Ein Leserkommentar zu moderner Landwirtschaft

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Deutliche Fortschritte in der Technisierung und Mechanisierung der Landwirtschaft sorgen heutzutage selten für Begeisterung. Dabei ist die Entwicklung keineswegs “neu”, sondern das Ergebnis jahrzehnte-alter Erfindungen und Verbesserungen derselben. All das wird gerade in der Tierhaltung oft mit einem Mehr an Tierwohl und -schutz begründet, was auch stimmt. Eher selten wird über die Menschen berichtet, also Landwirte und deren Familien wie auch Mitarbeitern, die in den Betrieben arbeiten.

Kommentator Maulwurf war es, der diesen Aspekt moderner Landwirtschaft in einem Kommentar aus seiner Sicht beleuchtete.

Familienbetrieb

Schon mal daran gedacht was passiert wenn der Betriebsleiter erkrankt und aufgrund fehlender Fachkräfte dessen Arbeitskraft nicht ersetzt werden kann? Ich meine nicht, dass dann ein Betrieb bankrott geht (das Problem haben alle Familien-Betriebe), sondern dass die Tiere für diese Zeit nicht mehr anständig betreut werden können. In größeren Betrieben bzw. professionellen Familien-Betrieben kann dieser Ausfall leichter kompensiert werden und dadurch auch den Tieren zu Gute kommen.
Übrigens setzen vor allem Familien-Betriebe auf eine hohe Automatisierung (auch wirtschaftliche Biobetriebe).

Zunächst einmal verstehe ich unter professioneller Landwirtschaft, dass unter Beachtung moderner Erkenntnisse und Richtlinien wertvolle Lebensmittel erzeugt werden. Technische Innovationen helfen dabei die harte körperliche Arbeitsbelastung zu senken, wodurch ein mehr an Sicherheit und Gesundheit für die Landwirte und die Tiere sowie ein Mehr an Umweltschutz ermöglicht wird. Es sind aber definitiv keine Kinderbuch-Bauernhöfe die zum Idealbild stilisiert werden, die aber nichts anderes darstellen als Ausbeutung von erwachsenen Familienmitgliedern und gesellschaftlich tolerierte Kinderarbeit und Tierhaltung die alles andere ist außer tiergerecht.

Welche Vorteile habe ich persönlich?

  • Ich finde es gut, dass z.B. meine Nichten und Neffen dank der modernen Technik die Möglichkeit haben ein Wochenende mit ihrem Vater an einem Vater/Kinder Zeltlager teilzunehmen und die Mutter kann dank der modernen Technik ohne Probleme die Tiere versorgen.

  • Ich finde es gut, dass die Mutter meiner Nichten und Neffen dank moderner Technik nicht ihren erlernten Beruf aufgeben musste nur um als billige Hilfskraft auf dem Bauernhof zu helfen.

  • Ich finde es gut, dass meine Nichten und Neffen dank moderner Technik mit ihren Eltern in den Urlaub fahren können und der Onkel (der nicht Landwirt lernte – aber etwas Ahnung hat) bereit ist in dieser Zeit die Kontrolle der Stallungen durchzuführen (und bei Problemen entsprechende Experten fragen kann) und die Tiere werden immer noch richtig (dank automatischer Fütterung) versorgt.

  • Ich finde es gut, dass meine Nichten und Neffen im Sommer dank moderner Technik ohne Probleme mit ihren Schulfreunden ins Schwimmbad gehen können und nicht auf dem Feld arbeiten müssen.

Dies sind nur ein paar kleine Punkte weshalb ich für professionelle Landwirtschaft in meinem persönlichen Umfeld bin.

Auch profitiere ich von Techniken, welche mich auch diesen Kommentar schreiben lassen, die von Menschen entwickelt/betreut wurde/werden die sich nicht tagtäglich um den Anbau ihrer Lebensmittel sorgen müssen.

Anmerkung

Dieser Kommentar wurde von mir, Sören Schewe, nur etwas editiert und gekürzt.


Mit Erhalt des Scilogs-Preises wurde ich nicht zum ersten Mal auf Euch und Eure Kommentar-Kultur angesprochen und wieso das alles so ist wie es eben ist. Auf der Suche nach Antworten und einigen Blicken in mein Blog fand ich dann so viele tolle und spannende Kommentare, die ich jetzt nach und nach hier explizit veröffentlichen möchte. Wenn es gefällt, kann ich daraus gerne eine Serie machen.

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

6 Kommentare

  1. Ich stimme Sören Schewe voll und ganz zu. Landwirtschaft hat, wie das Wort schon sagt, etwas mit Wirtschaft zu tun. Wie jeder andere Wirtschaftsbetrieb müssen sich auch landwirtschaftliche Betriebe wirtschaftlich weiter entwickeln, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, in unserem Wirtschafts- und Sozialsystem mit Konkurrenz, Inflation, gesetzliche Vorgaben etc. ihre wirtschaftliche Existenz zu gefährden. Das kann nur gelingen, wenn auch technische, biologische Innovationen im Acker- u. Pflanzenbau sowie bei der Nutztierhaltung genutzt werden. Dieses “Precision Farming” ermöglicht Effizienzverbesserungen wie geringere Kosten je Produktionseinheit, geringerer Arbeitszeitaufwand und nebenbei mehr Umweltschutz und mehr Nutztierkomfort durch moderne, tiergerechtere Ställe. Allerdings rechnen sich solche Techniken nur in entsprechend großen Betriebseinheiten. Diese Betriebe haben allerdings überhaupt nichts mehr mit dem idyllischem Bild des klassischen Bauernhofes mit einem Misthaufen sowie dem dazu gehörenden Gockel nebst Hennen mitten auf dem Hof zu tun, auf dem es immer vielfältige Nutzviehhaltungen wie Kühe, Pferde, Schweine, Federvieh etc. mit vielen Arbeitskräften gab.
    In der Regel haben sich die heutigen landwirtschaftlichen Betriebe, die einen ausreichend hohen Gewinn für die betriebliche Weiterentwicklung, zur Entlohnung von Arbeitskräften sowie für das Einkommen des Betriebsleiters und dessen Familie erreichen müssen aus wirtschaftlichen Gründen auf eine Nutztierart mit entsprechend großen Einheiten bzw. auf wenige Betriebsschwerpunkte spezialisiert.
    Dieses wirtschaftlich zwingend notwendige Verhalten führt auch weiterhin zu Veränderungen in der Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe, welches von Teilen unserer Gesellschaft ablehnend als Agroindustrie gebrandmarkt wird. Hier ist mehr Einsicht bei den Verbrauchern zur Wahrnehmung der Lebensrealität als auch bei den Landwirten zu mehr Öffentlichkeitsarbeit über ihr Handeln gefordert. Nur so kann mehr Verständnis für die Entwicklung in der Landwirtschaft geschaffen werden.

    • Hallo Herr Graf,

      wenn Sie die Lorbeeren in diesem Falle Maulwurf überreichen, wäre ich Ihnen sehr verbunden. Keine Sorge, ich werde natürlich auch weiter eigene Artikel schreiben 😉

      Sie haben natürlich völlig recht, dass spezialisierte Betriebe heute eher normal denn außergewöhnlich sind. Trotzdem findet man auch heute Betriebe, die gleichermaßen Geflügel und Rinder halten oder solche mit Hofladen, vor deren Eingang einige Hühner stolzieren. Die Einsicht der Verbraucher ist wichtig, kann aber nur in Verbindung mit den richtigen Informationen passieren, die es leider selten bis gar nicht in die breitere Öffentlichkeit schaffen – zumindest war es lange Zeit so, bis ich das Bloggen für mich entdeckte und als nicht auf dem Land Aufgewachsener ziemlich umdenken musste.

  2. Pingback:Ein Ausblick – Eure Kommentare 2015 › Vom Hai gebissen › SciLogs - Wissenschaftsblogs

  3. Im Kern geht es hier darum, ob die moderne Landwirtschaft “richtig” ist. Es gibt gerade hier eine Gegenbewegung gegen die industrialisiserte, automatisierte und moderne Landwirtschaft. Diese Gegenbewegung, die – unter anderem – den Ökolandbau, Organic Farming und extensive landwirtschaftliche Methoden bewirbt und als Vorbild darstellt, macht die moderne Landwirtschaft für alle denkbaren landwirtschaftlichen Übel verantwortlich: Die Verschlechterung der Böden, Insektizid- und Antibiotikarückstände in der “industriellen” Nahrung und überhaupt unsere Vergiftung anstatt unsere Ernährung seien die Auswirkungen der industrialisierten Landwirtschaft.

    Der Breakthrough-Artikel The Environmental Case for Industrial Agriculture fasst diesen Clash der (Agri-)Kulturen gut zusammen:

    Im Endeffekt findet man bei den zeitgenössischen Debatten über Ernährung und Landwirtschaft eine Reihe von grundlegend falschen Vorstellungen über Ernährung und Landwirtschaft. Landwirtschaftliche Erträge haben über tausende von Jahren zugenommen, weil die Menschen schrittweise Technologien entwickelten, die es ermöglichten, den landwirtschaftlichen Ertrag pro Flächeneinheit zu erhöhen, so dass menschliche Gesellschaften zu größeren Populationen mit einem höheren Lebensstandard heranwachsen konnten. Ohne moderne, industrielle Landwirtschaft, könnten die meisten von uns nicht in Städten leben, aufs College gehen, am Berufsleben teilnehmen oder – ironischerweise – Boutique-Lebensmittel bevorzugen . Mehr Nahrung auf weniger Land ernten ist auch gut für die Umwelt. Der Versuch, auf vorindustrielle, “kleinräumige” Nahrungsmittelsysteme zurückkehren würde fast sicher den menschlichen Einfluss auf die Umwelt verstärken durch beschleunigte Umwandlung von Wald, Wiesen und anderen Lebensraum in Ackerland und Weide. Die Ernährung der Welt unter Wahrung von Wäldern, Meeren und Grasland gelingt nur, wenn wir produktive Landflächen intensiv, effizient und präzise bewirtschaften. Die Verbesserung der industriellen Landwirtschaft – nicht aber die Abwendung von ihr – ist der Schlüssel für einen wohlhabenden, ökologisch lebendigen Planeten

  4. Die Diskussion der Leser über The Environmental Case for Industrial Agriculture ist sehr lebendig und vereint die typischen Standpunkte, die man auch hier oft hört.
    Der Kommentator Ian Chew meint, die industrialisierte Landwirtschaft sei nur dank fossilen Brenn- und Treibstoffen möglich und sei deshalb nicht nachhaltig und zum Verschwinden verurteilt.
    Dan Rubin unterstützt ihn und will sogar industrielle Infrastruktur (Stadtraum) rückverwandeln in landwirschaftliche Fläche.
    Philip Andersen dagegen meint, ohne industrialisierte Landwirtschaft könnte es keine Städte wie Tokyo-Yokohama mit seinen 35 Millionen Einwohnern geben. Einen Ring von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben rund um solche Grossstädte würde niemals ausreichen.

    Auch hier in Europa gibt es genau die gleichen Standpunkte. Ich kenne selber einige Leute, die von der Rückkehr zur vorindustrialisierten Landwirtschaft träumen. Für mich geht das aber nicht auf. Die zunehmende Urbanisiserung die immer mehr Leute in die Städte strömen lässt ist unvereinbar mit einer Landwirtschaft, die nur von Kleinbauern betrieben wird.

Schreibe einen Kommentar