1871, 1938, 1989/90: Deutsche Vereinigungen im Vergleich

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Besser spät als nie: Zum 20. Jahrestag des grenzüberschreitenden Bekenntnisses zum deutschen Volke gebührt es sich (aus meiner Perspektive), darüber zu reflektieren, was für Unterschiede und Ähnlichkeiten die drei folgenreichen Nationalvereinigungen der jüngeren deutschen Geschichte im Vergleich miteinander aufweisen.
 
Gemeint sind damit die drei – wenn auch jeweils unterschiedlich andauernden – Erfolge der nationalstaatlichen Tendenz im deutschen Mitteleuropa, die auf das bedeutungsvolle Scheitern der bürgerlichen Revolution 1848/49 und deren pandeutscher Einheitsansprüche folgten: Die lange ausgereifte Gründung des "großpreußischen" Kaiserreichs am 18. Januar 1871; die verhängnisvolle Überwindung des seinerzeit knapp zwei Jahrzehnte alten Siegermächteverbotes, das Selbstbestimmungsrecht auf die Deutschen in Restösterreich anzuwenden, am 12. und 13. März 1938; sowie die nach vier Jahrzehnten nachgeholte Verwirklichung dieses Rechtes durch Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik.
 
 
I.
 
Es war ein kurvenreicher Weg, der zur letzten Vereinigung führte: Aus dem 1945 untergegangenen Deutschland gingen bald zwar drei unterschiedliche Staaten hervor, aber die Vorstellung von "Deutschland" konnte sich, obwohl wesentlich in den Hitler-Dekreten 1934 verankert, im Parlamentarischen Rat gegen die entgegengesetzte Vorstellung vom "Bund deutscher Länder" durchsetzen. In der Zweiten Republik Österreich hingegen bemühen sich die jüngeren Generationen um eine zwar zerbrechliche und widersprüchliche, aber nichtsdestoweniger ehrlich gewollte Konstruktion einer eigenen Nationalidentität, die sich im Laufe der Zeit als nachhaltig erweist; dies anerkennend, stütze Karl Dietrich Erdmann in der Vorwendezeit die deutsche Zeitgeschichte auf "drei Staaten, zwei Nationen, ein Volk". Der kurz darauf erfolgte Mauerfall sowie die damit zusammenhängende Auflösung der DDR, die Erdmann nicht mehr miterleben durfte, bekräftigten die Vorstellungen von "Deutschland" und "Österreich" zugleich: Der 1871 gegründete Nationalstaat überdauerte die Teilung an der Elbe, während die Grenze im Südosten diesmal doch standhielt und deren junge Bodenständigkeit nachwies.
 
Seit der letzten Vereinigung scheint die geopolitische Lage im deutschen Mitteleuropa nunmehr eine stabile Phase erreicht zu haben. Weitere Vereinigungen erscheinen äußerst unwahrscheinlich, zumal die bayrisch/bundesrepublikanisch-österreichische Grenze im neuen Rahmen der EU bereits sehr stark an Bedeutung verloren hat – und dies in Zukunft umso deutlicher tun wird, je tiefer der europäische Einigungsprozess fortschreiten wird.
 
 
II.
 
Die letzte Nationalvereinigung hatte mit jener vom März 1938 Einiges gemeinsam. So handelte es sich in beiden Fällen um eine Einverleibung eines bis dahin freilich großteils ungewollt und dennoch souverän bestehenden Staates durch einen größeren, wirtschaftlich wie auch politisch weitaus stärkeren Staat, der Anspruch darauf erhob, den deutschen Nationalstaat zu bilden. Und dennoch führte die Einverleibung in beiden Fällen nicht zur Ausgrenzung der "Hinzugekommenen"; der Apparat des nunmehr umso größeren Staates bediente sich der Einverleibten. Das gilt auch für die Spitze: Heute wird Deutschland von einer ehemaligen Mittel- bzw. Ostdeutschen geführt, das Großdeutsche Reich bekanntlich von einem ehemaligen Österreicher; ja, der gebürtige Braunauer war sogar vor der Wiedervereinigung mit seiner Heimat Reichskanzler…
 
Dass es sich in beiden Fällen um eine Einverleibung handelte, bedeutet auch, dass es dabei notwendigerweise zu einer Verringerung der Mehrstaatlichkeit kam, durch die sich das deutsche Mitteleuropa traditionell kennzeichnet (s. mehr dazu in diesem Beitrag). Dies wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass gerade die Reichsgründung von Januar 1871 mit keiner solchen Verringerung einherging; im Gegenteil: Die Souveränität der Mitgliedstaaten wurde, wenn auch in eingeschränkter Weise, nichtsdestoweniger beibehalten. Bis zu den Hitler-Dekreten 1934 konnte sie sich noch durchsetzen, worauf sich nach 1945 die Vorstellung vom "Bund deutscher Länder" stützte. Doch vergebens: Seit 1934 ist Deutschland kein Staatenbund mehr.
 
Eine weitere Ähnlichkeit geht aus der Behandlung des einverleibten Gebietes durch den einverleibenden Staat hervor: Sowohl die "Deutsche Demokratische Republik" als auch die "Republik Österreich" verschwanden aus der Landkarten, sobald Deutschland 1938 und 1990 den Anschluss vollzog. Mit diesem Schritt bekundete sich in beiden Fällen der Unmut eines sich für legitim haltenden Deutschland über die unerwünschte Existenz des in diesem Deutschland aufgegangenen Staat: zwei Jahrzehnte Republik Österreich, vier Jahrzehnte DDR sollten somit überwunden werden. Darauf folgte zudem sowohl im österreichischen als auch im DDR-Fall eine verwaltungstechnische Neuaufteilung des einverleibten Gebietes.
 
Doch die größte Ähnlichkeit taucht erst auf, wenn man den Blick auf die Volksmasse richtet. Sowohl die Vereinigung von 38 als auch jene von 89/90 wurden vom einfachen Volk getragen, dessen Freude über das Geschehene als Sinnbild für beide Entwicklungen in die Geschichte einging. Am 15. März 1938 und am 9./10. November 1989 wurden auf dem Heldenplatz in Wien bzw. am Brandenburger Tor in Berlin – wie auch an zahlreichen anderen Schauplätzen – Zehntausende Zeitzeugen von ekstatischer Euphorie überschwemmt. Eine Massenerscheinung, ohne die die deutsche Geschichte sich in beiden Fällen wohl anders entwickelt hätte.
 
Und schließlich gab es in beiden Fällen auch starke Männer, die die Vereinigung zielstrebig zu erreichen wussten – und dafür vom Volk bejubelt wurden.
 
 
III.
 
Auch zur ersten Vereinigung vom Januar 1871 weist die Vereinigung von 1989/90 Affinitäten auf. In beiden Fällen ging dem amtlichen Vollzug der Vereinigung eine lange Entwicklung voraus. Dies unterschiedet beide wiederum von der Vereinigung vom März 1938, die zwar auch eine ziemliche Vorgeschichte hatte, doch im Endeffekt mit einem Schlag in Erfüllung ging.
 
Auch in anderer Hinsicht verdeutlicht Österreich auf eine "negative" Art und Weise die Verbindungen zwischen 1989 und 1871, denn Letztere gingen beide beachtenswerterweise ohne Österreich vonstatten. Beides war in seiner jeweiligen Zeit, an seinem jeweiligen Punkt in der deutschen Geschichte, eine Antwort auf die deutsche Frage, und in beiden Fällen wurde diese Frage – im Gegensatz zu 1938 wie auch zur bürgerlichen Revolution 1848 – eben unter Ausschluss Österreichs beantwortet.
 
Doch es gibt noch etwas, was 1989 mit 1871 verbindet. Es ist der 9. November. Manche halten es für einen Zufall, ich jedoch möchte darin den hegelschen Weltgeist erblicken: Der 9. November war ja der Tag, an dem das Schicksal des 1871 gegründeten Kaiserreichs 1918 besiegelt wurde (davon leiteten die frühen Nationalsozialisten absichtlich den 9.11.1923 ab – und 15 Jahre später, natürlich ebenso absichtlich, auch die Reichskristallnacht). Aber die deutsche Geschichte wollte es dann so, dass der nationalstaatliche Geist, der die erste Vereinigung von 1871 zustande gebracht hatte, gerade an diesem Tag, an dem das Reich von 1871 seinen Geist aufgegeben hatte, die letzte Vereinigung zum Durchbruch verhalf – und somit die 1871 erstmals verwirklichte Idee vom Nationalstaat "Deutschland" in den aufgesperrten Grenzübergängen wieder erglühen ließ.
 
 
IV.
 
Die Ereignisse vom 9.11.1989 weisen aber im Vergleich mit den früheren Vereinigungen auch wesentliche Unterschiede auf, die ihrerseits wiederum 1871 mit 1938 verbinden. Im Gegensatz zu diesen beiden Präzedenzfällen, die – bei aller Unterstützung durchs Volk – unterm Strich doch von oben dirigiert wurden, war der Mauerfall – ob wir ihn auf Günter Schabowskis Irrtum zurückführen oder auch nicht – in seiner verwirklichten Form nicht von der politischen Elite beabsichtigt: weder von jener der BRD noch von jener der DDR. Und während 1871 und 1938 sich jeweils als ein maßgeblich von einem spezifischen Staatsmann (Bismarck bzw. Hitler) geführtes Werk charakterisieren lassen, hatte die Entwicklung von 1989/90, bei allem Respekt vor Günter Schabowskis "Beitrag", bekanntermaßen viele Väter, die teils mehr, teils weniger bekannt sind.
 
Einen anderen Unterschied stellt die Rolle des Militärs dar: Auch wenn es nicht die Gewalt war, die zum 18. Januar 1871 bzw. 12. März 1938 jeweils geführt hatte, sondern vielmehr ein breiter Konsens in der Volksmasse, trugen sich 1871 und 1938 doch unter Mitwirkung des Militärs zu, das eine wichtige Rolle (Krieg gegen Frankreich, Absetzung des Austrofaschismus) an der Vollziehung des Prozesses spielte. Demgegenüber gingen die Ereignisse von 1989/90 ohne militärische Aktionen einher.
 
 
V.
 
Kein Abschluss ohne auch darauf hinzuweisen, was allen drei Entwicklungen gemeinsam war: Trotz aller Bedeutung, die in der deutschen Geschichte – ob im Alten Reich, der Habsburgermonarchie oder zu republikanischen Zeiten – jahrhundertelang der Stadt Wien vorbehalten war und ist, nahmen die Abläufe aller drei Vereinigungen, die auf das einschneidende Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung folgten, von Berlin aus ihren Anfang. Seitdem die Habsburger sich der Herausforderung von Frankfurt nicht gewachsen zeigten, rückte der Geist der deutschen Geschichte seinen Lichtstrahl immer mehr gen Norden.
 
Was 1871 – für deutsche Verhältnisse mithin relativ spät – mit einem erstmaligen Reich ohne Österreich anfing, 1918 von den Siegermächten aufgezwungen und 1938 doch rückgängig gemacht werden sollte, wurde 1989 besiegelt, als aus den drei Nachfolgestaaten des letzten Reiches nur noch zwei wurden, aber eben nicht einer. Die Epoche der Aufsplitterungen und Vereinigungen ist vorbei; und die deutsche Geschichte bleibt, wie sie fast immer war, auch in Zukunft mehrstaatlich. Wie es sich gebührt.

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

16 Kommentare

  1. anzufuegen waere noch, das jener vereinigung von 1871 ganz sicher die kriege gegen daenemark 1864 und gegn oesterreich 1866 zuzurechnen sind, die proklamation des kaiserreiches zu dem nach einem krieg gegn frankreich 1870/71 erfolgte … 1938 als eine vereinigung zu bezeichnen halte ich trotz der erwaehnten massenbegeisterung von wien und berlin … Read Morefuer gewagt angesichts des unterschiedes der jeweiligen entwicklung danach. zudem stand die vereinigung mit oesterreich 1938 auch unter dem nazi-slogan “heim ins reich” dem auch das sudetenland der ehemaligen CSR zum opfer fiel … hinzu kommt vielleicht, dass deutschland in folge zweier kriege die es angezettelt und verbrochen hatte auch territorial reduziert wurde (1918 und 1945) … interessant waere vielleicht auch einmal eine betrachtung zur entwicklung der politischen landkarte europas unter der determination einer bis 1871 nicht existenten geschlossenen deutschen staatlichkeit und der entsprechenden auswirkungen danach … aber unter dem gesichtspunkt wie du habe ich die politische landkarte deutschlands noch nicht so oft betrachtet und es gefaellt mir … jeden falles hat 1989 dabei fuer mich die herausragende bedeutung … hier wurde vielleicht das erste mal den heren traeumen der 1848/49er revolution ein konkretes staatgebilde gerecht … aber auch das ist gewagt.

  2. Da sprichst du ganz viel an… Wovon ich mich auf zweierlei beziehen möchte:

    1866 fand kein Krieg gegen Österreich statt, sondern einer von Preußen und dessen Verbündeten gegen den *Deutschen Bund* (in dem Österreich noch die Präsidialfunktion innehatte). Von daher ist die Zurechnung von diesem deutsch-deutschen Krieg oder vom österreichisch-preußischen Krieg gegen Dänemark, wie diese sich etwa an der Berliner Siegessäule manifestiert, m. E. als preußische Propaganda zu bezeichnen… Die Bedeutung von 1870-71 hingegen besteht darin, dass hier die drei (aus kleindeutscher Sicht) “süddeutschen” Staaten mit dem Norddeutschen Bund kooperierten (1866 kämpften sie noch als Teil des Deutschen Bundes gegen Preußen).

    Was das Sudetenland etc. angeht, nun, da war nach dem ersten Weltkrieg kein deutscher Staat mehr, von daher kann es 1938 auch keine “Vereinigung” gegeben haben. Und dass das Sudetenland dem Reich “zum Opfer gefallen” wäre, davon kann wohl keine Rede sein. Du hast aber das Wort “auch” benutzt, womit ein Bezug zum österreichischen Präzedenzfall hergestellt wird: Ob die als Deutschösterreich ins Leben gerufenen Republik dem Reich zum Opfer fiel? Vielleicht, aber genau so ist ja auch die DDR der ausgesprochenen Expansionspolitik der BRD zum Opfer gefallen. Demgegenüber sind weder die Deutschen in Restösterreich noch jene in Mitteldeutschland den Deutschen im Hauptstaat zum Opfer gefallen, abgesehen von den Austrofaschisten und Teilen der SED-Nomenklatura.

  3. @ Yoav Sapir

    “Vielleicht, aber genau so ist ja auch die DDR der ausgesprochenen Expansionspolitik der BRD zum Opfer gefallen.”

    Das kann so nicht stehen bleiben. “Kommt die D-Mark nicht zu uns, so gehen wir zur D-Mark” -das war auf den Plakaten zu lesen. Es war schlicht die Angst die zur schnellen Einheit führte und nicht eine Expansionspolitik.

  4. @ Dietmar

    Natürlich gab es unter den Bürgern der DDR auch eine wirtschaftliche Motivation zum Aufgehen ihres Staates in der BRD. Aber das betrifft doch nicht die Positionen der BRD, die – von Hallstein über Brandt bis hin zu Kohl und Strauß – bei allen Variationen in der DDR doch immer ein Problem erblickte, das notfalls geduldet, bestenfalls aber von Grund auf gelöst werden musste.

    Ich darf aus dem Grundgesetz der BRD zitieren (in dessen alter Fassung):

    Die Präambel:

    “Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, deren mitzuwirken versagt war. Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.

    Art. 23: “Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.

    Es war also schon aus rechtlichen, geschweige denn politischen Gründen unmöglich, die Existenz der DDR wahrhaft zu akzeptieren und den Anspruch auf die Gebiete östlich der BRD aufzugeben (selbst auf die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze wurde erst im Rahmen der Wiedervereinigung endgültig verzichtet). Damit wären wir jetzt beim Beschluss des Bundesverfassungsgericht zum Grundlagenvertrag 1973 und dessen Feststellung:

    “Die Deutsche Demokratische Republik gehört zu Deutschland und kann im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden.” (aus: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv036001.html#Rn078)

    Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

  5. @ Yoav Sapir

    Die Bundesrepublik trat 1945 de jure die Nachfolge des Deutschen Reiches an. Was ist daran verwerflich? Die DDR hat sich unrühmlich davor gedrückt -sie sah sich an der Seite des “Großen Bruders” -verdrängte alles, was war. Der Wunsch zur Einheit, der der Vater des Gedankens war und im GG seine Entsprechung fand, war Ausdruck einer Sehnsucht, die 1841 in Worten ihren Anfang nahm.

  6. @ Dietmar

    “Die Bundesrepublik trat 1945 de jure die Nachfolge des Deutschen Reiches an.” – Du meinst wohl 1949.

    “Was ist daran verwerflich?” – Nichts; es ging doch darum, ob die BRD der DDR gegenüber eine (bald explizite, bald implizite) Expansionspolitik trieb, was ich anhand der obigen Zitate untermauern wollte.

    Die DDR war als Nebenstaat in den Augen des seinerzeitigen Hauptstaates (wie auch in den Augen der meisten DDR-Bürger selbst) nicht legitimer als Restösterreich in reichsdeutschen Augen von 1919 bis 1938 (wie auch in den Augen der meisten Deutschösterreicher selbst).

    Unterm Strich war den Deutschen in beiden Fällen und auf beiden Seiten der jeweiligen Grenze (zur jew. Zeit) die vom deutschen Hauptstaat getrennte Existenz Restösterreichs bzw. der DDR von außen bzw. von fremden Siegermächten aufoktroyiert.

  7. @ Yoav Sapir

    Noch genauer: 1948. Egal. Über Österreich will ich nicht sprechen, auch über die drei “Einigungskriege” nicht. Damals von 64-70/71 herrschten Monarchien -mit ihren Befindlichkeiten. Bedenke doch, daß es nach heutigen Maßstäben lächerlich erscheint, über Krieg und Frieden zu entscheiden in der Abhängigkeit, wer in Spanien regiert(->Emser Depesche). Ansonsten haben die Mütter und Väter des GG einer Sehnsucht entsprochen. Mehr wollte ich gar nicht sagen. Natürlich waren de facto alle von einer ewigen Teilung überzeugt -nicht nur Honecker, der die Mauer noch in hundert Jahren vor sich sah. Schön, daß die Geschichte ihre eigene Dynamik hat!

  8. natuerlich waren die kriege von 1864 u. 1866 eher kriege der deutschen staemme untereinander, aber durchaus auch im kontext der zu erwartenden reicheinigung unter preussens hegemonie zu sehen … ich gebe dir recht das sudetenland war kein eigenes territorium und mir ging es auch eher um die komponente des “heim ins reich” um einen bezug zur vereinigung mit oessterreich herzustellen … die groessten probleme habe ich dabei aber mit der begrifflichkeit vereinigung, aber das ist das problem der vergleichenden historie dass sie oft nur ueber solche begriffe zu schluessen gelangen kann, die komplexitaet der erignisse diese aber sofort wieder zur disposition stellt … das war meine absicht, denn einfach nur gut heissen geht bei mir nur schwer … bis zum naechsten kommentar
    andreas

    p.s.: als ehemaliger ostdeutscher habe ich mir deine arbeit ueber den ostdeutschen film und seinen umgang mit den juden heruntergeladen und werde ihn lesen … danke

  9. Rechtsnachfolge

    Natürlich ist es ausdrücklich *falsch*, bei der Bundesrepublik Deutschland dahingehend zu sprechen, sie hätte die juristische Nachfolge des Reiches angetreten. Dies war weder 1949 noch 1990 der Fall gewesen; denn, die Bundesrepublik Deutschland ist nach herrschender Lehre seit jeher als Staat und Völkerrechtssubjekt identisch mit dem Norddeutschen Bund von 1867 und dann dem Deutschen Reich von 1871. Diese Auffassung wird inzwischen, spätestens 1990, auch einhellig von Drittstaaten vertreten und ist war auch nach gängiger Staatenpraxis. An anderer Stelle ist anzumerken, dass sich die Republik Österreich nicht als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches betrachtet (so auch die überwiegende Auffassung nach der Staatenpraxis), sondern 1945 in seinen Grenzen von 1938 wiedererrichtet wurde; gleichwohl “die staatliche Existenz Ö.s im Jahre 1938 effektiv beendet worden ist” (zit. n. Zimmermann, Staatennachfolge, S. 48 f.). Es entstand folglich juristisch kein neuer Staat, sondern die Zweite war mit der Ersten Republik identisch.

  10. Korrektur…

    Bei einem Satz im letzten Kommentar ist mir leider ein kleiner Flüchtigkeitsfehler unterlaufen: Der entsprechende Satz muss lauten: “Diese Auffassung wird inzwischen, spätestens 1990, auch einhellig von Drittstaaten vertreten und hat sich in der Staatenpraxis durchgesetzt.”

  11. @ Benatrevqre

    Danke für deine Kommentare; da es inzwischen aber knapp ein Jahr her ist, dass ich hier diesen Text veröffentlicht habe, ist mir der Bezug deiner Kommentare zu meinem Text nicht ganz klar.

    Ferner kommt es mir so vor, als ob du das Deutsche Reich vor Hitler juristisch vom Deutschen Reich zur Zeit Hitlers trennen möchtest. Aber vielleicht ist bei mir ein falscher Eindruck entstanden.

    Ohnehin ist es ein historischer Text und in historischer Hinsicht ist die BRD ein deutlicher Nachfolgestaat – im Gegensatz zum eigenen Alleinvertretungsanspruch jedoch kein einziger, denn aus dem 1945 untergegangenen Reich sind bekanntermaßen drei Staaten hervorgegangen, allesamt auf seinem Restterritorium.

    An dieser historischen Entwicklung vermag nicht einmal die berühmte Lebenslüge eines “wiederhergestellten” Österreich etwas ändern, in dem noch um die Jahrtausendwende, zur Zeit der brennenden Restitutionsfrage, Recht und Gerechtigkeit zwei unterschiedliche Sachen waren.

    Dass die BRD (wohl gerade aufgrund und zur Durchsetzung des Alleinvertretungsanspruchs) schon sehr früh ihre Verantwortung als Nachfolgestaat anerkannte, trug und trägt sehr viel zur Vergangenheitsbewältigung bei.

  12. Benatrevqe

    Hallo Yoav,

    du begehst leider einen schweren Fehlschluß: Das Deutsche Reich ist eben 1945 gerade nicht untergegangen, sondern zusammengebrochen; der Staat existiert in Form der Bundesrepublik bis heute ungebrochen. Lediglich die DDR postulierte sich als Nachfolgestaat (nicht aber die Bundesrepublik!). Doch die Auffassung der DDR – und damit die der Sowjetunion zusammen mit der des Ostblocks – konnte sich in der internationen Staatengemeinschaft nicht durchsetzen. Nähreres erfährt du in jedem Lehrbuch zu Staats- und Völkerrecht. Und natürlich ist das Deutsche Reich vor und nach Hitler mit sich identisch, schließlich haben weder Regierungsform noch -system etwas mit dem Staat im völkerrechtlichen Sinne zu tun. Die Bundesrepublik Deutschland wurde mit der FDGO und dem Grundgesetz sowie auch vieler Nachfolgeinstitutionen staatsrechtlich neuorganisiert und kann in dieser Hinsicht (!) zweifellos geschichtwissenschaftlich als ein neuer Staat betrachtet werden, aber eben nicht als neues Völkerrechtssubjekt; die Bundesrepublik trat also juristisch keine (!) Nachfolge des Reiches an, sondern blieb bis 1990 völkerrechtlich teilidentisch. Seit dem Beitritt der DDR ist die Bundesrepublik nun subjektidentisch mit dem Reich geworden. Das heißt, das Deutsche Reich (seit 1945 als “Deutschland als Ganzes” bezeichnet), dass bis 1990 in seinen Grenzen vom 31.12.1937 als gemeinsame dt. Nation begriffen wurde (die Bundesrepublik und DDR versammelten sich also unter einem gemeinsamen “Reichsdach”) besteht seit der deutschen Wiedervereinigung im vereinten Deutschland – der Bundesrepublik Deutschland – fort. Siehe hierzu z.B. Schweisfurth, “Völkerrecht”, Rn 213 (siehe Webseite).

  13. Fortsetzung

    Die Bundesrepublik trat gerade eben nicht als Nachfolgestaat in die Wiedergutmachung ein, sondern weil sie sich als Staat identisch (!) mit dem Reich verstand und diese Auffassung – wie bereits geschrieben – während der Dt. Teilung überwiegend, aber spätestens seit dem 3.10.1990 juristisch ganz herrschend sowie nach der Staatenpraxis international anerkannt ist. Die Nachfolgethese hat sich also nicht durchgesetzt und fußt auch allgemein auf allerlei unbewiesener Annahmen.

  14. @ Benatrevqe

    Gut, nur dann ist die BRD im historischen Sinne ja erst recht ein Nachfolgestaat. Denn warum würde man sich eines schweren Erbes bemächtigen wollen, es sei denn, man ist aus eben diesem Erbe entstanden? Ich hoffe, du verstehst, dass das mit der Identifikation nichts zu bedeuten hat außerhalb des juristischen Binnendiskurses.

    Da es also außerhalb der juristischen Theorie sowieso keine solchen Identifikationsbestände gibt, stellt sich die BRD mit dem Anspruch auf eine solche (wie auch immer eingebildete) Identifikation in die Tradition des de facto sehr wohl untergegangenen Reichs und wird auch (aber nicht nur) aus diesem Grunde zu einem der drei Nachfolgestaaten.

    Ich habe bis heute recht viel (vielleicht zu viel) mit Juristen und Rechtsphilosophen zu tun gehabt und weiß inzwischen, wie schwer es ihnen und ihresgleichen fällt, zwischen ihrer Fachsprache und der sonstigen Welt zu differenzieren. Anders formuliert: Wenn man von der Fakultätsbibliothek auf die Straße guckt, soll man besser mehr wahrnehmen als nur Rechtssubjekte und Rechtsobjekte.

    Recht ist, genauso wie Geschichte oder Kunst, eine Konventionssache, mehr nicht. Die Gültigkeit bzw. Durchsetzbarkeit eines gesamten Rechtssystems oder einer spezifischen Rechtsauffassung hängt schließlich von ganz anderen, weil eigentlich nichtjuristischen Sachverhalten ab, nämlich von den realen Machtverhältnissen, wie im von dir angeführten Beispiel der Ostblockauffassung. Man kann auch sagen: Recht ist eine Fiktion, die durch die Menschen allerdings wirksam wird (oder nicht, je nach Machtverhältnissen). Darüber habe ich mal auch geschrieben: http://www.chronologs.de/…cht-zu-wackeln-beginnt

  15. Recht entwickelt sich…

    Auch Recht unterliegt einem steten Wandel. Nicht umsonst hat sich die Identitätstheorie deshalb durchsetzen können, weil alle normativen wie auch alsdann realen Voraussetzungen dies zuließen. Es dabei nur auf eine Rechtsfiktion zu reduzieren, greift ein wenig zu kurz, denn schließlich zielt auch die Wirklichkeit darauf ab, wenn etwa auf die “Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge” (Andreas Zimmermann) – also die Weitergeltung von aus völkerrechtlichen Verträgen im erwachsenen Rechte und Pflichten, an die sich entweder ein Neustaat gebunden fühlt oder eben ein fortbestehender Staat gebunden bleibt, will er seiner Verantwortlichkeit gerecht werden – abgehoben wird. Denn letztlich ist dies entscheidend.

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