Aprilscherz aufgelöst

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Also, lösen wir den diesjährigen Aprilscherz auf — obwohl das gar nicht so einfach ist. Eins ist klar: ná’oolkilí ist zwar ein waschechtes Navajo-Wort, es bedeutet aber nicht „Massenkarambolage“, sondern „Uhr“.

Die Mehrzahl der Kommentator/innen hat also den Aprilscherz korrekt erkannt — woran, bleibt allerdings unklar, denn die Begründungen sind allesamt nicht nachvollziehbar. Ob Massenkarambolagen im Gebiet der Navajo häufig vorkommen oder nicht, zum Beispiel, ist erstens irrelevant für die Frage, ob die ein Wort dafür haben (wir haben ja auch ein Wort für das in jedem Fall seltenere Ereignis Venustransit); zweitens sollte man Massenkarambolagen im Navajo-Reservat in Arizona nicht voreilig ausschließen — wie ein Kommentator richtig beobachtet hat, führt mit der I-40 eine wichtige Interstate genau durch Navajo County, auf der im Übrigen des Öfteren Sandstürme auftreten, die die Sicht sehr plötzlich und sehr stark behindern.

Schon überzeugender ist das Argument, dass die Navajo sehr stark auf die Reinheit ihrer Sprache bedacht seien und es deshalb im Navajo keine Lehnwörter gebe. Tatsächlich findet sich diese Aussage immer wieder in der Fachliteratur, allerdings ist mir keine Studie bekannt, die das tatsächlich untersucht hätte und natürlich gibt es im Navajo Lehnwörter aus dem Englischen und Spanischen. Das Argument, dass es sich bei dem Navajo-Wort um eine Erfinung handeln müsse, weil ich ja wohl kaum des Navajo mächtig sei, ist dagegen wieder wenig nachvollziehbar, da es ja nur dann schlüssig wäre, wenn ich Japanisch, Swahili und Tok Pisin fließend in Wort und Schrift beherrschen würde. Ich bedanke mich für dieses Vertrauen in meine sprachlichen Fertigkeiten, aber meine Kenntnisse all dieser Sprachen beschränken sich auf das, was durch eine wissenschaftliche Betrachtung über sie herauszufinden ist.

Ich nehme deshalb an, dass die Begründungen vorgeschoben waren, um höflich darüber hinwegzugehen, dass meine ausgedachte Herleitung nicht sehr überzeugend war (oder natürlich, dass Google doch ein wenig bei der Beantwortung geholfen hat).

Außerdem ist klar, dass die Wörter furontogarasu und bagarapim tatsächlich existieren und das bedeuten, was im Aprilscherz behauptet wurde. Bei bagarapim hat jemand angemerkt, dass die Endung -im verdächtig sei, da das Tok Pisin keine Flexionsendungen habe. Nicht schlecht gedacht, aber tasächlich handelt es sich bei -im um ein Suffix, das transitive Verben kennzeichnet (es leitet sich ab vom englischen Pronomen him). Wenn man sich für die englisch-melanesische Kreolsprache Tok Pisin interessiert, sollte man sich übrigens den Nachrichtendienst ansehen, den Radio Australia in dieser Sprache anbietet.

Warum habe ich nun aber gesagt, dass es gar nicht so einfach sei, den Aprilscherz aufzulösen? Nun, das letzte verbleibende Wort, kiplefti („Kreisverkehr“) ist so eine Art Problemwort. Zwar finden sich im Internet und in der linguistischen Fachliteratur hunderte von Verweisen darauf — oft auch in den orthografischen Varianten kipilefti und kipilefiti. Diese Verweise diskutieren das Wort gerne als Beispiel für ein Lehnwort, das in das Nominalklassensystem des Swahili integriert worden ist. Im Swahili gehört nämlich jedes Substantiv in eine von dreizehn Klassen, die an ihrem Präfix (ihrer „Vorsilbe“) erkennbar sind. Zwölf dieser Klassen sind einander paarweise zugeordnet, sodass eine die Einzahl und eine die Mehrzahl bezeichnet. „Mensch“ ist z.B. in Klasse 1 (der m(u)-Klasse): mtu; der Plural ist in Klasse 2 (der wa-Klasse): watu. „Messer“ ist in Klasse 7 (der ki-Klasse): kisu, der dazugehörige Plural in Klasse 8 (der vi-Klasse): visu. Das Wort kiplefti fängt nun zufällig mit ki- an, und so wird in der Literatur häufig berichtet, dass der Plural dazu viplefti laute.

Eine gute Geschichte, und völlig ausgeschlossen ist sie nicht — das arabische Lehnwort kitabu („Buch“) hat im Swahili z.B. den Plural vitabu. Allerdings findet sich weder auf Webseiten mit dem Ländersuffixen für Kenia und Tansania kein einziger Treffer für das Wort kiplefti (auch nicht in den anderen Varianten). Das macht mich, ehrlich gesagt, etwas stutzig. Auch Google Books liefert eine überwältigende Anzahl von Treffern, in denen über das Wort gesprochen wird, und kein einziger Treffer, in dem das Wort tatsächlich verwendet wird. Auch die Herleitung kommt mir nicht sehr plausibel vor — sicher, in einem Land mit Linksverkehr (wie ihn Kenia und Tansania haben), muss man sich auch in einem Kreisverkehr links halten — aber wo ist die besondere Motivation, ausgerechnet den Kreisverkehr so zu benennen? Und tatsächlich behaupten einige Quellen, dass es das Wort für eine „Verkehrsinsel“ sei.

Insgesamt also ein etwas zwielichtiges Wort. Der einzige Grund, das Wort kiplefti trotz allem nicht als Aprilscherz zu werten, war für mich, dass ich es in ein paar Swahili-Lehrwerken gefunden habe (hier und hier). Nicht gerade felsenfeste Evidenz, aber für den Aprilscherz hat es mir gereicht. Wenn jemand zuverlässigere Informationen über die Existenz oder Nichtexistenz dieses Wortes hat, immer her damit!

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

7 Kommentare

  1. Links zu Google

    Sie haben sich bei den Google-Links vertippt und “kiplefit” eingegeben. Wenn man korrekt “kiplefti site:tz” eingibt, erhält man sogar einen Treffer im Wörterverzeichnis eines “Swahili Spell Checker”.

    “die Begründungen sind allesamt nicht nachvollziehbar” finde ich übrigens etwas gewagt. Zum Beispiel finde ich das mehrfacht vorgebrachte Argument recht schlüssig, dass ja nicht der Anteil der Todesopfer eine Massenkarambolage ausmacht, sondern die schiere Menge der Beteiligten.

    “Ich nehme deshalb an, dass die Begründungen vorgeschoben waren, um höflich darüber hinwegzugehen, dass meine ausgedachte Herleitung nicht sehr überzeugend war” – genau dies wollte ich mit meinem Kommentar eigentlich ausrücken: “…und die Entstehung des Wortes könnte ich mir nicht wirklich vorstellen”.

  2. keep left

    Das war mein erster Tipp auf einen Aprilscherz. Auch ich war verwundert, warum man dieses Wort ausgerechnet für Kreisverkehr hernehmen sollte, ist doch der Linksverkehr dort genauso zu beachten, wie in allen anderen Straßen-, und Fahrsituationen auch.

    Danke für die Auflösung. Hat Spaß gemacht!

    Kis(s)whahili

    Sophia

  3. 🙂

    Hat Spaß gemacht … Das Wort fiel irgendwie raus, ich hatte es außerdem schon einmal gehört. Ich kenne einen Navajo (im weitesten Sinne) und fragte ihn einfach (googeln sollte ich ja nicht 😉

  4. kiplefti

    Wenn man nicht nach Ländern, sondern nach Sprache Swahili sucht, findet man schon einige Treffer, z.B. in Blogs. Die Übersetzungen von Google Translate waren wenig hilfreich, aber anhand der Bilder scheint es sich meistens um Schlaglöcher, Baustellen oder ähnliche Hindernisse zu handeln, die man umfahren (Betonung auf “fahren”) muß. Das sieht man auch direkt in der Bildersuche.

    Interessant fand ich einen Kommentar in einem Blog, der – wenn die automatische Übersetzung stimmt, vielleicht kann das ja jemand mal nachprüfen – auffordert, statt “kiplefti” doch bitte “keep left” zu schreiben. Sprachpurismus auch in Afrika?

    “Mdau Algerie, wanaita kiplefti kutokana na maneno ‘keep left’ ya Kiingereza.”

  5. Kreisverkehr

    “Auch die Herleitung kommt mir nicht sehr plausibel vor — sicher, in einem Land mit Linksverkehr (wie ihn Kenia und Tansania haben), muss man sich auch in einem Kreisverkehr links halten — aber wo ist die besondere Motivation, ausgerechnet den Kreisverkehr so zu benennen?”

    Ist jetzt zwar reine Spekulation, aber falls Kreisverkehre dort häufig mit einem Schild wie man sie hier sieht :

    https://ixquick.com/do/search?cat=pics&cmd=process_search&query=%22keep+left+sign%22

    ausstaffiert sind (bzw. früher waren), wäre die Motivation vielleicht nicht mehr ganz so weit hergeholt.

  6. kiplefti

    Sprachpurismus in Swahili heißt schreiben wie man spricht, auch englische Wörter: kwaya, spea, meneja.

    Will man die Klasse finden, darf man nicht nach dem Plural ki- oder vi- suchen, weil man dann nur die anscheinend wichtigste Anwendung des Wortes findet, nämlich die Diskussion über dieses Wort und seinen Plural. Besser sucht man nach “kiplefti ya” (Kreisverkehr von, Kl.9) und “kiplefti cha” (dito Kl.7). Dann kommt wenig heraus und beides gemischt.

    Dann muss man noch die Blogs ausklammern, wo sich hauptsächlich Europäer tummeln, inclusive sw.wikipedia.org. Bleibt noch weniger übrig.

    Trotz der dünnen Evidenz habe ich den Eindruck, das Wort gibt es wohl, aber wahrscheinlich eher in Klasse 9, also ohne Veränderung im Plural.

  7. kiplefti, hier: Google-Übersetzung

    Bei mir kommt das raus, wie ich es auch verstanden hätte: “They call kiplefti by the words ‘keep left’ of English.” Etwas kauderwelschig, soll heißen: “They call kiplefti by the English words ‘keep left’.” Die deutsche Übersetzung ist noj kauderwelschiger, besagt aber nichts anderes.