Die politische Kugel: Über Links- und Rechtsextremismus

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Inwiefern hängen Links- und Rechtsextremismus miteinander zusammen? Diese Frage wird oft gestellt, meistens (wie mir scheint) eher von linker Seite, mit der Motivation, mögliche Zusammenhänge quasi von vornherein auszuschließen. So etwa in Augsteins “Freitag”, wo die Frage in einer anderen Formulierung auf den Punkt gebracht wird (von hier):

Haben linke Aktivisten mit ihren Utopien einer gerechteren Welt denn wirklich so viele Gemeinsamkeiten mit Nazis und ihrer menschenverachtenden Ideologie?

Diese Frage wurde hier im Blog früher schon mal besprochen, aber diesmal möchte ich versuchen, mit einer sehr groben “Skizze einer Analyse” (gleichsam wie hier) auf sie einzugehen. Zur “Menschenverachtung” möchte ich vorab bemerken, dass sie auch für linksextremistische bzw. sozialistische Regimes gilt (und dass die Nazis ebenfalls “Utopisten” waren und eine im eigenen Sinne “gerechtere Welt” anstrebten, versteht sich wohl von selbst). Darum lautet die Antwort auf die oben zitierte Frage “Ja, haben sie”, aber dieses Ja möchte ich im Folgenden erklären.

Mir scheint also, dass bestimmte, ganz wichtige bzw. wegweisende Merkmale politischen Denkens sowohl “linksextremistischen” als auch “rechtsextremistischen” (etwa im Ggs. zu konservativen oder liberalen) Gedankengütern zugrunde liegen:

  1. Idealismus bzw. säkularer Messianismus, Orientierung an Utopien, Verwerfung der Skepsis, Wahrheits- und Erlösungsanspruch.
  2. Vorrang der Theorie vor der Praxis, der Wagnis vor der Vorsicht, der Hoffnung vor der Erfahrung, des Neuen vor dem Alten. Nicht das Gedankengut wird der Realität angepasst, sondern die Realität dem Gedankengut. Ein Textkorpus gilt als autoritativ (“mein Kampf”, “das Kapital” etc.).
  3. Überschätzung des Menschen (“Humanismus” im negativen, vielleicht eigentlichen Sinne): Man muss so gut sein, um den theoretischen Ansprüchen gerecht zu werden und die Vision zu erfüllen. Der alte, “minderwertige”, “bürgerliche”, “dekadente” Mensch muss dem neuen, “höherwertigen”, “werktätigen”, “kämpfenden” Menschen weichen.
  4. Umwälzung, Reorganisation des Menschlichen, Erfindung einer neuen “Gerechtigkeit”, Konstruktion einer neuen “Moral”, Legitimierung “linientreuer” Gewalt (der Zweck heiligt die Mittel – von Enteignung über Entführung bis hin zur Tötung des imaginären “Gegners”), Rücksichtlosigkeit (was nicht passt, wird passend gemacht).
  5. Apodiktische Feindbilder (Sündenböcke): Die eigene Gruppe (Klasse, Rasse) ist “gut” (Selbstdarstellung als Opfer), andere (Judentum, Bürgertum) sind hingegen “böse” (ausbeuterisch, parasitär). Es gelten nur die eigenen Interessen, der Gegner soll eliminiert werden. Immer sind die “Bösen” schuld (“Dolchstoß”, “Sabotage”).
  6. Unterwerfung des Individuums unter ein Kollektiv (der Einzelne existiert nicht mehr als Subjekt, sondern wird über eine imaginäre Gruppenzugehörigkeit definiert, von der sein Schicksal nunmehr abhängt), individueller (Menschen-)Rechte und Freiheiten müssen einem (rousseauschen) “allgemeinen Willen” bzw. einer “hehren” Vorstellung weichen. Rechtsstaatlichkeit ist unmöglich.
  7. Vereinheitlichung, Überwindung von Vielfalt, Grenzen und Heterogenität, Universalismus (Weltrevolution, Weltherrschaft), Imperialismus.
  8. Zentralismus, Gleichschaltung, Totalitarismus (s. Arendt). Bekämpfung von “Abweichlern”, Verfolgung von “Konkurrenten” (Religion).

Ich nehme an, ich brauche hier nicht jeden Punkt bzw. jedes Charakteristikum ausführen, da ihre Gültigkeit in den beiden “Extremen” wohl ersichtlich ist. Für diese Reihe habe ich mich entschieden, weil jedes weitere Charakteristikum sich vom vorangehenden abzuleiten scheint, bis auf den “Messianismus” bzw. den Glauben, dass die Menschheit auch ganz anders (als bislang) sein könnte, sollte, müsste. Es fängt eben alles bei der wahnsinnigen Idee an, dass man den Menschen “idealisieren” bzw. zu seinem Glück zwingen könnte, dürfte. Vielleicht sollte der obigen Liste also noch eine Zeile hinzugefügt werden:

   0. Besserwisserei (“nur wir wissen, was für alle gut ist”)

In ihrer Struktur, ihrer Denkweise, ihrem philosophischen Ansatz sind also der “Kommunismus” und der “Fachismus” (oder: der “Antifaschismus” und der “Antikommunismus”) das Spiegelbild des jeweils anderen und somit eher nah beieinander als fern voneinander.

Dies empfinden, meiner Erfahrung nach, viele Deutsche als kaum nachvollziehbar. Wie ich hier im Blog schon mal erläutert habe, ist das deutsche Verständnis von rechts/links bzw. die deutsche Vorstellung von einem politischen Spektrum (in meinen Augen) untauglich, weil im Prinzip eindimensional. Oft stellt man es sich wie eine Linie, an deren rechtem Ende die Nazis stehen und an deren linkem Ende die Kommunisten. Je weiter nach links, umso weiter von den Nazis entfernt – denken sich viele. Diese kindische Vorstellung geht wohl auf die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus zurück, von dem man (aus psychologischen Gründen) das heutige Verständnis abzuleiten sucht. Dies geschieht auf eine Art und Weise, die einem ein gutes, aber wohl trügerisches Gefühl der Sicherheit geben soll, denn wenn es wirklich eine Linie wäre, dann könnte man sich ziemlicher sicher sein, dass der eigene Versuch, sich vom Nationalsozialismus zu entfernen, zumindest in die “richtige” Richtung geht.

Etwas wirklichkeitsnäher ist die zweidimensionale Vorstellung vom Politischen als einem Kreis, dessen beide Enden miteinander verbunden sind, ja notwendigerweise zueinander führen (man denke etwa an Horst Mahler und überhaupt an den Antisemitismus der RAF).

Ich stelle mir das Politische jedoch dreidimensional vor. Es erscheint mir wie eine Kugel, sagen wir mal: wie die Erdkugel. Wenn man weit genug nach Osten geht, befindet man sich irgendwann mal im Westen – und umgekehrt natürlich auch. Dann gibt es noch die spezifischen Töne und Varianten innerhalb der Ideologien, also kann man auch nach Norden und Süden gehen. Ist man aber so extremistisch in seinem Denken, dass man ganz im Norden bzw. ganz im Süden ist, also an den Polen, dann ist der Weg zwischen Osten und Westen nun mal wirklich kurz.

Dass der Bolschewismus und der Nazismus durch den Begriff des Sozialismus miteinander “verbunden” waren, war nicht nur aus wirtschaftspolitischen Gründen kein Zufall, sondern vor allem aufgrund der identischen Prämissen bzw. der philosophischen Charakteristika beider Ideologien. Die gemeinsame Verwendung des Begriffs ist nur ein oberflächliches Ergebnis gemeinsamer Tiefenströmungen, die nicht nur darin, sondern in vielem, etwa der gemeinsamen Nutzung von Lagern wie Sachsenhausen, Buchenwald etc., zum “oberflächlichen” Ausdruck kommt.

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

42 Kommentare

  1. Ich stelle mir das Politische jedoch dreidimensional vor. Es erscheint mir wie eine Kugel, sagen wir mal: wie die Erdkugel.

    Streng genommen handelt es sich bei der Politisierung um einen n-dimensionalen Raum oder sparsamer formuliert um eine Matrix, die nicht mit einer bidirektionalen Gegensätzlichkeit auskommt.

    Die “linken” Kollektivisten kamen idR im linken Bereich einer Volksvertretung zu sitzen, die “rechten” Kollektivisten im rechten Bereich; daraus auf Unzusammenhängigkeit [1] zu schließen wäre falsch.

    Nichtsdestotrotz bleibt es ebenfalls falsch die Nationalen Sozialisten als “linke” Bewegung zu verstehen, sie ist stattdessen kollektivistischer Art und sozialistischen Bewegungen im Marxschen Sinne wesensähnlich

    Also: Nix “rechts-links”, nix ‘Kugel’, streng genommen.

    Insofern sind auch alle bspw. im Bundestag oder in anderen Parlamenten vertretenen Parteien zu einem Mindestmaß liberal, ansonsten wären sie verboten.
    Klar, bei der NPD und strengen “Unsere Zeit”-Folgenden oder “Indymedia-Linksunten”-Folgenden kann diese Beobachtung nur schwierig geteilt werden, aber die sitzen auch auf dem Aussteigersitz (der Demokratie).
    Die integrative Kraft der Demokratie bindet hier aber besser ein, als manche denken.

    HTH
    Dr. W

    [1] wobei dem Schreiber dieser Zeilen nie klar war, warum aus streng Rechten, Stichwort: Stauffenberg, “auf einmal” Nazis werden sollen, es scheint auf der rechten Seite des politischen Spektrums keine Kontinuität “Rechts->Nazi” zu geben

  2. Wenn wir die aufgezählten 8 Merkmale auf Wirtschaftsliberale und ihren Marktdogmatismus anwenden, kommen wir zu welchem Ergebnis?

  3. Die wesentlich Tiefenströmung sehe ich eher in der psychischen Veranlagung mancher (vieler?) Menschen, sich kollektivistischen, totalitären Ordnungen mit Heilsversprechung hinzugeben. In den Ideologien gibt es aber einen markanten Unterschied, den ich bei allen genannten Gemeinsamkeiten doch für entscheidend halte. Die Nationalsozialisten waren Rassisten, die Heilsversprechung galt nur für das eigene Volk bzw. “Arier”. Juden, slawische Völker und viele andere waren da per se ausgeschlossen, zur Vernichtung oder Versklavung preisgegeben. Im Stalinismus gab es das meines Wissens nicht.

    Vielleicht sind alle topologischen Metaphern zur Beschreibung politischer Positionen wenig hilfreich.

    • “Im Stalinismus gab es das meines Wissens nicht.” – doch, natürlich, es ging immer um die eigene Gruppe, die sich mit Gewalt gegen andere durchsetzt. Ob man diese eine “Rasse” oder eine “Klasse” nennt, ist zweitrangig, weil die Opfer, und seien es auch nur “Kulaks” bzw. Bauern, da kein “Mitspracherecht” haben. Aber ich dir für den Kommentar dankbar, weil er auf eine Lücke hinweist, die ich jetzt ergänzt habe (s. “Feindbilder”).

  4. “säkularer Messianismus, Orientierung an Utopien”

    Da hab ich aufgehört zu lesen. Verdummen lassen muss ich mich nicht. Da zünde ich lieber Autos an als Menschen!

    • Soso, linke Gewalt im Sublimierungsprozess? Vor einer Generation hat die Linke auf deutschem Boden noch Menschen erschossen, jetzt sind es nur* “Autos”.

      * Ich schreibe “nur”, weil hinter Eigentum meistens eine Investition steckt, also Arbeit, was letztendlich Lebenszeit bedeutet. Wenn du mein Auto vernichtest, vernichtest du auch alle Arbeitsstunden, die ich für das Auto investiert habe. Du vernichtest also Lebenszeit. Im quantitativen (nicht qualitativen) Sinne vernichtest du auch Leben.

  5. Kleiner mathematischer Kommentar: Ein Kreis (bzw hier ist ja wohl die Kreislinie und nicht die Kreisscheibe gemeint) ist eindimensional, eine Kugeloberfläche (im Gegensatz zur Vollkugel) ist zweidimensional.

    • Hmmm, okay. Hauptsache, man versteht, was ich meine 🙂

      PS. Aber wenn eine runde Form “eindimensional” ist, dann wäre eine Linie doch “nulldimensional”?

      PPS. hat sich erledigt – hab deinen Kommentar noch einmal gelesen 🙂

  6. Interessant scheint mir auch, dass viele Symathisanten und “Versteher” von extremistischen Bewegungen das genaue Gedankengut derer, die  sie verteidigen, gar nicht kennen. Vielmehr scheinen viele der Versteher ihre eigene Unzufriedeheit mit dem “System” in die Aktivisten zu projizieren. Mir ist es einmal passiert, dass Bekannte ein gewisses Verständnis für die RAF-Leute zeigten, weil es doch junge Menschen  mit Nazi-Vätern waren. Dass die RAF-Leute aber entsetzt waren über das was Ihre Eltern den Juden angetan haben, kann man nun wirklich nicht aus ihren Taten ablesen. Eher im Gegenteil. Die Tupamaros – eine Vorgruppe der RAF – wollten einen Brandsatz-Anschlag zu einer Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen 1938 verüben.Der Brandsatz zündete jedoch nicht. Kunzelmann, der Anführer der Tupamaros rief damals zum „bewaffneten Kampf“ und zur Solidarität mit den Zielen der Fatah auf, (Wikipedia)die der vom Holocaust verursachte „Judenknax“ verhindere.[26] Kunzelmanns Rede vom „zionistischen Massaker“, das deutsche Juden zur Auswanderung nach Israel drängen sollte”
     Ulrike Meinhof wiederum vereidigte den Anschlag auf israelische Sportler während der Olympiade 1972 in München.

    Vor diesem Himtergrund könnte man eher davon sprechen, dass die Tupamaros und die RAF das Werk ihrer Eltern fortsetzten, als davon, dass das Fehlverhalten der Eltern in der Nazi-Zeit die damaligen Linksextremisten aufgewühlt habe und dass das ihre Taten verständlich mache.

    • die Tupamaros und die RAF das Werk ihrer Eltern fortsetzten

      Ja, klar. Links- und Rechtsextremismus (einschl. ihres Antisemitismus) sind Sitznachbarn, die sich gegenseitig den Rücken kehren, um ihre Affinität zu verdrängen. Wie Zwillinge, die gestritten haben und den jew. anderen nicht mehr aushalten können. Übrigens zählen zu diesem neonazistischen Phänomen noch andere Organisationen wie etwa die Bewegung 2. Juni etc. (http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Entebbe)

      Georg Hafner hat dazu einen exzellenten Film gemacht, der früher noch bei youtube war aber seitdem anscheinend entfernt wurde:
      http://www.hr-online.de/website/fernsehen/sendungen/index.jsp?rubrik=56307&key=standard_document_45752997

  7. Totalitäre Staatwesen zeichnen sich durch einen unbegrenzten Machtanspruch aus. Der politischen Doktrin sollen alle Lebensbereiche unterworfen werden, was naturgemäss mit einer pluralistischen Gesellschaft unvereinbar ist. Alles der einen und einzigen politischen Doktrin zu unterwerfen wird ohne Repression niemals möglich sein*. Deshalb gleichen sich totalitäre Staatswesen in den Methoden, mit denen sie ihren Machtanspruch durchsetzen. Die politischen Doktrinen und die Vorstellungen, was die ideale Gesellschaft auszeichnet, können sehr verschieden sein. Die Repression als Zwangsmittel aber ist unverzichtbar, um die Einheit zu erzwingen

    Nolte sagte, dass der Nationalsozialismus eine Reaktion auf den totalitären Sowjetbolschewismus gewesen sei. Dem iniversellen kommunistischen Geschichtsnarrativ, das alle Geschichte als Geschichte der Klassenkämpfe (Kommunistisches Manifest) deutete, setzten die Nationalsozialisten ein ebenso universelles Narrativ entgegen, das alle Geschichte als Geschichte der Rassenkämpfe deutete.

    * Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet der Kapitalismus in Reinform, der sogenannte Marktradikalismus, der keine staatlichen Zwänge benötigt, um sich alle Lebensbereiche einzuverleiben. Marx war übrigens ein Bewunderer der Kraft des Kapitalismus, der, so seine Worte, sich sämtliche Lebensbereiche einverleibe und in diesem Sinne auch als totalitär bezeichnet werden kann. Die Repression aber muss nicht staatlich organisiert werden. Das Kapital selbst und mit ihm die unmittelbare Handlungsfähigkeit des Kapitalseigners unterscheidet ihn vom Mittellosen, der im wahrsten Sinne des Wortes über keine Mittel verfügt, um sich in einer allein von den Marktgesetzen gestalteten Gesellschaft Rechte zu sichern.

    Der von den neoliberalen Krämerseelen behauptete grundsätzliche prinzipielle Gegensatz von “totalitärem Staatswesen” und “freier Marktwirtschaft” ist nur ein scheinbarer. Die politischen Ansichten des Mittellosen, des Prekariats sind in der marktradikalen Gesellschaft schlicht irrelevant und wirkungslos und werden und müssen daher nicht mit repressiven staatlichen Massnahmen bekämpft werden. Der (neoliberale) Staat ist einzig dazu da, Eigentum zu schützen, was im Prinzip genügt, die herrschende Ordnung und die Machtverhältnisse zu verfestigen.

    • Wobei, wenn man die Leutz so handeln lässt, wie sie es wünschen, dafür einen gesetzlichen Rahmen gibt und die Ethik durch die Gesetzeslage und den allgemeinen Diskurs bestimmt, dabei sogar gegen die System-Verfassung Redende freien Raum lässt, kommt so etwas wie der böse “Kapitalismus” oder “Neoliberalismus” (gemeint wohl eher der klassische Liberalismus, der Neoliberalismus ist eine explizit um das Gemeinwohl besorgte Haltung) heraus. Man nennt’s gemeinhin und verkürzend auch “Demokratie”.
      MFG
      Dr. W (der abschließend noch gerne anmerkt, dass sich die geleugneten Unterschiede auch rein praktisch messen lassen, beispielsweise von denjenigen, die den Ostblock noch kennen: Feel the difference!)

      • Wobei, wenn man die Leutz so handeln lässt, wie sie es wünschen, dafür einen gesetzlichen Rahmen gibt und die Ethik durch die Gesetzeslage und den allgemeinen Diskurs bestimmt, dabei sogar gegen die System-Verfassung Redende freien Raum lässt, kommt so etwas wie der böse “Kapitalismus” oder “Neoliberalismus” (gemeint wohl eher der klassische Liberalismus, der Neoliberalismus ist eine explizit um das Gemeinwohl besorgte Haltung) heraus. Man nennt’s gemeinhin und verkürzend auch “Demokratie”.
        Die Leute so handeln lässt, wie sie es wünschen – Sie haben den Kern meiner Aussage nicht verstanden. In einer marktradikalen Gesellschaft hat der Mittellose keine Handlungsoptionen, wobei ich nicht behauptet habe, wir lebten in einer marktradikalen Gesellschaft.
        Das Recht, sich einen Mercedes zu kaufen und jedes Jahr Ferien auf den Malediven zu verbringen ist ohne das dazu notwendige Kapital ein Recht ohne Inhalt. Es ist für den Mittellosen bedeutungslos.

        … dafür einen gesetzlichen Rahmen gibt und die Ethik durch die Gesetzeslage und den allgemeinen Diskurs bestimmt,..

        Solange die “Ethik” nicht in den Markt eingreift. Genau so verstehen Neoliberale die ideale Gesellschaft.

        Die hier behauptete Nähe von Sozialismus und Nationalsozialismus ist gelinde gesagt irreführend. Es waren die Nazis, die den Mieterschutz einführten. Das darf man durchaus als “sozialistisches Element” ihrer Politik verstehen. Was also lernen wir aus der Geschichte? Die Nazis waren Schweinehunde, weil sie den Mieterschutz einführten und Autobahnen bauten? Das ist nicht die Quintessenz meiner Lehre, die ich aus der Geschichte des NS gezogen habe.

        • Sie haben den Kern meiner Aussage nicht verstanden. In einer marktradikalen Gesellschaft hat der Mittellose keine Handlungsoptionen, wobei ich nicht behauptet habe, wir lebten in einer marktradikalen Gesellschaft.

          Was liegt denn auf dem Herzen, das behauptet werden könnte?
          MFG
          Dr. W

  8. Von Ludwig Trepl, @ Yoav Sapir.

    „Vorrang der Theorie vor der Praxis, der Wagnis vor der Vorsicht, der Hoffnung vor der Erfahrung, des Neuen vor dem Alten.“

    „Vorrang der Theorie vor der Praxis“. Nirgends geht es theoriefeindlicher zu und ist der Praxiswahn ausgeprägter, als in linksradikalen Kreisen, beispielsweise bei den sog. Autonomen. Ich glaube nicht, daß Sie das schon einmal erlebt haben; Sie würden es nie wieder vergessen.

    „der Wagnis vor der Vorsicht“. Das ist eine liberale Erfindung, man nennt sie Unternehmergeist. Hier steht der Liberalismus gegen den Konservativismus, nicht die Radikalen beider Enden gegen alles, was weiter in der Mitte ist.

    „der Hoffnung vor der Erfahrung“. Man findet es in allen politischen Denkwelten, sogar im Konservativismus, wo man doch sonst so gern die „Erfahrung“ gegen die „Spinnerei“ setzt. Da hat es vorzugsweise die Form der christlichen Lehre.

    „des Neuen vor dem Alten“. Das unterscheidet das progressive Lager – egal ob Liberale, biedere Staats-Sozialdemokraten, Kommunisten oder Anarchisten – vom konservativen Lager. Da nun aber der Rechtsradikalismus im wesentlichen als „konservative Revolution“ aus dem Konservativismus hervorging, gehört er auf die Seite, auf der das Alte vor dem Neuen Vorrang hat. Das Neue, das man will, ist da gar nichts Neues, es soll das Alte oder ganz Alte, die ewige, mythische Welt vor aller Geschichte sein.

    So könnte man den ganzen Text durchgehen. Es hat alles irgendwie seine Plausibilität, man kennt immer irgend etwas, das die Behauptung bestätigt, aber wenn man genauer hinsieht, merkt man so gut wie immer, daß die Behauptung entweder gar nicht stimmt oder für andere politische Richtungen ebenso stimmt wie für die extremistischen, oder gerade für andere.

    Nicht daß es keine Gemeinsamkeiten der Extremisten gäbe. Es gibt mindestens die, daß sie halt beide Extremisten sind. Aber es sind meist andere Gemeinsamkeiten als die hier genannten. Woher kommt diese Ihre Wahrnehmungsverzerrung? Sie machen sich keine Mühe, die inhaltlichen Ziele dieser Richtungen zu verstehen, die Welterklärungsfiguren zu rekonstruieren, die jeweils zugrunde liegen und die radikal verschieden sind. Dann würde Ihnen auch das ganz Unvereinbare aufgehen. Sie suchen nur auf der psychologischen Oberfläche.

    Und da ist es ja klar: Unter denen, die mit aller Gewalt etwas wollen, läßt sich selbstverständlich auch so manches an Gemeinsamkeiten finden, zumindest, mit aller Gewalt etwas zu wollen, auch wenn es ganz Verschiedenes ist. Zunächst sollten Sie aber mal bedenken, wie es kommt, daß Rechte und Linke keine gemeinsame Partei gründen (obwohl es das vermutlich auch schon mal irgendwo gegeben hat), warum in der weit überwiegenden Zahl der Fälle etwa zwischen konservativen Parteien und Rechtsradikalen gewechselt wird, statt solche kuriosen Ausnahmen wie Horst Mahler zu bemühen. (da fällt Ihnen ein Name ein, eben weil es extrem selten ist; das andere aber ist ein Massenphänomen). Sie weisen auf die Neigung zur Gewalt auf beiden Seiten hin, nennen für die Linke die RAF usw. Ich erinnere mich aber noch gut, daß der Ruf „Rübe runter“ (nicht nur die der RAF-Mitglieder, sondern aller Langhaarigen und Ungewaschenen) laut aus der Mitte der Gesellschaft kam, von Leuten, die nie etwas anderes als Liberale, Sozialdemokraten oder Konservative gewählt haben.

    Ich frage mich, woher dieses Durcheinander kommt; ich finde Ihre Artikel sonst sehr differenziert und durchdacht. Meine Vermutung ist, daß Sie einfach keine Vorstellung, keine Theorie von der politisch-ideologischen Sphäre haben, weshalb Sie dann auch auf eine völlig unhaltbare Weise mit zentralen Begriffen hantieren (ein schönes Beispiel ist das, was Sie am Ende über die Gemeinsamkeit von Nazismus und Bolschewismus, die sich im Begriff Sozialismus zeige, schreiben).

    • So gesehen gilt ja alles für alles bzw. nichts für nichts. Natürlich dreht es sich immer um die Zukunft, die es noch zu gestalten gilt. Es kommt aber immer darauf an, wie man die Prioritäten setzt. Sowohl bei Lenin als auch bei Hitler ist die Zukunft “ganz anders” als die Gegenwart. Dasselbe gilt für Freiheit, Gleichheit etc. Auf der Oberfläche sind alle dafür. Aber was tun, wenn man Prioritäten setzen muss? Darauf kommt es an.

      • Da habe ich mich offenbar überhaupt nicht verständlich machen können. „So gesehen gilt ja alles für alles bzw. nichts für nichts.“ Eben nicht. Es geht da alles nach strengen Regeln zu. Es gibt immer eine Art Paradigmenkern, der verteidigt werden muß bei Strafe der Selbstaufgabe. Und was immer zusätzlich aufgenommen, etwa von anderen Ideologien übernommen wird, muß so umgedeutet werden, daß es zum eigenen Kern paßt. Dann ist es aber in aller Regel zu etwas vollkommen anderem geworden. Darum bedeuteten gleichlautende Wörter (wie Freiheit, Sozialismus) beispielsweise in Konservativismus und Liberalismus etwas vollkommen verschiedenes, und es ist einfach falsch, von in verschiedenen Ideologien verwendeten gleichlautenden Wörtern auf „gemeinsame Tiefenströmungen“ zu schließen.

        Die Gemeinschaftsidee, auf die sich das nationalsozialistische „Sozialismus“ bezieht, stammt aus dem Konservativismus. In die Gemeinschaft wird man hineingeboren, man kann sie sich nicht aussuchen und auch nicht mit Absicht herstellen. Im NS wurde „Tradition“, die im Konservativismus konstituierend für die Gemeinschaft war, durch „Natur“ (Rasse) ersetzt. Die Idee der von autonomen Individuen bewußt und willentlich erzeugte Einheit aus vielen Individuen („Gesellschaftsvertrag“) wurde im Konservativismus wie im NS radikal abgelehnt, sie ist das Feindbild schlechthin. Es spielt da nur eine untergeordnete Rolle, ob man „individualistisch“ (Liberalismus) oder „kollektivistisch“ (Sozialismus) ist; in beiden Fällen sieht man aus der Perspektive des gegnerischen Lagers als das Primäre die Anmaßung des modernen Individuums, seine Welt selbst zu gestalten, statt sich in das zu fügen, was Gott, die Tradition oder die Natur (auf-)gegeben haben. So erklärt sich auch etwas, was sowohl Liberale als auch Kommunisten gewöhnlich nicht begreifen: Warum vom NS beides, obwohl doch himmelweit verschieden, ohne weiteres in einen Topf geworfen wurde. Das war aber nicht nur im NS so, sondern auch bereits im klassischen Konservativismus. Man muß sich nur eine Papstrede anhören, dann sieht man das. – Also: das Wort „Sozialismus“ hat an den beiden Extremen (und auch mehr in der Mitte) vollkommen verschiedene Bedeutungen. Der Haupt-Riß, der durch die Gesellschaft geht, seit es „Fortschritt“ und fortschrittliche politische Bewegungen (ob die nun liberal oder sozialistisch waren, egal) gibt, wird durch die Verwendung gleichlautender Wörter nicht zugeschüttet, vielmehr liegt für die einen die Vorstellung z. B. von Sozialismus auf der einen, für die anderen auf der anderen Seite des Risses.

        Wenn Ihnen daran liegt, gehe ich Ihre 8 Thesen Punkt für Punkt durch und zeige jedesmal, daß sie falsch sind. Sie wiederholen die aus dem kalten Krieg bekannte, vor allem gegen die Sozialdemokratie gerichtete Parole “Rot = Braun”. Diese Parole wurde nicht zuletzt erfunden, um gegen eine andere, auf der linken Seite übliche, eher einflußreichere (und genauso platte) Parole etwas zu setzen: Konservativismus und NS sind von einem Geist, sind “reaktionär”. Die Wirklichkeit ist halt doch etwas komplizierter.

        • Der NS war vieles, aber mit “konservativ” lässt er sich kaum beschreiben. Ich hätte mir gedacht, dass der Zusammenhang des nationalen Sozialismus mit anderen sozialistischen Strömungen heutzutage eine Binsenweisheit ist, darum bin ich erst gar nicht auf Hitlers Sozialpolitik etc. eingegangen, die ja ganz gut erforscht ist. Aber wenn du wirklich jeden Punkt analysieren willst, dann nur zu.

          • Ludwig Trepl, @ Yoav Sapir.

            “Der NS war vieles, aber mit “konservativ” lässt er sich kaum beschreiben. „

            Eben, sag ich doch. Ich habe mich in vielen Texten gegen die in Deutschland und wohl auch sonst in der Welt vorherrschende Meinung gewandt, der NS sei ein „radikalisierter Konservativismus“ gewesen, eine Art wildgewordenes Preußentum. Das kann man nur vertreten, wenn man die Augen verschließt vor etlichem, das ihn mit dem progressiven Lager, ob nun sozialistisch oder liberal, verbindet. Auf der Ebene von „Hitlers Sozialpolitik etc.“ findet man das allerdings nicht. Was man da findet, ist hinsichtlich dessen, worum es hier geht, indifferent, würde sowohl in sozialdemokratische als auch in konservativ-patriarchalisch-fürsorgliche Politik passen. Man muß da schon genauer hinsehen.

            Eine „Binsenweisheit“ ist der Zusammenhang des „nationalen Sozialismus“ mit „anderen“ sozialistischen Strömungen heutzutage jedenfalls nicht, sondern das ist eine durchsichtige Parole liberaler und konservativer Parteien, die es nicht geschafft hat, großen Einfluß auf das allgemeine Denken zu erlangen. Man glaubt es diesen Parteien nicht, zu offensichtlich ist der Haltet-den-Dieb-Charakter der Parole. Zu eng waren die personellen Verflechtungen in der Nachkriegszeit, und jahrzehntelang mußte man immer wieder Nachrichten des Typs lesen: Eine nach einem verdienten Nazi benannte Straße soll umbenannt werden, aber der CDU-Ortsverband brüllt auf und argumentiert, das sei doch gar kein so schlimmer Nazi gewesen, sondern nur ein pflichtbewußter Soldat oder Beamter und im Übrigen hätten die Engländer doch auch usw..

            Aber jedenfalls: Der NS ist kein radikalisierter Konservativismus, da sind wir uns einig. Trotzdem ist nicht zu leugnen, daß er in mindestens zweifacher Hinsicht aus dem Konservativismus stammt:

            Erstens ist es an der politischen Oberfläche zu sehen. In dem Dorf, aus dem ich stamme, wählten diejenigen Kreise (nämlich Bürger und Bauern), die in den 20er Jahren konservative Parteien wählten, Anfang der 30er Jahre so gut wie geschlossen NSDAP, nach dem Krieg, wieder geschlossen, die Union. Das wurde kaum als eine Frage individueller Entscheidung wahrgenommen, „man“ tat das eben, wenn man Bürger oder Bauer und nicht Arbeiter war. Es gab ein Milieu, und zwar war das das Mehrheitsmilieu, in dem es leicht möglich war, zwischen konservativen Parteien, auch liberalen, und der NSDAP zu wechseln, aber ganz unmöglich, zu einer der Arbeiterparteien zu wechseln. Das war nicht nur in diesem Dorf so.

            Zweitens: Man kann es auf der Ebene fundamentaler Denkstrukturen sehen. Das habe ich im vorigen Kommentar sagen wollen: Der Gemeinschaftsbegriff des NS steht in der Tradition des konservativen und ist dem vertragstheoretischen und „konstruktivistischen“ progressiven (egal ob liberal oder sozialistisch) radikal entgegengesetzt. Darum können auch sozialpolitische Maßnahmen, die der NS vornahm, nie den Sinn haben, den sie im sozialistischen Kontext haben; sie liegen auf der Linie des konservativen Antikapitalismus. (Der Antikapitalismus ist ja bekanntlich keine Erfindung der Sozialisten, sondern war lange vorher ein Wesensmerkmal des Konservativismus.) – Damit müßtest du dich auseinandersetzen, sonst hat es keinen Sinn, daß wir weiterdiskutieren.

            Unberührt ist davon, daß die rassistische Umdeutung der Gemeinschaftsidee, sozusagen deren Modernisierung unter naturalistischem Vorzeichen, den NS auf eine Linie brachte, die nicht in den Rahmen des Konservativismus paßt.

          • @ Herr Dr. Trepl :

            Der NS ist kein radikalisierter Konservativismus, da sind wir uns einig. Trotzdem ist nicht zu leugnen, daß er in mindestens zweifacher Hinsicht aus dem Konservativismus stammt:

            Erstens ist es an der politischen Oberfläche zu sehen. In dem Dorf, aus dem ich stamme, wählten diejenigen Kreise (nämlich Bürger und Bauern), die in den 20er Jahren konservative Parteien wählten, Anfang der 30er Jahre so gut wie geschlossen NSDAP (…)

            Hinweis: Der Konservativismus ist relativ, was sofort deutlich wird, wenn international die Sache behandelt wird.
            Insofern sind Aussagen über Dörfer anekdotisch, wenn Ihnen natürlich auch geglaubt wird.

            Zweitens: Man kann es auf der Ebene fundamentaler Denkstrukturen sehen. Das habe ich im vorigen Kommentar sagen wollen: Der Gemeinschaftsbegriff des NS steht in der Tradition des konservativen und ist dem vertragstheoretischen und „konstruktivistischen“ progressiven (egal ob liberal oder sozialistisch) radikal entgegengesetzt. Darum können auch sozialpolitische Maßnahmen, die der NS vornahm, nie den Sinn haben, den sie im sozialistischen Kontext haben; sie liegen auf der Linie des konservativen Antikapitalismus.

            Der Kapitalismus ist auch die marxsche/marxistische Sicht auf die Demokratien mit Marktwirtschaft, hat der von Ihnen gemeinte Konservativismus die Sichten Kapitalismus und Antikapitalismus schnell angenommen?


            Ansonsten schließt sich der Schreiber dieser Zeilen Ratzinger an, der die beiden Kollektivismen des letzten Jahrhunderts als peinliche Ausläufer der Aufklärung versteht; französische Linie, Sie verstehen schon…

            MFG
            Dr. W

        • Dr. W an Dr. T :

          Sie wiederholen die aus dem kalten Krieg bekannte, vor allem gegen die Sozialdemokratie gerichtete Parole “Rot = Braun”.

          Der Schreiber dieser Zeilen kann sich nicht vorstellen, dass Herr Sapir dies tut. Die o.g. Gleichsetzung war auch zuletzt eher eine Mode zu RAF-Zeiten, kam aus dem “rechten” Spektrum, der Schreiber dieser Zeilen hat sich immer gegen diesen unzulässigen Vergleich ausgesprochen, in etwa so wie heute gegen “Linke”, z.B. die von der Friedrich Ebert-Stiftung, die den Rechtsradikalismus, den Nationalsozialismus “in der Mitte” der Gesellschaft finden wollen, bei Konservativen oder “Rechten”.

          Die Gleichsetzung “Rot=Braun” spielt heute keine Rolle, der dbzgl. Behauptende ist schneller aus seiner medial wirksamen Position entfernt als ein Lämmchen mit dem Schwanz wackeln kann; man wünschte sich für die Konservativen ähnliche Fairness.


          Was Herr Sapir hier und an anderer bemüht hat, sind die Wesensähnlichkeiten der Kollektivismen. Die gibt es und es lässt sich hierzu treffend systematisieren, finden Sie nicht, Herr Dr. Trepl?

          MFG
          Dr. W

        • Hierzu vielleicht noch:

          Konservativismus und NS sind von einem Geist, sind “reaktionär”.

          Der Konservativismus ist eine in sich hohle politische Einstellung, er stellt sich in den Gegensatz zum Progressivismus, er ist traditionalistisch und pflegt die Sichten der Altvorderen weiter, aber eben relativ zum Vorgefundenen.
          Demzufolge bedeutet es auch in unterschiedlichen Epochen und Gegenden etwas völlig anderes konservativ zu sein.
          Der reichsdeutsche Konservative vor 80 Jahren war bspw. oft Monarchist oder Meritokratist/Elitist, der iranische Mullah bspw. ist konservativ in einem 1.400 Jahre alten Sinne, der heutige bundesdeutsche Ökologist oft Romantiker.


          Um die idR gewöhnungsbedürftigen politischen Aussagen Herrn Dr. Trepls verstehen zu können, benötigt es eine langwierige Beschäftigung mit seinen Idealtypisierungen und seiner politischen Vita.
          Sollte er einstmals marxistisch oder neomarxistisch aufgestellt gewesen sein, machen seine Ausführungen, im Kontext, Sinn, ansonsten fällt es schwer zu folgen…

          MFG
          Dr. W (der als etwas ältere Kraft hier einige Vorteile zu haben scheint Gedankengängen zu folgen, die nicht einmal “Eighties” sind)

          • Ludwig Trepl, @ Webbaer”.

            „Demzufolge bedeutet es auch in unterschiedlichen Epochen und Gegenden etwas völlig anderes konservativ zu sein.
“

            Ja, das ist ein Wesensmerkmal des Konservativismus. Es ist für ihn notwendig, weil er sich immer nur gegen den jeweiligen Stand des Fortschritts definieren kann, was er aber selbst nicht merkt, vielmehr seine Auffassungen für dem Zeitenlauf enthobene, uranfängliche Wahrheiten halten muß. Das beste Beispiel ist die seine Haltung zur bürgerlichen Familie. Sie gilt heute als geradezu gottgegeben, während sie früher als eine Erfindung des umstürzlerischen Bürgertums galt (in den Familien des Adels, dem sozialen Haupt-Träger des frühen Konservativismus, ging es bekanntlich nicht so zu, wie es dem bürgerlichen Familienideal entsprach). Auch seine Haltung zu Kapitalismus kann man hier nennen. Das war ursprünglich der Feind schlechthin, heute ist er es bekanntlich nicht mehr, sondern gilt als fast so gottgegeben wie die bürgerliche Familie.

            „Um die idR gewöhnungsbedürftigen politischen Aussagen Herrn Dr. Trepls verstehen zu können …

            Sie sind nur in gewissen politischen Kreisen gewöhnungsbedürftig, in der einschlägigen wissenschaftlichen Diskussion keineswegs: da hab’ ich Sie ja her. (Nebenbei: Lassen Sie doch endlich das „Dr.“ weg, ich bin kein Amerikaner; aber auch kein Österreicher, sonst hätten Sie schon eine Beleidigungsklage am Hals.)

            „… benötigt es eine langwierige Beschäftigung mit seinen Idealtypisierungen und seiner politischen Vita“

            Diese langwierige Beschäftigung haben Sie offenbar auf sich genommen? Wo haben Sie das gelernt? Waren Sie bei der Stasi? Sind Sie beim NSA?

            „Sollte er einstmals marxistisch oder neomarxistisch aufgestellt gewesen sein …“

            Wieso sollte? Wissen Sie das denn nicht? Nur: Als ich Marxist war, konnte man noch nicht marxistisch „aufgestellt“ sein, denn damals konnte man noch einigermaßen deutsch.

            „…machen seine Ausführungen, im Kontext, Sinn …“

            Völliger Quatsch, was ich schreibe, schreiben auch Leute, die nie etwas anderes waren als liberal oder konservativ. Sie sollten den Kreis, über den Sie Ihre Ermittlungen anstellen, mal etwas erweitern.

            Ich nehme an, Yoav Sapir wird diesen Kommentar nicht freigeben. Das könnte ich verstehen, denn er hat mit dem Thema nichts zu tun. Er sollte aber auch verstehen, daß es mich nervt, dauernd so einen IM im Nacken sitzen zu haben, der meine Vergangenheit durchforscht – wo auch immer ich einen Kommentar schreibe, in dem das Wort “Liberalismus” vorkommt, ist er zur Stelle und beweist mir, daß ich einst Marxist gewesen sein muß – , und ich würde Yoav Sapir bitten, den nicht freigegebenen Kommentar doch Herrn „Webbaer“ zugänglich zu machen.

          • Ich nehme an, Yoav Sapir wird diesen Kommentar nicht freigeben. Das könnte ich verstehen, denn er hat mit dem Thema nichts zu tun. Er sollte aber auch verstehen, daß es mich nervt, dauernd so einen IM im Nacken sitzen zu haben, der meine Vergangenheit durchforscht (…)

            Na!, sind wir hier nicht etwas zu aufgeregt?
            Selbstverständlich werden Ihre in der Regel komplexen Nachrichten nach und nach zusammengefügt um sich ein Bild zu machen.
            Keine Betroffenheitslyrik, bitte.

            MFG
            Dr. W (der an Ihrer Person wirklich kein besonderes [1] Interesse hat, Sie ansonsten auch mag)

            [1] außer, dass gilt: ‘Der Systematiker betrachtet Aussagen zu einer Sache oder einem diesbezüglichen Verhalt immer zuerst als Aussagen einer Person(enmenge) zu einer Sache oder einem diesbezüglichen Verhalt.’ (nur so kann übrigens auch die Polemik gerechtfertigt werden)

          • “Der Konservativismus ist eine in sich hohle politische Einstellung” –

            Richtig, dennoch würde ich ihn anders definieren, nicht seinem Inhalt, sondern seiner Einstellung nach: Es ist die Einstellung, die dem Fortschrittsglauben als solchem skeptisch gegenübersteht, eben im Gegensatz zu experiment- und reformfreudigen Extremisten.

          • So war’s gemeint, Herr Sapir. – BTW, Sie sind doch Historiker, welcher Konservativismus vor oder nach den beiden Kriegen ging denn am ehesten ins Braune, auf D bezogen, haben Sie da Namen?

            MFG
            Dr. W (der bspw. bei der Jungen Freiheit in vielleicht 100-200 Artikeln nie etwas Braunes bemerkt hat)

          • Ich bin mir nicht sicher, ob ich deine Frage verstehe, aber ich versuch’s trotzdem.

            Der deutsche Konservativismus war im Prinzip meritokratisch, also eher bürgerlich-sachlich wie adelig-romantisch. Darauf, und nicht auf einem weitverbreiteten Glauben an die Gnade Gottes, beruhte auch die Monarchie im 2. Reich – d.h. auf Leistungen (ein vereintes Deutschland als Weltmacht). Sobald es zu Fehlleistungen kam wie im 1. Weltkrieg, musste der Kaiser auch weg.

            Somit stand der deutsche Konservativismus im Gegensatz zum “neuen” Diskurs des 19. Jahrhunderts, der nicht von Verdiensten und Leistungen, sondern von “natürlichen” Rechten und Berechtigungen ausging, die den “Arbeitern”, den “Ariern” etc. als solchen zustünden.

            Insofern gab es im deutschen Konservativismus an sich nichts Braunes. Dem war die rassistische Gleichmacherei fremd. Ein echter Konservativer wäre nie auf die Idee gekommen, sich und einen einfachen Arbeiter als gleichwertig zu betrachten, nur weil der Arbeiter “Arier” ist.

            Allerdings waren die Konservativen damals schwach. Der aufsteigende Sozialismus einerseits und die vielen Krisen andererseits machten die Zeit alles andere als günstig für meritokratische Stabilität und “Langsamkeit”. Es war die Zeit der Massen, der Massenideologien, Massenbewegungen und Massenbewertungen – alles andere als meritokratische Feinschmeckerei. Kein Wunder also, dass Hitler mit seiner massenideologischen Antwort auf die massenideologische Herausforderung des kommunistischen Sozialismus so erfolgreich war.

            Die Tragik des deutschen Konservativismus zu jener Zeit besteht darin, dass er sich, angesichts seiner eindeutigen Schwäche und in einem wohl ziemlich hoffnungslosen Zustand, dazu entschloss, mit der einen Masse (Nazis) zu kooperieren, um die andere Masse (Sozis) zu bekämpfen, welche der konservativen Elite wohl bedrohlicher erschien als die erstere. Im Gegenzug kam es ja zum Röhm-Putsch etc.

            Der deutsche Konservativismus am Ende der Republik war also mit Sicherheit “braun verstrickt”, aber mit dem Konservativismus als solchem hat es wenig zu tun. Klar ist, dass all die Von-und-Zu’s den Proleten aus Braunau, seinen bebrillten Bauern und die anderen total unterschätzten und erst viel zu spät erkannten, dass dieses Geschäft mit der braunen Mafia auch zu ihrem eigenen Untergang führen wird. Doch ließen sich die USA nicht auf einen ähnlichen Pakt mit einem Teufel ein, als sie Stalin bis nach Berlin verhalfen, um eine aus ihrer Sicht noch schlimmere Alternative zu bekämpfen?

          • PS. Zurück zum Thema “Definitionen”: So gesehen können undogmatische Richtungen wie Konservativismus, Liberalismus etc. niemals feste Inhalte haben, weil sie per definitionem relativ sind. Nur die Dogmatiker bzw. Extremisten, die sich auf einen Kanon festgeschriebener, autoritativer bzw. “heiliger” Texte berufen können, bieten echte Inhalte an.

          • So gesehen können undogmatische Richtungen wie Konservativismus, Liberalismus etc. niemals feste Inhalte haben, weil sie per definitionem relativ sind.

            Der Liberalismus ist dogmatisch. – Ansonsten danke für Ihre Nachricht, nach dem Krieg hat dann wohl der bundesdeutsche Konservativismus noch ein wenig braun weitergestrickt…
            MFG + bis demnächst!
            Dr. W

  9. Von Ludwig Trepl, @ Webbaer (sein Kommentar vom 14. Februar 2014 9:23).

    Sie versuchen ja geradezu, zu argumentieren! Ich kannte das von Ihnen bisher nicht. – Das will ich belohnen und auf Ihre Argumente ausführlich antworten:

    „Der Konservativismus ist relativ, was sofort deutlich wird, wenn international die Sache behandelt wird.
 Insofern sind Aussagen über Dörfer anekdotisch, wenn Ihnen natürlich auch geglaubt wird.“

    Mein Dorf ist natürlich nicht international repräsentativ, und es ist auch nicht repräsentativ für die katholischen Gebiete im damaligen Deutschland, zumindest nicht die, in denen die katholische Kirche nicht nur auf dem Papier vorherrschend war. Dort gab es eine nicht-nationalistische konservative Partei, und die Kirche hatte großen Einfluß auf die Arbeiterschaft. Repräsentativ ist mein Dorf aber für die protestantischen Gebiete, also damals für den größeren Teil des Landes. Mir ist nicht bekannt, daß dieser Einschätzung je einer widersprochen hätte. Wenn Sie widersprechen wollen: Wie war es denn dann, wenn nicht so, wie ich geschrieben habe?

    „Der Kapitalismus ist auch die marxsche/marxistische Sicht auf die Demokratien mit Marktwirtschaft, hat der von Ihnen gemeinte Konservativismus die Sichten Kapitalismus und Antikapitalismus schnell angenommen?“

    Da habe ich Mühe, den Sinn zu verstehen. Wollen Sie sagen, daß der Marxismus die Gesellschaften, in denen es „Demokratien mit Marktwirtschaft“ gibt (neben solchen, in denen es andere Herrschaftsformen, etwa Militärdiktaturen, mit Marktwirtschaft gibt), „kapitalistisch“ nennt? Das stimmt, das tut aber nicht nur der Marxismus.
    „der von Ihnen gemeinte Konservativismus“ ist der, der sich seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland entwickelt hat und der für den entstehenden NS (sagen wir: ab dem späten 19. Jahrhundert) „der“ Konservativismus war.

    „die Sichten Kapitalismus und Antikapitalismus schnell angenommen“

    Meinen Sie, es gab eine Sichtweise, die man gemeinhin konservativ nannte, die die Gesellschaft als kapitalistisch bezeichnete? Und deren Anhänger gegen den Kapitalismus waren, weil sie (a) in einer bestimmten Wirtschaftsweise den Kern der modernen Gesellschaft sahen und weil sie sich von dieser modernen Gesellschaft bedroht sahen? So könnte man es etwa sagen; jedenfalls ist das die gängige Auffassung, Lehrbuchwissen sozusagen.

    Von Anfang an – Marx war da noch lange nicht geboren – war eben dieser Antikapitalismus das wesentliche am Konservativismus. Noch in den Schriften des frühen Marx findet man typisch konservative Motive, etwa die Entfremdungskritik. So sehr sich der Sozialismus als Teil der Aufklärung entwickelt hat: in seiner Kapitalismuskritik mußte er sich erst mal in einem langen Prozeß vom Muster der typisch konservativen Kapitalismuskritik freimachen. Denn diese Kritik war allgegenwärtig, eine eigenständige Kapitalismuskritik gab es lange Zeit im “progressiven Lager”, auch in dessen linken Teil, nicht – war doch der Kapitalismus die Gesellschaftsform, der man sich selbst verdankte. –

    Man war im Konservativismus gegen die Gesellschaft, in der „Geld“ zählt und nicht „Herkunft“. Die Bedrohung waren die aufsteigenden Besitzbürger, die nannte man „Bourgeois“ oder eben „Kapitalisten“. Deren vorherrschende Ideologie, der Liberalismus, bedrohte die alten Mächte, insbesondere den Adel nicht nur ökonomisch und hinsichtlich seiner politischen Stellung, sondern auch hinsichtlich seiner Werteordnung und überhaupt seiner Weltanschauung. Nicht nur der Adel, sondern auch der Klerus waren deshalb Feinde des Liberalismus und Stützen des Konservativismus. Von Arbeitern und von „Linken“ war da noch nichts zu merken, sie waren keine nennenswerte gesellschaftliche Kraft. Als solche traten erstmals in der französischen Revolution als plebejische Großstadtpartei in Erscheinung. – Wie der konservative Antikapitalismus im Einzelnen beschaffen war, was er über die richtige Art zu leben usw. dachte, das kann man alles bei konservativen Schriftstellern ab dem Ende des 19. Jahrhunderts nachlesen, aber auch bei gemeinhin als progressiv geltenden, wie Gottfried Keller und Schiller, wenn man zu unterscheiden weiß.

    „Ansonsten schließt sich der Schreiber dieser Zeilen Ratzinger an, der die beiden Kollektivismen des letzten Jahrhunderts als peinliche Ausläufer der Aufklärung versteht; französische Linie, Sie verstehen schon“

    Rücken Sie dem nicht zu nahe, der haßt vor allem die Liberalen; das war immer so im Konservativismus, und umgekehrt. So steht’s bei Wilhelm Busch:

    „Schweigen will ich von Lokalen,

    Wo der Böse nächtlich praßt,

    Wo im Kreis der Liberalen

    Man den Heilgen Vater haßt.“

    Und die Strophe davor lautet:

    „Und der Jud mit krummer Ferse,

    Krummer Nas und krummer Hos

    Schlängelt sich zur hohen Börse,

    Tiefverderbt und seelenlos.“

    Man sieht hier sehr schön, wie der Antisemitismus der Konservativen jener Zeit funktionierte: Es war sein Haß gegen den Kapitalismus und Liberalismus, und Kapitalismus und Liberalismus sahen die konservativen Antisemiten in den Juden repräsentiert. Und man sieht hier auch, wie der konservative Antisemitismus in den rassistischen des NS überging, wie „Jude“ biologisiert wird.

    Wenn Ratzinger heute gegen die Übel der Moderne loszieht, dann nennt er fast immer nur Charakteristika des Liberalismus und nicht der „Aufklärung, französische Linie“; man muß nur darauf achten, dann sieht man, daß das, was er kritisiert, selten auf die letztere (also auf die Linie „Demokratie-Sozialismus“) zutrifft, auch wenn er dagegen natürlich auch etwas hat und aus Gründen an der politischen Oberfläche aktuell sogar mehr: in liberalen Ländern wird seine Kirche nicht unterdrückt. Aber soviel ist jedem klugen Kirchenfürsten klar, daß der Geist des Liberalismus dem religiösen ferner (und letztlich gefährlicher) ist als der Geist des Sozialismus. Den kann er gar nicht so schlimm finden, denn der Konservativismus (der im Katholizismus, nicht in konservativen Parteien, heute seine festeste Bastion hat) ist ja die erste Form dessen, was Sie mit einem liberalen Kampfbegriff „Kollektivismus“ nennen. Nur ist es nicht die aus der Aufklärung stammende Form der Idee des „Kollektivs“, die von den Menschen frei erdachte und realisierte Gesellschaft, sondern die ewige, natürliche, gottgewollte: die organische Gemeinschaft, in die man hineingeboren wird, aus der man nicht austreten kann und in der man die Position anzunehmen hat, in der man sich vorfindet.

    Gegen den NS, den Sie in Ihrer Ahnungslosigkeit den „anderen Kollektivismus“ nennen (als ob nicht der Konservativismus erst mal “der” „Kollektivismus“ gewesen wäre), hat der Konservativismus im allgemeinen nicht so viel: Man steht ihm ja sehr nahe. Aber wenn man ihn verurteilen will, dann nicht wie unter Liberalen wie auch Sozialisten üblich, weil er „reaktionär“ ist, weil er aus „ewig Gestrigen“ besteht, weil er germanische Bräuche wiederbeleben will und vom Bauerntum als dem Kern deutschen Wesens schwärmte, sondern eben weil er modern war, und das war er ja auch. Er wollte, wie Yoav Sapir durchaus richtig sagte, alles umwälzen, er wollte die Industrialisierung zu einer nie dagewesenen Höhe treiben – aber eben nur, um im Kern, auf den es ankommt, zum reinen Ursprung zurückzukehren. Dieses letztere Motiv (Ursprung) hat er vom Konservativismus übernommen, es ist den beiden der Aufklärung entstammenden Richtungen gleichermaßen fremd.

    • Dr. Webbaer an Ludwig Trepl :

      Sie versuchen ja geradezu, zu argumentieren! Ich kannte das von Ihnen bisher nicht. – Das will ich belohnen und auf Ihre Argumente ausführlich antworten:

      “Sehr nett.”

      Der Konservativismus ist relativ, was sofort deutlich wird, wenn international die Sache behandelt wird.? Insofern sind Aussagen über Dörfer anekdotisch, wenn Ihnen natürlich auch geglaubt wird. (Dr. Webbaer)

      Mein Dorf ist natürlich nicht international repräsentativ, und es ist auch nicht repräsentativ für die katholischen Gebiete im damaligen Deutschland, zumindest nicht die, in denen die katholische Kirche nicht nur auf dem Papier vorherrschend war. Dort gab es eine nicht-nationalistische konservative Partei, und die Kirche hatte großen Einfluß auf die Arbeiterschaft. Repräsentativ ist mein Dorf aber für die protestantischen Gebiete, also damals für den größeren Teil des Landes. Mir ist nicht bekannt, daß dieser Einschätzung je einer widersprochen hätte. Wenn Sie widersprechen wollen: Wie war es denn dann, wenn nicht so, wie ich geschrieben habe?

      Weiter oben stand geschrieben, dass es so gewesen sein mag, dass Ihre Beobachtung aber (selbstverständlich: “nur an dieser Stelle” oder “nur in diesem Zusammenhang”) gänzlich irrelevant ist.

      Der Kapitalismus ist auch die marxsche/marxistische Sicht auf die Demokratien mit Marktwirtschaft, hat der von Ihnen gemeinte Konservativismus die Sichten Kapitalismus und Antikapitalismus schnell angenommen? (Dr. Webbaer)

      Da habe ich Mühe, den Sinn zu verstehen. Wollen Sie sagen, daß der Marxismus die Gesellschaften, in denen es „Demokratien mit Marktwirtschaft“ gibt (neben solchen, in denen es andere Herrschaftsformen, etwa Militärdiktaturen, mit Marktwirtschaft gibt), „kapitalistisch“ nennt? Das stimmt, das tut aber nicht nur der Marxismus.

      Der Kapitalismus als pejorative Sicht auf diejenigen marktwirtschaftlich angeführten Systeme, die der Aufklärung folgend implementiert haben, grundsätzlich liberal sind, wird nicht von allen angenommen, oft besonders nicht von Liberalen, die sich bspw. mit verkürzenden Ausdrücken wie ‘Demokratie’ oder ‘moderne marktwirtschaftliche Systeme’ oder ‘westliche Systeme’ behelfen.

      Der Schreiber dieser Zeilen lehnt diese primär marxsche-marxistische Sicht ab, weiß aber auch von Liberalen, die diese, oft aus Trotz, annehmen, aber dadurch aus seiner Sicht ungünstig werben oder zu werben versuchen.

      „der von Ihnen [gemeint: ‘von Ludwig Trepl’, Anmerkung von Dr. Webbaer] gemeinte Konservativismus“ ist der, der sich seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland entwickelt hat und der für den entstehenden NS (sagen wir: ab dem späten 19. Jahrhundert) „der“ Konservativismus war.

      Also ist es, international betrachtet, ein ganz spezieller Konservativismus, den Sie meinen, ein reichsdeutscher und vielleicht partiell bundesdeutscher möglicherweise.

      die Sichten Kapitalismus und Antikapitalismus schnell angenommen (Dr. Webbaer)

      Meinen Sie, es gab eine Sichtweise, die man gemeinhin konservativ nannte, die die Gesellschaft als kapitalistisch bezeichnete? Und deren Anhänger gegen den Kapitalismus waren, weil sie (a) in einer bestimmten Wirtschaftsweise den Kern der modernen Gesellschaft sahen und weil sie sich von dieser modernen Gesellschaft bedroht sahen? So könnte man es etwa sagen; jedenfalls ist das die gängige Auffassung, Lehrbuchwissen sozusagen.

      Gut, so war also der von Ihnen gemeinte Konservativismus möglicherweise.
      Kommt noch ein (b) ?

      Von Anfang an – Marx war da noch lange nicht geboren – war eben dieser Antikapitalismus das wesentliche am Konservativismus. Noch in den Schriften des frühen Marx findet man typisch konservative Motive, etwa die Entfremdungskritik. So sehr sich der Sozialismus als Teil der Aufklärung entwickelt hat: in seiner Kapitalismuskritik mußte er sich erst mal in einem langen Prozeß vom Muster der typisch konservativen Kapitalismuskritik freimachen. Denn diese Kritik war allgegenwärtig, eine eigenständige Kapitalismuskritik gab es lange Zeit im “progressiven Lager”, auch in dessen linken Teil, nicht – war doch der Kapitalismus die Gesellschaftsform, der man sich selbst verdankte.

      Gut, so war also der von Ihnen gemeinte Konservativismus möglicherweise.
      Wobei seinerzeit die Begriffe ‘Kapitalismus’ und ‘Antikapitalismus’ sporadisch in Gebrauch waren, wenn überhaupt.

      Man war im Konservativismus gegen die Gesellschaft, in der „Geld“ zählt und nicht „Herkunft“. Die Bedrohung waren die aufsteigenden Besitzbürger, die nannte man „Bourgeois“ oder eben „Kapitalisten“. Deren vorherrschende Ideologie, der Liberalismus, bedrohte die alten Mächte, insbesondere den Adel nicht nur ökonomisch und hinsichtlich seiner politischen Stellung, sondern auch hinsichtlich seiner Werteordnung und überhaupt seiner Weltanschauung. Nicht nur der Adel, sondern auch der Klerus waren deshalb Feinde des Liberalismus und Stützen des Konservativismus. Von Arbeitern und von „Linken“ war da noch nichts zu merken, sie waren keine nennenswerte gesellschaftliche Kraft. Als solche traten erstmals in der französischen Revolution als plebejische Großstadtpartei in Erscheinung. – Wie der konservative Antikapitalismus im Einzelnen beschaffen war, was er über die richtige Art zu leben usw. dachte, das kann man alles bei konservativen Schriftstellern ab dem Ende des 19. Jahrhunderts nachlesen, aber auch bei gemeinhin als progressiv geltenden, wie Gottfried Keller und Schiller, wenn man zu unterscheiden weiß.

      Gut, so war also der von Ihnen gemeinte Konservativismus möglicherweise.

      Ansonsten schließt sich der Schreiber dieser Zeilen Ratzinger an, der die beiden Kollektivismen des letzten Jahrhunderts als peinliche Ausläufer der Aufklärung versteht; französische Linie, Sie verstehen schon. (Dr. Webbaer)

      Rücken Sie dem nicht zu nahe, der haßt vor allem die Liberalen; das war immer so im Konservativismus, und umgekehrt.

      Das ist dem Schreiber dieser Zeilen nicht klar, Sie bleiben hier belegfähig, Ratzinger hasst vermutlich auch nicht. – Überhaupt sind diese Emotionalisierung und diese moralische Aufladung, die sich regelmäßig darin ausdrücken anderen Hass oder Phobien zu unterstellen, eine Mode, eine Mode, die zwar die Theorie der Infantilisierung und Feminisierung der Gesellschaft und der Debatten zu belegen in der Lage ist, aber Sachdiskussionen direkt schadet.

      … [Wilhelm Busch etc.]
      Wenn Ratzinger heute gegen die Übel der Moderne loszieht, dann nennt er fast immer nur Charakteristika des Liberalismus und nicht der „Aufklärung, französische Linie“ (…)

      Ratzinger nimmt keineswegs den Liberalismus ins Visier, sondern den Relativismus und den Nihilismus, den er, wie auch der Schreiber dieser Zeilen, im “französischen Ausläufer” der Aufklärung, beginnend bei Rousseau, begründet sieht.
      Die kollektivistisch angeleiteten Verbrechen des letzten Jahrhunderts ordnet er dementsprechend ein, zurzeit dürfte er insbesondere den dekonstruktivistischen Neomarxismus im Auge haben, der zu skurrilen Entwicklungen zu führen scheint, wie bspw. zur Gendertheorie oder Transgendertheorie, diese beiden aber nur beispielhaft genannt.

      Gegen den NS, den Sie in Ihrer Ahnungslosigkeit den „anderen Kollektivismus“ nennen (als ob nicht der Konservativismus erst mal “der” „Kollektivismus“ gewesen wäre), hat der Konservativismus im allgemeinen nicht so viel: Man steht ihm ja sehr nahe.

      Das soll einmal, als Tiefpunkt, unkommentiert stehen bleiben.
      Sie dürfen natürlich gerne noch nachträglich belegfähig werden.

      MFG
      Dr. W (der am Rande gerne noch für den hiesigen Inhaltegeber den Liberalismus als politische Ideenlehre erklärt, die strenge und nicht verhandelbare Ideen oder Vorgaben kennt, die teilweise in den sogenannten Menschenrechten zum Ausdruck gelangten – der Liberalismus somit durchaus als ‘dogmatisch’ ordentlich beschrieben scheint)

      PS: Es wird also “ein wenig” aneinander vorbeigeredet, wenn “der Konservatismus” erörtert wird, no prob here, es gibt ihn nämlich nicht, von einer germanozentristischen Sicht wird nicht nur hier, sondern grundsätzlich abgeraten. – Übrigens kann aus dieser etwas länger gehaltenen und zitat-orientierten Nachricht auch abgeleitet werden, dass eine derartige (kommentarische) Kommunikation “nicht wirklich” fürs Web geeignet ist und wenn, dann als Primärinhalt, als sogenannter Post beispielsweise im Rahmen eines sogenannten WebLogs.

      PPS: Hoffentlich wird diese Nachricht wenigstens wie beabsichtigt dargestellt. – Ansonsten wird der Schreiber dieser Zeilen noch einmal nachlegen (müssen).

      • Ratzinger, die Moderne, der Liberalismus.
        Ludwig Trepl, @ Webbaer.

        “Ratzinger hasst vermutlich auch nicht“

        Ob Herr Ratzinger den Liberalismus in einem psychologischen Sinne haßt und ob er überhaupt fähig ist zu hassen, weiß ich natürlich nicht. Es ist auch vollkommen egal. Ich habe das Wort Haß wegen der Parallele zu den Busch’schen hassenden Liberalen in den Lokalen geschrieben.

        Mir kommt es darauf an, daß das, was der Konservativismus (und nirgends findet man ihn so in Reinform wie in Verlautbarungen der Spitzen der katholischen Kirche) „der Moderne“ vorwirft, im allgemeinen nur die liberale Moderne betrifft. Da wird der bindungslose Einzelne, der nichts tut als seinen individuellen Vorteil zu verfolgen, der keine Moral kennt, für den alles erlaubt ist, wenn man nur nicht erwischt wird usw., in den Mittelpunkt gestellt. (Ob dem Liberalismus damit Unrecht getan wird: damit müssen Sie nicht wieder kommen; es kommt hier allein darauf an, daß der moderne Konservativismus das so sieht, und das seit über 200 Jahren, man kann es in tausend Romanen und politischen Streitschriften nachlesen.)

        Wenn sich der Konservativismus bzw. ein Papst gegen die linke, „französische“ Tradition der Aufklärung wendet, dann im allgemeinen nur in den Punkten, die diese mit dem Liberalismus gemeinsam hat (Autonomie des Menschen ….; für den Konservativismus ist das „Nihilismus“); speziell gegen die „französische“ Tradition Gerichtetes kommt auch vor, aber selten. Das ist kein Wunder: Wie soll man den Egoismus, die Bindungslosigkeit, die Unmoral usw. der modernen Welt geißeln anhand der Protagonisten der französischen Aufklärung? Bei denen gibt es keinen Egoismus, keine Bindungslosigkeit, da hat man sich an die volonté générale zu binden; da gibt es keine Unmoral, im Gegenteil, da wird die Raserei der Tugendfanatiker von der Art eines Robespierre vorbereitet, usw. usf. Da gibt es auch keinen „Relativismus“. Robespierre und Stalin waren nicht weniger im Besitz der absoluten Wahrheit als die Päpste.

        Vor allem aber: Da haben die Menschen inbrünstig Glaubende zu sein. Nur glauben sie leider an den falschen Gott. Und daß das der falsche ist, liegt an der Gemeinsamkeit der Aufklärung, also der Gemeinsamkeit mit dem Liberalismus: der autonome Mensch. Der allgemeine Wille der französischen Aufklärung ist nicht der Wille des transzendenten Gottes, der uns an seiner Vernunft gnädig teilhaben läßt, sondern der Wille, den die Menschenvernunft zu haben gebietet und der auf das allgemeine Beste der Menschen gerichtet ist. Da – sagt der Konservativismus und sagen alle Päpste – kommt der liberale Egoismus wieder durch: als Egoismus nun nicht des Einzelnen, sondern der Menschheit, die nichts über sich (an-)erkennen kann.

        Gegen solche fundamentalen Differenzen und Gemeinsamkeiten kann man nicht solche Kleinigkeiten anführen wie etwa, daß ein Papst den staatlichen Terror, sei es der französischen Revolution oder der kommunistischen Staaten, kritisiert. Das ist nur Tagespolitik. Gegen solchen Terror hat ja die katholische Kirche sonst auch nichts, sie versteht sich selber meisterhaft darauf, auch wenn sie sich diesbezüglich in allerletzter Zeit (seit 50 Jahren vielleicht) zu ändern scheint.

        • Ratzinger vertritt bspw. die Sicht – zumindest für den Schreiber dieser Zeilen die als dogmatisch zu verstehende Sicht -, dass die Annahme des Glaubens per Glaubensentscheid zu erfolgen hat. Er stellt sich insofern auf den Boden der Wissenschaftlichkeit, die dann auch eine wissenschaftlich gehaltene christliche Theologie ermöglicht.
          Zudem gibt es etliche Aussagen aus dem Hause des Ex-Papstes (Klingt lustig, oder?), die die moderne Wissenschaftlichkeit bejahen.
          Auch die Schöpfungslehre oder -geschichte wurde von einem seiner Vorgänger, von Papst Pius, vor ca. 60 Jahren zu Metaphorik erklärt.

          Seien Sie doch bitte so nett, wenn Sie den Konservativismus als in ‘Reinform’ bei der Katholischen Kirche erkennen, auch ein wenig zu verweisen, webzuverweisen.

          Ihr Kommentatorenfreund, der einige Texte Ratzingers analysiert hat, sieht ihn deutlich eher als primär christlich aufgestellt und nicht als in irgendeinem hier versuchten Sinne als konservativ. Er reagiert ziemlich ungeil auf den konstruktivistischen Relativismus und Nihilismus aus dem neomarxistischen Lager, er “kann aber” mit dem konstruktivistischen Liberalismus, der sich um Ideen, Werte und Menschenrechte kümmert.

          MFG
          Dr. W (der bei Bedarf ebenfalls gerne belegfähig wird, den aber insbesondere auch die diesbezügliche Meinung des hiesigen Inhalteträgers, ob Rabbinerkandidat, ehemaliger, oder auch nicht, interessiert)

          PS: Der Liberalismus ist eine um das Gemeinwohl bemühte politische Lehre wie etwa der von vielen gut geheissene Sozialismus, die Ansätze sind jeweils sozial bemühter Art, der L. ist kein Ego-Trip.

          • Ludwig Trepl, @ Webbaer.

            „….dass die Annahme des Glaubens per Glaubensentscheid zu erfolgen hat. Er [Ratzinger] stellt sich insofern auf den Boden der Wissenschaftlichkeit, … Schöpfungslehre oder -geschichte wurde von einem seiner Vorgänger, von Papst Pius, vor ca. 60 Jahren zu Metaphorik erklärt.”

            Was wollen Sie denn damit sagen? Daß der Papst gar nicht konservativ ist, weil er nichts gegen Wissenschaft hat? Geht’s noch? Wenn man zeigen kann, daß jemand nichts gegen Wissenschaft hat, hat man damit keineswegs gezeigt, daß er nicht konservativ ist. Der Konservativismus ist und war nicht gegen Wissenschaft, der Katholizismus war nie gegen Wissenschaft, beide waren nur gegen deren Anmaßungen. Nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Wissenschaftsfeinde („Schwärmer“) wurden verbrannt, und denen gegenüber berief man sich auf Wissenschaft. Die Bekenntnisse der Päpste zur Rationalität, zur Vernunft (und die des politischen Konservativismus) sind nicht neu, nie hat die katholische Kirche oder hat der politische Konservativismus etwas anderes vertreten. Nur ist die Rationalität/Vernunft eine andere als die der Fortschrittlichen („vernehmende“ statt „konstruierende“ Vernunft).

            „Seien Sie doch bitte so nett, wenn Sie den Konservativismus als in ‘Reinform’ bei der Katholischen Kirche erkennen, auch ein wenig zu verweisen“

            Da hab ich nichts zum Verweisen, das war mein eigener Gedanke, obwohl er mit Sicherheit an zahllosen Stellen in der Literatur ebenfalls zu finden ist, einfach weil er auf der Hand liegt. Sehen Sie sich an, was der Konservativismus in den ersten hundert Jahren seiner Existenz vertreten hat – also bevor er die „bürgerliche“ Gesellschaft, gegen die er überhaupt erst entstanden ist, als das zu verteidigende Alte zu verstehen begann, bevor er sich mit seinem ursprünglichen Extrem-Feindbild so versöhnen mußte, daß sogar ein „technokratischer Konservativismus“ entstand und die Idee einer „konservativen Revolution“, bevor die ursprünglich essentielle Bindung an das Christentum in säkularisierten Vorstellungen ausgedünnt wurde und zum Teil ganz verschwand –, dann findet man das vor allem im Katholizismus. Man findet es natürlich auch anderswo, aber das sind wenig einflußreiche gesellschaftliche Kräfte wie etwa der konservative Protestantismus. Man findet es auch – sehr rein – in den konservativen Teilen der Ökologiebewegung (in deren Hauptsstrom jedoch mit Elementen anderer Herkunft vermischt).

            „..sieht ihn deutlich eher als primär christlich aufgestellt und nicht als in irgendeinem hier versuchten Sinne als konservativ.“

            Konservativ sein war identisch mit christlich sein (und heute noch nennen sich die konservativen Parteien christlich), und auf der Ebene der Weltanschauung (also von der Ebene sozialer Interessen abgesehen) ging es dem Konservativismus in erster Linie darum, das Christentum zu retten, das vor allem sah er durch die Moderne bedroht, darum vor allem ist er überhaupt entstanden.

            „…konstruktivistischen Relativismus und Nihilismus aus dem neomarxistischen Lager …“

            Da müssen Sie mir mal erklären, was Sie damit meinen. Ich kann mir nicht das Geringste darunter vorstellen.

            „…. konstruktivistischen Liberalismus, der sich um Ideen, Werte und Menschenrechte kümmert.“

            Was ist ein konstruktivistischer Liberalismus? Was ist demgegenüber ein nicht-konstruktivistischer Liberalismus?

            Natürlich vertritt der Liberalismus Ideen und Werte. Das tun alle anderen auch, sie vertreten aber andere Werte (und sagen darum, weil sie Ihre Werte für die einzig möglichen halten, der Liberalismus habe gar keine) bzw. verstehen unter den mit gleichen Wörtern bezeichneten Werten etwas völlig anderes, z. B. im Falle von Freiheit. Das, was der Liberalismus unter Freiheit versteht, ist für den Konservativismus (und für den Katholizismus) gerade keine Freiheit, oder eine verdammenswerte, weil maßlose, Bindungen nicht anerkennende Freiheit.

            Vielleicht haben Sie da etwas falsch verstanden: Daß das paradigmatische liberale Modell für das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, das von Hobbes (noch im absolutistischen Rahmen) formulierte Modell, ohne Ideen und Werte, ohne jede Moral, ohne irgendeine Vorstellung der Menschen von einer inneren Verpflichtung auf das Wohl anderer oder gar der Gemeinschaft auskommt, daß es nichts braucht als die Annahme, daß der Einzelne an seinem eigenen Wohlergehen interessiert ist, heißt nicht, daß es im Liberalismus keine Werte gibt. Die stecken in dem Modell selbst drin: Wenn der Einzelne an seinem eigenen Wohlergehen und an nichts anderem interessiert ist, muß er individuelle Freiheit als Wert (als etwas allgemeingültiges) vertreten, für ihn muß Eigentum ein Wert sein, es muß ein Menschenrecht auf Freiheit und Eigentum geben, und einiges mehr. Es ist unumgänglich, daß das egoistische Interesse, auf das der Mensch hier reduziert ist, nach solchen Verallgemeinerungen drängt. Der Mensch muß z. B. aus Eigeninteresse wollen, daß allen und nicht nur ihm das Recht auf Eigentum und die Freiheit der Person garantiert wird.

            „Der Liberalismus ist eine um das Gemeinwohl bemühte politische Lehre wie etwa der von vielen gut geheissene Sozialismus, die Ansätze sind jeweils sozial bemühter Art, der L. ist kein Ego-Trip.“

            Ja, so einen Liberalismus gab es tatsächlich, z. B. in den 60er/70er Jahren in Deutschland als eine Strömung in der liberalen Partei. Ich kannte Leute, die sind extra deswegen damals in diese Partei eingetreten. So etwas für den Liberalismus zu behaupten ist aber entweder ein Witz, oder es ist so gemeint wie man es von den Linken kennt: Auf den Verweis auf die Unterdrückung in der Sowjetunion kommt die Antwort: Aber das ist doch gar kein Kommunismus (oder Sozialismus, darauf kommt es hier nicht an), der Kommunismus ist eine freiheitliche Weltanschauung usw. Da wird eine in jeder, insbesondere moralischen Hinsicht unangreifbare politische Richtung konstruiert. Das ist ja auch in Ordnung, ich gratuliere jedem Kommunisten, der das so macht, und Sie können es meinetwegen mit dem Liberalismus auch so machen, nur: Darüber rede ich nicht, ich rede über den realen Liberalismus und den realen Kommunismus und versuche, den Kern, das, was sie markant von anderen Richtungen unterscheidet, herauszuarbeiten.

            Und da ist der Liberalismus nun mal nicht um das Gemeinwohl bemüht. Die Liberalen sind so gut wie immer die, die gegen alles stimmen, was sich der Bemühung ums Gemeinwohl verdankt. Daß sie die Vorstellung haben, oder besser dem Liberalismus als Ideengefüge diese Vorstellung wesentlich ist (denn der einzelne liberale Politiker muß diese Vorstellung nicht haben und hat sie meist auch nicht, wenn nicht jede Menschenkenntnis trügt, so wenig wie der einzelne kommunistische Politiker typischerweise der Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit folgt), man müsse sich deshalb nicht ums Gemeinwohl bemühen, weil diesem letzten Endes am besten gedient sei, wenn jeder so viel Freiheit wie nur möglich hat, ohne Rücksicht aufs Gemeinwohl seinen eigenen Interessen zu folgen, stimmt zwar. Aber das heißt eben, daß man sich ums Gemeinwohl nicht bemühen muß.

          • Der Konservativismus ist und war nicht gegen Wissenschaft, der Katholizismus war nie gegen Wissenschaft, beide waren nur gegen deren Anmaßungen.

            Hmm, hmm, also auf jeden Fall vielen Dank für Ihre Erläuterungen, Herr Trepl, bei den politischen Fragen, unter anderem zum Neomarxismusm, zum Liberalismus & zum politischen Konstruktivismus, wird es nicht zum Konsens kommen.
            MFG
            Dr. W

  10. Ludwig Trepl, @ Yoav Sapir (Kommentar vom 14. Februar 2014 18:54).

    „Der deutsche Konservativismus war im Prinzip meritokratisch, also eher bürgerlich-sachlich [als] adelig-romantisch.“

    Das scheint mir nur halb richtig. Im Vergleich zu seiner Vergangenheit war der verbürgerlichte Konservativismus des frühen 20. Jahrhunderts sicher meritokratischer. Aber er konnte doch nie ablegen, daß er vom Anfang an diejenige Richtung ist, in der man – gegen alle anderen Richtungen – das Verdienst überhaupt nicht gelten ließ, sondern wo nur die Herkunft zählte. Die Konservativen dieser Zeit hätten sonst für die Abschaffung des Adels sein müssen, was sie aber nicht waren.

    Meritokratisch waren die Liberalen – Leistung sollte ausschlaggebend sein, nicht Herkunft. Noch meritokratischer waren die Linken (Demokraten-Sozialisten), die darauf verwiesen, daß für den Liberalismus ja in Wirklichkeit weniger Leistung als Erbschaft ausschlaggebend ist. Die meritokratischsten unter allen waren (später) die Kommunisten, sowie sie an der Macht waren: Ihre Gesellschaft war extrem hierarchisch, wie eine Adelsgesellschaft, aber die rechtfertigende Ideologie war, daß oben die verdienten Genossen sitzen, nicht die mit den richtigen Vorfahren oder dem meisten Geld. – Extrem nicht-meritokratisch sind einerseits der klassische Adels-Konservativismus, andererseits der „basisdemokratische“ Linksradikalismus, bei dem keiner auch nur den Kopf über die anderen erheben darf, ohne zurückgepfiffen zu werden.

    „…sondern von ‚natürlichen’ Rechten und Berechtigungen ausging, die den ‚Arbeitern’, den ‚Ariern’ etc. als solchen zustünden.“

    Das ist falsch, Sie vermischen da ganz verschiedene Begriffe von „natürlich“. (1) Es ist das „natürliche“ Recht des Freiherrn, über die Dorfbewohner zu bestimmen. (2) Es ist das „natürliche“ Recht des Bürgers (als eines Menschen), daß er nicht gegenüber dem Adel durch dessen Privilegien von vornherein benachteiligt wird. (3) Es ist das „natürliche“ Recht des Ariers, über alle anderen Rassen zu herrschen. Da ist mit „Natur“ jeweils etwas vollkommen anderes gemeint als in den beiden anderen Fällen.

    Die „natürlichen“ Rechte des Arbeiters leiten sich von den natürlichen Rechten des Menschen aus der Zeit der Aufklärung her („Die Internationa-a-le erkämpft das Menschenrecht“). (Im 19. Und im frühen 20. Jahrhundert, worüber wir hier ja sprechen, allerdings wurde diese naturrechtliche Begründung seitens der Arbeiterbewegung nicht mehr sonderlich in Anspruch genommen.) Es ist das natürliche Recht (das eher zu Unrecht „natürlich“ genannt wird, denn es ist ein durch Gott und durch Tradition, nicht durch Natur verbürgtes Recht) des Adels, das im NS-Rassismus biologisiert wurde zum natürlichen Recht der „Herrenrasse“, eben die Herren zu sein. Im Zuge dieser Biologisierung entstand übrigens keine Vorstellung von Gleichheit. Untereinander gleich sind im (klassischen Adels-)Konservativismus die Herren, aber dies nur in gewissem Sinn, denn sie stehen ja untereinander sehr wohl in einer strengen Rangordnung. Und das ist im NS genauso. Gleich sind da nicht die Menschen, sondern nur die nordischen Menschen – und auch die sind nicht in jeder Hinsicht gleich, sondern stehen in einer Rangordnung gemäß der Reinheit ihres „Blutes“. – Daß alle (nordischen) „Volksgenossen“ als Angehörige der richtigen Rasse gleich sind, spricht in keiner Weise für eine Gleichheitsideologie, die den NS vom Konservativismus unterschiede. Als Deutsche (d. h. als Angehörige eines durch Sprache und Kultur definierten Volkes) sind die Deutschen für den klassischen Konservativismus ja auch gleich. „Rassistische Gleichmacherei“ ist ein leerer Begriff: In dem Sinn, in dem hier von Gleichmacherei geredet wird, war der Konservativismus genauso gleichmacherisch, nur eben nicht rassistisch.

    „Insofern gab es im deutschen Konservativismus an sich nichts Braunes. Dem war die rassistische Gleichmacherei fremd.“

    Da stimme ich Ihnen zu bis auf die „Gleichmacherei“; das ist ein windiger, aus dem Propaganda-Arsenal stammender Begriff, der in die Irre führt. „Gleichgemacht“ hat der klassische Konservativismus die Menschen auch – sie waren als „Gottes Kinder“ ja alle gleich. Von einer realen, politisch-ökonomischen Gleichheit wollte er allerdings nichts wissen. Der NS-Rassismus hat aber auch diese Gleichheit „als Gottes Kinder“ (die in den progressiven Richtungen zu „allgemeine Menschenwürde“ säkularisiert worden war), abgeschafft: Die Menschen waren in keiner Hinsicht gleich, zwischen Herren- und Untermenschen bestand keinerlei (insbesondere keine moralisch verpflichtende) Gleichheit.

    „Der deutsche Konservativismus am Ende der Republik war also mit Sicherheit ‚braun verstrickt’, aber mit dem Konservativismus als solchem hat es wenig zu tun.“

    „Braun verstrickt“ war er nicht nur am Ende der Weimarer Republik, sondern auch am Anfang der Bonner Republik, und wie! Sie sind zu jung, um davon eine persönliche Erfahrung zu haben. – Das mit dem „mit dem Konservativismus als solchem hat es wenig zu tun“ – dem stimme ich zu – können Sie aber nicht auf der Ebene der Abneigung der „Von-und-Zu’s“ gegenüber dem „Proleten aus Braunau“ begründen. Das war bei den meisten vorbei, nachdem eine adelige Münchener Dame dem Hitler beigebracht hatte, mit Messer und Gabel zu essen, und vor allem, als er dann regelmäßig bei der Mutter des Wagner-Clans auf dem Sofa saß.

    Sie müssen da schon auf das anti-moderne, gegenaufklärerische Weltbild des Konservativismus eingehen, auf seinen paradigmatischen Kern, den der NS in seiner Struktur von ihm übernommen hat (auch für ihn hat die „mechanische“, durch Äußerliches wie Interessen zusammengehaltene „Gesellschaft“ wieder eine „organische Gemeinschaft“ zu werden usw.), aber biologisiert, d. h. rassistisch umgedeutet hat. Das ergab einen tiefen Graben zwischen Konservativismus und NS, einen Graben, der in jeder sinnvollen ideologiewissenschaftlichen Ordnung beiden sehr verschiedene Orte zuweist, der aber für sehr viele konservative Menschen damals, bedingt auch durch die allgemeine Naturalisierung des Weltbilds, leicht übersteigbar, ja, oft gar nicht zu bemerken war: Millionen von Menschen, die überzeugte Anhänger der NSDAP waren, waren nach dem Krieg überzeugte Anhänger der konservativen Parteien und merkten selbst gar nicht, daß sich ihre „Weltanschauung“ geändert hatte – sie waren sich immer gleich geblieben, hatten nur in einigen eher oberflächlich-politischen Dingen ihre Meinung geändert („wir hätten nicht gleichzeitig im Osten und im Westen Krieg führen sollen“).

  11. Linke+Rechte Systemkritiker finden oft zusammen. Sanders-Unterstützer landen bei Trump, Unterstützer der Linken (einer Partei in Deutschland) landen bei der AfD.
    Dies schreibe ich aus Anlass des arxiv-Dokuments Will Sanders Supporters Jump Ship for Trump? Fine-grained Analysis of Twitter Followers
    Diese Analyse kommt aufgrund des Twitter-Verhaltens von Sanders-Followern zum Schluss:

    Building from a unique time-series dataset of the three candidates’ Twitter followers, which we make public here, we first study the proportion of Sanders followers who simultaneously follow Trump (but not Clinton) and how this evolves over time. Then we train a convolutional neural network to classify the gender of Sanders followers, and study whether men are more likely to jump ship for Trump than women. Our study shows that between March and May an increas-
    ing proportion of Sanders followers are following Trump (but not Clinton). The proportion of Sanders followers who follow Clinton but not Trump has actually decreased. Equally
    important, our study suggests that the jumping ship behavior will be affected by gender and that men are more likelyto switch to Trump than women.

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