Rencontre – Astronomie auf babylonisch

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

eine der großen Freuden meines Berufsalltags als Astronomin ist, dass ich mit so vielen verschiedenen Leuten der unterschiedlichsten Fächer zusammenarbeite. Der Nachtzug brachte mich gerade wieder aus der Schweiz zurück, wo ich eine Woche bei der großen, internationalen Jahrestagung der Assyriologen verbrachte. Diese Tagung, Renconctre Assyriologique Internationale (RAI) fand dieses Jahr unter dem Thema “Bild – Text” in Genf (Mo,Di) und Bern (Do,Sa) statt. Für mich waren natürlich die Workshops über Astronomie und Mathematik im Alten Orient der Anlass zum Besuch der Tagung, aber da der eine am Dienstag, der andere am Freitag war, hatte ich dazwischen die Gelegenheit zu Einblicken in eine faszinierende vergangene Welt und die unterschiedlichsten Analysemethoden der Forschung sowie zum Kennenlernen vieler interessanter Menschen.

ca. 300 Menschen aus 23 Ländern besuchten diese Tagung.
ca. 300 Menschen aus 23 Ländern besuchten diese Tagung. Foto bei der Closing Session von der Uni Bern.

Was ist Assyriologie?

Assyriologie ist eine Altertumswissenschaft. Die Leute, die sich mit der Erforschung des Alten Orients beschäftigen, also den Wurzeln unserer Kultur im Zweistromland (Mesopotamien) haben typischerweise entweder alte Sprachen (Philologie) studiert oder Archäologie – naja und dann gibt’s solche Exoten wie mich. 😉 Die Sprachen des Alten Orients waren Sumerisch und später Akkadisch, geschrieben in Keilschrift und meist auf Tontafeln (zumindest das, was erhalten ist). Normalerweise fahren die Archäologen ins Feld, graben etwas aus und finden dabei auch diejenigen Schriftzeugnisse, die die Philologen dann in den Sammlungen und Archiven der Museen zu lesen versuchen und freundlicherweise edieren und übersetzen, damit dann die jeweiligen Fachleute wie MedizinhistorikerInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen, MathematikhistorikerInnen, AnthropologInnen, KunsthistorikerInnnen oder eben AstronomiehistorikerInnen ein Bild der jeweiligen alten Kultur in ihrem jeweiligen Fach zeichnen können.

Die Archäologen haben gerade das akute Problem, dass sie z.B. nach Syrien aus politischen Gründen nicht reisen können – und vor fünfzehn Jahren gab es ein ähnliches Problem mit dem Irak. So gibt es immer wieder Pausen in den Funden und wenn dann noch aus purer Zerstörungswut zwischendurch kulturelles Erbe mutwillig zerstört wird, dann ist das ein zusätzlicher harter Schlag für unsere Erkenntniswünsche, wie und warum Menschen und Gesellschaften sich entwickeln.

CNN: “Work to save Babylon”
http://edition.cnn.com/videos/world/2015/06/19/saving-babylon-iraq-wedeman-pkg.cnn

Genf (Astronomie)

Die Kulturen des Alten Orients sind unterschiedlich überliefert: Befunde einer schriftlichen Kultur gibt es seit dem -3. Jahrtausend, d.h. dem 3. Jt. vor Christus. Damals entwickelten die Sumerer eine Schrift für ihre Sprache (Keilschrift), die aber nur einige Mythen und Kulte überliefert. Uns sind aus dieser Zeit aber keine Zeugnisse von mathematischer Astroniomie bekannt, sondern lediglich “Geschichten” über Inanna (Ishtar), die in die Unterwelt geht und wieder auftaucht als mythologische Umschreibung des Laufs der Venus, die mal als Abendstern und mal als Morgenstern den Dämmerungsimmel dominiert, aber zwischendurch eben unsichtbar ist. Sie muss ja – modern gesprochen – irgendwie von der einen Seite der Sonne zur anderen gelangen.

Die mathematische Astronomie entwickelte sich in Mesopotamien hauptsächlich im -2. Jt. und gelangte im -1. Jt. zur Blüte. Ab der Mitte des -2. Jt. sind uns einige Schemata und (wahrscheinlich) aus Beobachtungen abgeleitete Dokumente der Astralwissenschaft überliefert. Der Grund, weshalb sich die Mesopotamier so sehr für die Sterne interessiert haben, war, dass sie vermuteten, dass alles in der Welt miteinander im Zusammenhang steht und dass man folglich aus dem Lauf der Gestirne etwas auf die Entwicklungen auf der Erde schließen könne. Das Motiv zur systematischen Himmelsbeobachtung war als die Divination bzw. unter allen Divinatiionsformen, die wir kennen, für unseren Bereich die Astrologie. Die Vorstellung der Mesopotamier, dass Götter und Demonen den Menschen mit Hilfe des Gestirnlaufs Zeichen geben, was sie als nächstes auf der Erde anzurichte gedenken, führte also zur Entwicklung systematisch beobachtender Astronomie – sowie auch zu einem umfangreichen Korpus an Omen-Texten, die offenbar konstruiert sind und teilweise auch Prophezeihungen niederschreiben für Konstellationen, die es niemals geben kann (z.B. Mondfinsternis bei Neumond oder so). Nur für den Fall, dass sich ein Gott mal sowas einfallen ließe, hat man ihm schon mal eine Bedeutung zugeschrieben.

Im -1. Jt. erkannten man dann aber im Rahmen der mathematischen Astronomie die komplette und bogenminutengenaue Berechenbarkeit aller Bewegungen von Sonne, Mond und der Planeten, entwickelte Rechenprozeduren und führte Jahrhundertelang akribisch Tagebücher über die Beobachtungen von Himmel, Wetter, Flusspegeln und Marktpreisen, so dass wir uns heute natürlich fragen, ob bzw wann man erkannte, dass Marktpreise sich eben nicht aus der Stellung der Planeten ablesen lassen.

Das Tagungsprogramm in dieser Hinsicht war entsprechend illuster:

Da wurde aus der sumerischen Literatur der Venuslauf rekonstruiert und dieser mit Darstellungen der Inanna in der bildenenden und illustrierenden Kunst verglichen. Dann wurden Kalendertexte, die die Anwendung medizinischer Rezepte und Substanzen an besteimmte Kalendertage vorschreiben, mit modernen hierarchischen Baumstrukturen analysiert und so Entwicklungen dieser Textgattung herausgearbeitet. Dann wurden Prozeduren der mathematischen Astronomie und illustrierte Texte der Uranographie vorgestellt und diskutiert. Wir sind auf die Veröffentlichungen gespannt.

Mein Poster über babylonische Sternbilder und ihren teilweisen Transfer nach Griechenland.
Mein Poster “Visualzation of Text” über babylonische Sternbilder und ihren teilweisen Transfer nach Griechenland.

Bern (Mathematik)

Seit dem -2. Jt. gab es in Mesopotamien eine ausgeprägte Mathematik, die wir in Form von Rechenaufgaben für den Schulbedarf sowie Verwaltungstexten überliefert haben. Manchem postmodernen Philosophen mag es überraschend erscheinen, dass diese Texte auch bereits von Anfang an Zeichnungen beinhalten: Da wird mal ein Dreieck, ein Viereck oder ein Kreis gezeichnet, aber auch manchmal ein komplizierterer Volumenausschnitt. Wollte man z.B. einen Kanal bauen, um die Felder zu bewässern – in diesem Land sicher keine Seltenheit – dann musste man zu soliden Planung des Unternehmens erstens das auszuhebende Volumen berechnen und zweitens die Anzahl der Menschen, die man braucht und die Kosten, die diese verursachen werden, wenn man sie über die zu berechnende Projektdauer beschäftigt und somit auch bezahlt.

Planungssicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen und darum eine der ersten und ursprünglichsten Aufgaben der Mathematik.

"altbabylonische" Mathematik reicht bis ins beginnende -2. Jt. zurück. Auf der RAI gaben sich einige Größen der Mathematikgeschichte ein Stelldichein.
altbabylonische Mathematik reicht bis ins beginnende -2. Jt. zurück. Auf der RAI gaben sich daher auch einige Größen der Mathematikgeschichte ein Stelldichein; diese Dame wurde in (fast) jedem der anderen Vorträge zitiert.

Projekte wie diese sowie Probleme der Feldvermessung und Aufteilung von Feldern (z.B. unter Erben) – und das ohne das Konzept der Division! – sind seit der altbabylonischen Zeit belegt.

Zwischendurch

Am Mittwoch fuhr die gesamte Gesellschaft von Genf nach Bern und besuchte dabei das Bibel+Orient-Museum in Fribourg (CH). An den anderen Tagen gab es Vorträge über Medizingeschichte und alle anderen Themen. Da man zwischen drei parallalen Vorträgen wählen musste, habe ich natürlich nicht alles gehört. Ich habe viel über die Darstellung von Emotionen gelernt, was mich vielleicht auch deshalb so interessiert, weil es komplett anders ist als meine recht “trockenen”, emotionslosen Wissenschaften. Persönlich bin ich zwar immer wieder überrascht, dass es auch PhysikerInnen und MathematikerInnen hin und wieder schaffen, Paare zu bilden – aber die Kunst vermag ja (heute) sehr einfach, das gesamte Spektrum an Emotionen zu zeigen. Das war allerdings nicht immer so: Emotionen werden in der assyrischen Kunst z.B. nur dann ausgedrückt, wenn sie eine politische Funktion haben: besiegte Gegner werden mit hilflosen und traurigen Gesten von den triumphalen Siegergesten der eigenen Leute unterschieden. Soldaten auf beiden Seiten haben allerdings keinerlei Mimik, sondern die Emotion wird allein über den Gestus ausgedrückt.

Heute wissen wir natürlich aus der Psychologie, dass beides zusammengehört. Doch zeigen sich hier vielleicht auch Erkenntnisstufen und jedenfalls Entwicklungen der graphischen und darstellenden Kunst.

Wenn man sich – wie ich – mit der Geschichte der Sternbilder beschäftigt, sind selbstverständlich ikonographische Traditionen in zweierlei Hinsicht wichtig: Erstens prägt die Kunst des Alltags die Sehgewohnten der Menschen, also auch der Astronomen und entscheidet mithin darüber, was man in einer Punktewolke (Sterne) am Himmel zu erkennen glaubt. Zweitens gibt daher die ikonographische Tradition selbstredend Aufschluss darüber, wie man sich die alten Sternbilder vorzustellen hat. Darum ist der Ansatz des Buches über Babylonian Star Lore, das ich kürzlich hier besprach, im Grunde nicht falsch (es scheitert eher an der Inkonsequenz der Anwendung dessen).

Gruppenfoto vorm Portal der Uni Bern; dieses und weitere auf  http://rai.unibe.ch/gb/photos/
Gruppenfoto vorm Portal der Uni Bern; dieses und weitere auf http://rai.unibe.ch/gb/photos/ Die Alpenhörner hatten die Funktion, uns ein Ständchen zu spielen und damit die ganze schnatternde Meute auf charmante Weise einmal ruhig zu kriegen.

 

Künstlerisches Abendprogramm wurde ebenfalls selbst gestaltet: Die Literaturwissenschaftlerin Selena Wisnom aus Oxford, hat das zweite Stück ihrer Trilogie über Assurbanipal, den letzten großen assyrischen Herrscher, zur Aufführung gebracht. Da sie die Darsteller aus den KonferenzteilnehmerInnen rekrutierte, die also erst zwei Tage zuvor davon wussten, wurde der Text “nur” gelesen und nicht frei gesprochen – dennoch waren alle Schauspieler brillant in ihrer Darstellung und gaben mir ihr Einverständnis, dass ich ein paar VideoClips von der Aufführung auf YouTube veröffentlichen darf.

Dies ist eine unbedingte Empfehlung für Planetarien, denn das Stück ist historisch korrekt und braucht mit seinen relativ wenigen Requisiten und relativ viel Astronomie (da die Sterndeutung das Denken der Herrscher bestimmte und mithin auch die Politik) regelrecht prädestiniert in unseren Sterntheatern aufgeführt zu werden. Notfalls kann man es ja auf deutsch übersetzen.

Assurbanipal, der gelehrte König, der selbst lesen konnte und uns eine große, aufschlussreiche Bibliothek in Niniveh hinterließ.
Assurbanipal, der gelehrte König, der selbst lesen konnte und uns eine große, aufschlussreiche Bibliothek in Niniveh hinterließ. Seine Priester beraten ihn, u.a. durch Sterndeutung, aber auch nach Leberschauen u.a.
Großer Applaus den DarstellerInnen und natürlich vor allem der Autorin!
Großer Applaus den DarstellerInnen und natürlich vor allem der Autorin!

GIMMICK

Da ich derzeit mal wieder dabei bin, ein großes (dreijähriges) Projekt abzuschließen, gibt es Ergebnisse zu präsentieren und zu diskutieren – darum bin ich dauernd auf irgendwelchen Tagungen. Letzten Monat war ich auf einer Tagung der Dt. Mathematikhistoriker in Hamburg, jetzt eben bei den Assyriologen. Das sind immer interessante Bereicherungen und Inspírationen und die Organisatoren hatten alle Hände voll zu tun mit den ca. 300 Menschen an zwei Standorten. Dafür gebührt ihnen herzlicher Dank.

Lilie in der Morgensonne (Uni Bern, 2015)
Lilie in der Morgensonne (Uni Bern, 2015)

Anekdote: In der geteilten Stadt Genf habe ich übrigens in Frankreich gewohnt und bin zweimal am Tag mit dem Fahrrad über die Grenze der EU gefahren: sonderbar, diese Schweizerlinge.

😉

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

7 Kommentare

  1. Pingback:[SciLogs] Rencontre – Astronomie auf babylonisch – #Astronomie

  2. Susanne M. Hoffmann schrieb (27. Juni 2015):
    > Die Kulturen des Alten Orients sind unterschiedlich überliefert: Befunde einer schriftlichen Kultur gibt es seit dem -3. Jahrtausend, d.h. dem 3. Jt. vor Christus.

    Ist das so zu verstehen, dass die ersten dieser Fundstücke z.Z. ca. (höchstens) 5000 bis (mindestens) 4000 Jahre alt sind?

    (Im Scilog-Text ist offenbar keine ausdrückliche Erwähnung eines “0. Jahrtausends”, was die Frage erübrigt bzw. verneinend beantwortet hätte.)

  3. Apropos sonderbar: »In der geteilten Stadt Genf habe ich übrigens in Frankreich gewohnt und bin zweimal am Tag mit dem Fahrrad über die Grenze der EU gefahren:…«

    Welchen Teil von Genf vermuten Sie denn in Frankreich??? Etwa den, der Genève heisst?

  4. Eine geteilte Stadt Genf gibt es nicht, aber eine mehr oder weniger offene Grenze zu Frankreich kennen die CERN-Mitarbeiter, die auf der französischen Seite leben und auf der deutschen arbeiten. Wenn schon ist Genf nicht geteilt sondern es fehlt ihm teilweise die Grenze.
    Die Wikipedia listet übrigens in Liste geteilter Orte unter der Sektion Frankreich/Schweiz folgende Orte auf: Lucelle (Haut-Rhin) (Kanton Ferrette, Arrondissement Altkirch) und Lucelle JU, Weiler der Gemeinde Pleigne (Kanton Jura).
    Genf ist nicht dabei.

  5. Genfer Grenzphänomen: Meine Worte sollten norddeutsch-blumig für die verschwimmende Grenze sein (die ich als gebürtige Berlinerin immer mal wieder als Faszination empfine): Was macht eigentlich ein Dorf zu einem Vorort einer Stadt? etwa die Tatsache, dass er im gleichen Staat liegt? Ich habe auf einem Dorf gewohnt, das einen eigenen Namen hat und nicht mehr Genf heißt, aber der Übergang der Stadt zum Dorf ist nur ein (unbesetztes) Zoll-Häuschen und das Ende der Stadt merkt man nur daran, dass die Tram endet (nicht aber der Radweg).
    Im Kommentar von Martin Holzherr steht auch “deutsche Seite” von Genf, die es naturgemäß nicht gibt – nicht einmal deutschsprachig, denn Genf liegt in der französisch-sprachigen Schweiz. Wie gut, dass man immer ein paar Kümmelkörner hat, die man spalten kann… 🙂

  6. Nur weil es nicht schaden kann, auch heute noch “akribisch Tagebücher” zu führen, und es hier im Blog ja auch um Mathematik geht:

    In der ersten Bildunterschrift müsste es vermutlich heißen, ca. 300 Menschen aus ca. 32 Ländern.

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