Biohacking – Hack die Schabe!

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Zur Osterzeit geriet ich in den Besitz des Buches Biohacking und war direkt gefesselt – von der Thematik wie auch von den darin involvierten Forschern. Das Besondere dabei: hier reden wir nicht über Forscher im eigentlichen Sinne, sondern über Menschen, die in ihrer Freizeit zum Beispiel ihr Genom extrahieren. Ach, und Schaben kommen gleich auch noch vor.

Stellt Euch ein großes Labor voller teurer Geräte vor, zwischen denen Wissenschaftler mit weißen Kitteln oder gar Schutzanzügen konzentriert umherwuseln. Beeindruckend, oder? Und jetzt stellt Euch vor, das auch zu tun – allerdings ohne Geräte im Gegenwert einer beeindruckenden Villa, lediglich in Eurer Garage, Küche, einfach dort, wo Platz ist. Verrückt? Die drei Journalisten und Biologen Hanno Charisius, Sascha Karberg und Richard Friebe haben sich auf eine lange Reise begeben, um genau das herauszufinden.

Dabei beschränken sich die drei nicht nur auf ihre Rolle als Journalisten, sondern nutzen ihre übrig gebliebenen Kenntnisse aus dem Biologie-Studium, um auch aktiv im Biohacking-Zirkus mit zu mischen. Das gelingt ihnen so gut oder schlecht wie allen anderen, die sich für dieses Hobby entschieden haben, wobei sie sich von Fehlschlägen nicht entmutigen lassen. Ihre Reisen führen sie in die USA, wo sie in Hinterhöfen Nachhilfe-Kurse im Biohacking absolvieren, Menschen besuchen, die heimlich in ihren Garagen forschen und absolutes Stillschweigen verlangen – nicht, weil die Forschung so gefährlich wäre, allein die Angst der Nachbarn kann viel zerstören. Aber auch in Deutschland treffen sie überzeugte Biohacker.

Obwohl die Autoren durch die vielen Gespräche und nicht zuletzt ihre eigenen Schritte auf diesem Gebiet doch sehr tief eintauchen, haben sie immer versucht, eine Distanz zu wahren und sich von den passionierten Bastlern nicht vereinnahmen zu lassen. In meinen Augen ist ihnen das zwar gelungen, sie hätten ihr Vorhaben des Distanziert-Bleibens aber etwas weniger oft erwähnen können. Meine Begeisterung für Buch und Thema hat das aber nicht maßgeblich beeinflusst. An die praktische Form des Biohackings, die weit über Sabberspielchen hinausgeht, wurde ich dann ein paar Wochen später wieder erinnert.

Als ich von einer Roboterschabe las, hielt ich das für ein rein elektronisches Teil, eine Art Nerd-Spielzeug für die Pause zwischendurch. Genau so wurde sie auf der eigens dafür eingerichteten Seite auch beworben. Was ich dann bei Enno Park im Blog las, haute mich ein Stück weit um. Zitat:

Zunächst einmal ist wichtig zu verstehen, was bei Roboroach eigentlich passiert. Ein Empfänger wird an der Schabe befestigt, der jederzeit abgenommen werden kann. Schaben orientieren sich mit Hilfe ihrer Fühler. Ertasten diese ein Hindernis, wechselt die Schabe die Richtung. Diesen Mechanismus macht man sich zu nutze: Der Fühler wird mittels einer Elektrode stimuliert: Die Schabe wechselt ihre Richtung und kann somit ferngelenkt werden. Die Steuerung erfolgt mittels einer Smartphone-App, die ihre Befehle via Bluetooth an den Empfänger auf dem Rücken der Schabe überträgt. Dabei geht es nicht um starke Stromstöße sondern darum, einen feinen Impuls in die Nerven des Tieres abzusetzen – ganz ähnlich wie bei meinem Cochlea-Implantat. Das ganze ist vergleichbar mit dem Zaumzeug eines Pferdes.

Von wegen Nerd-Spielzeug – hier geht es keineswegs um einen Haufen Technik in Form einer Schabe, hier werden ECHTE Schaben verwendet. Der Pferde-Vergleich passt vielleicht, ist aber auch ebenso problematisch. Stelle ich mich beim Anlegen des Zaumzeugs ungeschickt an, habe ich das Pferd nicht gleich schwer verletzt oder getötet. Bei einer Schabe dürfte das ungleich leichter gelingen.

Auch wenn vielleicht einige bezüglich einer Schabe nicht unbedingt auf Anhieb die nötige Empathie aufbringen können, handelt es sich dabei um ein Tier und Tierversuche sollten ausschließlich zum Einsatz kommen, wenn es sich absolut nicht mehr vermeiden lässt – also zielgerichtet und zur Bestätigung der bereits durch Computer-Modelle und Zellkulturen gewonnenen Erkenntnisse.

Forschungsfreiheit in dem Sinne, dass man wirklich an Projekten arbeiten kann, die einen voll und ganz interessieren und die Möglichkeit für Laien, sich ebenfalls einzubringen, Kenntnisse darüber wie Wissenschaft funktioniert bis hin zu vielleicht wirklich wichtigen Entdeckungen – Biohacking birgt viel Potential. Zudem sind an der Erkundung dessen Menschen weltweit beteiligt, was großartig ist. Tierversuche sind allerdings ein in jeder Hinsicht sehr heikler Bereich.

Dabei könnte ich so einer Cyborg-Schabe vielleicht sogar was abgewinnen, eben in einem professionellen Rahmen. Das ist aber nichts für den Küchentisch.


Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

7 Kommentare

  1. Empathie mit Mücken und Schaben?

    Das Mass an Mitgefühl für Mücken und Schaben ist bei den Meisten wohl auf Asperger-Niveau. Schaut man sie sich genauer an – unter dem Mikroskop – wirken sie schon fast wie Robots. Zerdrücken und damit Töten solcher Viecher kommt also dem Drücken eines Ausschalters eines natural born robots gleich.
    Gestern drehte sich unser Mittagsgespräch um Weapons of mosquito destruction.

    Was wird wohl der erste Einsatz von sensorbewaffnenten Insekten sein? Das weiss man nicht, dass er aber jetzt im DARAP erforscht wird und der erste Einsatz in irgend einer Armee (US,Israel) sein wird, das kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen.
    The Army’s Remote-Controlled Beetle
    Remote Control Cyborg Insects Now A Reality

    Auch als Spielzeug gibts ferngelenkte Insekten schon.

    Fazit: Hemmungen hat der Mensch nicht einmal gegenüber dem Herumspielen mit Warmblütern inklusive sich selbst. Mit Insekten aber macht es den Meisten sogar Spass und Empathie gegenüber diesem Krabbelzeugs gibt es wenn überhaupt nur auf einer höheren Stufe, der Stufe, die alles Leben umschliesst – und sei es noch so ALIEN.

  2. Hallo Herr Holzherr,

    vielen Dank für die spannenden Links. Sie haben sicher recht, dass viele Menschen sich mächtig schwer tun, Schaben ebenso als Tiere wie andere zu betrachten, Empathie ist da wohl nicht allzu sehr verbreitet.

    Schade eigentlich.

  3. Empathie

    Man kann Empathie auch übertreiben. Mache ich mir sorgen darum dass mein Darm jeden Tag Milliarden Bakterien massakriert? Nein. Mein Maßstab für Empathie ist die Empfindungsfähigkeit/Bewustheit des anderen Lebewesens. Diese ist natürlich nicht wirklich genau herauszufinden. Deshalb muss ich mich im Zweifelsfall auf mein Bauchgefühl verlassen. Schaben rangieren da ziemlich weit unten.

  4. Bauchgefühl

    Hallo Arnd,

    genau das ist das Problem, es geht um das Bauchgefühl – und das sollte in der Wissenschaft nicht übermäßig Raum haben. Auch dann nicht, wenn wir uns über Bürgerwissenschaft unterhalten. Meine Meinung.

  5. Re: Bauchgefühl

    Damit antwortest du aber nicht auf das Problem der Milliarden massakrierten Bakterien. Es wäre natürlich schön objektive Kriterien für beispielsweise Leidensfähigkeit von Organismen zu finden, aber was macht man in der Zwischenzeit? Einfach gar keine Lebewesen töten ist nicht praktikabel/möglich. Also was ist deine Antwort dazu?

    Und selbst wenn wir eine “Leidensfähigkeits-Skala” einmal haben sollten: Wer bestimmt den Grenzwert? Letztlich ist das wohl auf lange Zeit noch eine persönliche Entscheidung.

  6. Ob in meinem Darm Bakterien massakriert werden oder nicht, kann ich nicht aktiv beeinflussen. Das ist der Lauf der Dinge. Ich kann aber sehr wohl aktiv entscheiden, ob Versuche an einem Tier nun als Zeitvertreib in der Schulpause oder am Arbeitsplatz durchgeführt werden oder ob das von fachlich kompetenten Menschen in einem Labor bewacht/kontrolliert wird. Und da tendiere ich eindeutig zur letzteren Variante. Das kann dann gerne auch im Zuge des Biohackings passieren, dort gibt es ja auch viele Fachleute.

  7. Cyborg-Schabe

    Vielen Dank für diese wunderbare Wortverknüpfung der “Cyborg-Schabe”. Da bekommt das Thema “Wanzen” auch gleiche eine ganz neue Bedeutung. Lg, Bucle

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