Die Menschen hinter dem Geistigen

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Und noch ein Gedanke lässt mich in dieser fruchtbaren Nacht nicht los.

Im letzten Text habe ich die Frage nach dem Wie erwähnt: Wie manifestieren sich das Deutsche und das Jüdische? Haben wir hier mit “Kultur” zu tun? Mit Sprache? Geschichte? Historiographie? Geographie? Religion? Literatur? Symbole? Architektur? Staatlichkeit? Kunst? Kontroverse? Identität? oder einfach mit Veraltetem und Gewesenem?

Sowohl im Deutschen als auch im Jüdischen haben wir mit allen diesen Begriffen und vielen anderen zu tun (vieles habe ich auch schon hier im Blog besprochen, die oberen Links sind nur Beispiele). Aber wie steht es mit den Menschen? Schließlich fängt alles beim Menschen an.

Die Frage nach den Menschen wohnt natürlich allen anderen (nach der Kultur, der Kunst etc.) inne, aber ich will sie auch direkt ansprechen. Allerdings ist sie ziemlich heimtückisch, weil sie einen ganz leicht zum Rassismus verleiten kann. Es ist wohl unmöglich, auf diese Frage eine “klare” Antwort zu geben. Von Natur aus handelt es sich hier um sehr dünnes Eis, eher um Silhouetten als um Konturen.


Das Deutsche (als Konstrukt) verhält sich zu den Deutschen (als real Existierendem) wie das Jüdische zu den Juden: So nah wie nötig, so weit wie möglich.

Jeder Versuch, das Geistige am Körperlichen (rassistisch gesprochen: am “Blut”) festzulegen, ist daher zum Scheitern verurteilt – und dennoch geht es auch nicht ohne, sonst hätten wir es beim Deutschen und Jüdischen mit Totem zu tun wie im Fall des Römischen oder des Gallischen.

Es ist schließlich doch auch der lebende Volkskörper, der das Geistige trägt: Ohne Juden kein Jüdisches, ohne Deutsche kein Deutsches.

Es besteht also eine Relation, aber keine zwingende Abhängigkeit.

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

13 Kommentare

  1. Das Deutsche gibt es nicht ohne die Deutschen, das Jüdische nicht ohne die Juden. Doch im Alltag kann man schnell vergessen, dass man Deutscher oder Jude ist. Oder man will es gar nicht wissen, will vielleicht sogar wegkommen von einer solchen Zuordnung oder erkärt sie für unzeitgemäss.
    Nach dem was ich gelesen habe waren es gerade viele Juden, die ihr Judentum vor der Machtergreifung Hitlers und der NSDAP vergessen hatten oder es für unwichtig hielten. Erst das dritte Reich machte ihnen bewusst was es bedeutete Jude zu sein.
    Heute ist es eine verbreitete Haltung in Deutschland, das Deutschsein als unwichtig zu erklären. Was aber nicht heisst, dass es unwichtig ist. Es könnte durchaus eine Zeit kommen, in denen wieder viele Deutsche spüren, was es heisst Deutscher zu sein.

  2. Das Deutsche gibt es nicht ohne die Deutschen, das Jüdische nicht ohne die Juden. Doch im Alltag kann man schnell vergessen, dass man Deutscher oder Jude ist. Oder man will es gar nicht wissen, will vielleicht sogar wegkommen von einer solchen Zuordnung oder erkärt sie für unzeitgemäss. – richtig. Problematisch wird es erst dann, wenn man behauptet: “Weil ich keinen Wald wahrnehmen möchte, darf keiner Wälde wahrnehmen, geschweige denn, sich um seinen Wald kümmern.” Das ist ja das Problem mit Judith Butler. Keiner bestreitet, dass sie das Recht hat, *für sich* jegliche Form jüdischer Souveränität abzulehnen. Das Problem besteht darin, dass sie im Prinzip sagt: “weil es mir nicht passt, sollen auch die anderen darauf verzichten”.

    Nach dem was ich gelesen habe waren es gerade viele Juden, die ihr Judentum vor der Machtergreifung Hitlers und der NSDAP vergessen hatten oder es für unwichtig hielten. Erst das dritte Reich machte ihnen bewusst was es bedeutete Jude zu sein. – auch richtig. Ein Großteil der weißen Bevölkerung in den USA ist deutsch, aber wie viele von denen wollen sich noch als Deutsche verstehen?

    Heute ist es eine verbreitete Haltung in Deutschland, das Deutschsein als unwichtig zu erklären. Was aber nicht heisst, dass es unwichtig ist. Es könnte durchaus eine Zeit kommen, in denen wieder viele Deutsche spüren, was es heisst Deutscher zu sein. – im Laufe des 21. Jh. wird das deutsche Volk aus demographischen Gründen relativ stark dezimieren. Dann wird man sich neu- und zurückbesinnen.

    • In meiner Kindheit haben Zukunftsforscher den Mensch mit einer enorm hohen Stirn gesehen, weil das Gehirn aufgrund von … gewachsen ist 😉 Lange Zeit hat man dazu geschwiegen – aus Gründen die man auch hier im Scilog nachvollziehen kann!

      Vor Kurzem hat sich mal wieder einer getraut dies vor Kameras zu behaupten. Doch wie soll Mensch dies aus seiner systematisch-fachidiotischen Begrenzheit auf das herkömmlich-gewohnte Weltbild hervorbringen, wie den Horizont dafür überschreiten??? 🙂

      Mit einer konsequent-kompromisslosen Kommunikation OHNE Symptomatik in “Wer soll das bezahlen?” und “Arbeit macht frei”!!!

  3. Ich kann nicht für Juden sprechen, da kenne ich mich einfach nicht aus. Hab jedoch viele “Deutsche” in meiner Familie. Es fiele mir jedoch sehr schwer überhaupt zu definieren, was denn eine Deutsche, ein Deutscher sein soll? Pass, Sprach usw. werden es nicht sein. Kann man das definieren?

    • Genau um diese Frage dreht sich dieses Blog in den letzten Jahren. Für mich zumindest ist klar, dass dies, auch wenn irgendeine Definition überhaupt möglich sei, nicht vollends oder endgültig zu beantworten ist. Es bleibt immer irgendwie verschwommen, genauso wie “das Ende des Waldes”. Der Staat allerdings sieht es anders und will das Deutschsein rechtlich bzw. eindeutig definieren, was m. E. sinnlos ist.

  4. “Mit Sprache? Geschichte? Historiographie? Geographie? Religion? Literatur? Symbole? Architektur? Staatlichkeit? Kunst? Kontroverse? Identität? oder einfach mit Veraltetem und Gewesenem?” Ja, mit allem woraus die Dummheit von gleichermaßen Bewußtseinsschwäche gemeinsam lernen könnte weise zu werden! 🙂

    • Horst, ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber mir fällt es ziemlich schwer, deine Kommentare zu verstehen und ihre Bezüge zu meinen Texten nachzuvollziehen.

      • Wenn es dir wirklich nur “ziemlich schwer” fällt, dann solltest du konkret nachfragen – Wir sind alle im SELBEN Maß durchströmt vom Geist der “Gott” ist!

  5. “Die Menschen hinter dem Geistigen” – Mensch steht nicht hinter, sondern IM Geistigen, gleichermaßen durchströmt! Oder meinst du etwa eine Führung / einen Führungsanspruch der Hierarchie von und zu materialistischer “Absicherung”, die / den es SICHER nicht wirklich-wahrhaftig berechtigt gibt?!

  6. Das man sich als Jude auch etnisch und auch im Sinne eines Volkes definiert ist sicherlich auch eine folge des fürchterlichen Holocaust. Es gab starke Tendenzen in Europa sich nur noch religiös als Juden und sonst als Deutscher e.t.c zu definieren. Bei nichtreligiösen Familien gab es auch Tendenzen einer Assimilierung. Die Zionistische Bewegung war doch relativ klein und unbedeutend und ein Leben in einer Wüste und bettelarmen Landstrich sehr unattraktiv. Als Student analysierte ich die Volksabstimmung im Königreich Jugoslawien und dort fand ich einen Haufen Leute die bei Religion jüdisch/mosaisch hatten und bei Volkszugehörigkeit Serben (auch in Bosnien die meisten), Kroaten und Slowenen.

    Eine Ironie der Geschichte die Nationalbewegungen der Kroaten und der Serben (zu erwähnen ist bis 1866 war Belgrad eine weigehend muslimische Stadt und davor ein nicht kleiner Teil Zentralserbiens muslimisch) hatten immer versucht die Muslime zu assimilieren klappte nicht. Oder die Orthodoxen Einwanderer in Kroatien durch die kroatische Nationalbewegung und Kroaten in der Herzegowina und Dubrovnik durch die serbische. Die Juden wollte scheinbar niemand, selbst die großen serbischen Nationalisten des 19. Jahrhundert träumten vom Ideal des serbischen Volkes dreier Religionen. Aber Dositej Obradovic und Vuk Karadzic meinten dabei die orthodoxen, katholischen Christen und die Muslime und nicht die Juden. Aber genau bei denen scheint sich das was die Nationalisten der ersten Stunde für die anderen Nationen wollten zu passieren, also wenn man jemanden assimilieren will einfach nichts machen, so scheint es wie der Trend damals war.

    Bis der Zweite Weltkrieg alles änderte.

    • »Bis der Zweite Weltkrieg alles änderte.«

      Das ist genau die Frage. War die jüdische Assimilation ein realistisches, tragfähiges, beider- bzw. mehrseitiges Unterfangen, “bis der Zweite Weltkrieg alles änderte”?

      Oder war es eine einseitige Illusion, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg kein Echo fand?

      Die Antwort hast du, glaube ich, selber geschrieben. Weder in Serbien noch anderwärts, nicht einmal in Frankreich, war die jüdische Assimilation eine gemeinsame Vorstellung. Ja, viele Juden wollten sich assimilieren, viele Juden assimilierten sich auch, aber diese Assimilation war ein innerjüdisches Unterfangen, es war eine Assimilation, die in jüdischen Kreisen stattfand und kaum darüber hinaus.

      Der oben erwähnte Gerschom Scholem beschreibt im Rückblick seine assimilierte Familie, die nichts Jüdisches feiern wollte, aber nie wahrnahm, dass die Freunde, die zu Besuch kamen, stets Juden waren – freilich ebenfalls assimilierte Juden…

  7. disclaimer: ich finde Rassismus nicht weiter schlimm, und das blöde Getue darum geht mir auf die Nerven!
    .

    Folgendes bitte berichtigen, falls inhaltlich falsch:

    Die Zugehörigkeit zum Judentum wird doch mittels Stammbaum oder sogar Gentests bestimmt. Ich weiß nicht, warum Du das Judentum in den geistigen Raum verortest?!

    Das Judentum ist so konzipiert, das es de facto eine rassistische Organisation darstellt. Eine geschlossene Gruppe, die sich zur übrigen Bevölkerung abgrenzt. Das erfüllt doch die Definition oder nicht.

    Ich habe wie oben schon gesagt nix dagegen, man sollte natürlich sich darüber klar sein, das, wenn man denn so leben will, man dafür unbedingt ein eigenes Land benötigt. Als Minderheit sich so verhalten, das kann nicht gut gehen.

    Neulich wurde ein Text gepostet, wo behauptet wird, das Juden die ersten Rassisten in Europa waren. Erstaunlich! Erklärung: Es gab und gibt innerhalb der Europäischen Völker keinen Rassismus (wohl Nationalismus). Die einwandernden Juden im Mittelalter waren die ersten, die sich so verhielten! Damit werden die Antisemitischen Gesetze als Reaktion verständlich. Juden haben sich nicht nur abgegrenzt, sondern haben halt auch einen höheren IQ und stiegen auf. Das gefiel den Europäern nicht so gut. Ich fürchte, das ist nachvollziehbar. (Es rechtfertigt nicht Mord und Totschlag.) Zum Vergleich, es werden die Christen in Israel, da wo Juden die Mehrheit stellen, auch nicht allzu wohl gelitten. Man muss da einfach realistisch sein.

    Die Frage wäre, ob Rassismus objektiv sinnvoll sein kann. Ja, das kann mMn in speziellen Situationen sein. Dort, wo 2 sehr unterschiedliche Bevölkerungen aufeinander treffen (mir fiel als erstes Südafrika ein). Trifft aber auf Europa mMn nicht zu. Zwar haben Juden den im Schnitt höheren IQ, aber viele Europäer liegen ja im ähnlichen Bereich.

    Ich fürchte, die Juden haben sich abgegrenzt, weil die Rabbis ihnen rassistische Kackscheisse über die über die übrige Bevölkerung erzählt haben. Wie man das rechtfertigen will, weiß ich nicht. Es ist bis heute so, das in Israel Äußerungen fallen, die man schwer für möglich hält. Neulich meinte ein Minister (!), das sinngemäß “sogar schwule Juden höherwertiger” seien als Nichtjuden. Das ist schon mehr als krass. Warum sich alle über Putin aufregen, so etwas aber untern Tisch fällt, kann man nur vermuten.

    …Ich kann nur auf Basis dessen argumentieren, was ich weiß. Falls hier etwas nicht stimmt… Ich weiß z.b. nicht, wie viele Juden so prozentual außerhalb geheiratet hatten (Mittelalter). Soweit ich weiß, gab es sogar den Versuch der Zwangschristianisierung, der aber fehl schlug.

    Ich zeige in Richtung der Juden, weil Du immer in Richtung der Deutschen weist 😉

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