Wenn ich Palästinenser wäre

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Wie man sich wohl vorstellen kann, werde ich hier oft mit der Frage konfrontiert, was ich denn sagen würde, wenn ich selber Palästinenser wäre. Damit sind nun weder jüdische Palästinenser noch christliche, sondern die islamischen, bei denen die bekannte Problematik besteht, die jeder von den Nachrichten kennt. Ich lasse mich also auf diese intellektuelle Übung ein – und meiner Phantasie freien Lauf:

Wie könnte ich das Schicksal meines jungen, aber leidvollen Volkes verbessern, wenn ich Palästinenser wäre?

 

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich die historische Teilung Palästinas respektieren, mich mit dem palästinensischen Staat in Transjordanien zufrieden geben und keinen zweiten mehr im dreimal so kleinen Cisjordanien blutig zu erkämpfen versuchen.

Wenn ich Palästinenser wäre, könnte ich dafür plädieren, dass mein Volk sich abermals gegen die Fremdherrschaft der Haschemiten aufbegehrt, damit eine palästinensische Republik möglich wäre.

Wenn ich Palästinenser wäre, könnte ich dieses Herrschergeschlecht aber auch gerade deswegen unterstützen, weil sie, wie das Haus Sachsen-Coburg und Gotha in "Belgien", Stabilität erzeugen.

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich dafür eintreten, dass das Kapital in Aufbau und Entwicklung investiert wird, statt es für Tod und Zerstörung auszugeben und meinem Volk das Leben nur noch mehr erschweren.

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich mich dafür einsetzen, dass die palästinensischen Siedlungen in Cisjordanien heimgeholt werden, damit sie keine Kriege mehr zünden und meine Volksgenossen stattdessen am Aufbau ihres eigenen Staates mitwirken könnten.

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich mir die Beziehungen zu den Haschemiten und insbesondere zu anderen arabischen Staaten neu überlegen, welche 1948, als es noch kein islamisch-palästinensisches Volk gegeben und der Signifikant "Palestinians" die Juden bezeichnet hat, die Juden vertrieben und deren Eigentum geraubt, aber die arabischen Flüchtlinge, die später zu meinem Volk geworden sind, bis heute noch nicht eingebürgert haben.

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich mich dafür einsetzen, dass die Kinder und Kindeskinder jener einstigen Flüchtlinge in Ostpalästina aufgenommen und eingebürgert werden, und wenn es die Beseitigung der Haschemiten bedeutet.

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich für mein Nationalnarrativ einen neuen, diesmal positiven Pater Patriae suchen, dank dem die schädliche Identifikation mit dem ägyptischstämmigen Erzterroristen Jassir Arafat endlich überwunden werden könnte und zumindest die nächste Generation meines Volkes eine Chance auf gute, vielleicht sogar bürgerliche Erziehung hätte, ohne die wir keine tragfähige, friedliche Gesellschaft etablieren können.

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich mein Bestes tun, um dem Islam in meinem Land Einhalt zu gebieten, damit mein Land, wie es Mustafa Kemal (auch als Atatürk, d.h. "Vater der Türken" bzw. der dortige Pater Patriae bekannt) in der Türkei versucht hat, den Sprung in die Moderne schaffen könnte.

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich versuchen, denjenigen in meinem Volke, die noch überzeugte Anhänger des Islam wären, durch Bildung davon abzubringen, Jerusalem zu usurpieren.

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich Cisjordanien als die jüdische Nationalheimat anerkennen und im Gegenzug meinen palästinensischen Nationalstaat von den Juden anerkennen lassen.

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich mich mit den Juden versöhnen.

Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich mit der Welt und der Geschichte in Frieden leben.

 

Und jetzt, leider, aufwachen:

Wenn ich wirklich Palästinenser wäre, müsste ich zuallererst dafür sorgen, dass Palästinenser wie ich keine Angst mehr haben müssten, aufgrund ihres Engagements von Milizen der eigenen Volksgenossen öffentlich hingerichtet zu werden.

 

PS.

Mir ist bewusst, dass, von Ostpalästina aus betrachtet, Transjordanien eigentlich "Cisjordanien" und Cisjordanien wiederum "Transjordanien" heißen müsste. Um euch aber nicht zu verwirren, habe ich die herkömmliche Terminologie beibehalten.

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

10 Kommentare

  1. Hängt eher davon ab, ob ich ein führender Palästinenser sein darf, über den auch ein Teil der Hilfsgelder fließen, oder nur Kanonenfutter oder Selbstmordkandidat ohne individuelle Perspektive. Als Mitglied des Führungskreises könnte ich versucht sein, den Konflikt auf niedrigem Niveau weiter zu köcheln um meine komfortable Lebenssituation stabil zu halten.

  2. Du machst es dir zu einfach@Yoav

    Yoav, du machst es dir zu einfach. Du argumentierst so, als wäre keine andere Sicht der Dinge möglich. Es ist dir offensichtlich nicht möglich, palästinensische Positionen nachzuvollziehen.
    Etwas generalisierend stelle ich fest, dass beide Konfliktparteien Ansprüche geltend machen, die unvereinbar sind, und dass beide Parteien aus ihrer subjektiven Sicht plausible Gründe anführen können, die nicht so ohne weiteres unter den Teppich gekehrt werden können.
    Eine zur Zeit utopisch erscheinende Lösung des Problems wäre möglicherweise eine Einstaatlösung. Aber wie gesagt : Das ist vorläufig utopisch.

  3. @ Peter

    Ich glaube, hier besteht Klärungsbedarf: Es geht hier nicht um einen Vergleich zwischen verschiedenen Positionen, sondern um eine Antwort auf die mir häufig gestellte Frage, was ich sagen bzw. machen würde, um meinem Volk zu helfen, wenn ich kein jüdischer, sondern ein islamischer Palästinenser wäre.

    Es ist folglich eher eine Phantasie der Vernunft als eine Argumentation für oder gegen irgendwelche real existierenden Positionen. In Wirklichkeit ist es natürlich so, dass die Führer der Palästinenser eine ganz andere Sicht haben. Eben darin liegt ja das Problem.

    1970 versuchten die palästinensischen Milizen Ostpalästina von der haschemitischen Herrschaft zu befreien, was aber mit einem zehntausendfachen Blutbad zu Lasten der Einheimischen endete. Viele der Palästinenser sind damals vor den Kronloyalen komischerweise über den Jordan nach Israel geflohen, um nicht von den haschemitischen Soldaten umgebracht zu werden. Seit diesem eindeutigen Sieg des haschemitischen Herrschergeschlechts haben die Palästinenser nie wieder versucht, sich von den Haschemiten zu befreien.

    Eines verstehe ich aber nicht: Wieso die Einstaatlösung, wenn es in Palästina seit Jahrzehnten zwei Staaten gibt?

  4. hmmmm

    ja. aber du könntest noch weiter gehen:

    wenn ich palästinener wäre, würde ich eine Umsiedlung meines Volkes in Uganda beantragen. Dazu, ein Amerikanisches Burgerrecht wäre kool.

    Die palästinenser haben in Haifa und Akko gelebt, nicht in XXXjordanien, als wir immernoch in Polen und Deutschland waren.

  5. @ Moshe

    Obwohl die meisten zwecks Teilnahme am zionistischen Wirtschaftsboom zuwanderten, stammt ein Teil der Vorfahren derer, die sich heute als Palästinenser verstehen, tatsächlich aus Westpalästina bzw. Westisrael, u. a. aus den von dir genannten Orten.

    Palästina ist aber am Jordan geteilt, und daran lässt sich (ohne große Kriege etc.) nichts mehr ändern. Wo kämen wir an, wenn islamische Palästinenser von einer noch mehr vertieften Besiedlung Westpalästinas und jüdische Palästinenser von einer Rückkehr nach Ostpalästina bzw. Ostisrael träumten, wie es bis 1948 viele noch taten?

    Die historische Teilung am Jordan ist vollzogen. Jetzt kommt es nur noch darauf an, wie viele Menschen noch sterben müssen, bis beide Seiten diese Teilung respektieren und die ewiggestrigen Kriegsanzünder von Oslo in die Schranken weisen.

    Was das alles mit Amerika oder dem damaligen Uganda-Plan zu tun haben sollte, weiß ich nicht. Keiner soll nach Amerika oder nach Uganda, denn Palästina ist mit 120.000 km² groß genug, um beide Völker zu beheimaten. Man muss “einfach” mit dem Teil des Landes zufrieden sein, wo man seinen Staat hat. Leider ist es aber offensichtlich gar nicht so einfach.

  6. Einstaatenlösung@Yoav

    Yoav schrieb : “Eines verstehe ich aber nicht: Wieso die Einstaatlösung, wenn es in Palästina seit Jahrzehnten zwei Staaten gibt?”

    Welche zwei Staaten ? Nach meinem Verständnis gibt es noch keinen palästinensischen Staat.
    Aber wie auch immer : Die Wurzeln des Konflikts reichen ja weiter zurück als die von dir angesprochenen paar Jahrzehnte.
    Die Einstaatenlösung wäre deshalb vorteilhaft, weil dann die Grenzfragen keine Bedeutung mehr hätten.

    Ich bin mir aber bewusst, welche Überlegungen aus der Sicht der Israelis dagegen sprechen. So wäre ein gemeinsamer Staat nicht mehr notwendigerweise ein jüdischer, d.h die zahlenmässige Dominanz der Juden wäre gefährdet oder bestünde nicht mehr, was dem Selbstverständnis Israels als jüdischem Staat widerspricht.

    Gegen diese utopische Vorstellung spricht natürlich auch die andauernde Feindschaft. Aber vielleicht wird Religionszugehörigkeit irgendwann als derart unbedeutend angesehen, so dass ein Ausgleich möglich wird. Das von einer möglichen Lösung in diesem Sinne heute keine Rede sein kann ist mir schon klar.

    Ich nehme aber an, dass dir als angehender Rabbiner diese Vorstellung ( eines tiefgehenden Säkularisierungsprozesses ) nicht behagt, und deine Anschauungen sich auch auf mythische Überlieferungen stützen, so wie bei den muslimischen Palästinensern auch.

    Ich halte fundamentalreligiöse Ideologien auf beiden Seiten für die wesentlichsten Kräfte, die Fortschritte im Friedensprozess torpedieren. Der Friedensprozess wird auf beiden Seiten bewusst torpediert. Die logische Konsequenz ist ein andauernder Konflikt, der auch immer wieder kriegerische Formen annimmt.

  7. @ Peter

    “Welche zwei Staaten?”

    Israel in Westpalästina und das haschemitische Königreich in Ostpalästina. Dass Letzteres trotz seiner geographischen Lage und der Zusammensetzung seiner Bevölkerung noch nicht zum palästinensischen Nationalstaat erklärt worden ist, geht auf das blutige Scheitern des palästinensischen Aufstandes gegen die Fremdherrschaft der Haschemiten 1970 zurück (s. oben). Die haschemitischen Herrscher – der jetzige wie auch die früheren – wissen, dass sie ihre Macht nur sichern können, solange es ihnen gelingt, zu verhindern, dass die Palästinenser ihren Anspruch auf Ostisrael bzw. Ostpalästina durchsetzen.

  8. Wen ich Palaetinenser waere, wuerde ich mit meinem ganzen Kraft gegen die juden kaempfen um mein Land wieder zu haben.
    Aber obwohl ich kein Palaestinenser bin, kaempfe ich gegen die juden, weil es fuer israel kein Raison d’etre besteht!!!

  9. Wenn ich Seegre wäre (s.17.05, 20:57)

    … dann würde ich erstens nicht so emotional reagieren, zweitens nicht so selbstüberzeugt militant schreiben und drittens nicht so entschlossen ‘kämpfen’ sondern höchstens argumentieren…
    … Da ich aber nicht Seegre bin, formuliere ich nur eine Meinung, damit ich auch für die anderen Menschen, für deren Meinungen, für deren Regeln und für deren “raison d’etre” auf der Welt a bissl Platz lasse.
    Übrigens auch wenn ich Gott wäre, würde ich mich ab und zu mal fragen, ob ich wirklich Recht habe. Umso mehr tue ich das, weil ich Mensch bin.

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