Im Rausch der Titel

BLOG: Sprachlog

Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Sprachlog

Da die Plagiatsfälle gerade auf uns herunterregnen wie Kröten nach einem Tornado in Ishikawa, lässt mich das Thema doch auch hier im Sprachlog noch nicht los. Ein aktuell diskutierter Aspekt des Themas hat zudem durchaus einen sprachlichen Bezug: Die Frage, was akademische „Titel“ eigentlich sind, und ob man deren Missbrauch nicht abstellen könnte, indem man diese „Titel“ einfach abschaffte (siehe dazu die Diskussion in unserem Blog DE PLAGIO).

Häufig findet auch eine merkwürdige Vermischung von akademischen „Titeln“ und „Adelstiteln“ statt — z.B. in der Sendung „Anne Will“, in der es insgesamt ja recht munter durcheinander ging.

Grund genug für mich, hier im Sprachlog einmal zusammenzufassen, was ein „akademischer Titel“ eigentlich ist, und wie er sich von einem „Adelstitel“ unterscheidet.

Zunächst haben sie eines gemeinsam: Beide existieren in Deutschland nicht. Akademische „Titel“ sind eigentlich akademische Grade — also Kennzeichnungen wie BA, MA, Magister/Magistra, Dipl. Ing. und natürlich Dr. phil, Dr. rer. nat., usw. Der Doktorgrad ist hier nur deshalb etwas besonderes, weil er, anders als alle anderen akademischen Grade, in den Personalausweis und den Reisepass eingetragen werden kann, aber nicht muss (siehe Personalausweisgesetz §5 und §9 und Passgesetz §4). Dadurch wird dieser Grad nicht zu einem Namenszusatz im gesetzlichen Sinne, aber natürlich erhält er einen herausgehobenen Status, der einem Namenszusatz sehr ähnlich ist.

„Führen“ (im Sinne von „gemeinsam mit dem Namen verwenden“ darf man in Deutschland jeden akademischen Grad, den man auf legale Weise erworben hat. Das umfasst alle Grade, die von einer deutschen Universität verliehen worden sind, und alle ausländischen Grade, die durch einen entsprechenden Verwaltungsakt auch in Deutschland anerkannt worden sind. Das gilt natürlich nicht nur für den Doktorgrad, sondern auch für jeden anderen Grad.

Ich könnte mich, wenn ich wollte, „Anatol Stefanowitsch, Magister Artium“ oder „Anatol Stefanowitsch, MA“ nennen, denn ich besitze einen Magister Artium in Anglistik der Universität Hamburg und einen Master of Arts in Linguistik von der Rice University, Houston. Außerhalb Deutschlands kann ich mich „Anatol Stefanowitsch, PhD“ nennen, denn ich habe einen PhD der Rice University. In Deutschland darf ich die Bezeichnung „Ph.D.“ meines Wissens aufgrund der Tatsache nicht mehr tragen, dass ich meinen PhD-Grad durch die Hamburger Bildungsbehörde als Doktorgrad anerkennen lassen habe und mich seitdem „Dr. Anatol Stefanowitsch“ oder, in voller Form „Dr. phil./Rice Anatol Stefanowitsch“ nennen darf (bei Nennung des vollen Titels muss ich laut Hamburger Anerkennungsverfahren die Universität mit angeben, die ihn mir verliehen hat, in anderen Bundesländern wird das Land hinzugefügt, sodass ich dort „Dr. phil./USA Anatol Stefanowitsch“ wäre). Allerdings hat sich der Status des Ph.D. in den letzten Jahren geändert, sodass ich ihn möglicherweise doch verwenden dürfte. Außerdem darf ich mich „Prof.“ nennen — das ist aber kein akademischer Grad, sondern eine Amtsbezeichnung, die mir im Rahmen meiner Beschäftigung an der Universität Hamburg (und vorher an der Universität Bremen) durch die jeweilige Universität zugewiesen wird.

Natürlich habe ich keinen Anspruch darauf, dass andere mich mit diesen akademischen Graden und Amtsbezeichnungen anreden; entscheidend ist aber, dass ich, indem ich einen Grad führe, zeige, dass ich ihn tatsächlich habe. Denn wer einen Titel trägt, den er nicht legal erworben (und ggf. anerkennen lassen) hat, macht sich damit strafbar (Strafgesetzbuch § 132a).

Wer fordert, das Führen akademischer „Titel“ abzuschaffen, würde damit also nur erreichen, dass Akademiker/innen nicht mehr auf ihre Qualifikation hinweisen dürften — eine absurde Idee, die erstens eine Einschränkung der Redefreiheit darstellen würde und es zweitens Hochstaplern nur leichter machen würde, Qualifikationen vorzutäuschen, die sie nicht besitzen. Etwas anderes wäre es, den Titel aus dem Personalausweis/Reisepass zu streichen — mir persönlich wäre das egal, aber gegen das öffentlichen Führen von Titel würde das, wie auch Joachim Schulz hier schreibt, nichts ausrichten.

Wie steht es nun mit „Adelstiteln“? Da ist die Situation noch einfacher: Da es in Deutschland keinen Adel gibt, kann es auch keine Adelstitel geben. Am 23. Juni 1920 erließ der Freistaat Preußen das „Gesetz über die Aufhebung der Standesvorrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen“, und in diesem Gesetz wurden sämtliche „Vorrechte des bisherigen Adelsstandes“ aufgehoben (ähnliche Gesetze finden sich in den anderen Ländern des damaligen Deutschen Reiches). Das Gesetz bezieht explizit Stellung zu „Prädikaten“ wie „Königliche Hoheit, Hoheit, Durchlaucht und dergleichen“ — das Recht auf diese Bezeichnungen wird in §1, Abs. II, Satz 3 aufgehoben. Das Gesetz bezieht weiterhin explizit Stellung zu Adelsbezeichnungen wie Herzog, Graf, Freiherr, etc. — diese werden nach §22 in Familiennamen umgewandelt, was erklärt, warum sie heute nach dem Vornamen genannt werden.

Wer einen „Adelstitel“ tragen möchte, für den gibt es aufgrund der Tatsache, dass es Adelstitel nicht gibt, einen leichten Weg dorthin: Man wähle einen Künstlernamen, der einen solchen „Adelstitel“ enthält, werde unter diesem Künstlernamen schöpferisch tätig, und lasse ihn sich dann als Künstlername in den Personalausweis eintragen lassen. Ein bekanntes Beispiel für einen solchen „Adeligen“ ist Lo Graf von Blickensdorf, der seine Erfahrungen in dem Buch „Werden Sie doch einfach Graf! Biste was, kriegste was“ beschreibt.

Wir merken uns: Akademische Grade muss man erwerben, „Adelstitel“ kann man frei erfinden. Wer diesen Grundsatz verfolgt kann es als Hochstapler weit bringen ohne in Konflikt mit dem Gesetz oder ins Visier von VroniPlag zu geraten.

Für heute verabschiedet sich ergebenst
Ihr Anatol Freiherr von Ottensen Graf Stefanowitsch zu Altona

Full Disclosure: Ich selbst trage meine „Titel“ Dr. (der ja ein akademischer Grad ist) und Prof. (der ja eine Amtsbezeichnung ist) nur dort, wo sie inhaltlich relevant sind (also im Wesentlichen im universitären Kontext oder dort, wo ich über den universitären Kontext schreibe). Ich habe meinen Doktorgrad seinerzeit in meinen Personalausweis eintragen lassen, als der ohnehin erneuert werden musste, aber ich führe ihn in keinem anderen Dokument (wie Kreditkarte, Führerschein oder Bibliotheksausweis).

Schön informativ: Die Wikipediaartikel zu Adelstitel und Doktortitel.

© 2011, Anatol Stefanowitsch

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

16 Kommentare

  1. Ein Vorteil…

    … der Eintragung eines akad. Grades in den Personalausweis ist vielleicht, dass es dadurch einfacher wird, nachzuweisen, dass man den Titel zu recht auf die Visitenkarten (für Jüngere: Business Cards) hat drucken lassen.

  2. perso & co

    das mit der eintragung des im perso hab ich auch genau deswegen machen lassen: damit man ein offizielles dokument hat, in dem es drinsteht.
    und ich muß gestehen, daß ich es auf die krankenkassen-karte habe eintragen lassen. man weiß ja nie, ob’s nicht doch zu was gut ist … 🙂
    aber ansonsten geht ich dafür dann damit auch sehr defensiv um. 🙂

  3. Adelstitel

    Hallo Anatol,

    Zu den Adelstiteln hätte ich gerne noch eine Stellungnahme zum Sprachgebrauch gehört. Ist meine Spekulation, dass es sich bei den rechtlich belanglosen Adelsbezeichnungen dennoch um Titel handelt, weil sie von weiten Teilen der Bevölkerung wie Titel benutzt werden, aus sprachwissenschaftlicher Sicht richtig? Oder zumindest nachvollziehbar?

    Der Link auf meinen Artikel ist übrigens nicht aktiv.

  4. MA

    Ich dachte immer man könne auch statt Magister/tra Artium einfach MA schreiben. Ist dem gar nicht so und der deutsche Abschluß muß ausgeschrieben werden? Mache ich mich gar des Betrugs schuldig, wenn ich mich als MA bezeichne und in Wirklichkeit einen Magister habe?

  5. Gebrauch, MA

    @Joachim: Dazu kommt am Wochenende noch ein kleiner Nachtrag, den ich aber nicht zum Kernstück dieses Beitrags machen wollte.

    @kreetrapper: Ich glaube, das geht — es ist ja eine nachvollziehbare Abkürzung. Habe aber bis jetzt kein Gesetz gefunden, das etwas darüber sagt, ob diese Abkürzung speziell geschützt ist.

  6. Kann ich besser….

    “Zu Altona”….

    Wie wäre es mit “zum Diebsteich” oder “Graf zu Stellingen”, das hätte doch was….

    Egal, der Blog ist immer wieder klasse und meine Mutter kriegt zum 70. Wiegenfest ein “Best off” aus dem Bremer Sprachblog.

    PS: Sick war unterirdisch

  7. Akademisches Heroldsamt 😉

    Rege an, ein akademisches Heroldsamt zu schaffen, damit da mal Ordnung reinkommt in dieses föderal-internationale Durcheinander 😉

    Zur “soziologischen” und juristischen Seite des Adels: http://www.lto.de/…_punkt_und_andere_petitessen/

    (Ach, hätten Juristen ein “*”. Das würde doch manches erleichtern.)

  8. Prinz zu Anhalt

    Hallo,

    sehr interessanter Artikel! Wie ist das bei Frederic von Anhalt, seiner eigenen Adoption und den Adoptionen seiner “Prinzen” aussieht. Ist hier “zu Anhalt” der Nachname und “Prinz” lediglich der Künstlername?

    Gruß
    Frank

  9. Amtsbezeichnung Professor

    Schöner Text, den sollten sich besonders manche Ärzte mal zu Herzen nehmen.

    Wie verhält sich das eigentlich mit dem Prof., wenn man dieses Amt nicht mehr bekleidet?
    Es gibt ja teilweise Personen, die geradezu mit dem Prof. vor ihrem Namen werben, aber schon jahrelang keine Uni mehr von innen gesehen haben.

  10. Türöffner

    Doktortitel sind auch wunderbare Türöffner, etwa, um als Journalistin an der Vorzimmerdame vorbei zum Prof zu kommen.

    SR: Guten Tag, mein Name ist Stefanie Reinberger, ich würde gerne Herrn Prof. (ja, bei Vorzimmerdamen sollte man das immer dazu sagen) zu dieser und jener Sachlage für einen Artikel in dieser und jener Zeitschrift befragen.

    VZD: Oh, DAS tut mir aber leid, der Herr Professor ist im Moment im Gespräch und ansonsten ja sooo beschäftigt. Ich glaube nicht, dass das in den nächsten drei Wochen etwas wird…. *klapper* *kruschtel* … nun, vielleicht kann er Sie nächste Woche zurückrufen. Wie war noch gleich der Name?

    SR: DOKTOR Stefanie Reinberger…

    VZD: Ach, Frau Doktor Reinberger, ich sehe gerade, der Herr Professor hat im Moment aufgelegt. Soll ich Sie gleich durchstellen?

  11. Danke für den Tipp mit dem Adels-“Titel”.

    Hier mein Kunstwerk:

    ..
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    Es grüßt Herzog Heinrich der Dackel.