Geschichtsfälschung in der FAZ?

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Im heutigen Feuilleton bringt die FAZ die Eindrücke Jörg Bremers, ihres langjährigen Korrespondenten für israelische und palästinensische Themen, von Jerusalem: "Da waren einst Menschen und Plätze" (S. 46).

Die Bildunterschrift lautet: "Am Geburtsort von drei [sic!] Weltreligionen ist von Toleranz heute nur noch wenig zu spüren" (online ist der Text anscheinend nicht verfügbar und einen Scanner habe ich nicht). Diese "Feststellung" ist notabene nicht nur falsch, wie wohl jeder weiß, der auch nur über Grundkenntnisse vom Islam verfügt, sondern bei null Erwähnungen des Ortsnamens "Jerusalem" im Koran schlichtweg lächerlich.

Zunächst habe ich mir gedacht, diese Unterschrift ginge – wie die Überschriften der Artikel – auf den Redakteur des Feuilletons zurück, zumal der Autor nach so langer Zeit in Jerusalem schon besser wissen müsste.

Nun ist die Entscheidung, diesen Satz als Bildunterschrift zu verwenden, höchstwahrscheinlich vom Redakteur gefällt worden, jedoch ist der grobe Fehler erstaunlicherweise bereits in Bremers Text enthalten (unten in der ersten Spalte): "Am Geburtsort der drei Weltreligionen ist von Toleranz wenig zu spüren."

Bleibt also nur noch die Frage: Setzt die FAZ bei ihren festen Korrespondenten nicht einmal minimale Fachkenntnisse voraus?

 

Nachtrag [17.4.2009]: Ich habe nochmals nach dem Artikel gegoogelt – und siehe, er ist inzwischen auf einem bestimmten "Palästina-Portal" aufgetaucht! Hier geht’s dahin (auf der Website der FAZ ist er leider nach wie vor im kostenpflichtigen Archiv versteckt). Dass Palästina-Portale sich nicht vor offensichtlichen Lügen scheuen, habt ihr hoffentlich eh schon gewusst…

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

15 Kommentare

  1. Geburtsorte

    Also ich meine mich entsinnen zu können, dass das rabbinische Judentum auch eher in Lydda Caesarea und Yawne entstand, und das Petrus, Paulus und Augustinus und Hieronymus und Gregor der Große auch relativ wenig Zeit in Jerusalem zu brachten, die eher als die Geburtshelfer des Christentum gelten können als jeder andere.
    Interessant ist das alle drei Religion einen sehr starken Bezug zu Jerusalem entwickeln, und wenn man will kann man ja auch sagen, dass Christen und Judentum als “Geburtshelfer” zur wahren Lesart und unverfälschten Überlieferung durch den Islam wirken (um die Logik nachzuvollziehen) und somit Jerusalem auch da seinen Platz hat.

    Ortsbestimmungen sind genauso wie Epochen reine Konstruktionen aus der Gegenwart heraus und in der Hinsicht ist es interessant dass die Rolle Jerusalems als sehr viel brisanter wahrgenommen wird als die Mekkas und Roms.

  2. An Max

    Du hast natürlich vollkommen Recht, nur könnte man sich als Christ immerhin auf Jesus berufen und Jerusalem zum Sinnbild des damaligen Judäa erheben. Im “Judentum” ist es – selbst wenn man von der anderen Tochter des biblischen Judentums, dem von dir zu Recht genannten rabbinischen Judentum absieht und eine scheinbar klare Entwicklungslinie bis in die Gegenwart konstruiert – eher schwieriger, da der angeblich mosaische Text ja am Sinai überreicht worden sein soll.

    Aber mit dem Islam sind derlei Überbrückungen wirklich nicht mehr möglich. Und daher würde ich vom Autor, der offensichtlich islamischer Gegenwartspropaganda zum Opfer gefallen ist, erst recht nicht mehr erwarten, dass er sich noch um solche Differenzierungen bemüht.

  3. Christentum

    “nur könnte man sich als Christ immerhin auf Jesus berufen und Jerusalem zum Sinnbild des damaligen Judäa erheben.”

    Meines Erachtens könnte man nicht, sondern man sollte. Es heißt ja nicht Petrustum oder Paulustum, sondern Christentum, weil Jesus Christus der Stifter des Glaubens ist. Und Jerusalem paßt auch, denn da wurde er gekreuzigt und ist wieder auferstanden. Das war ja der eigentliche Beginn des Christentums.

    So gesehen hat das Christentum als einzige Weltreligion Jerusalem als Geburtsstätte. Denn das Judentum gab es ja schon vor Jerusalem.

  4. @ Martin

    Martin schrieb “So gesehen hat das Christentum als einzige Weltreligion Jerusalem als Geburtsstätte. Denn das Judentum gab es ja schon vor Jerusalem.”

    Hmmmm… So habe ich das noch nie gesehen.

    Die erste biblische Erwähnung von Salem geht doch nach meiner Erinnerung auf die Begegnung von Abraham mit Melchisedek zurück, der bereits dem Einen opferte.

    Mit viel gutem Willen könnte man also ggf. formulieren, dass hier der Monotheismus eine entscheidende Rolle gespielt hatte, der danach Judentum, Christentum und Islam prägte. Immerhin beteten Muslime Anfangs auch Richtung Jerusalem, wobei die heutige Überlieferung in Mekka das erste Gotteshaus sieht, das schon von Adam errichtet worden sei. Also “Geburtsort” im Sinne von historischer Brennpunkt, an dem der Monotheismus in den drei Religionen (und ggf. auch noch den Bahai?) Gestalt annahm.

    Wenn man es dagegen sehr eng sehen mag, wäre wohl tatsächlich nur die christliche Gemeinschaft in Jerusalem “entstanden”, aber genau das ist doch ohne das (auch in Jerusalem) gewachsene Judentum gar nicht denkbar…

    Also, ich wäre da wohl etwas großzügiger, da eines doch feststeht: weder die heutige Gestalt des Judentums, Christentums oder Islam sind ohne die Geschehnisse in und um Jerusalem denkbar. Richtiger wäre ggf. gewesen, von der Heiligen Stadt für die drei Weltreligionen zu schreiben.

  5. @ Michael

    Gut, nehmen wir mal Yoavs Beitrag zugrunde (das Judentum geht auf die Erzväter zurück und nicht auf den Bund am Sinai). Wann ist denn Gott mit Abram den Bund eingegangen bzw. wo ist er ihn eingegangen? Melchisedek war in Salem, aber nachdem er ihn gesegnet hatte und Abram Melchisedek den zehnten Teil gab müßte er doch wieder von dannen gezogen sein. Gott schloß danach mit Abram den Bund, wo er zu Abraham wurde. Das ist die Stelle wo er Tiere geopfert hat und dann in einen tiefen Schlaf fiel (dieser tiefe Schlaf dürfte es meines Wissens nach nur zweimal im AT geben, bei Adam als er seine Frau bekam und hier bei Abraham). War das noch in Salem? Wird wohl keiner wissen, weil es dazu keine Angabe in der Bibel gibt. Aber ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß es in Salem war. Vielleicht war es ja etwas weiter draußen, da wo später die Schädelstätte entstand? 😉

  6. Also, beim Christentum kann man Jerusalem ams Geburtsort annehmen, weil hier ja Jesus gestorben und auferstanden sein soll, was im Christentum elementare Bestandteile sind.

    Auch im Islam kann man durch eine Auslegung Jerusalem als den Ort ansehen, wo Mohammed in den Himmel gefahren ist, was auch dort wesentlich für seine Bestätigung gesehen wird.

    Aber im Judentum? Egal wie ich es drehe oder wende, kommen hier einige Orte zusammen, aber eigentlich nie Jerusalem.

    Nur, was hat das alles nun mit Toleranz zu tun? Mohammed führte Krieg bevor er in den Himmel kam, Jesus wurde gekreuzigt von einer barbarische Besatzungsmacht und die Juden führte Kriege um diese Stadt.

    Somit eigentlich alles nur träumerische Verklärung?

  7. Also

    Religionsgeschichtlich betrachtet hat die Genese des Christentums im postpaulinischen Sinne einer heidenchristlichen Religion tatsächlich nicht viel mit Jerusalem zu tun, obwohl der Bezug zu Jerusalem als “Erinnerungsort” und Projektionsfläche im NT eine klare Basis hat.

    Demgegenüber hat die Entstehungsgeschichte des des biblischen Judentums wohl recht wenig mit mythologischen Vorstellungen von Erzvätern und Sinaiepiphanie zu tun, dafür aber ungeheuerlich viel mit dem damaligen Zentrum des jahwistischen Staatskultes, nämlich Jerusalem, worauf nicht weniger als 641 wörtliche Erwähnungen (ca. 850 einschl. Nebenbezeichnungen wie “Gottes Stadt” etc.) hinweisen.

    Und der Islam? Wie gesagt, wird “Jerusalem” nirgends im Koran erwähnt. Was natürlich nicht verhinderte, dass ein so sehr geheiligter Ort “rückwirkend” durch schöpferische “Exegese” angeeignet wurde, und zwar erst infolge des ersten Kreuzzuges bzw. der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzritter 1099 (mithin ganze 467 Jahre nach dem Tod Mohammeds). Wir haben hier also mit offensichtlichen Selbstrechtfertigungsversuchen zu tun, oder, wie man heute sagt: Propaganda.

  8. @ Yoav

    “Religionsgeschichtlich betrachtet hat die Genese des Christentums im postpaulinischen Sinne einer heidenchristlichen Religion tatsächlich nicht viel mit Jerusalem zu tun, obwohl der Bezug zu Jerusalem als “Erinnerungsort” und Projektionsfläche im NT eine klare Basis hat.”

    Das ist nur eine Behauptung Deinerseits, die Du mit keinerlei Argumenten belegst. Wo ist denn sonst das Christentum geboren worden? Bei der Bekehrung von Paulus auf dem Weg nach Damaskus? In Rom? Oder wo?

    Johannes der Täufer war ein Jude. Jesus Christus war ein Jude, die 12 Apostel waren Juden. Paulus war ein Jude. Und wenn Paulus auf seinen Reisen missionieren ging, dann suchte er zu allererst die Synagogen der Juden auf, um Christus zu predigen. Da das nicht sehr erfolgreich war, wendete er sich den Heiden zu, wovon einige Christen wurden (Yoav, was sollen den Heidenchristen sein?) und andere, bei denen die Botschaft nicht ankam, die ließen ihn links liegen, verspotteten Paulus oder taten ihm gar Gewalt an. (siehe Apostelgeschichte)

    “Demgegenüber hat die Entstehungsgeschichte des biblischen Judentums wohl recht wenig mit mythologischen Vorstellungen von Erzvätern und Sinaiepiphanie zu tun, dafür aber ungeheuerlich viel mit dem damaligen Zentrum des jahwistischen Staatskultes, nämlich Jerusalem, worauf nicht weniger als 641 wörtliche Erwähnungen (ca. 850 einschl. Nebenbezeichnungen wie “Gottes Stadt” etc.) hinweisen.”

    Das widerspricht aber Deinem Beitrag, den ich in meinem ersten Kommentar schon verlinkt habe.
    Und was meinst Du mit “641 wörtliche Erwähnungen (ca. 850 einschl. Nebenbezeichnungen wie “Gottes Stadt” etc.) hinweisen”? In der Bibel werden noch mehr Städe aufgezählt. Sidon, Tyrus, Jericho, Babylon, Sodom und Gomorrha, Ninive, Hamat usw. Die heißen zwar nicht “Gottes Stadt”, aber das soll ein Beweis sein, daß Jerusalem die Wiege des Judentums sein soll? Das überzeugt mich nicht.

  9. Dass keine der drei Religionen wirklich Jerusalem als “Geburtsort” beanspruchen kann, wurde ja zur Genüge diskutiert. Zum Christentum würde ich noch anmerken, dass die Kreuzigung nicht gänzlich logisch zum Geburtszeitpunkt der Religion erklärt werden kann. Nazareth wäre als Ort wohl logischer. Weiterhin soll Jesus ja nicht in Jerusalem gestorben sein, sondern vor den Toren Jerusalems!

    Der Islam verbindet die Himmelfahrt Muhammads mit Jerusalem mit der damit zusammenhängenden Verkündigung der Gebetspflicht und der ersten Gebetsrichtung.

    Dass der Autor des FAZ-Artikels trotzdem falsch liegt, hat aber nichts mit islamischer Propaganda zu tun!

  10. Halbwahrheiten sind hier gang und gäbe

    Geburtsort der drei Religionen würde ich, bescheidenes Hirn, so interpretieren, dass sowohl Christentum als auch Islam auf dem Judentum aufbauen.
    Zur Toleranz kann ich nicht viel sagen, nur wenn ich Uri Avnery und die wahren Probleme dort lese, wird mir sehr mulmig zumute. Gottseidank erfährt man aber in den gängigen Medien sehr wenig darüber. Ist es wahr, dass Juden ihre arabischen Wurzeln hassen? Anders kann man ja die Ablehnung der arabischen Bevölkerung in und um Israel nicht deuten-oder? Zu dumm, dass Abraham höchstwahrscheinlich aus dem Iran kam und die anderen tollen Typen wenigstens aus dem arabischen Raum.

  11. Fundament der drei Weltreligionen

    Wenn man Jerusalem als die Hauptstadt des Judentums betrachtet und das kann man getrost, dann kann man auch erkennen, dass der Islam auf dem Judentum aufbaut bis Abraham. Die Christenheit nimmt die Thora als altes Testament.

  12. Na klar

    Wie heilig Jerusalem einigen muslimischen Cousins ist, kann man daran erkennen, dass sie es kaum noch abwarten können, es in einem nuklearen Armageddon in Schutt und Asche zu legen.

    Und mir sind noch die Bilder jubelnder Massen in Erinnerung, die sich freuten, als Saddam Hussein seine wenig zielgenauen Scud-Raketen, möglicherweise mit Massenvernichtswaffen bestückt, richtung Israel (und damit Jerusalem) abfeuerte…

    YM

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