Sprachbrocken 19-20/2012

BLOG: Sprachlog

Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Sprachlog

Da gibt es eine winzige sprachliche Minderheit, die sich nicht nur weigert, die Sprache der Mehrheit zu lernen, sondern die es sogar geschafft hat, ihre Sprache durch Gesetze schützen zu lassen. Und jetzt beschwert sich diese Minderheit, die nur knapp 0,7 Prozent der Bevölkerung stellt, dass die Rettungsstellen nicht rund um die Uhr mit Leuten besetzt sind, die ihre Sprache sprechen.

Sie werden wohl lernen müssen, dass Minderheiten der Mehrheit ihre Sprache nicht aufzwingen können – diese integrationsunwilligen Deutschsprachigen in Belgien.

Der Mehrheit unsere Sprache aufzwingen ist etwas, das man den deutschen Beiträgen zum Eurovision Song Contest (wie der Wettbewerb, der früher den schönen deutschen Namen „Grand Prix d’Eurovision de la Chanson“ trug, ja leider seit einigen Jahren heißt) sicher nicht vorwerfen: Dort wird konsequent Englisch gesungen. Dabei ist der Kandidat für Deutschland nach eigener Aussage nicht einmal, wie viele von uns vielleicht vermutet hätten, „der beste Englischsprecher der Welt“.

Das gilt wohl auch für die „Renterinnen-Band“ aus Buranowo, die für Russland antritt. Die bleiben lieber bei ihrer Muttersprache Udmurtisch, einer (noch) recht lebendigen finno-ugrischen Sprache. Bis auf den Refrain – der lautet, ganz der Sprache Shakespeares verpflichtet, We wanna boom boom boom, we wanna party party, we wanna boom boom boom for everybody, party for everybody, dance, come on and dance, come on and dance, come on and… Party for everybody, dance, come on and dance, come on and dance, come on and boom, boom. Das lässt wenig Hoffnung bezüglich der literarischen Qualität des übrigen Textes aufkommen, und die englische Übersetzung auf der offiziellen Seite des Liederfestes bestätigt die schlimmsten Befürchtungen: The dough is rising joyously erfahren wir, und And my cat is happy, and my dog is happy!

Gar nicht happy ist der udmurtische Sprachwissenschaftler Pawel Posdejew. Ihn stört aber nicht das Glücksgefühl von Teig und Tier, sondern eben der englischsprachige Refrain. Statt „Come on and Dance, Boom Boom“ sollten die Udmurtinnen besser „Come on eschjos, Hasch Hasch“ singen (warum das Come on bleiben dürfte, erklärt er nicht).

Er sollte sich nicht so aufregen. Denn nicht einmal in der Tierwelt kommt man schließlich ohne Fremdsprachenkenntnisse noch sehr weit. Das mussten ein Hänfling und ein Rotkehlchen feststellen, die sich gemeinsam in einer Voliere des Bonner Ornithologen Johannes Kneutgen wiederfanden – der Hänfling sprach kein Rotkehlsch und das Rotkehlchen kein Hänflisch. Glücklicherweise hatten beide irgendwo den Lockruf des Dompfaffs aufgeschnappt, und so konnten sie sich dann doch noch verständigen und wurden beste Freunde.

Und an dieser Fabel, die das Leben schrieb, könnte sich ja auch die deutschsprachige Minderheit in Belgien ein Beispiel nehmen. Wenn es auf Deutsch nicht klappt und man partout kein Französisch lernen will, einfach mal Dompfäffisch ausprobieren – was für den Lockruf recht ist, kann für den Notruf nur billig sein.

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

16 Kommentare

  1. Irreführend

    “diese Minderheit, die nur knapp 0,7 Prozent der Bevölkerung stellt”

    Ich finde das klingt so, als ob diese Menschen quer übers Land verteilt wären. Dem ist aber nicht so. Im besagten Gebiet sprechen nämlich 100% der Leute deutsch.
    Lösung wäre vielleicht, die Menschen in Ost-Belgien mit den deutschen Rettungsleitstellen zu verbinden.

    Grüße aus Aachen
    Martin

  2. .

    @Martin Piefke: Nein, die Lösung wäre tatsächlich, die Rettungsstellen mit Menschen zu besetzen, die Deutsch sprechen. Da Deutsch in Belgien regional offizielle Sprache ist, muss man sie in der betreffenden Region auch diskriminierungsfrei sprechen können. Allerdings wünsche ich mir das auch für wesentlich größere sprachliche Minderheiten in unserem Land. Umgekehrt muss man sich bei jeder sprachlichen Minderheit fragen, ob es wirklich zuviel verlangt ist, die Sprache der Mehrheitsgesellschaft zu lernen. Bei Migrant/innen setzen wir das zwingend voraus, bei autochtonen Minderheiten gibt es eine große Toleranz für sprachliche Integrationsverweigerung (zumindest, wenn es deutsche Minderheiten im Ausland sind, bei den dänischen und sorbischen Minderheiten in Deutschland sieht es auch schon wieder anders aus). Um dieses Spannungsfeld geht es mir (sicher etwas indirekt, aber so mache ich das in den Sprachbrocken).

  3. .

    @Gerrit van Aaken, ich finde es aber trotzdem schade, dass der alte deutsche Name nicht mehr verwendet wird. Überhaupt bedauere ich, dass zunehmend deutsche Wörter durch englische ersetzt werden: Muss z.B. jeder Chanson ein „Song“ sein, jede Ménage à trois ein „threesome“ und jedes Café eine „Coffee Bar“? Nur wir Deutschen lassen uns unser germanisches Wortgut durch das Denglisch verwässern.

  4. Rechtsanspruch

    Die Flamen haben es vorgemacht: Wenn in Flandern ein Zugschaffner nicht flämisch sprechen konnte, sollen manche Fahrgäste auch schon mal die Notbremse gezogen haben. Der Grund dafür war die vermutete oder tatsächliche Überheblichkeit der frankophonen Belgier gegenüber ihren nicht französisch sprechenden Landsleuten. Ich habe ca. 1980 deutschsprachige Tumorpatientinnen aus den Ostkantonen Belgiens kennengelernt, die von ihrem Recht Gebrauch machten, sich in Aachen von deutsch sprechenden Ärzten behandeln zu lassen. Deutsch ist neben Französisch Amtssprache in den Ostkantonen. Offenbar will man diesen Anspruch verteidigen, um die eigene Identität zu wahren.

  5. 1. Sprachliche (und auch andere) Minderheiten sollten mehr Rechten erhalten. Eine Minderheit muss umso stärker geschützt werden, je kleiner sie ist. Eine größere Gruppe hat mehr Macht, sodass sie weniger Unterstützung braucht. Dass die Minderheit nur 0,7% ausmacht, ist ein Argument dafür, sie stärker zu schützen, nicht dagegen.

    In die richtige Richtung weist die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, die aber Belgien noch nicht unterschrieben hat (was nicht heißt, dass Minderheiten in Belgien nicht geschützt wären). Deutschland hat sie hingegen ratifiziert und sich damit einem gewissen Schutz z.B. der sorbischen Minderheit verpflichtet.

    2. Es unterscheidet sich, ob sich Migrierende an die für sie neue Umgebung anpassen müssen, oder ob man von autochthonen Minderheiten eine Veränderung verlangt:

    Wenn ich meinen Wohnsitz wechsle, unterwerfe ich mich nicht nur anderen Gesetzen, sondern begebe mich in einen anderen Kulturkreis. Damit finde ich es verständlich, mich insoweit daran anzupassen, dass ich mich zurechtfinde. Dabei werde ich auch eine andere Sprache lernen müssen.

    Als Mitglied einer autochthonen Minderheit verstehe ich nicht, wieso ich in meiner Heimat eine fremde Sprache benutzen sollte, nur weil sie mehr Menschen in meinem Staat sprechen. Natürlich ist es gut, Fremdsprachen zu kennen, aber nicht sie gegenüber offiziellen Stellen benutzen zu müssen; gerade in Extremsituationen (wie im Beispiel der Rettungsstellen zu erwarten).

    Als Alternative bleibt mir zwar immer wegzuziehen, aber diese Entscheidung kann sehr schwer sein (je nach Lebenssituation). Stellt man Menschen aber vor die Wahl zwischen den zwei Aspekten der Heimat — Kultur und Land — werden sich die meisten wohl für die Kultur entscheiden, wie z.B. bei der https://de.wikipedia.org/wiki/Option_in_Südtirol zu sehen.
    3. Gänzlich unverständlich ist mir die Folgerung:
    „Sie werden wohl lernen müssen, dass Minderheiten der Mehrheit ihre Sprache nicht aufzwingen können.“

    Aufzwingen einer Sprache beinhaltet für mich das Verbot, eine andere sprechen zu dürfen. Wahrscheinlich meint es aber die Pflicht, die Sprache zu lernen.

    Das ist aber insofern falsch, als dass nicht alle die Minderheitensprache lernen müssen. Sinnvoll wäre die Regelung, dass nur jene eine öffentliche Stelle bekommen, die alle Sprachen können, mit denen sie zu tun haben. Es müssen z.B. jene auch Deutsch können, die in einer Rettungsstelle im Gebiet der deutschen Minderheit arbeiten wollen.

    4. Wenn Minderheiten die Mehrheitssprache lernen sollen, ergibt sich die Frage, in welchen Gebieten die Mehrheit bestimmt werden soll. Wieso sollte man gerade die Mehrheit in den Nationen betrachten?

    Wäre es dann nicht sinnvoller, sie gleich weltweit zu bestimmen und eine Weltsprache durchzusetzen? Oder zumindest EU-weit? Und wie sieht es in ehemaligen Kolonien aus?

    5. Zum Denglish: Ich finde es nicht so schlimm, wenn im Deutschen zunehmend Wörter aus dem Englischen (oder anderen Fremdsprachen) verwendet werden. Ich verstehe nicht, warum es besser sein sollte, aus dem Französischen übernommene Begriffe zu verwenden; warum nicht Lied, Dreier/Dreiecksbeziehung oder Kaffeehaus? Ich finde die Vielfalt schön, und die „alten“ Wörter können ja auch noch verwendet werden.

  6. “Nur wir Deutschen lassen uns unser germanisches Wortgut durch das Denglisch verwässern”

    Dass kann nicht AS sein, wenn doch, ist AS als Mensch gestorben….

  7. Weitere Beispiele

    A.S., ist ist noch schlimmer: Jedes Rendezvous ist jetzt ein Date und statt Cést la vie sagt man jetzt Shit happens!
    Skandal!

  8. Dass kann nicht AS sein, wenn doch, ist AS als Mensch gestorben….

    Außer natürlich Herr Stefanowitsch kennt im Gegensatz zu einigen Lesern das Stilmittel der Ironie.

  9. @aef

    1. Sprachliche (und auch andere) Minderheiten sollten mehr Rechten erhalten. Eine Minderheit muss umso stärker geschützt werden, je kleiner sie ist.

    Für die kleinsten sprachlichen Minderheiten (Menschen, die ihre eigene Sprache erfinden), gibt es sogar den besten Schutz, den unser Staat leisten kann: Einen Platz in der psychiatrischen Klinik.

    2. Es unterscheidet sich, ob sich Migrierende an die für sie neue Umgebung anpassen müssen, oder ob man von autochthonen Minderheiten eine Veränderung verlangt

    Wir hatten in Europa etwa 200 Jahre Völkerwanderung und einen 30-jährigen Krieg, der die ethnische Landkarte Europas ziemlich durcheinander gewürfelt hat – wenn man es genau nimmt, haben Ihre autochthonen Minderheiten alle mal allochthon angefangen. Warum wollen Sie also modernen allochthonen Gruppen etwas verweigern, das Sie für andere Gruppen mit Wurzeln im Mittelalter fordern?

    Etwas OT: In den Niederlanden gelten Migranten ab der dritten Generation (beide Elternteile in den Niederlanden geboren) als autochthon. Und jetzt kommen Sie.

  10. Die spinnen, die Belgier!

    In Belgien gilt seit den 30er Jahren des 20. Jhds. das irrwitzige Prinzip der “territorialen Einsprachigkeit”. Das Land ist in vier Sprachgebiete eingeteilt (flämisch, französisch, deutsch sowie das zweisprachige Gebiet der Hauptstadtregion). Das heißt aber nun nicht, dass jeder autochthone Bürger in seinem heimatlichen Sprachgebiet einfach nur das Recht hätte, mit den Staatsorganen in seiner Muttersprache zu kommunizieren – nein, es ist den Staatsorganen verboten, mit den Bürgern in einer anderen Sprache als der des jweiligen Sprachgebiets zu kommunizieren. Ein Angestellter einer Gemeindeverwaltung irgendwo in Flandern beispielsweise, der aus Menschenfreundlichkeit mit einem zugezogenen Wallonen Französisch spricht, riskiert seinen Job.

    Dieser Irrsinn ist einer der vielen Kompromisse aus dem Konflikt zwischen Flamen und Frankophonen, in dessen Windschatten die Deutschsprachigen sehr erfolgreich gesegelt sind.

  11. @A.S.
    Die deutschen Medien sind deutschen Integrationsverweigerern im Ausland gegenüber mehr als tolerant. Die nächste Reportage kommt bestimmt, wo man wieder stolz deutsche Auswanderer vorstellt, die seit Generationen “ihre Sprache und Kultur bewahrt haben”.

    @aef
    Es ist unter Sprachnörglern eben so, dass griechische, lateinische und französische Fremdwörter ein Zeichen von Bildung und eine Bereicherung der deutschen Sprache sind, englische Fremdwörter dagegen ein Fall von Dummheit und Sprachverfall.

  12. Integrationsverweigerer

    @naddy: was die Haltung deutscher Medien zu deutschsprachigen Integrationsverweigerern andersweo betrifft, würde ich Ihnen grundsätzlich Recht geben. Ich finde aber, dass man den deutschsprachigen Belgiern mit dieser Bezeichnung unrecht tut.

    Sie sind ja niemals ausgewandert, sondern einfach an Ort und Stelle geblieben, als sich die staatliche Zugehörigkeit ihrer Dörfer und Kleinstädte änderte. Als das passierte (1919), war man in Belgien ohnehin gerade dabei, sich mit der Mehrsprachigkeit des Landes abzufinden, so dass es nie ernsthafte Bestrebungen gab, Land und Leute zu französisieren.

    Zudem gibt es unter den deutschsprachiegn Belgiern keinerlei erwähnenswerte Bestrebungen, sich vom belgischen Staat zu lösen. Sie sind mit ihrere Autonomie sehr zufrieden und betrachten sich in ihrerer großen Mehrheit genau als das: als deutschsprachige Belgier. Heim in die BRD will so gut wie niemand. Schon eher machen sie sich Gedanken, was aus ihnen werden soll, wenn Belgien doch eines Tages auseianderfliegt.

  13. An Dilettant

    “Sie sind ja niemals ausgewandert, sondern einfach an Ort und Stelle geblieben, als sich die staatliche Zugehörigkeit ihrer Dörfer und Kleinstädte änderte…”

    So verhielt es sich auch in Elsass-Lothringen nach dem zweiten Weltkrieg. Nur dass die Franzosen nicht so gnädig mit den deutschsprachigen Ureinwohnern umgegangen sind, sondern begannen, sie gnadenlos umzuerziehen. Nun kann man sich fragen, was einem als Betroffenen jeweils lieber gewesen wäre.

  14. andere Länder, andere Sitten

    Hier ( http://spon.de/vfb1j )sieht man, wie Politiker anderer Länder mit Sprachproblemen von Minderheiten umgehen. Da lobe ich mir doch die Belgier!

  15. An Klausi

    Klausi schrieb: “So verhielt es sich auch in Elsass-Lothringen nach dem zweiten Weltkrieg.”

    Kann es sein, dass Sie “nach dem Ersten Weltkrieg” meinten? Zwar wurde Elsaß-Lothringen nach dem Zweiten Weltkrieg auch noch einmal französisch – wenn auch 1940 keine formelle Annexion erfolgt war. Aber der Vorgang, dass eine fünfjährige kriegerische Besatzung beendet wird, ist ja doch den Vorgängen in Ostbelgien recht unähnlich – wobei ich nicht sagen möchte, dass ein Vergleich mit Elsaß-Lothringen nach dem Ersten Weltkrieg in jeder Hinsicht stimmig wäre.