Es geht nicht nur um Klimaschutz! Der Vorschlag von Businesseurope für die europäische Energie- und Umweltpolitik im Jahr 2030 greift zu kurz.

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Grenzgänger zwischen den Disziplinen
Umweltforsch

von Paul Lehmann, Erik Gawel und Sebastian Strunz

Die EU hat sich für das Jahr 2020 drei klare Umweltziele auch für den Energiesektor gesetzt: Die Treibhausgasemissionen sollen im Vergleich zum Jahr 1990 um 20% reduziert werden, der Anteil erneuerbarer Energiequellen am Gesamtenergieverbrauch soll auf 20% steigen, und die Energieeffizienz soll sich um ebenfalls 20% verbessern. Noch ist nicht klar, ob diese Ziele tatsächlich erfüllt werden. Doch schon jetzt macht sich die Europäische Kommission Gedanken, wie es danach weitergehen soll. Welche klima- und energiepolitischen Ziele sollen bis 2030 erreicht werden? Sind wirklich drei parallele umweltpolitische Ziele für den Energiebereich von Nöten? Mit welchen Instrumenten können diese Ziele am besten erreicht werden? Und welche Auswirkungen sind dabei für Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in der EU zu erwarten – gerade in Zeiten der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise? Diese Überlegungen hat die Europäische Kommission jüngst in einem Grünbuch zusammengefasst.

Recht klare Antworten darauf hat soeben Businesseurope, der europäische Dachverband der Arbeitgeber vorgelegt.  Die Botschaften der Industrievertreter sind deutlich: Drei parallele umweltpolitische Ziele im Energiebereich seien zwei zu viel. Die EU solle sich auf das angeblich eigentliche Ziel, die Reduzierung der Treibhausgasemissionen, konzentrieren. Zur Erreichung dieses Ziels sollte allein der europäische Emissionshandel zum Einsatz kommen. Zusätzliche Ziele und entsprechende Instrumente zur Förderung von Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz – wie etwa das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – schränkten die Marktakteure bei ihrer Suche nach möglichst günstigen Wegen zur Emissionsvermeidung nur unnötig ein. Folglich erhöhe ein Ziel- und Maßnahmenbündel im Zweifel immer die Kosten des Klimaschutzes.

Die Argumentation beruht jedoch auf fragwürdigen Prämissen. Bei genauerer Betrachtung nämlich wird klar, dass sowohl parallele Umweltziele als auch ein umweltpolitischer Instrumentenmix für den Energiesektor ökonomisch gut begründet werden können. Die Forderung, sich dauerhaft auf den – derzeit notleidenden – Emissionshandel zu beschränken, gerät so eher zum durchsichtigen Manöver.

Die europäische Energiepolitik braucht mehrere Umweltziele

Zunächst wird einfach unterstellt, dass der Klimaschutz das einzige relevante umweltpolitische Problem für die EU-Energiepolitik sei. Der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Erhöhung der Energieeffizienz werden allein als Mittel zur Senkung der Treibhausgasemissionen verstanden – und bedürften daher keiner eigenen Ziele. Diese Einschätzung greift aber offensichtlich zu kurz: Die mit der Energieerzeugung verbundenen Umweltauswirkungen sind vielfältig. Sie reichen vom Abbau der Energieträger (Stichworte: Landschaftsverbrauch durch Kohletagebau und Fracking), über deren Transport (Stichwort: Tankerhavarien) und deren Einsatz zur Strom-, Wärme- und Krafterzeugung (Stichwort: Feinstaubemissionen und nukleare Störfälle) bis hin zur Entsorgung der Reststoffe (Stichwort: Atommüllendlager). Und auch jenseits der Umwelt bergen fossile Energieträger Risiken, soweit sie überwiegend aus politisch instabilen Regionen importiert werden.

Die mit all diesen Risiken verbundenen gesellschaftlichen Kosten spiegeln sich typischerweise nicht in den Energiepreisen wider. Das Preissignal, das die Energieträgerwahl und den Energieverbrauch steuert, ist deswegen vielfach verzerrt. Aus ökonomischer Sicht versagt der Markt an dieser Stelle nicht nur beim Klimaschutz. Um die gesellschaftlichen Kosten zu minimieren, muss der Staat eingreifen. Natürlich sollten die genannten Umweltprobleme im Idealfall möglichst direkt angegangen werden – etwa durch die Besteuerung von umweltbelastenden Energieträgern oder Umweltstandards, die bei der Förderung fossiler Energieträger einzuhalten sind. Aus verschiedenen Gründen ist dies jedoch auf europäischer Ebene nicht immer möglich oder sinnvoll– etwa wenn Umweltverschmutzungen außerhalb des Hoheitsgebietes der EU auftreten, internationale Handelsabkommen eingehalten werden müssen oder nationale Kompetenzen berührt sind. Unter diesen Bedingungen eröffnen separate Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Senkung des Energieverbrauchs zumindest eine pragmatische Lösung. Sie beeinflussen Energieträgerwahl und –verbrauch und können auf diese Weise einen indirekten Beitrag zur Reduzierung der genannten negativen Umweltwirkungen leisten. Dabei ist klar, dass auch erneuerbare Energieträger nicht frei von Umweltproblemen sind, die beachtet werden müssen.

Braunkohlekraftwerk. Foto: André Künzelmann

Braunkohlekraftwerk / Foto: André Künzelmann

 

Die europäische Klima- und Energiepolitik braucht einen Instrumentenmix

Dass mehrere politische Ziele gleichzeitig nur durch eine entsprechende Anzahl von Instrumenten kostengünstig erreicht werden können, ist in der ökonomischen Theorie eine Binsenweisheit. Doch selbst wenn einzig der Klimaschutz das maßgebliche Umweltziel der europäischen Energiepolitik wäre, könnte der Emissionshandel beim Versuch einer effizienten Zielerfüllung in der Praxis überfordert sein.

Zunächst gilt, dass die Technologieentscheidungen im Energiesektor nicht nur durch mangelhafte Berücksichtigung der Klimafolgen, sondern durch eine Vielzahl weiterer Probleme verzerrt werden. So versagt der Markt  häufig auch bei der Technologieentwicklung. Hier können Unsicherheiten die langfristig „richtige“ Technologiewahl beeinträchtigen. Zudem werden Investitionsentscheidungen im Energiesektor stark durch staatliche Regulierungen beeinflusst. So wurden und werden gerade auch fossile und nukleare Energieträger durch massive staatliche Subventionen gestützt – entweder direkt oder durch die Freistellung von den oben genannten gesellschaftlichen Kosten. Unter diesen Bedingungen kann selbst ein optimal ausgestalteter Emissionshandel nicht gewährleisten, dass Treibhausgasemissionen kostenminimal reduziert werden.

Aber auch aus politischer Sicht ist eine Alleinstellung des Emissionshandels möglicherweise zu wenig: Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt, dass die Ausgestaltung dieses Instrumentes weit vom ökonomischen Lehrbuch abweicht. Das gilt insbesondere für die Festlegung der Emissionsobergrenze. Diese ist primär Ergebnis zäher politischer Verhandlungen zwischen den verschiedenen Interessensgruppen und unstreitig zu hoch angesetzt. Der Preis für eine Tonne CO2 liegt deshalb gegenwärtig bei 4 Euro und damit deutlich unter den erwarteten Kosten des Klimawandels. Zudem bleibt unklar, inwieweit der Emissionsdeckel in Zukunft tatsächlich herabgesetzt werden wird. Die langfristigen Investitionen in die Energieinfrastruktur hängen aber gerade an diesen langfristigen Signalen. Politische Unsicherheit ist dabei ein klares Hemmnis. So wird deutlich, dass der Emissionshandel in der Praxis kaum in der Lage sein wird, den Klimaschutz und die dafür notwendige Umstrukturierung des Energiesystems in ausreichendem Maße allein voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund sind zusätzliche Instrumente wie das EEG und Anreize zur Senkung des Energieverbrauchs faktisch unverzichtbar.

Das Fazit ist damit klar: Soll die Energieerzeugung in Europa in Zukunft in ökologischer, ökonomischer und sozialer Weise nachhaltig gestaltet werden, brauchen wir einen Mix aus Zielen und Instrumenten. Natürlich muss dieser Mix konsistent festgelegt und umgesetzt werden – wie es der europäische Industrieverband fordert. Eine einseitige Fokussierung auf den Klimaschutz und auf ein vermeintlich einfaches, one-size-fits-all Instrument wie den Emissionshandel greift in der Praxis aber auf jeden Fall zu kurz.

 

Literaturhinweise

Gawel, E. / Lehmann, P.: Macht der Emissionshandel die Förderung erneuerbarer Energien überflüssig?, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 61. Jg. (2011), Heft 3, S. 24-28.

Gawel, E. / Strunz, S. / Lehmann, P.: Polit-ökonomische Grenzen des Emissionshandels und ihre Implikationen für die klima- und energiepolitische Instrumentenwahl (= UFZ Discussion Paper 02/2013), Leipzig: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ 2013.

3 Kommentare

  1. Irrglaube

    Der Markt kanns nicht richten , gerade in der Forschung nicht , und auch sonst nur eingeschränkt , wenn ständig anfallende Kosten sozialisiert werden ( Atomkraft, Individualverkehr).

    Trotzdem , wenn sich die stinkfaulen Arbeitgeber nicht auch mal ein wenig bewegen , werden sich Viele wundern , wie schnell der Markt dafür sorgen wird , daß die Umweltkosten ins Astronomische steigen – durch immer stärkere Knappheit und Folgekosten durch die Entstehung von Schäden , vor allem aber durch das Entstehen von Kosten an anderer , auf den ersten Blick unzusammenhängender Stelle .

    Ein Beispiel wäre der Irrweg Biosprit ,der keine Ökologiesierung darstellt , sondern dem weiteren Raubbau nur ein Feigenblättchen verleihen soll.

    Dieser dürfte in absehbarer Zeit zu deutlich erhöhten Lebensmittelkosten beitragen , und letztlich ist es dann irrelevant , ob das Geld hinten oder vorne fehlt.

    Es ist ein Irrglaube , die Ökologisierung würde langfristig die Kosten nach oben treiben (in allen möglichen Bereichen) – vielmehr ist die Ökologisierung der einzige Weg , Vieles im bezahlbaren Rahmen zu halten.

  2. Was läuft falsch beim Emissionshandel?

    Läuft denn wirklich etwas “falsch” beim ETS? Bei dieser Frage kommen – nicht nur in diesem Beitrag – ökonomische, politökonomische und
    politische Argumente häufig zu einem nicht leicht zu entwirrenden “Argumentationsmix” zusammen.

    Irreführend ist dabei v.a. die Bewertung der Cap als “unstreitig zu hoch”. Natürlich stecken dahinter “zähe politische Verhandlungen zwischen
    den verschiedenen Interessensgruppen” – aber gilt das nicht für jede Art von Politik? Wenn ja, dann müssten sich auch die deutschen EE Ausbauziele
    eine solche Kritik gefallen lassen, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen.

    Ein tatsächliches Versagen des politischen Prozesses liegt aus normativ-ökonomischer Sicht nur dann vor, wenn Kosten und Nutzen der Vermeidung
    nicht ausgewogen sind. Sprich: die sozialen Grenzkosten von THG-Emissionen sollten gleich den Grenzkosten der Vermeidung sein. Doch wer kennt
    die “social costs of carbon” schon genau, die von den erwarteten Schäden, deren zeitlicher Bewertung und insbesondere auch der bereits emittierten
    Menge abhängig sind? Schätzungen gibt es viele, aber ein Versagen des politischen Prozesses lässt sich angesichts der Bandbreite daraus sicher
    nicht eindeutig ableiten.

    Dies gilt insbesondere dann, wenn man diese zum aktuellen Zertifikatspreis ins Verhältnis setzt. Denn dieser Preis ist Ausdruck der über die
    gesamte laufende Handelsperiode erwarteten Knappheit von Zertifikaten – und nicht etwa der aktuellen sozialen Kosten der THG-Emissionen.
    Offensichtlich ist die bsi 2020 angestrebte Vermeidung “günstig zu haben”, was in erster Linie an der Finanz- und Wirtschaftskrise liegt, die ihren
    Teil dazu “kostenfrei” beigetragen hat. Und genau das ist die Logik eine Mengeninstruments, und nicht etwa ein Indiz für ein zu hohes Cap.

    Sicherlich läuft Einiges schief beim Emissionshandel. Aber die Argumente im Hinblick auf ein zu hohes Cap sind nicht überzeugend genug,
    dass es das Cap selbst ist.

  3. @MP: Ja, aber Zweifel am ETS bleiben

    Lieber MP, vielen Dank für den Kommentar. Der gibt mir noch mal die Gelegenheit, das Thema “Emissionsdeckel im EU Emissionshandel zu hoch” etwas genauer zu erörtern, da unser Beitrag hier zugegebenermaßen recht knapp geblieben ist.
    Wie richtig angemerkt wird, bemisst sich ein “zu hoch” an der Frage, ob der Emissionsdeckel so gewählt wurde, dass die Grenzkosten der Emissionsvermeidung (GVK) den Grenzkosten (oder dem Grenzschaden, GS) der THG-Emissionen entsprechen. Sowohl der GS als auch die GVK sind schwer empirisch zu bestimmen. Schätzungen für GS variieren zwischen 0 und 200 Euro je Tonne CO2. Der Umweltökonom Richard Tol geht von einem “Best Guess” von etwa 30 Euro je Tonne CO2 aus. Die Schätzungen der Schäden hängen maßgeblich an der angenommenen Diskontierungsrate. Über die Grenzvermeidungskosten, die mit der Erreichung des Caps verbunden sind, geben die Zertifikatpreise im EU Emissionshandel Aufschluss. Die Zertifikatpreise unterliegen im Zeitablauf natürlich erheblichen Schwankungen. Die gegenwärtig niedrigen Preise können in der Tat auf die unterschiedlichsten möglichen Ursachen zurückgeführt werden:
    1. durch die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise verursachte Produktions- und Emissionsrückgänge
    2. Carbon Leakage, also die Emissionshandels-induzierte Verlagerung von Emissionen in Länder außerhalb der EU
    3. die Preis dämpfenden Effekte durch komplementäre Instrumente, wie das EEG
    4. aber eben auch ein generell zu niedriges Emissionscap
    Insofern greift sicherlich der einfache Vergleich zwischen aktuellem Zertifikatepreise und erwartetem GS (wie wir ihn oben geführt haben) zu kurz. Von Nöten wäre vielmehr eine exaktere (statistische) Analyse der relativen Bedeutung der verschiedenen Einflussfaktoren hinsichtlich der langfristigen Entwicklung des Zertifikatepreises.
    Nichtsdestotrotz gibt es aus meiner Sicht doch Hinweise darauf, dass das Cap zu hoch angesetzt sein könnte. Dafür spricht erstens die polit-ökonomische Intuition und empirische Beobachtung, dass industriepolitische Interessensgruppen im Rahmen der Verhandlungen zum Emissionsdeckel einen stärkeren Einfluss hatten und haben als umweltpolitische Interessensgruppen. Zudem war bislang zu beobachten, dass der Zertifikatepreis im Emissionshandel seit dessen Einführung nur zwei Mal für einen kurzen Zeitraum die 30 Euro-Grenze nach oben durchbrochen hat.
    Auf Basis dieser beiden Überlegungen finde ich es durchaus angezeigt, die Hypothese in den Raum zu stellen, dass Emissionspreise nach Bereinigung um die oben genannten Effekte 1-3 immer noch unter den sozialen Kosten der Treibhausgasemissionen bzw. nur im unteren Bereich der entsprechenden Schätzintervalle liegen würden.
    Diese Kritik stellt meinens Erachtens nicht den Emissionshandel generell in Frage. Entscheidend ist vielmehr, ob der Emissionshandel alleine die klimapolitischen Herausforderungen bewältigen kann (von den nicht Klima bezogenen Herausforderungen ganz zu schweigen). Diesbezüglich bestehen, denke ich, erhebliche Zweifel.

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