Zum “Wesen” Israels

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Im Wochenabschnitt "Ekew" (Deuteronomium 7:12-11:25), der jährlich im Hochsommer weltweit von Juden gelesen wird, macht Gott den Kindern Israels ein Angebot, "das man nicht ablehnen kann": Wenn sie sich an die göttliche Moral halten, die Ureinwohner vertreiben, deren Götzen vernichten usw. usf., wird es ihnen im Verheißenen Lande gut gehen; sonst wird Gott Israel genau das antun, was er mit den anderen Völkern vorhat. Interessanterweise wird diese auf zweierlei Weise fatalistische Sonderstellung Israels, der sich das Volk nicht entziehen kann, hier sowie anderwärts immer wieder auf den Bund zurückgeführt, den Gott mit den Erzvätern geschlossen hat, z. B.: "So gedenke des Ewigen, deines Gottes, denn er ist es, der dir Kraft gibt, Vermögen zu schaffen, auf daß er seinen Bund halte, den er deinen Vätern geschworen, wie jetzt geschieht." (Deut. 8:18, ins Deutsche von N. H. Tur-Sinai)

Worin besteht also dieser folgenreiche Bund? Bekanntermaßen wird zuerst Abraham, dann Isaak und schließlich Jakob jeweils auserwählt. Mit Jakob bzw. Israel hört das Auswahlverfahren auf; es ist seine Nachkommenschaft, die Gottes eigenes Volk bildet. Den Anspruch auf diese Sonderstellung – oder vielmehr die theologisch-rechtliche Pflicht, in dieser Rolle zu figurieren – sollen wir Juden also ausschließlich deswegen haben, weil wir Israels Nachkommen seien. Gottes Volk seien wir also nicht deswegen, weil wir die Torah, Gottes Lehre, am Sinai bekommen haben sollen, sondern im Gegenteil: Die Torah sollen wir bekommen haben, weil wir Gottes Volk seien, was wiederum unserer (angeblichen) Blutlinie entspringt.

Dieser Gedankengang ist bei mir mit einer persönlichen Erfahrung verkoppelt: Vor etlichen Jahren – das war damals kurz vor dem israelischen Unabhängigkeitstag – habe ich im Rahmen meines politischen Engagements eine neue Unabhängigkeitserklärung für den Staat Israels verfasst; die bisherige hat nämlich recht wenig mit dem Judentum zu tun, also habe ich sie umgeschrieben und dabei den ursprünglichen Stil bewährt, damit die Änderungen gleich auffallen. Zum Beispiel: Ben-Gurions Fassung fängt mit folgender Aussage an: "Im Lande Israels kam das jüdische Volk zustande […]"; dies habe ich in der ersten Fassung (es gab mehrere) ersetzt durch: "Am Berg Sinai entstand das Volk Israel […]". Die verbesserte Erklärung habe ich herumgeschickt; die Resonanz war i. d. R. positiv, manchmal wurde auch Kritik geäußert. Eine Antwort bewahre ich aber besonders gut auf. Es handelt sich um das Schreiben von Rabbiner Uri Sherki, der mir damals Folgendes geschrieben hat:

Meiner Meinung nach gilt die Aussage, dass das Volk Israel am Berg Sinai geboren wäre, als Ketzerei [doppelte Hervorhebung im Original], weil sie den nationalen Charakter Israels leugnet und unsere ganze Identität auf religiöser Grundlage aufbauen möchte […] Es sei daran erinnert, dass Mose der ultra-orthodxen Versuchung widerstand, mit der Gott ihn prüfen wollte, als dieser ihm sagte, er würde Israel vernichten, weil es gegen die Sinai-Lehre verstieß; da erwiderte Mose [Exodus 32:13]: "Gedenke es Abraham, Jizhak und Israel [deinen Knechten, denen du bei dir geschworen hast…]" – das heißt, dass [das Volk] Israel zuallererst Nachkommen der Erzväter und erst nachher [=daraufhin] Jünger Moses sind.

In der Tat scheint mir Sherkis Israelverständnis biblischen Vorstellungen weit besser zu entsprechen als andere Ansätze jüdischen Selbstverständnisses. Vor diesem Hintergrund werde ich im nächsten Beitrag versuchen, die theologische Problematik der Übertrittsfrage zu erklären: Inwiefern kann ein Fremdling in Israels Bund mit Gott, sprich: in eine ihm fremde Blutlinie eintreten?

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Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

1 Kommentar

  1. Wesen Israels

    Jude ist man mit seinem Herzen,wenn man Gott liebt. Das gesamte Blut des Menschen erneuert sich in kurzer Zeit. Die DNA und RNA ect.bleiben. Wenn ich mich der Torah, dem Talmud und JHW nahe fühle, so hoffe ich dass ein kleinwenig Gottesliebe auf mich fällt. Es bleibt beim Hoffen,alles andere ist Gnade. Mit lieben Grüßen aus Wien.Ein einfacher Mensch

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