Sprachbrocken 14/2012

BLOG: Sprachlog

Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Sprachlog

Unsere Sprache könnte ja so schön sein, wenn sie nur irgendwie anders wäre. Nicht so englisch, nicht so preußisch, nicht so voller innerer Prägungen.

In Senftenberg irren Senioren sprachlich völlig orientierungslos durch die Straßen, berichtet die Lausitzer Rundschau. Der Grund: Ein Werbeflächenanbieter wirbt für seine Werbeflächen mit den deutsch-englischen Wortspiel Miet Me!. Eigentlich sind die Rentner der Kreisstadt ja weltoffene Menschen, aber diese „Englisch-Schwemme“ geht dann doch zu weit: „Ist es denn zu viel verlangt, dass im Stadtbild deutsche Begriffe verwendet werden?“ fragt eine pensionierte Deutschlehrerin, deren Englischunterricht zu lange her ist, um ihr bei Wörtern wie Sale und Open noch nützlich zu sein. Wir raten ihr, das Motto ihrer Heimatstadt zu beherzigen: investieren studieren flanieren.

Im Bayerischen Grafenwöhr ist man bei der Reinhaltung der Sprache schon einen ganzen Schritt weiter: Nicht gegen englisches, sondern gegen preußisches Lehngut wehrt man sich dort. „Mit dem ‚Förderverein Bairische Sprache und Dialekte‘ im Rückhalt, wagen immer mehr Menschen sich der Grußformel ‚Tschüss‘ öffentlich zu widersetzen“, erfahren wir auf Oberpfalznet.de. Wer ihnen dieses Wörtchen in all den Jahren aufgezwungen hat, erfahren wir nicht, aber das „komische Fernsehdeutsch“ scheint dabei eine zentrale Rolle gespielt zu haben. Wir sagen: „Pfüa di Gott, Grafenwöhr! Schee woas mit eich.“

Das eigentliche Problem unserer Sprache liegt aber in ganz harmlos daherkommenden deutschen Wörtern, und ohne die „Lingva Eterna-Dozentin“ Brigitta Ziemert und kreiszeitung.de hätten wir das wohl nie erfahren: Denn Wörter enthalten „individuelle Speicherungen“ und „innere Prägungen“, die uns einfach nicht gut tun. Ein Beispiel gefällig?

Eine Tagesmutter berichtete, dass ihre Rasselbande wesentlich friedfertiger miteinander umgeht, seitdem sie das „kriegen“ aus der Sprache genommen hatte. „Mit dem Wort „kriegen“ laden wir uns den Krieg in das Leben ein. Wir haben andere Möglichkeiten in unserer Sprache, beispielsweise ich bekomme oder ich erhalte etwas“, stellt die Fachfrau heraus.

Wofür sie Fachfrau ist, lässt der Artikel offen, aber ich vermute, sie hat ihre sprachliche Expertise aus dem Internet. Dort sind solche „inneren Prägungen“ schon lange in Form des Mems „I put the X in Y“ bekannt, dessen Leerstellen so zu füllen sind, dass X ein Teil von Y ist: „I put the ass in class“, „I put the me in awesome“ — und jetzt eben auch „I put the Krieg in kriegen“.

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

22 Kommentare

  1. I put the sch… in schmeißen

    Das erinnert mich an einen Lehrer an meiner Schule, der den Schülern immer riet, werfen statt schmeißen zu sagen, da man in werfen nicht das m vergessen könne.

  2. Kriegen und Frieden

    Mal abgesehen, von dem Schwachsinn, den die “Fachfrau” das verzapft, ist das (für mich Laien) sprachlich interessant. Ich habe nachgeschlagen: “kriegen” im Sinne von “bekommen” scheint wirklich mit Krieg zusammen zu hängen, im Sinne von “sich erkriegen, erkämpfen”. Meint jedenfalls Kluges Etymologisches Wörterbuch.

  3. Ich versuche schon seit längerem das Wort kriegen zu vermeiden, weil es mir zu militant daher kommt.
    Wenn ich deswegen jetzt aber ein besserer Mensch werde soll ist das aber doch an den Haaren herbei gezogen.

    Höflichkeit und gepflegter Ausdruck schadet aber nix, da hat das Wort Linguistikhomöopathie schon seine Berechtigung

  4. Ich krieg

    grad die Krise…..

    Solche geistigen Flachpfeifen wie diese angebliche “Lehrerin” durfte unsere Kinder verziehen? Schrecklich. Da krieg ich die Krise. Ja, ich “krieg” die, was ist an diesem Wort denn dran? “Krieg” ist ein Subjektiv, “kriegen” ein Verb mit ganz anderer Bedeutung.

    Oder soll man sagen “jetzt friedensvertrags euch mal schön”????? Dämlich, wirklich nur dämlich.

    Was mir am meisten auffällt: Diese Pamflete (ja, ich lehne das “ph” ab) kann man nur kommentieren, wenn man sich angemeldet hat. Da ist grundsätzlich nichts gegen einzuwenden, ABER: Man schreibt einen Kommentar, stellt dann fast, dass man sich registrieren muss, und danach ist der Kommentar weg. Sollte man ihn also vorher nicht abgespeichert haben, muss man alles neu schreiben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt….

  5. Innere Prägung

    Meine liebste:
    You can’t spell laughter without manslaughter!

  6. “Krieg” und “kriegen”

    Auch das Grimmsche Lexikon behauptet einen Zusammenhang zwischen “Krieg” udn “kriegen”.

    Aus dem Alltagsleben kann ich nur hinzusetzen, dass die Schweizer solche Sätze wie “Ich krieg’ [dies und das]…” als Bestellung und Auftrag im Laden oder Restaurant als extrem unhöflich und zutiefst “deutsch” und arrogant empfinden. Es ist dort “non-pc”.

    Doch – Worte haben einen “Geruch”. Und wenn Du den in Fällen von “pc” vs. “non-pc” manches riechen kannst, was ich nicht rieche, wenn ich aber im “kriegen” etwas rieche, was Du nicht riechst – dann kann ich Deiner Nase nicht so recht folgen. Oder Du meiner nicht. Unterschiedliche Riechschwellen für unterschiedlich stinkige Odorantien..

  7. Aus dem Alltagsleben kann ich nur hinzusetzen, dass die Schweizer solche Sätze wie “Ich krieg’ [dies und das]…” als Bestellung und Auftrag im Laden oder Restaurant als extrem unhöflich und zutiefst “deutsch” und arrogant empfinden. Es ist dort “non-pc”.

    Ich weiß ja nicht, wen aus Deutschland so in die Schweiz treibt (ich bin noch nie dort gewesen und werde wahrscheinlich auch nicht in absehbarer Zeit hinkommen), aber ich habe selten jemanden “ich krieg zwei Brötchen” beim Bäcker sagen hören. Dies ist wahrscheinlich eher ein eingebildetes Deutschenklischee in der Schweiz (wenn es überhaupt ein Klischee ist).

  8. ich habe selten jemanden “ich krieg zwei Brötchen” beim Bäcker sagen hören.

    Mit “kriegen” habe ich das auch selten gehört, aber mit “bekommen” ist mir das schon öfter aufgefallen, und es ist auch mir als Nicht-Schweizer sogar in dieser Form eher unangenehm. Das liegt vermutlich an der Anmaßung des Wissens darüber, wie sich der oder die Angesprochene verhalten wird. Die angemessene Antwort wäre m.E. “wie kommen sie denn auf die Idee?”

  9. Wie sang Gayle Tufts schon vor einigen Jahren: “Who put the sex into my Sechskornbrötchen?”

  10. Kinder, Kinder…

    Wenn das “kriegen” also kriegerisch macht, müssten all die anderen Kinder der andersprachigen Welt, Trojaner, Spartaner, Azteken usw. die Friedfertigkeit in Person sein. Bei ihnen wird es ja anders gesagt! Nur von Deutschland könnte Übel kommen. Plumper Glaube an Magie ist das. Nur, weil ich Simsalabim rufe, öffnet sich noch lange kein Sesam. Dafür rufen die größten Krieger gerne “Frieden!”. Wer hat dieser Frau eingentlich diese Aufmerksamkeit geschenkt, und wozu?

  11. Wenn das “kriegen” also kriegerisch macht, müssten all die anderen Kinder der andersprachigen Welt, Trojaner, Spartaner, Azteken usw. die Friedfertigkeit in Person sein. Bei ihnen wird es ja anders gesagt!

    Und wenn Wasser fett machen würde, müßten alle, die sich nur von Currywurst mit Pommes ernähren, gertenschlank sein?

  12. “ich kriege zwei Brötchen” ist an der Saar (im rheinfränkischen Teil) durchaus üblich, allerdings wird mundartlich “isch krie’n …” gesprochen, damit ist der Krieg dann aussen vor.

  13. Sprachwissenschaft und Medien

    Hinlänglich bekannt ist, daß sich “die Medien” bei Sprachfragen statt an Sprachwissenschaftler lieber an Redakteure, Journalisten, Schriftsteller, Politiker, Sänger, VDS-Leute und dergleichen wenden. Aber die “Lingva Eterna-Dozentin” in der “Kreiszeitung” schlägt doch nun wirklich dem Faß den Boden aus. Kommen wir also zur Kernfrage: Kann (und will) sich die Sprachwissenschaft im öffentlichen Diskurs Gehör verschaffen?

  14. Zu all dem hatte schon mal jemand eine

    Lösung:

    Grammatische Deutschheit

    Neulich deutschten auf deutsch vier deutsche Deutschlinge deutschend,
    Sich überdeutschend am Deutsch, welcher der deutscheste sei.
    Vier deutschnamig benannt: Deutsch, Deutscherig, Deutscherling, Deutschdich:
    Selbst so hatten zu deutsch sie sich die Namen gedeutscht.
    Jetzt wettdeutschten sie, deutschend in grammatikalischer Deutschheit,
    Deutscheren Komparativ, deutschesten Superlativ.
    “Ich bin deutscher als deutsch.” “Ich deutscherer.” “Deutschester bin ich.”
    “Ich bin der Deutschereste oder der Deutschestere.”
    Drauf durch Komparativ und Superlativ fortdeutschend,
    Deutschten sie auf bis zum – Deutschesteresteresten,
    Bis sie vor komparativistisch- und superlativistischer Deutschung
    Den Positiv von deutsch hatten vergessen zuletzt.

    Friedrich Rückert (1788-1866)

  15. Hm, ich weiss noch genau, wie ich als Kind sehr enttäuscht war, dass kriegen eben fangen spielen bedeutete. Gefreut hatte ich mich auf ein paar nachgestellte Scharmützel Gut gegen Böse. Ganz so absurd finde ich den Zusammenhang daher nicht, aber den Handlungsbedarf seh ich auch nicht.

  16. Kriegerische Sprache

    Auch wenn es einen etymologischen Zusammenhang zwischen “kriegen” und “Krieg” gibt, ebenso wie der zwischen “schmeißen” und “scheißen” behauptet wird, kann ich mir kaum vorstellen, dass eine Rasselbande von Kindern sich ernsthaft friedlicher verhält, wenn statt “kriegen” das Wort “bekommen” oder gar “erhalten” verwendet wird, außer vielleicht dadurch, dass die meisten anderen Formen, das Gleiche auszudrücken, die mir gerade einfallen, einfach länger sind und deswegen weniger Zeit bleibt, sich zu streiten oder eben das Spielzeug, um das es geht, zu “erkriegen”.

    Andererseits … kann es sein, das Leute, die eher zum Metzger als zum Fleischer gehen, irgendwie aggressiver daherkommen, weil sie immerzu das metzeln im Munde führen?

    Dass wer beim Bäcker sagt, was er (vermutlich) bekommt oder kriegt, liegt doch auch daran, dass die Fachkraft hinterm Tresen regelmäßig fragt: “Und was bekommen Sie?” oder “Bekommen Sie dann noch was?”