundet”. Sie stehen sehr auf Geflügelwurst. Ich kann sie äußerlich nicht unterscheiden, aber deutlich an ihrem Verhalten. Der eine von den beiden folgt mir bis zur Haustür und kommt bis auf einen Meter an mich heran, der andere nicht.
    Und reproduzierbar ist das schon gar nicht, da sie die Wurst ausschließlich von mir annehmen. Ich habe andere Menschen aufgefordert, den Raben die gleiche Wurst anzubieten: Die Vögel rühren sich nicht von der Stelle! Das nenne ich Impulskontrolle.
    Nu ja, jedenfalls bleiben sie scheu gegenüber anderen Menschen, mir vertrauen sie offensichtlich.

  6. Hallo Herr Piepke,

    es gibt natürlich durchaus Versuche, mit denen sich das Verhalten und auch die Intelligenz der Tiere überprüfen lässt. Birmelin beschreibt sehr viele solcher Versuche in seinen Büchern.

    Aber genau solche Geschichten wie Ihre sind es, die eben durchaus nachdenklich stimmen, denn die Ansicht, dass es in der Tierwelt ausschließlich um Fressen und Fortpflanzen ginge, hält sich hartnäckig und machen es damit auch der wissenschaftlichen Forschung sehr schwer.

    Vielen Dank für Ihren Beitrag!

  7. Abgesehen davon, dass ich Theres Geschichte für Berlin/Tempelhof bestätigen kann für eine Krähe die ich ca. 5 Minuten mit einer Nuss und 0 Ampeln beobachtet habe (und ohne Kamera, leider) – abgesehen davon kann ein anekdotisches Verhalten mehreres sein: Der Aufhänger, um eine Arbeit einem Publikum schmackhaft zu machen, es kann der Anlass sein, überhaupt eine Fragestellung zu entwickeln und ein Einzelfall kann genügen eine Pauschalaussage zu widerlegen.

    “Fische klettern nicht auf Bäume” etwa. Man beobachtet einen Fisch der es doch tut, filmt ihn, am besten mit Zeugen, fängt den Fisch und untersucht, ob es kein Säugetier ist und verzehrt den Fisch.

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