»Hannas Reise« und worauf es wirklich, aber nicht nur ankommt

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Im letzten Text habe ich unter anderem die Unmöglichkeit eines wahrhaft deutsch-jüdischen Daseins seit 1945 bzw. 1933 erwähnt, die schließlich auf den Holocaust zurückgeht, welcher uns voneinander trennt, aber “auf eine paradox-dialektische Weise” auch eint.

Zufälligerweise ist mir dieses Thema heute wieder begegnet, und zwar in Gestalt eines neuen Films namens “Hannas Reise”, den ich noch nicht gesehen habe, dessen Trailer jedoch viel zu versprechen scheint. In den ersten beiden Sekunden bekommen wir die einzige Straße Berlins bzw. “Germanias” zu sehen, die bis heute noch so dekoriert ist und so aussieht, wie Hitler es wollte und Speer sie gestaltete. Die Vergangenheit lässt zunächst mal grüßen. Erst dann lernen wir Hanna kennen.

Hanna ist eine junge Frau, die sich selbst als “Deutsche” definiert und für ein Jahr oder so nach Israel geht, aber nicht von Israelis spricht, sondern von “Juden” (darf man das? was ist mit den zahlreichen arabischen Israelis?). Somit ist der hermeneutische Zusammenhang erst mal gegeben. Bereits die ersten Sekunden des Trailers führen uns ins Herz der deutsch-jüdischen Dichtomie.

Worin besteht dieser Zwiespalt? Es geht hier notabene nicht darum, worin das Jüdische oder das Deutsche “schlechthin” bestehen, sondern eben um die Diskrepanz zwischen den beiden, die uns, wie im letzten Text besprochen, einerseits voneinander trennt, aber gerade deshalb, also paradox, auch zueinander führt. Worin besteht diese Diskrepanz? Dieser Trailer gibt uns darauf eine Antwort:

http://www.youtube.com/watch?v=6jlf15sV3GU

Es geht natürlich um den kurzen, aber wohl wichtigsten Dialog, der zwischen 0:26 und 0:32 spielt:

»Hast du ein Problem mit mir, weil ich Deutsche bin?«

»Hey, ihr habt nur sechs Millionen meiner Leute umgebracht […]«

In diesen kurzen Zeilen steckt, dünkt mich, die ganze Wahrheit, die Unmengen an politisch korrekten Texten, die von “Staatsvölkern” und ähnlichem Quatsch reden, in den Schatten stellt. Denn die Frau bezeichnet sich selbst nicht als Europäerin, auch nicht als “deutsche Bürgerin” oder so etwas, sondern stellt sich ganz klar in die Tradition des hier oft besprochenen Deutschen.

“Ganz klar” schreibe ich, weil ihr jüdischer Gesprächspartner sofort kapiert, was sie damit sagen will. Wäre er ein Kommentator auf Scilogs, würde er sie wohl erst mal fragen müssen, wie sie es denn meint und welche Rolle er ihrem Reisepass beimessen soll etc. Aber das tut er natürlich nicht, denn sein nicht von PC durchwühlter, noch gesunder Menschenverstand hat ja schon kapiert, worum es geht – ganz eindeutig nicht um die “Bundesrepublik”, nicht um ihre Staatsangehörigkeit, geschweige denn um seine.

Wenn er also “ihr” sagt, so meint er damit nicht die Staatsangehörigen der Bundesrepublik, sondern die Deutschen, eine mit dem Staatsvolk nicht deckungsgleiche Größe. Und wenn er von “seinen Leuten” spricht, meint er damit natürlich nicht die Israelis im Sinne der Staatsangehörigkeit. An die arabischen Israelis denkt er überhaupt nicht. Er meint die Israelis im Sinne Israels, also im Sinne des jüdischen Staats.

Ja, er meint damit ganz einfach die Juden. Und es ist ganz egal, ob die Juden, allgemein gesprochen, alle Staatsbürger des jüdischen Staats sind oder nicht (denn es gibt keinen anderen jüdischen Staat). Natürlich sind sie es nicht alle, natürlich gibt es auch Juden, die nichts mit Israel zu tun haben wollen, aber darauf kommt es, wenn man tacheles redet wie diese beiden, nicht an. Es ist ihm, wenn man ganz offen und direkt miteinander spricht wie hier, ebenso egal wie ihr, die ja schon ganz am Anfang von “Juden” gesprochen hat anstatt von Israelis.

(Nebenbei bemerkt: Das mit “seinen Leuten” bzw. den “[sechs Millionen] meiner Leute” ist einfach schlechtes Deutsch und klingt furchbar, ungefähr wie “six millions of my folks” or “of my buddies” auf Englisch. Ich wette, dass es im englischen Original “[six millions] of my people” heißt, was in diesem Zusammenhang sinngemäß mit “[sechs Millionen] meines Volkes” hätte übersetzt werden müssen. Dass die deutsche Sprache in diesem Unsatz trotzdem vergewaltigt wurde, wird wohl ein weiteres Beispiel für den tatsächlichen Einfluss der politischen Korrektheit gewesen sein.)

So zeigt sich hier ganz wunderbar die “Leber”, die ich im letzten Text als Sinnbild ausgewählt hab. Wir sind über die Leber, über die Bewältigung gemeinsamer Giftstoffe, miteinander verbunden. Das Deutsche für sich ist ein ganzer Körper, ebenso wie das Jüdische – weder das eine noch das andere lässt sich auf das Gift, auf den Holocaust reduzieren. Doch Das Deutsche im Kontakt mit dem Jüdischen bedeutet – nicht nur, aber zuallererst – eben diese historisch-geistigen Giftstoffe. Und auch dem Jüdischen tut es im Kontakt mit dem Deutschen zunächst in der Leber weh.

Das Problem ist, dass dies alles sehr verschwommen ist. Wir reden hier über Wälder, die wir wahrnehmen, aber nicht ganz genau definieren können. Oft neigen wir dazu, das Jüdische aus der Perspektive des Deutschen oder das Deutsche aus der Perspektive des Jüdischen zu betrachten. Wie denn sonst? Und es stimmt, dass diese gestern, heute und wohl auch morgen noch freilich nicht die einzige und dennoch die wichtigste Perspektive auf den bzw. das jeweils Andere ist. Aber das Bild, das aus dieser »Perspektive der Leber« entsteht, bildet, so wahr und so tief es zweifelsohne ist, doch nur einen Teil des Ganzen. Es ist zwar ein wichtiger Teil, ein absolut notwendiges, ja unentbehrliches Organ – aber eben nur die Leber, nicht der ganze Körper.

Nun möchte meine deutsche Verlobte, dass wir unbedingt zu diesem Film gehen. Und was die Frau befiehlt, dem folgt der Mann – bei uns gibt es nämlich nur einen Führer.

 

PS.

Apropos “Sühnesex” und überhaupt diese Art der paradox-dialektischen, deutsch-jüdischen Verbindung bzw. Kontakte möchte ich auf diesen Text von Anna Rau hinweisen, den ich, übersetzt natürlich, auch in unserem hebräischen Stadtmagazin in Berlin veröffentlicht hab und der, wie ich von der Autorin höre, demnächst auch auf Deutsch bei der Zeit erscheinen soll.

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

9 Kommentare

  1. Moin !
    Im Moment mein Lieblingsblog hier. Hilft mir beim Nachdenken über Jüdisch und Deutsch (und Dänisch) …
    Der pc-durchwühlte Isí

  2. “In diesen kurzen Zeilen steckt, dünkt mich, die ganze Wahrheit, …”

    Heh, ich sehe darin VOR ALLEM das dramatische Dilemma der multischizophrenen Bildung zu systemrationaler Suppenkaspermentalität auf stets zeitgeistlich-reformistischer Schuld- und Sündenbocksuche, also wieder nur Symptomatik des geistigen Stillstandes seit der “Vertreibung aus dem Paradies”!

    • Die Wahrheit wird erst ganz, also wirklich-wahrhaftig, eindeutig-zweifelsfrei und “gott”gefällig wie menschenwürdig, wenn die systemrationale Spaltung beendet wird! 😉

  3. Auf jeden Fall privat alles Gute!
    BTW, der Schreiber dieser Zeilen war vor ca. 30 Jahren zu Besuch in Israel und hat sich trotz vglw. solider Vorbildung und weitgehend frei von “Antizionismus” politisch nie so blamiert.
    U.a. hat die versuchte Unterscheidung zwischen Juden als Volk, Juden als Volksgemeinschaft und Israelis den einen oder anderen Tiefpunkt gesetzt, lol.

    MFG
    Dr. W

  4. Pingback:Queer History – revisited › un/zugehörig › SciLogs - Wissenschaftsblogs

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