Die Sprache neu besetzen

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Neulich habe ich mit einer Sachbearbeiterin bei einer anderen Fraktion ein kurzes, aber beispielhaftes Gespräch geführt.
 
Sie hat mich nämlich gefragt, wie lange ich schon in Deutschland bin. Meine unvermeidliche Antwort hat natürlich wiederum aus der Frage bestanden, ob sie denn Wien dazurechnet. "Im deutschsprachigen Raum also", ist ihr Ausweichmanöver gewesen.
 
Demzufolge durfte ich sie darauf hinweisen, dass sie damit der alleinigen Beanspruchung des Deutschen durch den angeblichen Nationalstaat vollkommen nachgibt. Eine derartige Argumentation kommt bei links Gesinnten, worunter in diesem Zusammenhang auch die besagte Sachbearbeiterin fällt, ziemlich gut an. Das Nationalstaatliche verinnerlicht zu haben? Mit so etwas will sich ja kein Linker zeigen, jedenfalls keiner, der sich ernst nimmt.
 
Allerdings konnte sie sich nicht dazu bringen, das Wort "deutsch" ganz sinngemäß auf Wien zu beziehen (s. hierzu den letzten Beitrag). Sie wollte unbedingt die Problematik umgehen. Nur lassen sich solche Erscheinungen von "Newspeak" eben nicht umgehen: Entweder besetzt man die Sprache neu – oder das Newspeak hat auch weiterhin die Oberhand.
 
Dieser Zustand lässt sich etwa anhand des deutschen (oder etwa "deutschsprachigen"?!) Wortes "Jude" veranschaulichen:
 
Hierzulande gibt es nämlich nicht wenige, die sich vor diesem Wort scheuen, weil sie das – wenn auch recht unwillentlich – mit allerlei Braunem assoziieren. Stattdessen weichen sie auf Missbildungen aus wie "jüdische Mitbürger" (sind das keine ganz normalen "Bürger"?) oder gar "jüdische Menschen" (im Gegensatz wozu? zu jüdischen Tieren?).
 
Wer aber will, dass das Wort "Jude" eben das bedeutet, wofür es steht, dem obliegt die Pflicht, die Sprache neu zu besetzen. Nicht zuletzt gilt das natürlich auch denjenigen, die sich, wie etwa ich es tue, selber zur jüdischen Nation bekennen (wobei es in meinem Fall freilich keine große Leistung darstellt, zumal auf meinem Personalausweis ganz eindeutig geschrieben steht: "Nationalität: Jude"). Genauso wie im Fall des Deutschen gibt es auch hier keine reale Ausweichmöglichkeit: Wer nicht schlichtweg vom "Juden" spricht, lässt das Braune auch weiterhin dem armen Wort anhaften.
 
Falls man sich also mit dem alleinigen Anspruch der Bundesrepublik auf "Deutschland" (den sie übrigens von Hitler übernommen hat, wie in diesem Beitrag erklärt) doch nicht so bequem fühlt, sollte man beim eigenen Sprachgebrauch dem Gruppenzwang nicht nachgeben, wie es etwa auch die Eidgenossen nicht tun. Dort gibt es nämlich ganz sinngemäß das "Schweizer Radio der deutschen [nicht "deutschsprachigen"!] und rätoromanischen Schweiz" (SR DRS), ohne dass das Adjektiv "deutsch" irgendwelche nationalstaatlichen Affinitäten zur Bundesrepublik andeuten würde.

Einfacher und vor allem korrekter wäre es wohl, wenn seitens der Bundesrepublik nicht von "Deutschen" und "deutscher" Staatsangehörigkeit, sondern etwa von Deutschländern (vgl. "Engländer") und deutschländischer Staatsangehörigkeit die Rede wäre (s. hierzu auch die russischsprachige Differenzierung zwischen "russisch" und "russländisch"). Das widerspräche jedoch dem Anspruch der Bundesrepublik, der Nationalstaat jenes "Deutschen Volkes" zu sein, das in der Präambel des Grundgesetzes als staatstragendes Volk postuliert wird (und dort übrigens tatsächlich großgeschrieben ist).

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

9 Kommentare

  1. Ich mische mich nochmals ein: Wieder ein toller Beitrag! “Jüdische Menschen”!!!?? Man will eben so ´politically correct´ sein, dass man fast nicht mehr normal sprechen kann.
    Gestern hab auch ich im Büro erfahren, dass man nicht “Ausländer” sagen soll, sondern “Menschen mit Migrationshintergrund”. Ok, vielleicht noch zu verstehen, aber “jüdische Menschen”?!

  2. @ Christine

    Naja Ausländer sind ja Ausländer, während Menschen mit Migrationshintergrund sowohl Ausländer (wie ich) als auch Inländer (sofern sie inzwischen eingebürgert worden sind) sein können.

  3. :)) man kann ja auch sagen, in manchen Fällen, “Migrationshinterlist” oder “Migrationsvordergrund” :))

    Entschuldigung, ich kann manchmal nicht seriös genug sein. Ich würde fragen : “Ist das schlimm, manchmal unseriös zu sein?”, aber besser frage ich nicht, denn dann antwortest du natürlich mit einer Frage (nicht wahr?) und was mache ich dann?

  4. Jüdische Menschen

    Das nervt mich auch, wenn man “Jewish People” statt “Juden” sagt. Irgendwie eine überkorrigierte Sprache oder übergereingt… Vielleicht ist es eine kompliziertere Frage mit “Deutsch.” Ich hätte es gerne, wenn so ein Wort wie “deutsch” inklusiv von der Bedeutung “deutschsprachig” wäre, aber vielleicht liegen die Unterschiede darin, dass “Jüdisch” keine Sprache ist, wie Deutsch. (Obwohl, eigentlich, habe ich es ein paar Mal fragen gehört: “Do you speak Jewish?” im Sinne von Jiddisch). Toller Denkanstoß.

  5. Und wer ist schuld ?

    Jüdische Menschen – klingt ziemlich, wie soll ich es nennen – zwanghaft, und auch ein wenig bescheuert. Gemeint sind also die Juden. Die Juden aber haben auch – einige zumindest – ihren Teil zum zwanghaft neurotischen Sprachgebrauch beigetragen. Yoav hat ja auch diese Vorliebe, die Sprache zu sezieren und manchmal den Bedeutungsrahmen etwas gar weit zu stecken. Ich gehe jetzt aber nicht soweit, dies als typisch für Mitbürger jüdischen Glaubens zu bezeichnen, um Himmels Willen, bloss nicht !

    Über die Juden lacht man nicht – so lautet das erste zivilreligiöse Gebot der BRD. Keine Witze erlaubt ! Der jüdische Mitbürger kann nicht so einfach behandelt werden wie jeder andere Mitbürger, sei er mit oder ohne Migrationshintergrund. Dem Juden wird in der BRD die volle Ladung an Gerechtigkeit zu Teil. Da heisst es in Deckung gehen. Weniger geht nicht. Es gibt da so vieles zu kompensieren.

    Wenn jedes Wort mit Gold aufgewogen wird, immer wenns um die Juden geht, na dann ergeben sich solche Stilblüten.

    Schöner Gruss an alle von einem reformiert christlichen Mitbürger.

  6. Eine Art Ergänzung…

    …zu meinen etwas “unseriösen” Kommentar vom 19.03.2009 (11:08)

    Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen den Begriffen “Ausländer” und “Menschen mit Migrationshintergrund”. Du nennst ihn völlig richtig in deiner Antwort.
    Unter dem erwähnten Begriff “Menschen mit Migrationshintergrund” meinte ich nur, dass man sich bemüht (unter ‘political corectness’), die Sprache zu “heilen” und oft den Inhalt vergißt, den man heilen sollte. Nicht nur die Sprache sollte man ändern (ver/bessern) sondern auch das Denken hinter der Sprache.

    Anders gesagt: ich finde es sehr gut, dass man sich in der Öffentlichkeit die Mühe gibt, sich korrekt auszudrücken. In diesem Fall, “Menschen mit Migrationshintergrund”. Aber ich freue mich umso mehr jedes mal, wenn ich unter den Wörtern auch die entsprechende Substanz entdecken darf. Nämlich, in diesem Fall, dass die Menschen als solche gleich wichtig sind, ob Ausländer, Zuwanderer, Inländer oder was auch immer.
    Sonst, d.h. ohne diese Substanz, wirkt (für mich) der erwähnte Ausdruck nicht nur quadratlich, unnatürlich, unmusikalisch, sondern auch LEER.

    In Bezug auf “jüdische Menschen” kann ich dir nur zustimmen, dass man darunter meistens das Braune haften läßt. Ein Ausweichmanöver – bewußt oder (meistens) unbewußt. [Wovor ausweichen? Das ist eine andere Frage].
    So. Jetzt war ich ausnahmsweise seriös 🙂

  7. kommt doch häufig vor

    Solche Mehrdeutigkeit ist doch häufig. England-Amerika-Englisch. Ist “Jude” ethnisch oder religiös? Schließt anti-semitisch anti-arabisch mit ein? Ist Amerika ein Land oder ein Kontinent? Warum heißt Europa so?

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