Sonnenfinsternis, fast biblisch

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

die Astronomen veranstalten heute wiedermal eine Sonnenfinsternis. ; – ) Dieses Mal im Angebot: eine Sonnenfinsternis am 1. Nisanu, d.h. dem Äquinoktium, dem Jahresbeginn (oder letzten Tag des alten Jahrs?). Total ist sie leider nur auf Spitzbergen und Faröer-Inseln, aber bei uns doch noch ein Spektakel. “Fürn Jroschen den Mond vor’er Sonne” könnten wir heute sagen. Im Ernst: im deutschsprachigen Raum sind von der Sonne um 10:47 Uhr 75-60 % bedeckt, d.h. in Berlin z.B. 74%, in Wien 62%. Um kurz nach halb zehn geht’s los, betritt der Mond die Sonnenscheibe und um zwölf ist er wieder weg. Das Wetter sieht zumindest in Norddeutschland gerade gut aus: wir sollten es sehen können.

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vorgestern in unserem Institut: Mit dem Solarscope-Pappkarton die Sonne angeguckt und einen Sonnenfleck gesehen: heute müsste er vom Rand hin zur Mitte gewandert sein. Diese Installation werde ich nachher wieder aufbauen: ist völlig ungefährlich.

Man kann das Ereignis mit einer Sonnenfinsternisbrille beobachten oder in Projektion. Wer keine SoFi-Brille mehr übrig hat, kann auch durch eine CD oder ein Stück Rettungsfolie schauen: Das verdunkelt zumindest hinreichend viel, dass man nicht erblindet – aber man sollte mit diesen Methoden nicht stundenlang in die Sonne starren, sonst wird’s auch schädlich.

Für die Projektionsmethode eignet sich z.B. auch jedes beliebige Handy, das als Bildschirm dienen können sollte. Auch hier: Handys, die sich sogar in der Hosentasche verbiegen können, sollte man nicht stundenlang in die Hitze der Sonne halten – aber für einen schnellen Blick nach oben ist es allemal gut geeignet.

Schülerinnen und Schüler nicht zur Hofpause nach draußen zu lassen, wie wohl manche Schulleiter vorhaben, ist völliger Quatsch! (Der Berliner Tagesspiegel berichtete gestern von entsprechenden Meldungen aus Münster.) Bei einer SoFi gibt’s keine “böseren Strahlen” von der Sonne als gewöhnlich. Man kann genauso gut draußen spielen, spazieren gehen, seine Arbeit machen wie sonst auch. Man sollte allerdings NIEMALS mit dem ungeschützten Auge oder gar optischen Instrumenten direkt in die Sonne schauen: Das macht zu jeder Zeit Augenschäden. Die Natur hat daher einen Mechanismus eingebaut, dass sich die Pupille verengt und die Lider schließen, wenn wir das tun. Bei einer SoFi wollen wir nun aber das Sonnenbild sehen – und darum eigentlich HINSCHAUEN – DAS ist das Risiko und daher passt man halt auf, indem man das Auge mit Schweißerbrille, SoFi-Brille, Rettungsfolie … schützt.

Kulturhistorischer Background

Frühlingsanfang ist kulturgeschichtlich interessant, in vielen Kulturen Jahresanfang. Sonnenfinsternis zu Frühlingsanfang ist daher etwas ganz besonderes. : – )

Dass die Babylonier – die bereits im -1. Jt. sowas rechnerisch abschätzen konnten – bei Vorhersage einer SoFi ein Ersatzkönig-Ritual durchgeführt hätten, hat der Tagesspiegel ebenfalls schön zitiert. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet von einer SoFi während der Schlacht von Lydern und Medern im -6. Jh. und er berichtet auch, dass die gegnerischen Parteien bei dieser Gelegenheit das Himmelszeichen als Warnschuss gegen das eigene Tun gedeutet haben und daher instantan Frieden geschlossen hätten. Herodot berichtet auch, dass Thales eine partielle Sonnenfinsternis – wie wir sie heute sehen können – korrekt vorhergesagt habe. Da fragt man sich allerdings, wie denn eine partielle Verfinsterung in der Antike beobachtet worden sein kann ohne CDs und Rettungsfolie … denn man sieht ja nicht, dass es dunkler und kühler wird wie bei der Totalität.

Die Antwort ist simpel: Im Schatten eines Baumes sehen wir stets auf dem Waldboden kleine Sonnenbildchen: Das sind die Lichtflecke im Schatten des Baumes, denn wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, sind diese immer kreisrund. Die Abstände zwischen Blättern eines Laubbaums fungieren wie eine Lochkamera und projizieren das Bild.

Bei einer partiellen SoFi ist aber das Sonnenbild sichelförmig und der Schatten von Bäumen sieht anders aus:

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Schatten eines Baumes bei einer partiellen SoFi: Projektionsbilder der Sichelsonne. – (Türkei 2006)

Am heutigen Tag ginge das auch, wenn Sie einen Baum finden, der schon/ noch Laub hat. Wilder Wein oder Efeu könnte sich eignen, aber zumindest hier in Berlin sind die meisten Bäume halt noch kahl.

Wenn wir über Kulturgeschichte reden, darf natürlich das Matthäus-Evangelium nicht fehlen: Da heißt es 27, 45-53:

“Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut Eli, Eli lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? […] und verschied. Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde bebte und die Felsen zerrissen […]

In diese Textstelle kann man den (dramatisierten) Bericht einer (totalen) Sonnenfinsternis hineindeuten, was allerdings nicht zur Geschichtsschreibung passt und daher offensicht von Matthäus als dramaturgisches Element eingebaut wurde. Hier sieht man – einmal mehr und viel deutlicher als an der viel umstrittenen Weihnachtsgeschichte vom selben Evangelisten – wie wichtig diesem Autor die Astrologie war. Das ist ja auch ganz “logisch” im Denkstil der augusteischen Zeit, denn Augustus selbst hat sich ja durch Astrologie legitimiert: sei es die Planetenverschmelzung von Jupiter und Venus in den Jahren -1/-2 oder das Erscheinen eines Kometen bei den funeral games zum Gedenken an seinen Vorgänger und Ziehvater Julius Caesar.

Alle streiten über den Weihnachtsstern und viele Leute versuchen wieder und wieder daran eine Datierung der Geburt Jesu festzumnachen – und Astronomen und Historiker (m/w) predigen wieder und wieder, dass das doch eigentlich gar nicht geht, denn diese ganze Geschichte um Jesus durch den kulturellen Kontext der damaligen Zeit geprägt und muss als literarisches Produkt mit PR-Zwecken gelesen werden: Schließlich warb das junge Christentum noch um Jünger und musste auf zeitgenössische Trends reagieren.

Was ich übrigens auch noch nie so recht verstanden habe: Richten nicht die Christen deshalb ihr Ostern nach dem ersten VOLLmond im Frühling, weil die Juden Pascha (pessach) in der MonatsMITTE feiern? Geht das dann überhaupt, was Matthäus schreibt? Für mich ist die Bibelstelle nicht klar, denn Jesus kommt, um Pessach zu feiern, aber mir ist nicht klar, ob Pessah da schon ist, oder es nur die Vorbereitungen dafür laufen.
Jedenfalls: Sonnenfinsternisse sind bei NEUmond, d.h. in einem Mondkalender, wie auch dem jüdischen können Sonnenfinsternisse per definitionem NUR am MonatsANFANG auftreten. Wenn aber Pascha gefeiert wird, ist es zwei Wochen später, in den MonatsMITTE.

Das ist irgendwie sonderbar – aber da es unter den babylonischen Omina zahlreiche gibt, auch Vorhersagen für Himmelszeichen, die niemals eintreten können, ist es gut möglich, dass Matthäus (der darin wohl möglich bewandert war) irgendeine Protatis eines Omens verarbeitet hat, dessen Apodosis ihm – salopp gesagt – in den Kram passte. Das ist jedenfalls angesichts der historischen Nichtkongruenz der Erzählung mit den Fakten überaus wahrscheinlich.

 

BEOBACHTUNG – Nachtrag

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morgens, zehn Uhr in Berlin-Mitte
Projektor zur Sonnenbeobachtung
Projektor zur Sonnenbeobachtung und unten links: eine helle Jacke ausgebreitet auf dem Boden, so dass man im Schatten des Strauchgewächses Sonnenbildchen sieht (so hat man es wohl auch im Altertum gemacht – Prof Steven Menn sagt, das steht bei Aristoteles).
Gruppenfoto während des Maximums der Finsternis. Im Vordergrund die Sichelsonne auf der Jacke, im Hintergrund die neugierigen Kollegen mit selbst gebauten Lochkameras, Projektionsgeräten, Handies etc. pp.
Gruppenfoto während des Maximums der Finsternis. Im Vordergrund die Sichelsonne auf der Jacke, im Hintergrund die neugierigen der lieben Kollegen mit selbst gebauten Lochkameras, Projektionsgeräten, Handies und SoFi-Brillen etc. pp.

Es war ein sonniger Tag vorm Institut und es hat mir Spaß gemacht, dass es doch zahlreiche Ankömmlinge am Vormittag zu meinem Projektsschirm verschlagen hat. Zum Maximum lag irgendwie eine komische Stimmung in der Luft… es fühlte sich seltsam an, war vielleicht etwas kühler und war auf jeden Fall etwas schummriger – das Licht wirkte fahler als gewöhnlich. Beklommen standen wir vor dem Institut und dachten uns “ja, man versteht, warum die Babylonier bei sowas ein Ersatzkönig-Ritual durchgeführt haben.”

Heute haben wir es aber nur selbstbewusst angeschaut, gestaunt und uns darüber gefreut, dass – allen Unkenrufen zum Trotz – das Wetter tatsächlich mitspielte.

Sichelsonne in Projektion durch den Schatten eines Nadelgewächses.
Sichelsonne in Projektion durch den Schatten eines Nadelgewächses.


GIMMICK

Sonnenaufgang über Berlin, März 2015.
Sonnenaufgang über Berlin, März 2015.

Noch einmal zu den Gedenktagen an Große WissenschaftlerInnen:
Ein Astro-Historiker schlug kürzlich vor, den 20. März als Gedenktag für Hypatia zu verwenden (link zum Beitrag) – d.i, zwar eher das Gegenteil von Geburtstag, das den Anlass gab, aber Geburtstage überhaupt aufzuschreiben, ist eben eine Kultur der Astrologie-Fans in der Spätantike. Daher wurden nicht zu jeder Zeit und nicht von jedem Geburtstage notiert (insbes. sicher nicht von Jesus, um das Thema oben aufzugreifen).

Zwerg-Osterglocken, noch zart vom Winter-Abdecklaub bedeckt
Zwerg-Osterglocken, noch zart vom Winter-Abdecknadellaub bedeckt

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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