universitas magistrorum et scholarium oder auf der Suche nach der universitären Selbstverwaltung

BLOG: Vergangenheitsstaub

Die Zukunft hat schon begonnen
Vergangenheitsstaub

 

In zwar unregelmäßigen Abständen, dafür aber nicht allzu leise schlagen in Zeitungen und Medien Demonstrationen für die universitäre Selbstverwaltung hohe Wellen. Außenstehende werden diese Protestaktionen mit Schulterzucken betrachten und sich fragen, wieso für Universitätsangehörige diese Frage so wichtig ist. Wie so oft liegen die Wurzeln in der Vergangenheit. Begeben wir uns auf die Spurensuche, warum Universitäten auf die Selbstverwaltung bestehen.

 

Die Entstehung der universitas magistrorum et scholarium

Aus Dom- und Klosterschulen bzw. Schulen, an denen das Kirchenrecht gelehrt wurde, entstanden im 12. Jahrhundert in Frankreich und Italien die ersten Universitäten. Hier seien als Beispiele der ersten Gründungswelle Bologna (bekannt für seine juristische Ausbildung), Paris (um ca. 1160), Oxford (1167), Cambridge (1209), Montpellier (1220) oder Padua (1222) genannt. An der geographischen Verteilung der Universitätsorte erkennt man die enge Verwurzelung mit der römischen Antike. Für die Entstehung von Universitäten waren nicht nur städtische Zentren, sondern auch kulturelle Voraussetzungen wie der Bezug zur römischen Bildung notwendig. Allein die Stadt bot die wirtschaftlichen Möglichkeiten für die Existenz einer Alma mater. Deutlich wird dieser Zusammenhang, wenn man nach den Gründungsdaten von Hohen Schulen im deutschen Reich recherchiert. Erst in den zwei nachfolgenden Gründungswellen im 13./14. Jahrhundert bzw. in der Zeit der Konfessionalisierung entstehen Universitäten wie in Prag (1348), Wien (1365), Erfurt (1379), Heidelberg (1385), Leipzig (1409), Wittenberg (1502), Marburg (1527) oder Jena (1548/59). Diese urbanen Zentren waren erst in diesen Gründungsjahren in der Lage, eine Alma mater zu beherbergen.

Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Universität verstand sich als universitas magistrorum et scholarium, als Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden. Nicht eindeutig war es immer, welcher Universitätsangehöriger zu den Lehrenden und Lernenden gehörte. Ein Magister konnte in der Artistenfakultät (der vierten und von der Dignität her niedrigsten) lehren, aber in der Theologischen noch lernen. Die Grenzen waren schwimmend. Auch heute zeigt sich dies noch in gewisser Weise im Mittelbau bei den Doktoranden, die selbst Seminare geben, aber als Promovenden in den Oberseminaren zu den Lernenden gehören.

Wieso gibt es die akademische Selbstverwaltung?

Anders als heute unterstand die mittelalterliche und frühneuzeitliche Gesellschaft verschiedenen Rechtskreisen. Der noch aus dem Schulgeschichtsunterricht bekannteste ist der des Stadtrechtes. Auch Universitäten hatten ein eigenes, akademisches Recht. Sie bilden einen eigenen Rechtskreis (akademische Gerichtsbarkeit), dem man mit der Immatrikulation (Eintragung in die Universitätsmatrikel und damit juristischer Nachweis) angehörte. Daraus resultiert die akademische Selbstverwaltung, denn eigenes Recht muß organisiert werden. Universitäten erhielten dieses Recht durch die Verleihung des päpstlichen und kaiserlichen Privilegs bei ihrer Gründung (nach der Reformation war für die Protestanten nur noch die Verleihung des kaiserlichen Privilegs bedeutend). Mit dem Privileg war auch das Promotionsrecht verbunden, was eine Universität von einer Schule unterschied. Die eigene Gerichtsbarkeit garantierte der Universität die libertas academica nicht nur gegenüber Landesherren und lokalen Machthabern, sondern sogar gegenüber dem Kaiser und Papst. Ihre Verteidigung ist ein zentrales Motiv in der Geschichte der Universitäten, das bis heute in der Frage akademischer Selbstverwaltung eine Rolle spielt. In moderner Zeit knüpft an dieses Selbstverständnis eng die Freiheit der Forschung. Auch wenn sich die mittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Universität sich in überaus starkem Maße von der heutigen unterscheidet, so verbindet uns das Bewußtsein um eine Eigenständigkeit. Auch heute sind wir noch eine universitas magistrorum et scholarium.

Literaturempfehlung:

Walter Rüegg (Hrsg.): Geschichte der Universität in Europa, München 1993-2010.

Veröffentlicht von

digiwis.de/

Wenke Bönisch, 1981 in Dresden geboren, studierte Mittlere und Neuer Geschichte sowie Kunstgeschichte an der Universität Leipzig. Die Frühe Neuzeit, vor allem die Reformations- und Bildungsgeschichte, ist ihr historisches Steckenpferd. Zur Zeit promoviert sie an ihrer Hochschule über die Bildungslandschaft Mitteldeutschlands und arbeitet freiberuflich im Verlagswesen. Im Netz findet man sie auch unter den Namen „Digiwis“. Webseite: http://digiwis.de/ Blog: http://digiwis.de/blog/ Twitter: http://twitter.com/digiwis Facebook: http://www.facebook.com/Digiwis Google+: https://plus.google.com/109566937113021898689/posts

5 Kommentare

  1. Auch Universitäten hatten ein eigenes, akademisches Recht. Sie bilden einen eigenen Rechtskreis (akademische Gerichtsbarkeit), dem man mit der Immatrikulation
    (Eintragung in die Universitätsmatrikel und damit juristischer Nachweis) angehörte.

    Das bekannteste Überbleibsel aus dieser Zeit in Heidelberg ist der Studentenkarzer. Ich weiß nicht, gibt es so etwas auch noch in anderen alten Universitätsstädten?

  2. Studentenkarzer

    Mir ist kein weiterer bekannt, jedoch sind Fotos anderer in den Universitätsarchiven überliefert. Spannend sind die Wandkritzeleien der eingesperrten Studenten zu lesen.
    Übrigens war die Karzerstrafe die höchste Strafe vor der Exmatrikulation eines Studenten. Die Universitäten, stellvertretend der Rektor als höchster Repräsentant, konnten aufgrund ihrer eigenen Gerichtsbarkeit selbst die Bestrafung ihrer Universitätsmitglieder festlegen – sehr oft zum Leidwesen des städtischen Magistrats. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Rat der Universitätsstadt und der Alma mater prägen alle Universitätsgeschichten und sind sehr oft wunderbare Beispiele für die Durchsetzung und Behauptung akademischer Gerichtsbarkeit.

  3. Übrigens war die Karzerstrafe die höchste Strafe vor der Exmatrikulation eines Studenten.

    Ach, tatsächlich? In den Heidelberg Filmen etc. wurde das immer als lustiger Studentenspaß dargestellt. Aber wenn danach der Rauswurf drohte, dann ist das nicht mehr so lustig. Weißt Du zufällig, ob die sich dann in eine andere Universität eintragen konnten oder war dann Schluß?

  4. Neuimmatrikulation

    Selbst der Karzer war nicht immer so lustig, wie er in den Filmen so gerne dargestellt wird ;-).

    Ob Studenten sich neu einschreiben konnten, ist eine Frage, die die Universitätsgeschichte noch nicht so recht verfolgt hat. Exmatrikulationen wie sie heute nach Abschluß eines Studiums automatisch vorgenommen und festgehalten wurden, gab es im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nicht. Man kann die Frage also nur beantworten, wenn man die Immatrikulationen an verschiedenen Universitäten nach Namen vergleicht – bisher ist das noch nicht geschehen (bzw. ich mache es in meiner Dissertation, die kurz vor der Einreichung steht). Es gibt Einzelfälle für eine Neuimmatrikulation an einer anderen Universität. Aber mehr Informationen gibt es leider nicht. Wie gesagt, dieses Feld ist noch völlig unbeackert.

  5. Dann schätze ich mal ganz frecherweise, daß die wohl meist reichen Rüpels, die aus der Uni gegangen wurden, sich anderswo eingetragen haben.

Schreibe einen Kommentar