Die Sustainable Development Goals und das Menschenrecht auf Wasser

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Dieser Beitrag wurde von Erik Gawel 1 und Wolfgang Bretschneider2 verfasst.

Ende September 2015 werden die Vereinten Nationen in New York neue globale Nachhaltigkeitsziele verabschieden, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs). Sie bestehen aus nicht weniger als 17 übergreifenden Politikzielen (“goals”) und 169 einzelnen Handlungszielen (“targets”), die bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen. Dabei hat sich im Vergleich zu den Millennium Development Goals (MDGs) aus dem Jahre 2000 der Zielkatalog erweitert und es werden die Ziele zugleich höher gesteckt. Fundamental aber ist ein anderer Unterschied: Während die MDGs im Kern allein auf soziale Belange zielten, werden die SDGs unter dem Schirm eines umfassenden Nachhaltigkeitsbegriffs formuliert. Für ein nachhaltiges globales Zusammenleben sind damit nicht nur soziale, sondern auch ökologische und ökonomische Belange zu berücksichtigen. Dies ist eine gute Entwicklung, da diese drei Bereiche für politische Entscheidungen in der Praxis ohnehin immer auf das Engste miteinander zusammenhängen.

Das Menschenrecht auf Wasser – Was kann “Zugang” bedeuten?

Jurtenviertel am Stadtrand von Darkhan. Foto: Lena Horlemann, UFZ
Trinkwasser gibt es in den Jurtenvierteln am Stadtrand von Darkhan (Mongolei) nur per Kanister. Die Mehrheit der Einwohner verfügt weder über Trinkwasser- noch über einen Abwasseranschluss. Foto: Lena Horlemann/UFZ

Einen hohen Stellenwert im Rahmen der SDGs hat auch das Thema Wasser. Hier wird zunächst als Ziel ausgegeben, dass bis 2030 nunmehr für alle Menschen ein gerechter Zugang zu bezahlbarem Trinkwasser in sicherer Qualität gelingen soll (Ziel 6.1). Daher wird weltweit an einer konkreten Umsetzung eines Menschenrechts auf Wasser zu arbeiten sein. Über dieses soziale Anliegen hinaus werden aber in der Zielstellung zu Recht auch die ökonomischen und ökologischen Belange von Wasserversorgung und Gewässerbewirtschaftung bedacht, indem für eine höhere Nutzungseffizienz, ein integriertes Wasserressourcen-Management und „gesunde“ aquatische Ökosysteme gesorgt werden soll (Ziele 6.3 bis 6.6). Das ist kein Widerspruch – im Gegenteil: Beides hängt eng miteinander zusammen. Denn nur wo natürliche Wasserressourcen nachhaltig geschützt werden, eine leistungsfähige Wasserinfrastruktur auskömmlich finanziert ist und zugleich verschwendungsfrei arbeitet, lässt sich auch langfristig ein Recht auf Wasser für alle Menschen sicherstellen.

Recht auf Wasser hat auch ökologische und ökonomische Facetten
Die Debatte um das Menschenrecht auf Wasser kann und sollte von dieser Integration sozialer, ökologischer und ökonomischer Anliegen lernen. Nach der förmlichen Anerkennung dieses Rechts durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2010 ist die Diskussion besonders fokussiert auf die praktische Frage der Umsetzung. Diese soll nun gerade mit den SDGs endlich universell, also für alle Menschen, gelingen. Dazu aber sind die bestehenden Konzepte entweder zu vage oder schlicht nicht praxistauglich. Insbesondere bestehen konzeptionelle Unklarheiten, in welchem Fall denn nun ein „Zugang“ zu Trinkwasser gegeben ist und in welchem Fall nicht. Hier besteht nach wie vor dringender Klärungsbedarf. Stattdessen werden mit großem Engagement, aber in der Sache unfruchtbar, Nebenschauplätze bearbeitet:

  • In der Europäischen Bürgerinitiative “Wasser ist ein Menschenrecht!” (2014) und andernorts wird der falsche Eindruck erweckt, als ginge es ist erster Linie um die Frage „Privatisierung vs. Menschenrecht“. Allerdings ist eine Umsetzung des Rechts weder mit Privatisierung unmöglich noch ohne Privatisierung automatisch gegeben. Tatsächlich handelt es sich um ein Teilproblem eines komplexen Gefüges an institutionellen Regelungen für die Wasserversorgung. Für das Recht auf Wasser aber ist nur das Gesamtergebnis aus der Perspektive des Nutzers zu bewerten.
  • Zum Teil wird in der Debatte noch ein unbedingtes Recht gefordert. Das ist in der Sache gewiss abwegig, da es bedeuten würde: Rund um die Uhr an jedem Ort entgeltfreies Wasser höchster Qualität und in unbegrenzter Menge. Prekären Versorgungsbedingungen wirkt man aber nicht wirksam durch Forderungen nach einer “Paradies-Versorgung” entgegen, sondern indem man konkret lebbare – nicht zuletzt nachhaltige – Versorgungsbedingungen für Menschen schafft. In der Debatte bleibt damit weniger Raum für die viel entscheidendere Frage, in welcher Weise das Recht verantwortungsvoll bedingt oder begrenzt sein soll.
  • Soweit auch Grenzen des Rechts auf Wasser ein Thema sind, wird vielfach diskutiert, welche Wassermenge (pro Tag und pro Person) das Recht umfassen soll. Das ist eine wichtige und notwendige, aber schließlich nicht die entscheidende Frage. Dadurch bleiben wichtige andere Fragen wie die Qualität oder die raumzeitliche Verfügbarkeit sowie die Organisation der Versorgung außen vor. Auch kann Politik – außer in Kommandowirtschaft und Notversorgung – nicht selbst Güter(mengen) zuteilen, sondern nur die Bedingungen des Zugangs beeinflussen.

„Zugang“ zu Wasser muss konkreter gefasst werden
Soll eine Umsetzung des Rechts auf Wasser gelingen, muss der Begriff des “Zugangs” praktikabel gemacht, vor allem konkretisiert werden. Und er muss auf absehbare Nachhaltigkeitskonflikte eingehen. Mit dem General Comment No. 15 (2002) (GC15) des „UN-Ausschusses für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte“ ist man hier einen großen Schritt weitergekommen. Er macht implizit deutlich, dass der „Zugang“ mehrere Dimensionen hat: eine räumliche, zeitliche, qualitative und eine pekuniäre Dimension, d. h. die Tatsache, dass für Wasser-Dienstleistungen der Anbieter regelmäßig mit einem Entgelt zu entlohnen ist. Ferner legt der GC15 explizit für jede Dimension ein Kriterium der Zumutbarkeit fest: physische Erreichbarkeit, zeitliche Verfügbarkeit, qualitative Akzeptabilität und pekuniäre Erschwinglichkeit. So aber können die ökologischen und die ökonomischen Nachhaltigkeitsbelange (noch) nicht integriert werden, und deswegen bleibt leider die Konkretisierung des Rechts auf Wasser auch konzeptionell weiterhin vage.

Auf die Hürden des Wasserzugangs kommt es an!
An dieser Stelle kommt es auf einen einfachen, aber entscheidenden Perspektivenwechsel an. Statt des – eher abstrakten – “Zugangs” sollten jene Hürden zum Gegenstand der Analyse gemacht werden, die einem Zugang zu Wasser für den einzelnen Nutzer jeweils entgegenstehen. Entsprechend der genannten Zugangsdimensionen gibt es nämlich eine räumliche Hürde (Entfernung zur Übergabestelle von Wasser – Problem der Raumüberwindung), ferner eine zeitliche Hürde (Wartezeit bis zur Versorgung, z. B. bei Wasserverfügbarkeit in Leitungssystemen nur an bestimmten Tagen), eine qualitative Hürde (z. B. Notwendigkeit einer eigenen Wasseraufbereitung, etwa Abkochen, bis zur notwendigen Trink-Qualität) und schließlich eine pekuniäre Hürde der Wassernutzung (der zu zahlende Wasserpreis). Diese Zugangshürden sind gut beobachtbar und greifbar. Und sie sind es ja, die überhaupt erst das Problem eines Rechts auf Wasser aufwerfen! Dabei bestehen zahlreiche Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Hürdenarten. Insbesondere kann ein Wasserversorger die drei „nicht-pekuniären“ Hürden (raum-zeitliche Verfügbarkeit, Qualität) senken, hebt damit allerdings die Geld-Hürde an, die er den Kunden in Rechnung stellen muss, denn die Versorgung wird für ihn teurer.

Drei Prüfsteine für ein Recht auf Wasser
Die genannten Hürden erscheinen für die Umsetzung eines Rechts auf Wasser auf den ersten Blick ausschließlich „störend“, womit wohl auch das Ziel ausgemacht scheint, sie gänzlich zu beseitigen. Tatsächlich aber können gerade diese Hürden entscheidend zur ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit der Wasserversorgung beitragen! Wissenschaftlich ausgedrückt: Hürden können funktional sein, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Dies – und nur dies – verleiht ihnen eine grundsätzliche Existenzberechtigung. Monopolaufschläge auf den Wasserpreis etwa wären natürlich nicht nachhaltigkeits-funktional, und sie sind deshalb auch zu beseitigen. Ein kostenwahrer Preis für kostbare Wasserressourcen aber besitzt als Knappheitssignal diese Funktionalität und sollte daher grundsätzlich auch entrichtet werden. Weiterhin sollten diese Hürden natürlich insgesamt nicht nur „zielführend“, sondern auch individuell zumutbar sein, wie es auch im GC15 formuliert wurde. Und schließlich sollten sie diskriminierungsfrei zwischen einzelnen Wassernutzern sein – ein Aspekt, der zu Recht seit Jahren bereits in der Diskussion ist. Mit diesem Prüfsystem lässt sich ein Recht auf Wasser als erfüllt ansehen, wenn entweder alle drei Kriterien erfüllt sind oder wenn zugunsten der Zumutbarkeit von einer nachhaltigkeits-funktionalen Höhe der Hürden nach unten abgewichen werden muss.

Erst mit dieser grundlegenden Hürden-Perspektive und den drei genannten Kriterien (Prüfsteinen) ergibt sich ein vollständiges Bild der Zugangsproblematik. Auf diese Weise kann die Umsetzung eines Rechts auf Wasser konzeptionell klar angeleitet werden, und es können – ganz im Sinne der SDGs – alle Säulen der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Das heißt, die potenziellen Widersacher eines Rechts auf Wasser in der Praxis werden gleich „mitgedacht“. Derart kann auch die „Aufklärung“ eines Rechts auf Wasser fortgesetzt werden, die spätestens mit dem GC15 begonnen hat. Wer hingegen alle Hürden auf „Null“ setzen will (z. B. kostenloses Trinkwasser für alle), wird „ewig“ auf die Umsetzung warten müssen. Wer Hürden ignoriert, erkennt nicht das relevante Problem. Beides führt in die Irre, wenn die Umsetzung des Menschenrechts tatsächlich in der Praxis für alle Menschen dauerhaft gelingen soll.

1 Prof. Dr. Erik Gawel leitet das Department Ökonomie am UFZ und ist Direktor des Instituts für Infrastruktur und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören auch die ökonomischen Herausforderungen des integrierten Wasserressourcen-Managements.
2 Wolfgang Bretschneider promoviert am UFZ zum Thema „Versorgungsgerechtigkeit in der Trinkwasserallokation“

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Erik Gawel ist stellvertretender Leiter des Departments Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Der Umwelt- und Energieökonom hat außerdem eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der Universität Leipzig inne, wo er auch Direktor des Instituts für Infrastruktur und Ressourcenmanagement ist. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind u. a. ökonomische Aspekte der Energiewende sowie des Wasserressourcenmanagements.

2 Kommentare

  1. Haben mehr Menschen sauberes Trinkwasser wenn es zum Menschenrecht wird? Das ist für mich die entscheidende Frage. Eventuell längerfristig schon, denn mit dem obengenannten Beispiel von fehlender Trinwasserversorgung in der Mongolei würde die Mongolei auf eine schwarze Liste von Staaten kommen, die die Menschenrechte nicht einhalten. Das könnte dann die monoglische Regierung motiviern die notwendigen sanitarischen Einrichtungen zu bauen. In der Monogolei ist es allerdings gut verständlich, dass es für gewisse provisorische Siedlungen keine Trinkwasserleitungen gibt denn bis vor kurzem war ein grosser Teil der Bevölkerung nomadisch und die Jurtenviertel (Zitat: Trinkwasser gibt es in den Jurtenvierteln am Stadtrand von Darkhan (Mongolei) nur per Kanister. “) deuten ja immer noch auf eine halbnomadische Lebensweise. Warum sollten Wasserleitungen zu Jurten führen? Zu Jurten, die von vornherein einen provisorischen Charaketer haben.

  2. Das Recht auf Wasser ist tatsächlich kürzlich als Menschenrecht im Rahmen der UN-Veranstaltung festgestellt worden, wobei die 48er-Deklaration der Menschenrechte hier nicht explizit ergänzt worden ist.
    Fragen, wie nach einem Recht auf artgemäße Ernährung, ein “Recht auf Brot” meinend, könnten sich hier anschließen wie das individuelle Recht auf materielle Güter generell.
    Das Recht auf Arbeit ist zudem bereits früher geübt worden.

    Ihr Kommentatorenfreund stieß kürzlich auf diese kleine Polemik bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
    -> http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/menschenrecht-auf-internet-und-sogar-das-endgeraet-13804894.html (mögliches Highlight: ‘Konsequent durchdacht, führt dieses Argument dazu, aus dem Grundrechtekatalog staatliche Pflichtlieferungen abzuleiten und die technische Gewährleistung von Sozialität zur Staatsaufgabe zu machen.’ – Ham’Se da ne Meinung zu?)

    MFG
    Dr. W (der Gesetzgebungen überschreibende übergeordnete Menschenrechte nicht unproblematisch findet)

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