Bahn(-)frei – ein Wintermärchen

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae


auweia, ein paar Schneeflocken! … Sobald in Norddeutschland ein paar weiße Flöckchen gerieselt sind, ist der Zug der sich so super-cool “ICE” nennt (engl. für “gefroreres Wasser”) nicht mehr ganz selbstverständlich benutzbar. Normalerweise brauche ich von Berlin nach Hildesheim etwa drei Stunden (Tür zu Tür, davon etwa 2 Stunden im ICE, der Rest mit Berliner ÖPNV bzw. Fahrrad), doch diese Woche waren es auch schon mal ca. 5.5 Stunden one way!

Nur ein paar Gedanken: Warum habe ich als Berufspendler eigentlich schon wieder mal einen Termin aufgrund von verspäteten Zügen versäumt? Warum benötigt man für dieselbe Strecke plötzlich mehr als die doppelte Zeit? Manchmal frage ich mich, wo man hier eigentlich mehr am System feilen muss: Sind es unsere Erwartungen als unentspannte Nicht-Touristen an die Bahn oder ist es die Technik, was buggy ist?

Deutschland – ein Wintermärchen (?!)

Die Odyssee beginnt mit der Berliner S-Bahn: Wegen einer Weichenstörung fährt sie bei mir zuhause einfach gar nicht. Und das mitten im morgendlichen Berufsverkehr zwischen 6 und 8 Uhr! Na schön, man hat ja noch die U-Bahn.

Diese (BVG ist anderes Unternehmen als S-Bahn) schien jedoch nicht zu wissen, dass sie jetzt auch die Passagiere der S-Bahn mitnehmen muss und es gibt trotz 3 min-Takt dieses Fuhrunternehmens ein heilloses Gequetsche – schlimmer als bei so manchen Groß-Demos und vllt etwa vergleichbar mit den Menschenströmen um den 10./11. November 1989 in dieser Stadt. Nur, dass man es heute nunmal eilig hatte, weil man rechtzeitig zur Arbeit oder Schule wollte. Die Züge waren so voll, dass ich nicht mit dem ersten, nicht mit zweiten und auch nicht mit dem dritten Zug mitkam, der vor mir hielt. Wenn zwei Menschen ausstiegen, drängten zehn weitere hinein. … Naja, irgendwann hat’s dann doch geklappt, denn der Druck der Menschenmenge hinter mir presste mich in die Bahn: d.i. Physik live erlebt: so funktionieren Atome in einem ziemlich amorphen Festkörper.

Nun war ich schon früher als normal losgegangen, weil das Radio glücklicherweise den Streckenausfall gemeldet hatte, aber es war immernoch zu knapp: Nachdem man sich durch den Stadt-ÖPNV zum Hauptbahnhof dann doch endlich durchgekämpft hatte, fuhr der ICE mir natürlich exakt vor der Nase weg. Nächster Zug eine Stunde später, dachte ich – bisher noch wenig beeindruckt. ABER der nächste Zug hat leider schon jetzt – eine Station nach dem Startbahnhof in derselben Stadt und eine Stunde vor Reiseantritt 60 min Verspätung (in Worten: sechzig Minuten, eine Stunde!). Also wieder zwei Züge zusammengelegt und wieder Gedrängel.

Das Leben in vollen Zügen (genießen?)

Fein, also nehmen wir im prima ausgebauten Streckennetz der DB eben eine Alternative: den Umweg über Hannover: ICE geht in 10 min und hat nur 5 min Verspätung am Berliner Hauptbahnhof. Leider sind diese Züge jedoch anscheinend nur dafür ausgelegt, im Temperaturbereich von +3 bis +21 °C gut zu funktionieren [oder so: d.i. natürlich eine Übertreibung]. Jetzt aber war die Temperatur niedriger und so konnte leider nur die Hälfte dieses Zuges die Reise nach Köln antreten. Es drängelten sich folglich die Insassen von einem vollen ICE in einem halben und nahmen zusätzlich noch Passagiere mit, deren eigentlicher Zug entfiel oder zu sehr verspätet war. Unterwegs stellten also die armen Zugbegleiter fest, dass der Zug leider zu voll ist und in diesem Zustand Berlin nicht verlassen könne. Man kann sich vorstellen, dass es nicht den Sicherheitsvorschriften entspricht, mit 200 km/h in einem Zug unterwegs zu sein, der zugestellte Fluchtwege hat. Das geht ja gar nicht! (zumindest in Deutschland)

In Spandau wurde daher so lange gehalten, bis sich hinreichen viele freundliche Mitmenschen mit einem 25 €-Reisegutschein aus dem Zug aussteigen ließen. Auch wenn der Zugführer dann richtig auf die Tube drückte und das Bordrestaurant freundlicherweise Wasser an die schwitzenden Passagiere verschenkte, half’s nicht: Inzwischen war die Verspätung des Zuges auf ca. 25 min angestiegen und ich verpasste in Hannover (wo ich fahrplangemäß eigentlich viiiiel Zeit gehabt hätte) die S-Bahn nach Hildesheim. Eine weitere halbe Stunde musste ich warten und erreichte das Fahrziel mit etwa 2 Stunden Verspätung. Da hätte ich also auch in Berlin auf den 60 min verspäteten ICE warten können – oder später aufstehen. 🙂

Effektiv war es also etwa die doppelte Fahrzeit, die ich unterwegs war.

Also, wenn ich mit dem Fahrrad durch den hohen Schnee durch Hildesheim länger brauche, weil ich auf gefährlich rutschigen Strecken lieber ein Stück schiebe, um mich und andere nicht zu gefährden, dann finde ich das zwar schade, aber irgendwie einsichtig. So ein Zug hat aber ein etwas stabileres Fahrverhalten und ist deutlich höher entwickelt als mein sportliches Damenrad. Warum geht’s dem aber auch so?

[Abb.: Das Foto habe ich zwar vor 3 Jahren in Hamburg vor meiner Haustür gemacht, aber es passt jetzt auch wieder fast. An einem Nachbarrad am Bahnhof sah ich neulich Eiszapfen am Sattel. kein Witz!]

Und vor allem: warum beschwert sich eigentlich kein Russe über so etwas?

Die Transsibirische Eisenbahn fährt durch ganz andere Klima-Bedingungen: in Novosibirsk wird es im Winter manchmal bis zu -35°C kalt und die Durchschnittswerte liegen laut Klimatabellen durchaus auch bei -14 oder -20 °C in Sibirien, siehe z.B. versch. Reisewetter-Webseiten. Reißende, Kilometer breite Ströme wie der Ob und der Jenissei sind im Winter so dick zugefroreren, dass man darauf mit Autos fahren kann:

Sind die Russen so unverwüstlich oder liegt es nur daran, dass die Entfernungen zwischen den Nachbar-Großstädten eher 0.5 bis 1 Tag Reisezeit betragen und die Russen daher gar nicht auf die Idee kommen, dass man einen Fernzug analog zur S-Bahn benutzen könnte, um morgens zur Arbeit zu fahren (wie ich das bisweilen tue)? 

Erwarten wir deutschen Fahrgäste einfach zu viel?

[Abb.: Fotos von einem Transsib-Zug beim Halt in Novosibirsk, März 2011]

Sicher spielen auch diese Faktoren mit rein! … aber denkwürdig ist es schon, diese Beobachtung:

[Abb.: Gleise der Transsib, März 2011 versus leicht verschneite Berliner Gleise, Jan. 2013]

Aber

… ist das ein Grund, dass ICE-Züge oder -Wagen gleich kaputt gehen bzw. S-Bahn-Weichen einfach einfrieren, wenn’s mal unter null geht? Kann es vielleicht auch sein, dass wir einfach zu sensible Geräte benutzen? Dabei erklärte mir am Montag sogar eine einfache Mitarbeiterin (Reinigungskraft, gebürtig aus Südamerika stammend) im TOPOI-Haus in Berlin, dass in Deutschland kein Winter ohne Schnee ist! Vielleicht können die Konstrukteure der Bahn von dieser lieben Frau noch etwas lernen… 😉 …von ihr und von russischen Bahngesellschaft, deren Züge nämlich auch bei Minusgraden einwandfrei funktionieren – auch wenn die Zugbegleiter an jedem Haltebahnhof das Eis am Unterboden abschlagen. 🙂

[Abb.: Speisewagen in der Transsib, Foto 2008]

 


 

Gimmick

Man kann ja mal ein bißchen Geist der Romantik versprühen in diesem tristen grauen Wetter: 🙂

Besonders dann, wenn wir manchmal über die Verschiedenheit der Kulturen brüten oder über unsere nahegelegene kleine Welt schimpfen: ein bißchen mehr Gelassenheit tut uns mitunter vielleicht ganz gut. Hier ein Stimmungsbild von einem “blauen Wunderblümchen” 😉 in Schienen einer alten Bergbaubahn (smh 2010).

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

2 Kommentare

  1. Ist ja wirklich übel, was Sie da durchgemacht haben. Dennoch bewundere ich Ihren Humor, oder ist es eher Zynismus, mit dem Sie die Sache beschreiben? – Ach ja, vielleicht bringt ja dieser Artikel etwas Licht ins Dunkel bei der Frage nach den Ursachen zu dieser Misere…

  2. Warum?

    Vielleicht liegt es an der Kombination von ausgedünnter Personaldecke und improvisationsfeindlicher Technik.
    Da lobe ich mir das alte Ural-Gespann, dass ein Freund zum letzten WE extra durch die HU gebracht hat.

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