Sag mir was du siezt

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Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Sprachlog

Die Apotheken Umschau (sie schreibt sich wirklich so, was mich nicht weiter stört, was ich aber trotzdem gesagt haben will, falls es andere stört, die dann nämlich wissen, dass es mich nicht stört) veröffentlicht jeden Monat eine repräsentative Umfrage zu aktuellen Themen wie„Opfer des Jo-Jo-Effekts: Frauen oft von neuen Diätmethoden enttäuscht – Jede Zweite nahm rasch wieder zu“, „Trend zum rasierten Mann: Männer – vor allem die jüngeren – entfernen nicht mehr nur den Bart“, „Talisman im Täschchen: Glücksbringer sind Frauensache“ oder„Riskantes Fiebermessen mit Glas: Jeder Vierte in Deutschland benutzt noch ein herkömmliches Thermometer“ – ein regelrechtes kleines Fenster in die deutsche Volksseele.

Schon lange habe ich davon geträumt, einmal eine dieser Umfragen hier im Sprachlog zu behandeln, aber mir fiel einfach nicht ein, wie ich einen sprachlichen Bezug zu Themenbereichen wie „Die Angst vor der Methusalem-Schwemme: Viele Deutsche machen sich Sorgen um die Folgen des demographischen Wandels. Selbst wollen aber etliche gerne 100 Jahre alt werden“, „Hektik vor der Heiligen Nacht – Umfrage: Frauen lassen sich von der Vorweihnachtszeit mehr stressen als Männer“ oder „Treue nur bis zum Tod: Vor allem junge Menschen können sich nach dem möglichen Tod des Partners eine neue Verbindung vorstellen“ herstellen sollte. Lediglich beim Thema „Über Tote nur Gutes – Umfrage: Die meisten Menschen halten sich an das ungeschriebene Gesetz, über Verstorbene nicht schlecht zu sprechen“ wäre mir etwas über indigene australische Sprachgemeinschaften eingefallen, bei denen man die Namen von kürzlich Verstorbenen meiden muss, auch dann, wenn sie nur zufällig in anderen Wörtern vorkommen.

Vor ein paar Tagen gab es nun endlich ein genuin sprachwissenschaftliches Thema: Es ging um das Duzen und Siezen. Die Apotheken Umschau fand dabei folgendes heraus:

Das „Du“ ist für viele Deutsche etwas Besonderes. Laut einer repräsentativen Umfrage der „Apotheken Umschau“ drückt es für mehr als die Hälfte (58,8 Prozent) der Befragten Nähe und Vertrautheit aus, weshalb sie es auch nur bei wirklich engen Freunden oder Verwandten verwenden. Einfach so duzen kommt laut Studie nicht gut an: Wenn dies unaufgefordert geschieht, fühlt sich jeder dritte (32,6 Prozent) der Befragten eigenen Angaben zufolge „schon ein wenig pikiert oder gar beleidigt“. 28,7 Prozent der Studienteilnehmer – in der Teilgruppe der über 70-Jährigen sogar 40,2 Prozent – erklären, in so einem Fall bereits einmal jemanden energisch zurechtgewiesen zu haben. Welch große Wertschätzung mit der Anrede „Du“ verbunden ist, zeigen weitere Ergebnisse der Studie. Fast jeder Vierte (23,5 Prozent) hat das Angebot, sich mit jemandem zu duzen, schon einmal abgelehnt. Außerdem hat jeder Neunte (11,1 Prozent) der Befragten das vertrauliche „Du“ sogar schon einmal wieder zurückgenommen, weil sich das Verhältnis grundlegend geändert hatte. [Quelle: Apotheken Umschau, 20. April 2012]

Leider ist das alles ja auch nicht so furchtbar spannend (dass ältere Menschen z.B. stärker auf dem Sie beharren als jüngere ist ja fast so überraschend wie die Tatsache, dass „vor allem Teenager … unter unreiner Haut [leiden]“, während das Problem „bei Älteren … kaum verbreitet“ ist.

Es hat mich aber an eine Diskussion erinnert, die ich zu Beginn meiner Zeit als Blogger im Bremer Sprachblog hatte und in der ich mich dafür rechtfertigen musste, dass ich Menschen, die ich nicht kenne, in meinem Blog und den Kommentaren sieze. Online sei informell einfach Pflicht, hieß es damals.

Ich habe seitdem öfter darüber nachgedacht, ob das generell stimmt. Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich Leute auf Twitter schneller duze als im Blog oder im echten Leben (ich duze manchmal sogar Leute auf Twitter, die ich im echten Leben vielleicht gar nicht duzen würde). Ich frage mich deshalb, ob es allgemein Unterschiede beim Duz-/Siez-Verhalten in verschiedenen Online-Kanälen gibt. Wie sehen Sie das, liebe Leser/innen?

[Full Disclosure: Ich verwahre mich ausdrücklich gegen das Gerücht, dass dieser Beitrag weitgehend inhaltsfrei ist und lediglich dazu dienen sollte, eine allgemeine troll- und wetterbedingte Schreibmüdigkeit zu übertünchen (und möglichst viele Umfragen der Apotheken Umschau zu verlinken). Menschen, die so etwas behaupten, sind für mich toxische Kräfte, die mir damit metaphorisch gesprochen ins Gesicht pinkeln und in Zukunft lieber die Sprachlogbeiträge von Kim Schmitz lesen sollten.]

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

57 Kommentare

  1. geht mir ähnlich

    ich duze via twitter auch schneller als in blogs oder “in echt”.
    interessant wird es, wenn man twitter- oder blog-kontakte später “in echt” trifft — und sich dann doch wieder fragt, ob man duzen oder siezen soll.

  2. Duzen/Siezen

    Ich bin an und fuer sich eher “old school” und ziehe es vor, bei Erstreffen von Angesicht zu Angesicht erst einmal zu siezen. Ausserdem schaetze ich die Nuancen im Umgang miteinander, die das Duzen/Siezen mit oder ohne Vornamen erlaubt.
    Findet die Vorstellung im Freundes- oder Familienkreis statt, richte ich mich nach der allgemein gebraeuchlichen Anrede.
    Das Internet ist eine seltsame Sache – da man sich hier einerseits sehr direkt, unmittelbar und andererseits doch anonym, also ohne Blick- oder Stimmkontakt begegnet, erscheint mir dort das Duzen angemessener. Auch hier gelten Ausnahmen: Macht einer der von mir Verfolgten deutlich, dass er/sie gesiezt werden will, respektiere ich das, sofern ich mich im entscheidenden Moment daran erinnere. Im Moment sind es allerdings nur ein oder zwei Faelle.
    Ebenfalls interessant ist allerdings die Konsequenz daraus: Trifft man sich im RL, ist der Praezedenzfall bereits gegeben und es waere eher peinlich, jetzt mit dem Duzen anzufangen. Wir hatten jedoch in einem Twitter-Ersttrefferkreis einmal eine ganz ernsthafte Diskussion darueber, in der uns von einem Beteiligten die Genehmigung zum Siezen sozusagen nachtraeglich formell erteilt wurde.

  3. Lieber Herr Stefanowitsch (Sie),

    bei Twitter würde ich schreiben lieber @stefanowitsch (Du), auch ich mache eine Unterscheidung, allerdings nicht zwischen verschiedenen Online-Kanälen, sondern zwischen denen und dem sogenannten wirklichen Leben. Es gibt Menschen, die ich bei Twitter duze, außerhalb davon und vor allem in offizieller Runde sieze, das gilt vor allem für Politiker. Gleiches gilt für Blogs. Online ist eben doch manches lockerer, und da sehe ich wenig Unterschiede in den verschiedenen Kanälen. Und dann gibt es noch das berufsgruppenspezifische Duzen: Unter uns Journalisten z. Bsp. ist es sehr weit verbreitet, ganz anders bei der Bundeswehr, die das Sie bis heute fast bis zum Exzess pflegt, vor allem bei Dienstgrad-Gefälle.
    Dass eine Umfrage bei der “Apotheken Umschau” eher kontra Duzen ausfällt, überrascht indes nicht. Dieselbe Umfrage in der “Bravo” fiele ganz anders aus. Repräsentativ ist weder das eine noch das andere.

  4. There’s no “ich” in “geriatrisch”

    Anatol Stefanowitsch fragte (02. Mai 2012, 13:33):
    > […] ob es allgemein Unterschiede beim Duz-/Siez-Verhalten in verschiedenen Online-Kanälen gibt

    Gewiss:
    in englischsprachigen Onlinemedien wird oft “you” verwendet, ohne damit besondere Vertrautheit, wert- oder Geringschätzung nahezulegen. Entsprechend entkrampft gestaltet sich ggf. auch die Verwendung von “I”.

    In deutschsprachigen Onlinemedien sind (direkte) Personalpronomen dagegen eher vermeidbar.

  5. verfechter des DU

    Ich duze bei mir auf der Arbeite alle, das ist bei uns so Firmenkultur (auch den Eigentümer) obwohl wir über 1000 Mitarbeiter haben…

    Es macht vieles einfacher, nach dem Motto: “Kannst DU mir mal kurz helfen?”

    Es vereinfacht auch die ganze Kommunikation weil man nie darüber nachdenken muss ob man denjenigen schon duzen “darf”.

    Gefühlt würde ich aber auch sagen, das Netz ist viel schneller beim du als das wirkliche Leben.
    Ich muss mich immer daran erinnern den Verkäufer im Laden nicht zu duzen 😉

  6. Da ich im Internet sehr oft mit Menschen meiner eigenen Altersklasse, zumindest aber mit Unter-30-Jährigen zu tun habe, stellt sich mir diese Frage selten. Faktoren, die mein generelles Du im echten Leben verhindern könnten, sind einfach nicht wahrnehmbar. (Einen hochgestochenen Stil haben auch so einige 17-Jährige, dort, wo meinereins sich herumtreibt.) Wenn ich gesiezt werde, sieze ich allerdings zurück, das ist für mich dann geklärt. (So viel zu Twitter, Blogs, den meisten Foren.)
    Ähnliches gilt dann, wenn ich keinerlei oder noch geringere Vorstellung von meinem Gegenüber habe. Grund? Öhm, Internetkommunikations-Normen, die schon vor mir da waren und die ich reproduziere? Wahrscheinlich.
    Schwierig wird es nur in halbvertrauten, halbunanonymen Umfeldern wie Twitter oder Facebook, wenn die Ausreißer aus meiner Altersgruppe eindeutig sind und vielleicht auch noch eine indirekte Hierarchie hinzukommt, bei der ich unten stehe. Wie spreche ich die mir unbekannte Mutter einer Freundin auf FB an? (Auf Facebook scheinen öfters unbekannte Verwandte von Bekannten geduzt zu werden, was mir ein wenig widerstrebt.) Wie eine Person wie, naja, Anatol Stefanowitsch, der ich unter anderen räumlichen Bedingungen Hausarbeiten abzugeben hätte? (Ich gehe davon aus, dass hier manche ein Du sehr natürlich fänden, was mir allerdings auch in diesem Fall widerstrebt.)
    Die charakterlich zweifelhafte, aber sehr praktikable Lösung meinerseits: Direkte Anreden werden, wenn möglich, vermieden. Und “wenn möglich” heißt hier “immer”.

  7. Siezen unter gleichaltrigen

    Einer der erschütterndsten Momente des Heranwachsens ist der, wo man das erste Mal von einem etwa gleichaltrigen gesiezt wird.

  8. Interessante Diskussion. Ich denke auch, dass es je nach Kanal unterschiedlich ist. Blogs sind für mich noch eine Grauzone, allerdings hat sich da meist das Duzen festgesetzt. Hätte ich ohne diesen Eintrag wohl auch gemacht, weil es meistens allgemein üblich ist und ich hier schon lange lese, was bei mir dann auch irgendwie eine Rolle spielt. In einem Forum hab ich das Siezen allerdings noch nie erlebt und das käme mir auch sehr merkwürdig vor.
    Twitter nutze ich nur passiv, allerdings ist es hier vielleicht anders, weil mehr “offizielle” Leute unterwegs sind, ich könnte mir zb nur schwer vorstellen, den Regsprecher zu duzen.
    Mir ist aber aufgefallen, dass auch der Email-Verkehr mit Kunden schnell informeller wird. Zwar siezt man sich natürlich, aber spätestens nach der zweiten Mail ist man bei “Hallo” und “herzliche/sonnige Grüße” statt “sehr geehrte..” und “mit freundlichen Grüßen”

    Ich persönlich finde das ganz gut, hätte auch nichts dagegen, das Siezen im Deutschen abzuschaffen.

  9. @ Watson

    Ausserdem schaetze ich die Nuancen im Umgang miteinander, die das Duzen/Siezen mit oder ohne Vornamen erlaubt.

    Das ist für mich der größte Blödsinn. Siezen und Vorname verwenden geht gar nicht. Das lasse ich meist nur bei ausländischen Mitbürgern durchgehen.

  10. Siezen und Vorname

    Martin Huhn,

    wohl nicht aus Norddeutschland? Das nennt sich auch “hanseatisches Du”.

    Auch an Unis verbreitet, denn Studierende wünschen sich durchaus, dass die Lehrenden Vornamen verwenden, denn so lernen sie die Namen ihrer Mitstudierenden. So habe ich es erlebt.

  11. @Martin Huhn

    »Siezen und Vorname verwenden geht gar nicht.«

    Klar geht das, ist alles nur eine Frage der Gewohnheit.

    Ein SciLogs-Blogger hat mal einem anderen gegenüber geäußert, er würde nur nach persönlicher Bekanntschaft zum Du übergehen. Als er mir später dann schrieb, er heiße (oder sei) Michael, benutzte ich den Vornamen als Anrede und blieb selbstverständlich beim Sie.

    (Apropos Michael: Könnten Sie mal für mich bei Michael Khan intervenieren, dass er mich nicht länger von seinem Blog aussperrt? Wäre sehr nett, danke!)

  12. Einfach abschaffen

    Ich finde das Siezen ziemlich anstrengend. Wenn ich gesiezt werde kommt mir das sehr komisch vor und ich möchte auch mit 70 glaube ich noch geduzt werden. (Ich werde bald 30)

    Wenn man Gruppen ansprechen soll wird es besonders bizarr: Ich bin Leiter einer Jugendgruppe und bin mit einigen Eltern perdu. Wenn ich alle Eltern anspreche, soll ich dann duzen, siezen oder beides?
    Noch klarer wird das Problem wenn ich die Eltern und die Jugendlichen anspreche, zum Beispiel in einem Brief: “Liebe Eltern, liebe Jugendlich, wie Ihr/Sie sicherlich wisst/wissen wollen wir demnächst ins Ferienlager fahren…”

    In der Firma (IT-Branche) duzen wir uns auch alle und sogar mit den meisten Kunden sind wir perdu. Der Professionalität tut das keinen Abbruch.

    Meiner Meinung nach sollte das Siezen grundsätzlich in Frage gestellt werden. Früher war es ja z.T auch noch üblich, dass die eigenen Eltern gesiezt wurden und diese Zeiten haben wir auch überwunden.

  13. @ Martin Huhn

    Wie ist das bei mir, ist Joker ein Vor- oder Nachname, Herr Huhn, was geht da?

    Watson würde ich duzen, Holmes siezen, Dr. Watson siezen und Frauke Watson duzen – würdest du das anders machen, Martin?

    Ich selbst werde sowohl gesiezt als auch geduzt, sowohl von älteren als auch von jüngeren und sogar von gleichaltrigen. Sowohl das Siezen als auch das Duzen schmeichelt mir.

  14. Weitgehend Inhaltsfrei

    Ich wollte mich ja eigentlich nicht zu Wort melden, weil dieser Beitrag weitgehend Inhaltsfrei ist und offensichtlich nur zu dem Zweck erstellt wurde, möglichst viele Umfragen der Apothekenumschau (die ich in einem Wort schreibe) zu verlinken. Aber da ich schonmal hier bin:

    Nachdem ich fünf Jahre in Schweden lebte und mich professionell meistens auf englisch verständige, kommt mir das Duzen in Deutschland reichlich unnötig vor. Man kann auch Respekt vor Menschen haben und Abstand wahren, ohne dafür eine eigene Anrede zu haben. Zudem ist die Vertrautheit mit Personen ja eher kontinuierlich.

    Ich bin im Blog nur deshalb dazu übergegangen die Leserinnen und Leser zu Siezen, weil ich weiß, dass einige damit Schwierigkeiten haben. Im Privatleben gehe ich so oft es geht schnell zum Du über und auf Twitter habe ich noch nie jemanden gesiezt.

    Und weil hier die Möglichkeit dazu besteht das mal ausdrücklich zu sagen: Ich freue mich über alle, die mich in meinem oder anderen Kommentarbereichen duzen und werde auch zurückduzen. Sollte ich jemanden versehentlich mal nicht Siezen, ist das nicht abwertend gemeint.

  15. Siezen

    Gerade eben auf der re:publica12 traf ich auf Katharina Borchert, bat für mein Blog um ein NAHPORTRAIT. Ein anwesender Herr in der kleinen Runde [Mario Sixtus saß ebenfalls da] fülte sich durch meine formelle, siezende Freundlichkeit bemüßigt, ein wenig zu frotzeln. Ich siezte ihn ebenfalls, replizierte s/einen dummen Spruch mit etwas Schärfe und spürte ihn in mir, wie sich das Du meldete, in etwa: “Halt gefälligst deine blöde Fresse, du Idiot!” – ich hab das natürlich nicht gesagt, erst recht nicht im Beisein zweier Damen. Dennoch, gepasst hätte es schon.
    Die Frage: Wann passt das Du, wann das Sie, ist aus meiner Sicht immer eine emotionale. Das Beleidigungs-Du ist immanent. Es ist Teil des .

  16. Gerade eben auf der re:publica12 traf ich auf Katharina Borchert, bat für mein Blog um ein NAHPORTRAIT. Ein anwesender Herr in der kleinen Runde [Mario Sixtus saß ebenfalls da] fülte sich durch meine formelle, siezende Freundlichkeit bemüßigt, ein wenig zu frotzeln. Ich siezte ihn ebenfalls, replizierte s/einen dummen Spruch mit etwas Schärfe und spürte ihn in mir, wie sich das Du meldete, in etwa: “Halt gefälligst deine blöde Fresse, du Idiot!” – ich hab das natürlich nicht gesagt, erst recht nicht im Beisein zweier Damen. Dennoch, gepasst hätte es schon.
    Die Frage: Wann passt das Du, wann das Sie, ist aus meiner Sicht immer eine emotionale. Das Beleidigungs-Du ist immanent. Es ist Teil des Schmerzkörpers.

  17. @ Kris

    wohl nicht aus Norddeutschland? Das nennt sich auch “hanseatisches Du”

    Ne, ich bin nicht aus Nordeutschland. Ich dachte, diese Unart wäre englischsprachige Einflüsse begründet (beispielsweise bei synchronisierten Filmen). Ich finde das jedenfalls schrecklich. Und es ist auch unlogisch. Entweder duze ich oder sieze ich. Was sollen diese Zwischenformen? Warum dann nicht auch beim Nachnamen anreden und duzen. Gut, das mache ich bisweilen auch, aber nur zum Spaß.

  18. @ Balanus

    (Apropos Michael: Könnten Sie mal für mich bei Michael Khan intervenieren, dass er mich nicht länger von seinem Blog aussperrt? Wäre sehr nett, danke!)

    Wenn er sich dafür entschieden hat – ich weiß nicht, warum und weshalb – dann kann ich da nicht viel tun.

  19. @lokalreporter

    “Arschloch” + “Sie” hat eine unvergleichbare Würze, die man nicht leichtfertig verlieren möchte.

  20. @Martin Huhn

    diese Zwischenformen gibt es, weil bei manchen zwischenmenschlichen Beziehungen eine Zwischenstufe als erforderlich empfunden wird, nach dem Motto, es besteht eine gewisse Nähe, aber bitte auch nicht zu nah an sich ranlassen.

    Und wie war das in der gymnasialen Oberstufe? Wird da in Süddeutschland etwa von den Lehrer weiter geduzt?

    Ich persönlich wäre auch für die schwedische Lösung, alle duzen sich, bis auf den König, der auf dem “ni” besteht (Witze über die Ritter, die ni sagen, hier einfügen) und wir haben ja zum Glück keinen König.

    Das lässt sich auch schön in der dänischen Serie “Borgen” verfolgen. Die einzige Szene, in denen sich zwei Personen gesiezt haben (soweit ich dem Dänischen folgen konnte, aber alle Politikerinterviews waren z.B. auch per du), war die zwischen der Premierministerin und dem Großindustriellen Joachim Chrohne.

    Natürlich gibt es auch in den skandinavischen Sprachen Zwischenstufen, wie Personen per Titel anzureden, “Statsministern”, “Doktor Larsson” etc, aber derlei ist ja auch aus dem Englischen bekannt.

    (Hier eien Diskussion, warum man zwar “Doktor Larsson” sagt, aber nicht “Bäcker Andersson”

    https://www.flashback.org/t810349 )

  21. Sehr verehrte Damen und Herren…

    Du, Herr Professor, ich glaube, dass es sich bei Anredeformen um einen wichtigen Bestandteil des Habitus handelt. Der drückt sich zumeist unreflektiert aus (oder, wie ein Kommentator oben sagt, Siezen/Duzen ist eine “emotionale” Frage). Und der Habitus drückt die soziale Lage aus.

    Unter Verzicht auf umfangreiche Klassentheorien könnte man vielleicht sagen, dass die unangemessene (d.h. als unangemessen empfundene) Verwendung von Du/Sie ein Indikator dafür ist, dass der Sender nicht zur gleichen Gruppe wie der Empfänger gehört. Es ist ein Distinktionsmerkmal, übrigens ebenso wie Sonderformen wie Du+Nachname/Sie+Vorname.

    Die Frage, welche Gruppe jeweils relevant ist, und in welcher Hinsicht der unangemessene Sender folglich nicht zum Empfänger passt, hängt wiederum vom Verständnis des Empfängers ab, welcher Gruppe er sich im Hinblick auf die betreffende Kommunikation zuordnet.

    Die Folge der durch unangemessene Anrede drohenden Entlarvung als nichtzugehörig versuchen viele Menschen, nicht nur im Internet, zu entgehen, indem sie eben gar nicht unterscheidbar anreden.

    Das Internet erzeugt zusätzliche möglicherweise relevante Gruppen, in denen bestimmte Gepflogenheiten herrschen könnten. Unter Blog-Kommentatoren, in der Twitter-Timeline und in sozialen Netzwerken kann man – mit jeder Anrede – Kreise von Zugehörigkeit definieren oder überschreiten. Es handelt sich um eine ständige soziale Zuordnung, aber um eine stets verschieden interpretierbare.

    Aufgrund dieser Beschreibung der Nichtzugehörigkeits-Identifikationsfunktion von Anreden empfehle ich Dir, Herr Professor, und auch Ihnen, den ganzen Kommentatoren, in Kontexten, in denen man keinen Wert auf Distinktion legt, Anrede-Irritationen einfach zu ignorieren und jede Anrede als gleichwertig zu interpretieren (oder sich darum zumindest zu bemühen). Aber ob das praktikabel ist?

  22. Nehmen wir mal an,

    wir wären in einer Partei, nennen sie wir mal “SDP”, wo alle Mitgliedr sich duzen.

    Aber ab und an gibt es doch welche, die einen siezen. Warum?

    Würde mich interessieren, ob es dazu Untersuchungen gibt. Und ich meine, in den Parteien, in denen Duzen üblich ist, wäre ein Siezen doch in der Regel ziemlich beleidigend, oder?

    Vor allem, wenn ich der Partei beigetreten wäre, damit ich mir nicht andauernd Gedanken drüber machen muss, ob ich jetzt jemanden duzen oder siezen muss..

  23. Mallinckrodtstrasse ist Twitter

    Als ich noch im Dortmunder Norden gewohnt habe, auf der Mallinckrodtstraße, wäre es mir wohl nie in den Sinn gekommen, jemanden auf der Strasse unter 80 zu siezen, darüber meist. Die über 80jährigen dutze ich aber gelegentlich, wenn a) sie mich zuerst duzten, b) sie gerade am Kiosk vor mir standen oder c) sie auf der Straße ein Kronen Export tranken. So etwa sind die Regeln dort. Aber in dieser Zeit wurden auch zwei Menschen auf dieser Straße erschossen und vielleicht wollte ich einfach meinem .. ach lassen wir das beiseite.

    Im Kreuzviertel, weiter südlich in Dortmund, nahe am Stadion, habe ich ich mein dutz-Verhalten, so meine ich, geringfügig geändert, vermag aber nicht zu sagen wie. Ich erwähne das auch nur, weil ich heute dort es so mache wie in Berlin und eigentlich überall: im Zweifelsfalls immer siezen. Nur auf der Mallinckrodtstrasse gelten nach wie vor immer noch die alten Regeln.

    Was ich sagen will: Auch in Stadtvierteln gibt es bei mir Unterschiede. Die Mallinckrodtstrasse ist Twitter.

  24. Länderabhängig

    Schweizer duzen normalerweise schneller als Deutsche. Ich bin mir dessen sehr bewusst und passe mich entsprechend an bis hin zur Überkorrektur. Will heissen: wenn ich davon ausgehe, dass mein Gesprächspartner ein Deutscher ist, egal ob online oder offline, dann sieze ich. Gehe ich aber davon, aus, dass ich mit einem Schweizer kommuniziere, dann komme ich online nicht auf die Idee, zu siezen, dann ist Du angebracht. Offline ist in dem Fall wohl das Alter bestimmend. Junge werden eher geduzt als Alte.

  25. In Filmen

    In (aus dem Englischen synchronisierten) Filmen und Serien sieht man oft sehr deutlich, welche Schwierigkeiten die Unterscheidung in Du und Sie macht. Da sieht man teilweise wie die Protagonisten sich recht intensiv küssen um sich anschließend weiter zu siezen. Erst nach vollzogenem GV scheint bei einigen Synchronsprechern das Du üblich zu sein.

  26. Keine Antwort, nur eine Frage mehr …

    Interessant wäre es m.E. auch, regionale Unterschiede im Duzverhalten zu untersuchen.
    Ich lebe in Berlin und hier auch das, äh, von vornehereinige Duzen fremder Menschen m.E. weiter verbreitet als in anderen Regionen Deutschlands.
    Zum Beispiel duzen sich fast automatisch alle Eltern, deren Kinder gemeinsam zur Schule oder in den Kindergarten gehen und ich bin woanders mit meinem unbedachten Duzen schon öfter mal angeeckt.

  27. Andere Länder, andere Sitten…

    Bei uns im Landtag sitzen auch Abgeordnete der dänischen Minderheit, mit denen man ab und zu dienstlich zu tun hat. Der erste Satz, mit dem man angesprochen wird, ist regelmäßig: “Du kannst du zu mir sagen.” Finde ich irgendwie sympathisch…

    Ansonsten: Wenn man in eine Gruppe hinzukommt, in der sich alle duzen (z.B. Sportverein), dann duzt man sich auch sofort. Einzelne fremde Personen sieze ich jedoch immer erstmal, vor dem “Du” sollte man sich erstmal etwas beschnuppern. Und wenn mich jemand mich ungefragt duzt, sieze ich den so penetrant, bis derjeneige merkt, dass ich das “Du” nicht akzeptiere. dauert bei manchen recht lange…

  28. Dritte Person

    Ich werde von meinem Chef in der dritten Person angesprochen. Er ist es gewohnt, alle Mitarbeiter automatisch zu duzen, aber vor mir hat er irgendwie Schiss, bringt es aber nicht übers Herz mich zu sietzen. Deswegen sagt er Sachen zu mir wie:”Könnte er Freitag etwas länger da bleiben?”, oder “Hat er schon die Mail von Soundsogelesen?”.

    Das geht auch.

  29. Du, wenn es billig wird

    Neulich haben sie in unserer Therme das Kellnern abgeschafft. An der Kasse, wo man jetzt immer so ein Leuchtdingens erhält, das einen zum Essenholen ruft, gingen sie mit diesem Tag plötzlich zum “Du” über. Ob das daran lag, dass wir nun auch gastronomisch etwas arbeiteten, also ein wenig zum Team gehörten? Ähnlich schien dieses Duzen jenem bei IKEA, das zwar schwedisch-folkloristisch wirken soll, aber doch auch angebracht scheint, weil wir alle auch mitschrauben an den Möbeln in der großen Möbelbaubrigade.
    Im Bereich öffentlicher Dienstleistungen schätze ich doch eher das “Sie”, denn es erhält mich als Vertragspartner. So war ich auch sehr besorgt, als der Bauleiter unseres Einfamilienhauses wenige Tage vor der Abnahme unvermittelt zum “Du” überging. Ging zum Glück gut aus.

  30. 1) Wegen dieser ungesunden Fixierung auf die Apothekenumschau mache ich mir ein wenig Sorgen um den Blogbetreiber.

    2) Dieses gruselige Leerzeichen in “Apotheken Umschau” geht mir extrem gegen den Strich. Ich fühle mich fast körperlich unwohl dabei. Ja, ich bin deswegen in Behandlung.

    3) Der Kommentar von Markus über die Dortmunder Nordstadt ließ mir das Herz aufgehen.

    4) Ich kommuniziere beruflich fast nur auf Englisch. Immer wenn ich doch mal mit jemandem auf Deutsch rede oder maile, stolpere ich regelmäßig über das Problem ob ich die Person nun duze oder sieze. Ich hätte nichts dagegen, wenn diese Distinktion auch im Deutschen verschwände.

  31. Frage von Nähe und Distanz?

    Dass man es auf unterschiedlichen Kanälen/Medien mit dem Duzen/Siezen unterschiedlich hält, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass man diese “Medien” unterschiedlich kategoriesiert hinsichtlich solcher Merkmale wie Distanz/Nähe oder Grad der Formalisiertheit.

    Bspw.:

    E-Mail – ist mittlerweile ein eingeführtes Medium, bei welchem sich bereits mehr oder weniger verbindliche Regeln herausgebildet haben. Hier hängt es dann eben vom Kontext der Kommunikation ab (private vs. geschäftliche Kommunikation; kennen sich die Adressaten usw.)

    Foren – existieren ebenfalls schon länger und bilden ihre jeweils eigenen Regeln aus, die durch die kommunikative Praxis entwickelt, eingehalten, durchgesetzt werden…

    Blogkommentarspalten – sind etwas jünger, hier hängt es (nach meiner Beobachtung) häufig auch von der Anrede durch den Blogger ab. Wenn dieser selbst siezt (“Wie sehen Sie das, liebe Leser/innen?”), dann ist das “Sie” im Grunde schon vorgeben.

    Twitter – das historisch jüngste Medium, d.h. kommunikative Regeln müssen sich erst noch herausbilden bzw. sind noch nicht so fest… Bei Twitter spielt m.E. noch eine Rolle, dass aufgrund der Zeichenbegrenzung Formeln wie Anrede und Gruß wie bei E-Mail schon rein technisch nicht möglich sind. Ingesamt ist Twitter also weitaus weniger formell/formalisiert wie bspw. die E-Mail (die zumindest potentiell). Wenn aber das Medium “an sich” bereit ein eher “informelles” ist, wird auch eher das “Du” eher als das “Sie” gewählt…

    Darüber hinaus denke ich, spielt auch eine Rolle, dass man es bei Twitter und Kommentarspalten häufig mit unbekannten Personen zu tun hat, mithin nicht mit “ganzen” Menschen, sondern “lediglich” mit Urhebern anderer Äußerungen. D.h. – so empfinde ich es zumindest – die Kommunikation ist häufig eher sach-/themenbezogen, Beziehungsaspekte sind gegenüber der Face-to-face-Kommunikation bzw. Kommunikation zwischen persönlich bekannten Gesprächspartnern erst einmal nachrangig. (Das sich manche Kommentatoren dann schnell daneben benehmen, ist dann ein anderes, wenn auch eng verwandtes Thema…)

  32. @Nick der Bösewicht

    Das erinnert mich an ein Problem, das ich auch mal hatte. Nämlich ob ich meine Schwiegereltern schon duzen oder doch lieber noch siezen sollte. Anstatt die dritte Person zu wählen, die für mich auch eher herablassend klingt, habe ich dann jedoch versucht, jegliche Anrede zu vermeiden. Statt “Wann hast du Zeit?” fragte ich dann eben “Wann würde es passen?” usw. Ziemlich umständlich. Zum Glück sind wir inzwischen aber eindeutig per Du. 😉

  33. Daneben benehmen

    @A.P., 11:34h: Guter Hinweis, dass der zuweilen raue Ton in informellen online-Debatten nicht vom Duzen kommt (oder kommen muss), sondern mit diesem gleichursprünglich ist (oder sein kann).

  34. Vermeidungsstrategien

    Offensichtlich ist es gar nicht so unüblich, auf bestimmte Vermeidungsstrategien zurückzugreifen, wenn die Frage des Du/Sie nicht eindeutig geklärt ist. Auch ich habe mit meinen Schwiegereltern ein halbes Jahr lang nur indirekt gesprochen, etwa in der Art von “Möchte noch jemand Wein?”. Schön zu sehen, dass ich nicht der einzige bin, dem es so erging.
    Normalerweise habe ich als Faustregel, älteren Personen die Wahl der Anrede zu überlassen und diese dann zu übernehmen. In bestimmten Fällen (besagte Schwiegereltern oder sehr viel ältere Menschen) fällt es mir jedoch schwer, ein Du einfach zu erwidern. Gleichzeitig würde ich es aber auch als unhöflich empfinden, jemanden direkt zu fragen, ob er oder sie gesiezt oder geduzt werden will.

  35. @Nick der Bösewicht

    Uff, laut Knigge war es allerdings ein ziemlicher Affront, in der dritten Person angeredet zu werden, wenn man nicht gerade Dienstpersonal oder sonst wie ziemlich tief in der Hierarchie stand.

    Ich wage hier mal eine steile These, für die ich wohl von professionellen Linguisten wieder verbal hingerichtet werden werde: Mit der Aufhebung ständischer Unterschiede verschwand wohl auch die dritte Person und setzte sich allgemein die Anrede “Herr” bzw. “Frau” durch. Hatte jemand nämlich Leibeigene, dann war nur der erstere der Herr, die Leibeigenen waren nicht der Herr.

  36. @Frank Wappler

    Gewiss:
    in englischsprachigen Onlinemedien wird oft “you” verwendet, ohne damit besondere Vertrautheit, wert- oder Geringschätzung nahezulegen. Entsprechend entkrampft gestaltet sich ggf. auch die Verwendung von “I”.

    Au contraire, würde der Lateiner sagen. “You are” ist entsprechend dem französischen “vous êtes” die Höflichkeitsform.

    (“Sie sind” ist ja der Plural des vorhin erwähnten “Er ist”. Und irgendwie ist ja die Anrede in dritter Person noch distanzierter.)

    Ausgestorben im heutigen Sprachgebrauch ist “thou art” – Du bist.

    Die Anglos duzen sich also nicht per default, sondern siezen sich (oder man “ihrt” sich, wenn man mir dieses schwachsinnige Wortspiel einmal nachsehen möge.)

    Es ist ja auch schwer vorstellbar, dass sich englische Lords à la “stiff up a lip” – eigentlich würde ich lieber eine deutsche Redewendung mit einem Stock in einer Körperöffnung benutzen – auf einmal dazu übergegangen wären, sich standardmäßig zu duzen.

    Dadurch, dass nur noch die Höflichkeitsform existiert, ist natürlich eine Nivellierung der Intimitätsdifferenzierung per Verbform eingetreten.

    Aber es ist so, als würde im Deutschen das “Du” aussterben und alle siezten einander nur noch.

  37. Du im Internet folge der Anonymität

    Im “echten Leben”, wo man seinem Gesprächspartner gegenübersteht oder wenigstens seine Identität kennt, kommt natürlich das Sie viel selbstverständlicher und ist ein Segen, schließlich wahrt es Distanz und drängt sich nicht auf.

    Es gibt weniges was so nervt, wie die umsichgreifende Duzerei. Am schlimmsten sind Firmen-“Kulturen” wo jeder jeden duzt, was dann schnell mit Freundschaftlichkeit verwechselt wird und wo es dann schnell zu Tränen kommt, wenn jemand entlassen wird. (“Du Stefan, ich möchte jetzt, daß Du Deinen Schreibtisch leerräumst und die Firma verläßt. Und viele Grüße an Kathrin und die Kinder!”)

    Mit Amis geht das ja noch in Ordnung, schließlich ist deren “you” ja eigentlich ein “Sie”. Mit Deutschen einfach nur anmaßend und aufdringlich.

    Jedenfalls zurück zum Internet: Da hier sowieso schon Distanz herrscht, da alles eh anonym ist, kann man auch duzen. Genauso, wie Groß- und Kleinschreibung oder Rechtschreibung generell in den meisten Kontexten vernachlässigt werden können. Oder es liegt daran: Man schreibt ja nie “im Internet”, sondern immer in Gruppen, Foren, Kreisen – jedenfalls immer irgendwo, wo man aus welchen Gründen auch immer dazugehört, einer – neudeutsch – Community; vielleicht vergleichbar mit dem Sportverein, den Nachbarn oder den Sportplatzkumpels. Also semi-privat, und da würde man ja auch in der “echten Welt” schneller mal duzen.

  38. @Nathalie @Rechenmonster

    Naja, mein Chef ist halt Schwabe. Wenn er es sagt, hört es sich für mich irgendwie feudal an. Ich fühle mich nicht herabgesetzt dadurch, komischerweise ist das Gegenteil der Fall. Es ist auch so, dass er alle anderen mit Vornamen anspricht, mich mit Nachnamen. Dabei sagt er aber nicht “Herr Soundso”, sondern sagt nur meinen Nachnamen, also in etwa so: Mayer, hat er schon gefrühstückt? – Ich heiße nicht Mayer, aber der Rest ist Origninalzitat.

  39. Mais oui, mon capitan!

    rechenmonster schrieb (03.05.2012, 17:59):
    > Die Anglos duzen sich also nicht per default, sondern siezen sich

    Your Most Incalculable Hideousness —
    whatchu talkin bout, dude!?.

  40. on- und offline

    Es wurde ja nach dem Duz-, Siezverhalten online gefragt und ich stimme zu, in E-Mails (der ältesten Online-Kommunikationsform) übertrage ich 1:1 meinen Bezug zum jeweiligen Korrespondenzpartner aus dem realen Leben.

    An anderen virtuellen Orten der Kommunikation passe ich mich meist an. Sprich: ist dort (evt. vom Verfasser/Blog) ein Sie vorgegeben, retourniere ich es, werden die Leser mit du angesprochen, antworte ich auch so.

    In bestimmten Foren ist ein Sie undenkbar. Selbsthilfegruppen (Bsp: Anonyme Alkoholiker), Erotische Plattformen und, soweit mir bekannt, Dating-Seiten, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

    Ich benutze übrigens real wie auch virtuell ganz gerne die Zwischenform Sie plus Vornamen. Es ist eine Brücke, auf der man sich zwischen Nähe und Distanz, zwischen freundschaftlicher Annäherung und formalem Abstand in der Mitte trifft.

    Ich mag diesen Zwischenschritt manchmal, wenn ich der Höflichkeit und des zu zeigenden Respekts willens nicht in ein flapsiges du fallen will, mir ein “Herr” oder “Frau” in der Anrede aber dennoch nicht über die Lippen, pardon: in die Tasten kommen will.

  41. Übrigens…

    …beißt mein Hirn sich gerade an der Frage fest, warum der Autor des Blogs wohl “Sag mir was du Siezt” anstatt “…wen du Siezt” schreibt.

    Diesseits des Bildschirm lässt Freud mal wieder grüßen, denn zur ‘Versächlichung’ von menschlichem Gut in Form von Personen habe ich einen ganz speziellen Bezug (auf den ich jetzt nicht näher eingehe), was allerdings der Autor sich dabei dachte, könnte einfach seiner humorigen Kreativität entsprungen sein.

    Ein Versehen schließe ich jedenfalls definitiv aus.

  42. @Sophia: »Ein Versehen schließe ich jedenfalls definitiv aus. «

    Yep, ich auch (ich sehe was, was du nicht siezt… 😉 )

  43. @Balanus

    Sollte man ‘Blinden’ und Ahnungslosen wie mir nicht gedanklich über die Straße helfen, anstatt sie im Dunkel ihres eigenen unentwirrbaren Gedankenguts stehen zu lassen?

    Da muss ich wohl weiter im trüben Sud der unauflösbaren Fragezeichen dümpeln?

    Hach…(wie gemein!)

  44. Achso!

    Thanks für die kleine Erleuchtung Ihrerseits, @Balanus.
    Den Hinweis hatte ich ganz anders interpretiert.

  45. Ich duze …

    … im Internet eigentlich alle, außer sie siezen mich zuerst oder es herrscht allgemeines Siezen in einer Unterhaltung, in die ich mich einklinke.

    Als mein Leben mit dem Internet anfing (ich war 14 und es gab diese AOL-Gratis-CDs, mit denen man sich jeden Monat unter einem anderen Namen … ihr wisst schon), war das Duzen eigentlich überall, wo der Schwerpunkt auf gegenseitigem Austausch lag (also in Chats, Instantmessengern, Foren und Gästebüchern) die Norm, und dabei bin ich geblieben. Ich kann bei mir auch keine Unterschiede zwischen meinen drei Kanälen Blog, Twitter und Facebook feststellen.

    Ich weiß noch, dass ich ziemlich lachen musste, als ich die ersten Blogs gefunden habe, in denen man sich siezte.
    Mittlerweile weiß ich nicht mehr so recht, wie ich zur ganzen Anrederei stehe, die Online-Kommunikationsformen haben sich ja doch sehr stark verändert und man interagiert mit vielen, auch eigentlich zu siezenden Menschen sowohl on- als auch offline, wo das früher bedeutend stärker getrennt war.

    Bei E-Mails ist meine Du-Sie-Distribution wie offline, war sie auch schon immer (wobei der Austausch von Mails mit Zusiezenden erst bedeutend später einsetzte).

  46. @Nick der Bösewicht, Schwiegerkinder

    Wenn mich mein Chef mit bloßem Nachnamen und “er” anspräche, würde ich mich entweder zurückgesetzt fühlen, oder aber den Schluss ziehen, dass er im Umgang mit Menschen unbeholfen ist, also einen guten Teil des Respekts vor ihm verlieren.
    Denn so sprach vielleicht vor 150 Jahren der Gutsherr den Knecht an. Die Kombination Vorname und Sie erinnert ebenfalls an Personal (wie schon erwähnt wurde), allerdings eher an das Dienstmädchen im aufgeklärten bürgerlichen Haushalt.

    Zum Schwiegerelternproblem. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal zum Verteidiger von Benimmregeln werde, aber hier machen sie das Leben schon einfacher. Man siezt seine Schwiegereltern – jedenfalls im Normalfall, dass diese älter sind als man selbst – und es ist deren Entscheidung, ob und wann sie einem das Du anbieten. Das Anredevermeiden finde ich peinlich und wird bei Kenntnis der Regel überflüssig.

  47. Schweiz

    Ich denke das ist auch noch Regional unterschiedlich. In der Schweiz ist das “Sie” IMHO am aussterben. Ich sietze Menschen nur noch in höchstformellen Situationen wie Vorstellungsgesprächen – und selbst da ist der Trend weg vom “Sie” klar zu spüren. Es wird da sicherlich Branchenabhängig noch Unterschiede geben, aber im grossen und ganzen würde ich sagen, dass das “Sie” bald ein Germanismus sein wird, welchen die Schweizer zwar noch verstehen aber nicht mehr benutzen.

    Im Internet ist meineserachtens ein Sie komplett verpönt – ein “Sie” betrachte ich im Internet als eine unterschwellige Beleidigung.

  48. @phaeke

    Naja. Erstens, habe ich schon erwähnt das er Schwabe ist? Habe ich. Nur weil er tatsächlich Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen hat, käme ich persönlich nie auf die Idee, den Respekt vor ihm – oder vor irgend jemand sonst, der irgend ein zwischenmenschliches Defizit hat – zu verlieren. Nur weil er “..im Umgang mit Menschen unbeholfen ist…” ist er kein schlechter Mensch. Warum Sie da sofort einen Gutteil Ihres Respektes verlieren sollten, verstehe ich nicht.

    Um es klar zu sagen: ich mag meinen Boss sehr, ich würde fast sagen, ich bin ein Fan von ihm.

  49. duzen vs. irzen

    Nur ganz am Rande möchte ich darauf hinweisen, dass die ursprüngliche Höflichkeitsanrede im Mittelhochdeutschen die zeite Person Plural war, also ‘ir’. Daher kommt auch das schöne Verb ‘irzen’. Gibt es heute wohl noch in verschiedenen Dialekten als Anredeform. Streng und historisch genommen wären im Deutschen also wenigstens die Anredearten duzen, siezen und irzen zu unterscheiden.
    Hanno Rüther

  50. Nick der Bösewicht

    Ja, Sie erwähnten, dass er Schwabe ist – mir ist nur nicht klar, wofür genau das eine Rolle spielt. Pflegen Schwaben allgemein einen raueren oder hierarchischeren Ton?

    Nein, natürlich ist jemand, der die kurrenten Umgangsformen nicht beherrscht, deswegen kein schlechter Mensch. Ich würde meinen Chef – was ich klarer hätte ausdrücken können – in diesem Fall auch nicht als Menschen weniger respektieren, wohl aber als Chef. Denn von meinem Chef würde ich schon ganz gerne lernen können. Und in meinem Metier ist Umgang mit Menschen so wichtig, dass es mir bei so starken Defiziten in diesem Bereich zu schwer fiele, insgesamt beruflich zu ihm aufzuschauen.

    Ich wollte aber wirklich nur eine Aussage über mich treffen und nicht etwa Ihnen empfehlen, Ihrem Chef Respekt zu entziehen.

  51. Neck die Badenerinnen

    Hanno Rüther schrieb 08.05.2012, 13:35):
    > […] wenigstens die Anredearten duzen, siezen und irzen zu unterscheiden

    Und nicht zu verwechseln:
    das (zugegebenermaßen maskulin-generische) Erzen.

  52. eigentlich…

    eigentlich schreibt sich das Blatt sogar APOTHEKEN Umschau – das erste Wort versal (was es nicht besser macht).

  53. @phaeke

    Ich lerne von meinem Boss jeden Tag. Nicht, wie man Menschen anredet, aber durchaus wie man mit ihnen umgeht.

    Und ich denke, jeder Menschenschlag hat seine Eigenarten. Der Schwabe ist anders als der Rheinländer, der Ostfriese anders als der Niederbayer, und Berliner unterscheiden sich doch mehr oder weniger deutlich von Freiburgern. Der Schwabe redet nicht so viel, bruddelt lieber und lässt Taten sprechen. Im Zweifel guckt man lieber grimmig als freundlich, und bis man sich angefreundet hat, dauert es ein wenig länger. Man kauft zwar gerne Mercedes, erzählt aber nachher, dass habe man sich nur leisten können, weil die Lebensversicherung abgelaufen ist.

  54. In Bayern wird generell mehr geduzt,

    gefühlt.
    Haben Sie, Herr Stefanowitsch, dazu ein paar wissenschaftliche Details?

    Das interessiert mich schon lange. Ich kenne das aus meiner bayerischen Jugend so, dass man fremde Menschen im Smalltalk oder bei schnellen Geschäften einfach duzt.

    Es gibt meines Wissens ein Gerichtsurteil, mit dem ein Bayer freigesprochen wurde, der einen Polizisten geduzt hatte und deswegen wegen Beleidigung angezeigt wurde.

    Klar wurde mir die Situation, als ich die Eltern meiner Leipziger Ex-Freundin kennenlernte: Ich sprach sie gleich aus Erfahrung mit “Du” an, das war aber ein großes Fettnäpfchen. In Bayern üblich, in Leipzig boten sie mir das Du erst nach zwei Jahren an…

  55. Ich duze immer

    In meinem aktuellen Blog duze ich ausnahmslos. Ich könnte mir aber vorstellen, in einem neuen Blog zu siezen. Sicher bin ich mir da nicht. In Blogs hat Siezen oft was Arrogantes.