Verzerrte Realitäten

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Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Sprachlog

An vielen Orten der Welt bemühen sich Sprachwissenschaftler/innen darum, sterbende Sprachen zu dokumentieren. Das ist nicht nur für die Sprachwissenschaft wichtig, sondern manchmal auch für die betroffenen Sprachgemeinschaften, wenn die nachfolgenden Generationen die Sprache ihrer Vorfahren wiederbeleben möchten. Wer die Dokumentation sterbender Sprachen unterstützen möchte, kann das z.B. durch eine Spende an die Gesellschaft für Bedrohte Sprachen tun.

Ab und zu entdecken die Forscher/innen bei ihrer Dokumentationsarbeit sogar bislang unbekannte Sprachen. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist das besonders besonders spannend, weil immer die Möglichkeit besteht, dass die neu entdeckte Sprache Eigenschaften hat, die wir vorher für unwahrscheinlich oder sogar für unmöglich gehalten hätten. So zum Beispiel, als der Missionar und Feldforscher Desmond Derbyshire im Rahmen seiner Missionstätigkeit die Sprache Hixkaryana entdeckte, deren grundlegender Satzbau die bis dato für unmöglich gehaltenen Reihenfolge Objekt-Verb-Subjekt aufwies (Derbyshire 1961).

Aber als ich die folgende Schlagzeile in meinem Feedreader sah, war ich dann doch überrascht: „Linguisten entdecken neue Sprache, die unsere Realität verzerrt“, schreibt das Technikblog „Gizmodo“ (nur, damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich lese Gizmodo nicht, aber mein Feedreader durchsucht für mich Google News nach Wörtern wie „Anglizismus“, „Sprachwandel“ und eben auch „Linguisten“).

Eine Sprache, die unserer Realität verzerrt? Das klang für mich nach Ian Watsons spektakulären Science-Fiction-Meisterwerk The Embedding (dt. „Das Babel-Syndrom“), in dem es um eine solche Sprache geht. Meine Neugier war also geweckt und ich erfuhr

dass Forscher eine neue Sprache entdeckt haben. Eine Sprache die völlig anders ist als jede die wir bisher kennen.

Die beiden Linguisten gaben ihr den Namen Koro. Die Wissenschaftler stießen auf die Sprache am Fuß des Himalajas. 800 Bewohner eines abgelegenen Dorfes kommunizieren noch auf diese Weise. Nepal hat über 120 bereits bekannte Dialekte. Koro ist jedoch vollkommen neu. Die Sprache ist anscheinend anders gegliedert als jede andere uns bekannte Kommunikationsform. Die Forscher haben dort die Gelegenheit mit Menschen zu interagieren, die ein völlig anderes Bild von unserer Welt haben als wir, weil die Sprache die sie benutzen vollkommen anders aufgebaut ist.

Laut den Forschern beschreiben Koro-Sprecher unsere Welt mit Wort-Strukturen, die in keine andere uns bekannte Sprache übersetzt werden können, meint Dr. Gregory Anderson – einer der beiden Linguisten. [GIZMODO.de/Roubintchik 2010]

Nun sind die Sprachen der Welt in ihrem Aufbau tatsächlich sehr vielfältig, sodass es zunächst plausibel klingen mag, dass es irgendwo eine derartig einzigartige Sprache geben könnte. Trotzdem war mir sofort klar, dass es sich bei diesem Artikel tatsächlich um (unfreiwillige) Science Fiction handelt. Denn zwei Dinge werden wir unter den noch unentdeckten Sprachen und Sprachgemeinschaften der Welt mit Sicherheit nicht finden: „Wort-Strukturen, die in keine andere uns bekannte Sprache übersetzt werden können“ und Menschen, „die ein völlig anderes Bild von unserer Welt haben als wir, weil die Sprache die sie benutzen vollkommen anders aufgebaut ist“.

Natürlich kann es Sprachen geben, die Wörter nach für uns ungewohnten Prinzipien aufbauen (zum Beispiel die Eskimo-Aleut-Sprachen, mit ihrem mythisch überhöhten Schneevokabular, siehe z.B. hier), aber übersetzen können wir diese Wörter natürlich immer, denn für die Übersetzung spielt die Struktur von Wörtern keine Rolle, da ja nur die Bedeutung übertragen werden soll. Es gibt möglicherweise auch Menschen, die die Welt auf eine minimal andere Weise kategorisieren als wir, weil ihre Sprache ihnen minimal andere Kategorisierungen nahelegt. Vollkommen überzeugend ist die Evidenz dafür nicht, aber selbst, wenn es so sein sollte gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass der Aufbau unserer Sprache das „Bild von unserer Welt“ bestimmt.

Damit stellte sich natürlich die Frage, wie der Gizmodo-Autor auf seine abwegigen Behauptungen gekommen ist. Zunächst handelt sich um Nacherzählung eines Beitrags aus dem amerikanischen Mutterblog Gizmodo.com. In diesem Beitrag finden sich zum Teil dieselben Behauptungen. Überschrieben ist der Originalbeitrag mit „Two linguists have discovered a completely unique, reality-shifting language in India“ — realitätsverzerrend soll die Sprache also auch dort sein, und auch ihre Struktur und die durch sie erzwungene Weltsicht sollen einzigartig sein:

Koro sounds and is structured like no other language on earth, giving scientists an opportunity to interact with a population whose conception of the world is, because of the words they use, fundamentally different from the rest of us. [GIZMODO.com/Biddle 2010]

Allerdings findet sich dort auch ein Zitat eines der Entdecker der Sprache, dem amerikanischen Sprachwissenschaftler Gregory Anderson:

Koro speakers „uniquely code knowledge of the natural world in ways that cannot be translated into a major language,“ explains Dr. Gregory Anderson, one of the linguists behind the breakthrough. [GIZMODO.com/Biddle 2010]

Das klingt deutlich anders, könnte aber die Ursache für das Missverständnis sein. Anderson sagt hier nicht, dass die Struktur der Sprache nicht übersetzbar sei oder das die Weltsicht der Sprecher in irgendeiner Weise durch sie verzerrt würde, sondern, dass das Wissen über die Natur auf eine Weise versprachlicht ist, die sich nicht in die großen Weltsprachen übersetzen lässt. Das ist aber nicht weiter überraschend: Die großen Weltsprachen werden in hochtechnisierten Gesellschaften gesprochen, sie reflektieren dementsprechend in weiten Teilen eine wissenschaftliche Sicht der Natur.

So macht sich ein Sprecher des Deutschen heute potenziell lächerlich, wenn er von einem Walfisch spricht, denn wir wissen, dass Wale allem äußerern Anschein zum Trotz keine Fische sind. Die Sprecher des Koro befinden sich aber in etwa auf einem bronzezeitlichen Stand der Technik, ihre sprachliche Taxonomie der Natur dürfte sich also eher an einem vorwissenschaftlichen Verständnis derselben orientieren. Solche vorwissenschaftlichen Versprachlichungen können durchaus ihren Wert haben, da sich in ihnen natürlich das Erfahrungswissen von vielen Generationen niederschlägt. Die Übersetzbarkeit ist dadurch nicht gefährdet, Anderson drückt sich in dem Zitat unklar aus. Nur eine Wort-für-Wort-Übersetzung ist nicht möglich, aber das ist auch unter eng verwandten Sprachen wie dem Deutschen und Englischen nicht möglich.

Beide Gizmodo-Artikel beziehen sich übrigens auf denselben Artikel im Wall Street Journal. Wenn die beiden Gizmodo-Autoren sich den genau durchgelesen hätten, wäre ihnen aufgefallen, dass dort eine kleine Vokabelliste geliefert wird, die den Mythos von der einzigartigen Weltsicht und Unübersetzbarkeit schnell zerstreut hätte:

jew-prah head
ko-play four
soo-fee six
poh-lay bird
leh-leh pig
may-nay sun
may-pah night
keh-peh nose
moo-yoo rain
oh-foh older sister
kah-plah-yeh thank you/you’re welcome

Bei dem letzten Wort habe ich übrigens gestutzt und kurz kam bei mir die Hoffnung auf, dass es sich bei den Koro-Sprechern möglicherweise um Außerirdische handeln könnte, die dann vielleicht wirklich eine völlig andere Weltsicht hätten als wir: kah-plah-yeh klang für mich sehr nach dem Klingonischen Gruß Qapla’ (ausgesprochen ka-plach, wörtlich „Erfolg“). Aber die anderen Wörter auf der Liste stimmen nicht („Kopf“ müsste z.B. nach heißen, und „Nacht“ ram), und außerdem stammt die Wortliste aus einem ausführlicheren Artikel im National Geographic, dem man wohl getrost unterstellen kann, dass man dort, anders als bei Gizmodo, Wissenschaft und Science Fiction auseinanderhalten kann.

 

Biddle, Sam (2010) Two Linguists Have Discovered a Completely Unique, Reality-Shifting Language in India, Gizmodo.com, 7. Oktober 2010. [Link]

Derbyshire, Desmond C. 1961. Hishkaryana (Carib) syntax structure: II phrase, sentence. International Journal of American Linguistics 27: 226-236.

Hotz, Robert Lee (2010) Rare Find: a New Language. Wsj.com, 5. Oktober 2010. [Link]

Morrison, Dan (2010) “Hidden” Language Found in Remote Indian Tribe, Nationalgeographic.com, 5. Oktober 2010. [Link]

Roubintchik, Maxim (2010) Linguisten entdecken neue Sprache, die unsere Realität verzerrt, Gizmodo.de, 7. Oktober 2010. [Link]

Stefanowitsch, Anatol (2007) Schneeschmelze. Bremer Sprachblog, 29. Januar 2007. [Link]

Watson, Ian (1973) The Embedding. London: Gollancz. [Neu aufgelegt 2000 von Orion Books/Victor Gollancz, Amazon.de]

Watson, Ian (1985) Das Babel-Syndrom. München: Heyne [Vergriffen].

© 2010, Anatol Stefanowitsch

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

22 Kommentare

  1. DAS ist jetzt aber mal mehrfach unglücklich formuliert, vermutlich nicht absichtlich, aber doch ziemlich überheblich.
    Bisher unbekannte Sprache? Also ich bin sicher, dass zumindest die Sprecher des Koro ihre Sprache vor ihrer “Entdeckung” durch Linguisten sehr wohl kannten.
    Die Welt besteht nicht nur aus westlichen weißen Wissenschaftlern …

  2. @Martin Huhn

    @ZA: Im Kontext des Satzes ist doch klar, dass „unbekannt“ sich auf die Sicht der Sprachwissenschaft bezieht. Ich sehe nicht, warum das überheblich sein sollte — das Wort bezieht sich immer auf die Perspektive von irgendjemandem. Sonnst könnte man z.B. nicht Anzeige gegen Unbekannt erstatten, denn man kann ja davon ausgehen, dass der Angezeigte sich selber kennt.

    @Martin Huhn: Hixkaryana wird in Nhamundá im brasilianischen Bundesstaat Amazonas gesprochen. Es gehört zur Familie der Carib-Sprachen, die derzeit noch etwa 30 lebende Sprachen umfasst, die größtenteils im Norden des südamerikanischen Kontinents gesprochen werden.

  3. Klingonisch Qapla’

    Klingonisch Qapla’ klingt nicht wie “ka-plach”, sondern eher wie “kcha-pla”.

    Am Anfang ist ein “kch” wie man’s manchmal im Schweizerdeutschen hört, und am Ende ist ein “glottal stop” (Stimmritzenverschlusslaut) wie in “‘er’innern” oder “ver’eisen” (oder im Cockney-Englisch “bo’le” für “bottle”).

  4. Anderson “The Linguist”?

    Etwa der Gregory Anderson, der mit K. David Harrison die großartige Dokumentation “The Linguists” gedreht hat?

    In einem Interview mit K. David Harrison, welches man bei Youtube anschauen kann sagt er so einiges was zu dem Zitat von Anderson passt und deutlich macht, dass sie (zumindest er) nicht davon ausgehen Sprecher bestimmter Sprachen hätten ein verzerrtes Weltbild:

    http://www.youtube.com/watch?v=nmLYo8zQOVs ca. min. 12:50

    Wobei ich mir vorstellen könnte, dass sie den Einfluss bestimmter linguistischer Strukturen auf unser Denken etwas höher einschätzen als Herr Stefanowitsch, ist aber nur eine Vermutung.

    In dem Interview mit Harrison sagt er auch etwas zu der Verwendung des Begriffs “Entdeckung”…

  5. Wenn ich Artikel wie die oben angesprochenen lese, frage ich mich immer wieder warum Journalisten/Feuilletonisten so gerne das Pferd von hinten aufzäumen. Hier wurde eine sehr kleine Gruppe Menschen gefunden, die – davon kann ich bei den vorhandenen Informationen wohl ausgehen – keinerlei Kontakt mit der Welt außerhalb ihres Tals hatten. Am Fuße des Himalaya gestaltet sich das Lebensumfeld sicherlich ein wenig anders, als, sagen wir, am Nordseestrand, wo die Fische bekanntlich selten an Land.

    Ich erwarte nun, dass diese sehr unterschiedlichen Lebensumstände zu verschiedenen Weltsichten führen, und auch zu Sprachdifferenzen [vorwiegend lexikalischer Natur]. Wer seit 1 Mio Jahren nicht in der Nähe fischreicher Gewässer war, dafür aber 10.000 Varietäten Gräser vor seiner Tür findet, wird vermutlich kein oder nur ein Wort für ‘Lebewesen im Wasser’ haben. Es ist aber wirklich nicht so, dass er 10.000 Worte für ‘Poales’ hat und es deswegen so viele davon bei ihm gibt.

    Sollte der eine oder andere Koro mal einen netten längeren Aufenthalt in Singapur oder London oder Chicago einschieben, wird er vermutlich so manch ihm bis dato fremdes Konzept und vor allem eine ganze Reihe von Fremdwörtern mitnehmen. So wie wir im Deutschen den Computer haben. Vielleicht entwickeln er und seine Freunde sogar neue Wörter, so was wie das deutsche ‘Handy’.

  6. > Die beiden Linguisten gaben ihr den Namen Koro.

    Das ist ja auch kein Bisschen verzerrt. Das es in der Region eine Sprache namens Koro gab/gibt/mal gegeben haben muss, das war bekannt. Die Fachwelt hatte bislang nur noch nie Muttersprachler dieser Sprache interviewt.

    [Die Existenz einer ethnischen Gruppe namens Koro wurde, soweit ich weiß, erstmalig in der 16. Auflage des Ethnologue von 2009 erwähnt, und dort ist auch vermerkt, dass deren Sprache den sie umgebenden Sprachen sehr unähnlich ist. Anderson führte seine Feldforschungen 2008 durch, sodass unklar ist, ob er zu diesem Zeitpunkt wissen konnte, dass die Koro eine eigene, nicht dokumentierte Sprache haben. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung zum Koro steht, soweit ich sehe, bislang aus. — A.S.]

  7. Wieder nur Vokabeln

    Schade, jetzt hatte ich doch was richtig aberwitziges erwartet, wie z.B. eine Sprache, auf die Grundlegende Konzepte wie Subjekt oder Objekte nicht anwendbar sind. Das hätte wirklich an meiner Realität gezerrt. 😉

    Aber statt dessen: Sprache ist mal wieder nur Vokabular.

  8. Geschlechter

    Bezüglich “Sprache und andere Weltwahrnehmung”: Gibt es nicht ein südamerikanisches Volk, dass jenseits von Mann und Frau noch weitere Geschlechter (auch für Menschen!) kennt, da dort das Geschlecht auch vom Status abhängt?
    Das käme dem doch sehr nah (wobei die Frage ist was Ursache und Wirkung ist)

  9. @peer

    Naja, Sudamerika: Nah dran, aber nur fast. Im Deutschen haben (hatten) wir je nach Stand auch unterschiedliche Pronomina:
    – Fremder an Fremden: Haben Sie mal einen Euro

    – Bekannter an Bekannten: Hast du mal eien Euro

    – Untertan an König: Habt ihr mal einen Gulden?

    – König an Untertan: Hat er mal einen Gulden?

    Mit Grammatik hat das allerdings nichts zu tun, sondern mit Pragmatik (und ja, ich trenne beides strikt).

  10. Nachtrag

    – Arzt an Patienten: Haben wir denn 10 Euro?

    Wenn ich grade Zeit zum nachdenken hätte, würde mir bestimmt auch noch was mit 1.sg einfallen…

  11. “Subjekt” und “Objekt”

    @Patrick: Knapp dabei ist auch daneben. Bei deinen Beispielen handelt es sich lediglich um Unterschiede in der Person, mit Geschlecht oder Genus hat das nichts zu tun.

    @DrNI@AM: “eine Sprache, auf die Grundlegende Konzepte wie Subjekt oder Objekte nicht anwendbar sind”. So aberwitzig ist das nicht. Es ist wohl eher aberwitzig, dass in den uns ach so gut bekannten, aber bekannterweise sehr exotischen (soll heißen von allen anderen Sprachen sehr verschiedenen), europäischen Sprachen eine Bündelung von Variablen (Kasus, Kongruenz, Kontrolle, Anhebung, Konjunktionsreduktion) gibt, die sich mit dem klassischen Subjekts- bzw. Objektsbegriff beschreiben lassen. Man muss ja nur einmal auf das Chinesische schauen, da sind “Subjekt” und “Objekt” nicht anwendbar (oder höchstens sehr, sehr, sehr umstritten; LaPolla und Li & Thompson). oder das Cayuga, da gibt es keine Subjekte und Objekte, weil es nicht einmal Argumente gibt (Sasse).

    LaPolla, R. (1993) Arguments against ‘subject’ and ‘object’ as viable concepts in Chinese. Bulletin of the Institute of History and Philology, Academia Sinica 63, pp. 759-813.

    Li, C. N. and Thompson, S. A. Li, C. N. (ed) (1976) Subject and topic: A new typology of language. Subject and topic pp. 457-489. Academic Press, New York.

    Sasse, H.-J. (1993). Das Nomen – eine universale Kategorie? Sprachtypologie und Universalienforschung, 46(3):187–221.

  12. @Patrick

    Das Dorf hieß Amarete, ich hab noch mal nachgeguckt. Es liegt in Bolivien. Und die Geschlechter beziehen sich auf Berge, Gegenstände etc. also nicht nur auf Personen.
    Aber wie gesagt: Wieweit das sprachlich bedingt ist, weiß ich nicht.

    [Die Behauptung bezüglich der zehn „Geschlechter“ von Amarete gehen auf die Arbeiten einer einzigen Person, der Kulturanthropologin Ina Rösing, zurück; es gibt keinerlei Bestätigung durch andere Forscher. Ich kenne Rösings Arbeit nicht (sie hat vor ein paar Jahren im Spektrum der Wissenschaft eine Zusammenfassung geschrieben, vielleicht schickt mir die ein netter Mensch zu, dann kann ich mehr dazu sagen), aber der Eindruck, den ich aus Rezensionen und Zitaten gewonnen habe, lässt mich stark daran zweifeln, dass hier eine Definition von Geschlecht zugrundegelegt wurde, die in irgendeiner Weise mit dem Alltagsbegriff übereinstimmt. Die Einwohner des Dorfes Amarete selber erkennen ihr System von zehn „Geschlechtern“ selber nicht als solches (schreibt Rösing selbst), und die Amaretoños scheinen auch ein eher traditionelles, biologisch begründetes Geschlechtermodell zu pflegen: Biologische Männer heiraten nur biologische Frauen, nur biologische Männer dürfen öffentliche Ämter bekleiden und an bestimmten Ritualen teilhaben, biologische Männer und Frauen kleiden sich sehr unterschiedlich (vgl. Canessa 2000). Die Wahrnehmung der Realität wird durch dieses System von zehn „Geschlechtern“ also offensichtlich nicht sehr stark beeinflusst. Vor allem ist aus unserer Sicht relevant, dass dieses System von zehn „Geschlechtern“, selbst wenn es existieren sollte, sich offensichtlich nicht sprachlich niederschlägt, für den Zusammenhang von Sprache und Wahrnehmung also nicht relevant ist. Lit.: Canessa, Andrew (2000) Review of Rösing, Ina. Geschletchliche [sic] Zeit, geschlechtlicher Raum. Journal of the Royal Anthropological Institute 6(3), 545-546. — A.S.]

  13. @ Martin Huhn

    Hixkaryana wird im Amazonasbecken in Brasilien gesprochen, und zwar, wenn ich das richtig sehe, im Bundesstaat Pará.

  14. @ Martin Huhn und ich selbst

    Wer lesen kann ist klar im Vorteil. Vergessen wir einfach meinen Kommentar.

  15. @Dierk wg. “Computer”

    Ich gebe Dir grundsätzlich recht, aber das Beispiel “Computer” ist ein schlechtes. Als Konrad Zuse seine Rechenmaschine baute, hat er die sicher nicht Computer genannt, und selbst IBM steht für International Business Machines, nicht für International Business Computers.

    Deswegen wird an deutschen Informatikfakultäten auch weiterhin Rechentechnik an Großrechner oder Parallelrechnern gelehrt, und auch ich schreibe diesen Kommentar an einem Rechner.

    Beispiele für übernommene Fremdwörter für neuartige Dinge gibt es aber natürlich genug, und wenn wir schon in der Informationstechnologie wildern, dann nehmen wir eben die Software, für die es kein deutsches Pendant gibt. Ein Koro-Sprecher hätte sicher auch erst genug damit zu tun, passende Wörter für Auto, Fahrrad oder Unterhose zu finden.

  16. @Adnan:
    Das ist natürlich wieder so eine Frage von Henne und Ei…
    Wenn man an die Möglichkeit künstlicher Sprachen denkt, eröffnet die Alternative “Sprache-bestimmt-Weltsicht” Diktatoren natürlich ganz ungeahnte Möglichkeiten, wie Orwell das am Beispiel des Newspeak in “1984” herausgearbeitet hat.

    Tatsächlich ist die Antwort wohl aber ein entschiedenes “Sowohl – als auch”. Egal wie festgefügt die Sprache zu sein scheint, der menschliche Drang zur Bezugsherstellung macht es immer möglich, alte Wörter und Wendungen auf neue und andersartige Phänomene und Gedankengänge anzuwenden. Selbst mit restlos politisch festgezurrten Ausdrucksmöglichkeiten gibt es noch immer Möglichkeiten, Mittel und Wege – was hervorragend illustriert wird
    von einer Erzählung in Gene Wolfes “Citadel of the Autarch” (Kapitel “Loyal to the Group of Seventeen’s Story”).

  17. @Adnan Vatandas

    Ich würde ja sagen, “weder noch”, aber ich bin sicher, es gibt Einige, auch Linguisten, die zu Letzterem tendieren.

    Meiner Ansicht nach hängt beides zwar zusammen, steht aber nicht in einem kausalen Verhältnis (im Sinne von X ergibt sich aus Y).

    So kann ich an bestimmte Dinge denken, ohne, dass ich sie in Worte fassen kann (Wie beschreibt man noch gleich den Geruch einer Bratwurst?), Andererseits kann ich Sprache verwenden, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was dieses Ding „Sprache“ eigentlich ist.

    Wobei das natürlich davon abhängt, was man unter beiden Begriffen jeweils verstehen will.

  18. @ Schulze

    Doppelt gemoppelt hält besser. Ich finde so einen Kommentar nicht schlimm, auch wenn die Antwort schon gegeben wurde. Besser als Spam oder Beleidigungen.

  19. Realitätsverzerrung

    “The coexistence of separate languages between two integrated groups that don’t acknowledge an ethnic difference is very unusual, the Living Tongues Institute’s Anderson noted.” (aus dem National Geographic-Artikel) – ist nicht das, verbunden mit der Leugnung von Differenzen zwischen zwei für uns sehr unterschiedlich erscheinenden Sprachen (siehe Schluss des Nat.Geog.-Artikels) das eigentliche Thema, auf das sich sowas wie “reality-shifting” als Bezeichnung anwenden ließe?