Aus- und Einbürgerungen im Spiegel der Zeit

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Die schleichende Masseneinbürgerung der Gegenwart findet im Schatten der nationalsozialistischen Massenausbürgerung statt; sie misst sich am damaligen Geschehen und hat bald bewusst, bald unbewusst das Ziel, das einstige Los deutscher Juden fürderhin unmöglich zu machen. Das ist ein hehres, aber gar nicht so einfaches Vorhaben.

Es gelte also, in Deutschland einen Volksbegriff einzuführen und durchzusetzen, der die anachronistische, sich jedoch verständlicherweise aufzwingende Prüfung bestünde, welche die Erinnerung an die Judenausbürgerung infolge der Nürnberger Gesetze darstellt. Daher müsse dem neuen Volksbegriff eine Auffassung des Deutschen zugrunde liegen, die auch die damaligen Juden einbezogen hätte.

So wird immer mehr auf ein technisches Verständnis ausgewichen: Die damaligen Juden seien Deutsche gewesen, weil sie Reichsbürger waren; ergo habe man heutzutage das Deutsche in gebührend aufgeschlossener, durchlässiger Weise aufzufassen, das deutsche Volk durch die Masseneinbürgerung bisher fremder, nunmehr deutscher Menschen zu bereichern, deren Papiere sie in Deutsche umwandeln sollen und Deutschland in eine Art Kanada, USA oder Australien, d.h. in ein so weitgehend liberalisiertes Land, in dem auch die damals Ausgebürgerten, wenn sie heute lebten, als Deutsche zählen würden und sich nicht fürchten müssten.

Ohne auf die Frage einzugehen, wie diese sichtliche Entwicklung zu bewerten ist und ob die USA wirklich eine Vorbildfunktion erfüllen können, finde ich diese Art Vergangenheitsbewältigung gerade vor dem Hintergrund ihrer historischen Treibkräfte ziemlich seltsam. Denn die damaligen Juden, die als "Deutsche mosaischen Glaubens" im Namen des deutschen Kulturbegriffs den französischen Nordosten verwüsteten oder anderwärts für Reich und Kaiser auf dem Felde der Ehre fielen, schöpften ihr Deutschtum keineswegs aus ihren "Pässen". Zum deutschen Volke zählten sie sich aufgrund ihrer tiefen, inneren, wenn auch tragischen Verbundenheit mit der deutschen Sprache, mit der deutschen Kultur, auch mit deutschen Sitten und Denkweisen.

Diese Juden – und ich rede hier natürlich verallgemeinert – hätten mit einem typischen Ostjuden wie mir nichts anfangen wollen. Diese Juden hätten aber auch mit der heutigen, quasi derenthalben geführten Einbürgerungspolitik nichts anfangen können. Diese Juden, die in Goethe und Schiller einen würdigen Ersatz für die sie vom restlichen deutschen Volke trennenden Religionsschriften erblickten, hätten die heutigen Kulturbereicherer von Marxloh und Neukölln nie als Ihresgleichen angesehen, um deren Einbürgerung man sich bemühen solle. Ganz im Gegenteil: Sie wären mit ihnen so verfahren wie mit den Juden aus Osteuropa, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. vor den Pogromen im Zarenreich fliehend gen Westen strömten und die die "Deutschen mosaischen Glaubens" großzügig nach Amerika fortschickten. Lieber sehr viel Geld auszugeben, als das deutsche Vaterland mit Ostjuden zu überfluten, welche die "Deutschen mosaischen Glaubens" für alles andere hielten als eine kulturelle Bereicherung (seinerzeit bangten sie um ihre Assimilation ins deutsche Volk, im Nachhinein jedoch retteten sie somit vielen Ostjuden und deren Nachfahren das Leben).

Das sei alles nur Denkstoff für alle, die versuchen, mit Hinweisen auf die damaligen Juden und deren Ausbürgerung für die heutige Einbürgerungspolitik zu argumentieren; angeboten von einem Ausländer, der dies auch bleibt und noch weiß, wo seine Heimat ist.

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

2 Kommentare

  1. Juden und der Hass der Deutschen auf die Welt

    Spontan fällt mir nur ein, dass die Idee die Einbürgerung von Beliebigen (Zitat: das deutsche Volk durch Masseneinbürgerungen bisher fremder, nunmehr deutscher Menschen zu bereichern,.. mit der Ausbürgerung (besser Ausschliessung) der Juden zu vergleichen, die Rolle der Juden zur Zeit des dritten Reichens vollkommen verkennt. Sogar den Nazis war bewusst, dass deutsches Theater, Kino, Verlagswesen, aber auch Bereiche der Wissenschaft wie Mathematik, Physik von deutschen Juden geprägt war. Wenn die Juden ausgebürgert oder vielmehr plötzlich ausgeschlossen wurden, dann wurde damit auch ein Teil der deutschen Kultur marginalisiert, ja eliminiert. Und das trifft ja auch zu, deshalb gab es ja den Begriff der entarteten Kunst und die Rückbesinnung auf völkische Wurzeln (deutsche Sagen, Runen, etc). Die Nazi-Herrschaft war auch ein Bruch mit der Moderne mindestens im kulturellen Bereich, denn die moderne Technik wurde ja weitergepflegt – als Waffen- und Kriegstechnik. Heute könnte man die Haltung der Nazis gegenüber der Moderne als eine Art Antiglobalisierungshaltung sehen, wobei die Juden das globale, jedenfalls Fremde und Verhasste repräsentierten. Doch auch die Franzosen waren Hassobjekte, jedoch hatten die (anfänglich) das Glück durch eine Grenze vom Reich getrennt zu sein.

    Es scheint zur Zeit des dritten Reiches einen Hass der Deutschen auf die ganze Welt (oder grosse Teile davon) gegeben zu haben und die Juden haben das am stärksten zu spüren bekommen. Insoweit leben wir jetzt wirklich in einer ganz anderen Zeit. Die Deutschen sind wieder dort wo sie sich immer gesehen haben: in einer bedeutenden Stellung innerhalb Europas. Grund zum Hass auf andere gibt es für Deutsche jetzt nur noch wenig.

  2. @ Martin

    Ich kann der Behauptung, der deutschen Judenpolitik zur NS-Zeit wäre nur ein Teilaspekt eines größeren Phänomens, zu dem auch die Wahrnehmung der Franzosen gehört hätte, sozusagen bloße eine quantitative Steigerung der Ressentiments gegen Frankreich gewesen, nicht zustimmen. Jetzt aber will ich keine Diskussion über das Phänomen des damaligen Judenhasses eröffnen.

    Außerdem verstehe ich nicht so ganz, wovon dein Einwand herrührt. Es ist ja nicht mein Ansatz, die heutige Fremdenpolitik mit der damaligen Judenausgrenzung, die ganz wesentlich auch in deren Ausbürgerung bestand, zu vergleichen. Mein Anliegen ist es, auf ein allgemeines Phänomen zu reagieren, nämlich darauf, dass die heutige Fremdenpolitik der Bundesrepublik stets vor dem Hintergrund der NS-Zeit verstanden, besprochen und betrieben wird. An diese Situation knüpfe ich mit meiner Rückbesinnung auf die damaligen Juden an, die oft als Argument im heutigen Diskurs herangezogen werden.

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