Luftpumpe killt die “Schwarzen Löcher der Antike”

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Über Jahrhunderte fürchteten Philosophen die Leere wie das Nichts aus Michael Endes Unendlicher Geschichte. Diese Angst ging als "horror vacui", "Schrecken der Leere" in die Geschichte ein. Es war die gleiche Angst wie heute viele Menschen die Schwarzen Löcher fürchten: Man glaubte damals, das Vakuum sauge aus dem Umgebungsraum alles ab. (lt. Simonyi) In Weltbildern der Antike durfte z.B. kein leerer Raum entstehen, so dass kristalline Sphären oder was immer man sich sonst vorstellte, einander stets berühren mussten. Damit das Weltgebäude funktoniert und mit den Beobachtungsergebnisse übereinstimmende Vorhersagen liefert, musste man in den alten Weltbildern die Himmelsphysik anders gestalten als die irdische Physik (nach Aristoteles). – Dieses Dogma hielt sich bis zur Newtonischen Revolution, da der englische Naturphilosoph erklärte, dass überall im Universum die gleiche Physik zu gelten habe: "Wie im Himmel so auf Erden" (heißt es sogar im ‘Vater unser’ der Christenheit)

Ein sehr wichtiger Beitrag dazu leistete auch die Vakuum-Forschung, mit der Namen wie Guericke, Pascal, Torelli, Boyle, Mariotte u.a. verknüpft sind. Dass ich gestern in Magdeburg war, gibt mir Anlass zu einem skizzenhaften Spotlight auf den norddeutschen Physiker und Ingenieur Otto von Guericke, also eine Art "wissenschaftliches Sightseeing" ;-), denn als Historikerin versucht man ja stets hinter die Kulissen zu sehen – frei nach dem Motto "Wenn diese Steine reden könnten".  

1672 erschien Guerickes Publikation Experimenta nova magdeburgica – im selben Jahr also, in dem etwas weiter nordwestlich ein junger Mann namens Isaac Newton der Royal Society ein Spiegelfernrohr präsentierte und in Frankreich ein katholischer Priester namens Laurent Cassegrain ein anderes Spiegelteleskop gebaut haben soll.

So schreibt Simonyi auf S. 235 "Die größte Leistung Guerickes für die Wissenschaft ist die Erfindung der Luftpumpe." Damit konnte man nämlich aus Metallkugeln die Luft entfernen und mithin ein echtes Vakuum erzeugen. Das war bis dato ein Problem: Guericke hatte zuvor versucht, ein Wasserfass leerzupumpen. Das misslang jedoch, weil durch die Ritzen Luft eindrang und die das abgepumpte Wasservolumen auffüllte. Er glaubte jedoch fest an die These, dass ein Vakuum – d.h. physikalisch: ein Unterdruck (heute) oder bei manchen Autoren auch ‘der luftleere Raum’ – durch den äußeren Luftdruck in sich zusammengehalten wird.

 Sein berühmter Versuch ist natürlich auf dem Guericke-Denkmal am Alten Markt neben dem Rathaus abgebildet und überhaupt sind die "Magdeburger Halbkugeln" in der Stadt allgegenwärtig: An einer großen Straßenkreuzung steht ein symbolisierendes Denkmal und vor dem Hundertwasser-Haus neben dem Dom steht eine Skulptur, die die historischen Halbkugeln im Stile des modernen Künstlers Friedensreich Hundertwasser dekoriert zeigt – Wissenschaftsgeschichte vom Beginn des technischen Zeitalters, dekoriert im Stil der Grünen Revolution des 20. Jh. 

 
Was das Relief auf dem Denkmal zeigt, war eine der spektakulärsten Vorführungen von Physik: Zwei große Halbkugeln mit glatten Rändern wurden mit einer Dichtung aneinandergesetzt. Jede der Kupferkugeln war ca. 50 cm groß. Dann wurde die Luft aus der so entstandenen Vollkugel abgepumpt und an jede Halbkugel ein Gespann von acht Pferden gesetzt. Mit diesen insgesamt 16 PS konnten die Halbkugeln jedoch nicht getrennt werden. Als hernach wieder Luft eingepumpt wurde, waren die Pferde überflüssig: Die Halbkugeln fielen von selbst auseinander.

Diese eindrucksvolle Demonstration des Luftdrucks, also des Druckes der Außenluft auf das Vakuum, sprach sich schnell herum: 1654 sollte Guericke das Experiment in Regensburg bei Anwesenheit des Kaisers wiederholen. Bei dieser Demonstration verwendete er sogar 30 Pferde, also fast die doppelte Kraft wie in Magdeburg! Doch auch diesmal waren die Kugeln nicht auseinander bewegbar.

Der Jesuitenpater Caspar Schott publizierte die Ergebnisse 1658 für die breite Öffentlichkeit. Perfektioniert wurden die Arbeiten Guerickes von Robert Boyle (1627-1691) und seinem Assistenten namens Hooke: Sie bauten eine viel bessere Luftpumpe und experimentierten umfangreicher. Ihnen gelang der Beweis, dass sich im luftleeren Raum zwar Licht, nicht aber Schall ausbreiten kann. Außerdem haben sie gezeigt, dass ohne Luft keine Verbrennung ablaufen kann und dass Tiere ohne Luft verenden.
 
Die Luftpumpe wurde als weltbildrevolutionierendes Gerät von Nicolas L. de Lacaille (1713-1762) an den Himmel versetzt. Dieser französische Astronom hatte einen Faible für die Erfindung von Sternbildern, die den technischen Fortschritt widerspiegeln (auf ihn gehen auch Teleskop, Mikroskop, Pendeluhr, Fornax u.a. zurück). Durch einen vierjährigen Aufenthalt in Südafrika zum Zwecke der Landvermessung und Astrometrie beschäftigte er sich sehr eingehend mit dem südlichen Sternhimmel. Vom Kap der Guten Hoffnung (um 1750) vermaß er bspw Planeten- und Mondparallaxen, was natürlich profunde Kenntnisse des Fixsternhimmels voraussetzt.  
 

 


alle Bilder: SMH

Lit.: K. Simonyi: Kulturgeschichte der  Physik, Harry Deutsch, 1995 

 


 

PS: Bereits der Physiker und Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) schrieb in seinen Pensée: "Wir sollten mit unserem Glauben und unserem Zweifel klüger walten und die Verehrung der Autoren des Altertums in gemessenen Grenzen halten. Unsere Vernunft hält uns an, Autoritäten anzuerkennen, aber dieselbe Vernunft hat Schranken zu setzen. … Versuchen wir, sie zu überflügeln, wie auch sie ihre Vorfahren überflügelt haben." (zitiert nach Simonyi, S. 234). Damals so wahr wie heute! 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

3 Kommentare

  1. Das die Leere nicht unbedingt gefürchtet werden muss, auch wenn das Leben dort nicht möglich ist, dennoch nicht jedes Leben durch Leere ausgelöscht wird ist uns heute verständlich.

    Ganz unbegründet ist die damalige Furcht dennoch nicht, oder ? Zumindestens fallen mir spontan keine positiven Beispiele ein warum man den luftleeren Raum oder das schwarze Loch nun lieben sollte.

  2. guter Punkt

    Wenn man sich darin befindet, dann – das denke ich auch – findet man weder den Luftleeren Raum noch das Schwarze Loch toll. Aber aus der Ferne sind sie harmlos.

    Es ist ein bißchen wie mit wilden Tieren, glaube ich: Solange man als Besucher eines Zoos die Eisbären aus der Ferne betrachtet, sind sie “liab” (wie die Bayern sagen), also pussierliche Kuscheltiere. Wenn man aber zu ihnen ins Gehege springt, dann kann das ungesund enden. (siehe kürzliche Pressemeldungen aus Berlin)

    Der luftleere Raum hat aber gegenüber dem SL den Vorteil, dass wir dagegen schon eine “Medizin” gefunden haben (s.o. oder für größere Fälle von llR Astronautenanzüge, siehe vorherige Blogs). Gegen SL gibts noch kein Analogon – war m.W. auch noch nicht notwendig, drüber nachzudenken. 🙂

  3. PS

    Man hätte auch acht Pferde auf der einen Seite und auf der anderen Seite einen Anker nehmen können, ohne dass die Kraft geringer gewesen wäre. Außerdem ist PS eine Leistung. Hätte man einen Flaschenzug genommen, hätte ein einzelner Mann, mit einer Hand, die Kugeln trennen können.
    Mit enormer Untersetzung, hätte es theoretisch sogar eine Ameise mit 0.00000001 PS geschafft. Nur hätte es ein Weilchen gedauert.
    Gruß roldor.de

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