Krebsforschung: Den Tumor molekular verstehen, neue Ansatzpunkte für Medikamente finden

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Ein Interview mit dem Biologen Dr. Tilman Brummer.

Tilman Brummer
Tilman Brummer.
Foto: Klaus Polkowski/BIOSS

Woran forschst du derzeit?
Tilman Brummer: Meine Arbeitsgruppe und mich interessieren die Mechanismen, mit denen Signale in Zellen verarbeitet werden, und wir erforschen, wie diese Verarbeitung oder Regulation bei Erkrankungen zum Beispiel durch Mutationen in Signalleitenden Proteinen durcheinander gebracht wird. Wir wollen Ansatzpunkte für neue Medikamente schaffen und auch sehen, wie bereits existierende Medikamente im Detail mit Zielstrukturen wechselwirken. Das ist häufig noch gar nicht so bekannt. Ein Beispiel: Vor Kurzem haben wir gezeigt, dass die Medikamente Sorafenib und Axitinib – die bislang nur für Nieren- und Leberkrebs zugelassen sind – auch bei chronischen myeloischen Leukämiezellen, kurz CML, Wirkung zeigen und deren Resistenz gegenüber anderen Krebsmedikamenten brechen können. Sie könnten daher auch CML-Patienten helfen, vor allem, wenn diese eine Resistenz gegenüber ihrer bisherigen Medikation entwickelt haben. Wir interessieren uns vor allem für B-Raf – das ist eine Kinase, die eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle der Zellteilung spielt. Etwa acht Prozent aller menschlichen Tumorerkrankungen entstehen durch Mutationen des Gens BRAF, das für die Kinase B-Raf kodiert.

Die Proteine im Ras-B-Raf-MEK-ERK-Signalweg
Staffellauf in der Zelle: Die Proteine im Ras-B-Raf-MEK-ERK-Signalweg aktivieren sich nacheinander und übergeben sich sozusagen gegenseitig das Staffelholz. Diese Signalkette spielt eine wichtige Rolle bei vielen Prozessen im Körper, etwa bei der Kontrolle der Zellteilung. Illustration: David M. Malambré – DSQ Comics + Design

Wie bist du zur Wissenschaft und zur Krebsforschung gekommen?
Ich habe mich schon früh für Wissenschaft interessiert, aber für viele verschiedene Fächer: Ich hatte Interesse an der Natur allgemein, an Astronomie, aber auch an Geschichte und Archäologie. Nach meiner Schulzeit wusste ich, dass ich in die Lebenswissenschaften gehen will, aber hatte mich noch nicht zwischen Medizin und Biologie entschieden. Dann habe ich Zivildienst als Pflegedienst-Helfer auf einer Station der Inneren Medizin geleistet. Zu sehen, was Tumore auslösen bei Patienten, die man täglich pflegt, war eine prägende Erfahrung. Rückblickend war das auch deshalb wichtig für mich, weil ich den Krebs dadurch jetzt nicht nur molekular besser verstehe, sondern ihm wirklich ins Auge geblickt habe.

Gibt es eine bestimmte Situation oder einen Patienten, an den du dich erinnerst?
Ich kann mich noch an einige Patienten erinnern, manche Schicksale verfolgen einen bis heute. Es gab einen Fall, bei dem mich die Medizin besonders begeistert hat: Ein Patient sollte aufgrund seines aggressiven Tumors eine hohe Dosis Chemotherapie bekommen. Doch dies war nur eingeschränkt möglich, da die optimale Dosis die Zahl seiner weißen Blutkörperchen sehr herabgesetzt hätte. Eine Chemotherapie entfernt alle Zellen, die sich schnell teilen, auch die für die Immunabwehr wichtigen weißen Blutkörperchen. Deswegen ist der Patient immunsupprimiert, was vor allem früher häufig die Dosis der Chemotherapie eingeschränkt hat. Zum Zeitpunkt meines Zivildienstes (Anfang der 90er Jahre) waren gerade die ersten rekombinanten Wachstumsfaktoren verfügbar, die die Bildung von weißen Blutkörperchen angeregt haben. Wir konnten diesem Patienten ein solches gentechnisch hergestelltes Medikament geben: Das hat die Menge an weißen Blutkörperchen in seinem Körper wieder viel schneller hergestellt und somit konnte auch eine effektivere Chemotherapie verabreicht werden. Ich habe häufig einen Blick auf seine Laborberichte geworfen und war verblüfft von den Ergebnissen. Es war beeindruckend zu sehen, dass eine damals recht neue Entdeckung, gefunden an der Laborbank, bei einem Patienten eine so tolle Wirkung zeigt.

Was ist momentan die größte Herausforderung, die du in deiner Forschung bewältigen musst?
Was unglaublich viel Zeit in Anspruch nimmt, ist das Einwerben und Verwalten von Forschungsgeldern. Das ist eine der größten Herausforderungen.

Was ist für dich das Faszinierendste an deiner Forschung, was macht dir am meisten Spaß?
Dazu gehören diese Momente, in denen man etwas versteht, was man untersucht hat. Wenn man beispielsweise über ein Protein gestolpert ist und schließlich seine Funktion aufgeklärt hat. Und ich freue mich, wenn ich das Gefühl habe, ein Menschenleben positiv beeinflusst zu haben. Vor einigen Jahren haben mein Team und ich zum Beispiel eine seltene BRAF-Mutante funktionell charakterisiert, die BRAFinsT. Wir konnten zunächst nachweisen, dass die insT-Mutation tatsächlich B-Raf aktiviert und Zellen krebsartig verändern kann. In Kooperation mit Kollegen aus San Francisco haben wir im Anschluss gezeigt, dass B-Raf-Inhibitoren, die für andere BRAF-mutierte Proteine zugelassen sind, auch bei dieser Mutation wirken. Aus diesem Grund haben die Ärzte in San Francisco eine klinische Studie so konzipiert, dass Patienten, die in ihrem Hirntumor statt der häufigeren BRAFV600E Mutation die wesentlich seltenere BRAFinsT Mutation aufwiesen, nun auch in eine klinische Studie mit dem für B-RafV600E entwickelten Wirkstoff Vemurafenib aufgenommen werden. Allein die Tatsache, dass wir durch unsere Forschung Ärzte auf der anderen Seite des Planeten dazu veranlasst haben, darüber nachzudenken, solche Patienten in einen klinischen Versuch miteinzubeziehen, war ein schönes Ereignis für mich. Das war keine Riesen-Entdeckung und kein Nature-Paper, aber es hat vielleicht doch ein Menschenleben positiv beeinflusst.

Lungenkrebszellen
Lungenkrebszellen mit einer so genannten Ras-Mutation unter dem Mikroskop. Die Zellkerne sind blau dargestellt, das Zellskelett ist grün angefärbt. Foto: Florian Weinberg/AG Brummer

Was motiviert dich generell bei deiner Arbeit?
Ich glaube, ich bin ein sehr wissenschaftlich denkender Mensch, daher motiviert mich meine eigene Neugier, Dinge zu verstehen. Mich interessiert die Grundlagenforschung. Aber ich sehe auch die Möglichkeiten, die unsere Forschungen leisten können, um zum Beispiel Tumortherapien hinsichtlich ihrer Wirkungsweise besser zu verstehen und effektiver und sicherer zu gestalten. Das sehe ich als sehr starke Motivation. Grundlagenforschung und Anwendung sind für mich zwei Seiten derselben Medaille und man kommt schneller von der Grundlagenforschung in die angewandte Forschung als man manchmal denkt. Gerade deswegen ist es wichtig, die Grundlagenforschung zu fördern: Weil wir gar nicht überblicken können, wie schnell die Erkenntnisse genutzt werden können.

Wodurch findet du im Alltag Ausgleich?
Ich höre gerne Musik und gehe gerne in die Natur – egal ob für einen Spaziergang, eine Mountainbike-Tour oder zum Langlaufski-Fahren. In der Natur kann ich gut abschalten und komme auch manchmal auf gute Ideen. Die Idee, dass B-Raf durch eine Feedbackschlaufe phosphoryliert wird, kam mir zum Beispiel auf dem Mountainbike. Es ist schon wichtig, mal aus dem Labor rauszugehen. Wissenschaft ist ein Job, bei dem man, wenn man erfolgreich sein will, hundert Prozent und mehr geben muss. Aber man kann nicht seine Anwesenheit an der Laborbank mit Erfolg gleichsetzen. Eine gewisse Korrelation gibt es, Experimente machen sich nicht von alleine. Aber Experimente, die man wegen mangelnder Konzentration schlecht durchführt, bringen einen auch nicht weiter.

Wenn du Nachwuchsforschern einen Rat geben könntest, welcher wäre das?
Macht das, was euch hochgradig interessiert, motiviert und an die Laborbank treibt. Man muss das verfolgen, was einen wirklich fasziniert, und sollte nicht irgendwelche Trends verfolgen, wie bestimmte Forschungsrichtungen, die gerade en vogue sind. Ein Trend in Deutschland ist derzeit auch, dass man als PostDoc unbedingt in ein anderes Land gehen soll. Meiner Meinung nach sollte man das aber nicht als ein Muss ansehen. Einerseits hat mich mein PostDoc-Aufenthalt in Australien sehr weitergebracht. Ich möchte diese Erfahrung nicht missen und kann jedem empfehlen, mal in einem anderen Labor in einem anderen Land zu arbeiten. Andererseits kann das einfach nicht jeder machen, aus privaten oder familiären Gründen zum Beispiel. Es sollte daher keinen Nachteil haben, wenn man sich entscheidet, hier zu bleiben.

Was möchtest du in Zukunft mit deiner Forschung erreichen?
Ich bin mit der Forschung, die ich momentan mache, zufrieden und hoffe, dass es gut weiterläuft. Primär will ich neues Wissen schaffen und ich hoffe, dass wir noch viele neue spannende Sachen entdecken. Und wenn das einen Grundstein legt um Anwendungen oder neue Therapien zu schaffen, dann ist das super.

Artikel im Freiburger Forschungsmagazin uni’wissen über Tilman Brummer und seine Forschung:
www.pr2.uni-freiburg.de/publikationen/uniwissen/uniwissen-2016-1/page1.html#/8

Lebenslauf von Tilman Brummer:
www.mol-med.uni-freiburg.de/mom/brummer/cur

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Katrin Albaum ist Redakteurin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am BIOSS. Sie hat Allgemeine Sprachwissenschaft, Philosophie und Englisch an der Universität zu Köln studiert. Nach dem Studium lernte sie bei einem zweijährigen Volontariat in der Pressestelle der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg alle Facetten der Hochschul- und Wissenschaftskommunikation kennen. Zusätzlich zu ihrer Stelle beim BIOSS arbeitet sie als Mitarbeiterin für Marketing und PR beim Gründerbüro der Universität Freiburg.

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