Twitter = Lästerecke? Neue Medien und der Wissenschaftskommunikations-Workshop #wowk14

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… aber nicht einfacher
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Darüber, dass die Neuen Medien bei dem (sehr interessanten!) Wissenschaftskommunikations-Workshop der Volkswagenstiftung diese Woche eher stiefmütterlich behandelt wurde, hatte ich ja bereits im letzten Beitrag, Bloggende Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikation, etwas geschrieben. Gestern erhielt ich eine kritische E-Mail, in der es vor allem um kritische (und, ja, zum Teil auch sarkastische) Twitterkommentare ging. Da meine Antwort einige allgemeinere Fragen anschneidet, was die neuen Medien denn jetzt, nicht allgemein für die Wissenschaftskommunikation, sondern für den erwähnten Workshop gebracht haben, gebe ich die entsprechenden Teile meiner Antwort-E-Mail hier wieder.

Sehr geehrte/r…

vielen Dank für Ihre (auch aus meiner Sicht überhaupt nicht altmodische) E-Mail. Ihre Vorwürfe kann ich allerdings in der Substanz nicht nachvollziehen.

Als jemand, der insbesondere in der Diskussion, die sich an den ersten Vortragsblock anschloss, geschätzte 30 Prozent der Zeit seinen Finger hochgehalten hat, ohne dranzukommen (was ja per se kein Problem ist!) finde ich Ihren Vorwurf, ich würde die digitale Kommunikation offenbar der direkten vorziehen, unfair. Sehen Sie’s mal anders herum: Gerade nach zum Teil ja durchaus provokanten Impulsvorträgen, und bei einem so diskussionsfreudigen Publikum, kann selbstverständlich nicht jeder direkt
im Plenum zu Wort kommen. Dank Twitter (kurze Zeitskala) und Blogbeiträgen (dauert etwas länger, kann dafür weiter in die Tiefe gehen) können Sie zusätzlich zu den direkten Wortmeldungen, die ja als Stichprobe nicht unbedingt repräsentativ sein müssen, noch weitere Rückmeldungen von Anwesenden bekommen – bzw. sie sich, wie Sie es ja nach eigener Aussage auch getan haben, nachträglich zu Gemüte führen.

Mit dem direkten Gespräch, das Sie vermissten, verhält es ähnlich. Aus Ihrer E-Mail könnte ein Leser den Eindruck bekommen, als hätte ich in den Kaffeepausen still twitternd in der Ecke gesessen. Das war weder für mich noch, soweit ich erinnere, für die anderen Online-Affinen in Hannover der Fall. Die Veranstalter hatten die Kaffeepausen ja in weiser Voraussicht lang genug angesetzt, und ich habe diese Gelegenheiten zu direkten Diskussionen weidlich genutzt. Und mich insbesondere über einige Treffen mit Menschen gefreut, mit denen ich vornehmlich online zu tun habe.

Aber auch da gilt natürlich: Soviele interessante Menschen, so wenig Zeit. Zumal ich die Kaffeepause, ich gestehe es, auch für den Kuchen- und Saft-Konsum genutzt habe. Dass ich über diese limitierten Gelegenheiten die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Interessierten – im Workshopraum oder auch ganz woanders – hatte, empfand ich daher durchaus als Bereicherung.

Sind Tweets, Blogbeiträge und Co ein Ersatz für die herkömmliche Diskussion? Ganz sicher nicht. Aber sie sind eine wichtige Ergänzung. “Ergänzung, nicht Ersatz” gilt ja für die Neuen Medien ganz allgemein. Der Workshop als Ganzes ist doch das beste Beispiel dafür: Ein reines Online-Event hätte vermutlich nicht ein Zehntel soviel Diskussionen angestoßen und nicht mehr als eine Handvoll interessanter Diskutanten zusammengebracht (von der Brückenfunktion zu den weniger online-affinen
Teilnehmern ganz zu schweigen). Aber ohne zeitnahe Tweets und spätere Blogbeiträge wäre die Wirkung des Workshops wiederum deutlich kleiner und zum Teil auch flüchtiger gewesen – und wären eine ganze Reihe von Äußerungen von Teilnehmern verloren gegangen.

[Absätze, die sich spezifisch auf einen bestimmten Vortrag bezogen, gestrichen.]

Sie haben Twitter, sei es in Bezug auf diese Tagung oder allgemeiner, als “Lästerecke” ausgemacht. Damit machen Sie es sich aber, finde ich, zu einfach. Sicher gab es eine ganze Reihe durchaus kritischer, und auch durchaus salopp-kritischer Tweets. Und ja, ich habe mich beim Tweeten im Hinterkopf an einigen Stellen selbst gefragt, inwieweit Twitter einen da auf die dunkle Seite der Kommunikation verführt – und mir einige sarkastische Kommentare verbissen (andere, zugegeben, nicht).

Meiner (beschränkten!) Erfahrung nach ist das keine zwangsläufige Entwicklung. Twitter entartet nicht automatisch in die elektronische Version der Lümmel von der letzten Bank, die nur noch coole Sprüche klopfen und alles doof finden. Die sarkastischsten Twitterkommentare während dieses Workshops habe ich im Gegenteil eine elektronische Version des an-den-Kopf-fassens aus jeweils aktuellem Anlass erlebt, vor allem wenn wieder einer der Vorträge oder Diskussionsbeiträge die Neuen Medien oder die direkte Kommunikation von Forschern mit der Öffentlichkeit links liegen gelassen hatte.

Natürlich kann jeder auf die Twitter-Timeline reagieren, wie er möchte. Twitter pauschal in die Lästerecke zu stellen ist eine mögliche Reaktion. Angemessener wäre aber aus meiner Sicht die inhaltliche Auseinandersetzung. In punkto Neue Medien lag ja bei einigen, die auf dem Podium vortrugen, wirklich einiges im Argen.

Klar: Einige Twitter-Beiträge waren auch einfach albern. Und dass einer derjenigen Tweets, der wohl am weitesten herumkam, Christina Becks saloppen Kommentar zur Altersstruktur des Medienkonsums wiedergab (“Alle 8 Minuten stirbt ein ARD-Zuschauer”), zeigt, dass Twitter selbstverständlich auch eine oberflächliche Seite hat.

Aber wenn ich mir den entsprechenden Storify von Reiner Korbmann durchlese, dann habe ich im Gegenteil den Eindruck, als sei dort im allgemeinen erfreulich sachorientiert beschrieben und kommentiert worden. Ich war positiv überrascht, wie gut die Twitter-Timeline mit dem Hashtag #wowk14 den Workshop zusammenfasste.

Und vor allem zeigt der Storify, dass Twitter eine seiner wichtigsten Funktionen gut erfüllt hat. Sinn der Sache ist ja gerade nicht, im 140-Zeichen-Format alles selbst zu verhackstücken, sondern in geeigneten Fällen auf anderes Interessantes im Netz zu verweisen.

Ihre (ich nehme mal an: ironische) Bemerkung am Ende ihrer E-Mail, sie könnten Ihre (und insbesondere diese) Wissenschaftskommunikation leider nicht in 140 Zeichen pressen, ist da leider auch wieder symptomatisch. Das ist – genauso wie das abfällig zitierte “nur ein bloggender Wissenschaftler ist ein guter Wissenschaftler” – nicht mehr als ein Strohmann. Fakt ist doch, dass die Neuen Medien ganz unterschiedliche Formate bieten, die zu ganz unterschiedlichen Anlässen nützlich sein können oder eben auch nicht.

Twitters Verweisfunktion wurde während des Workshops durchaus sinnvoll genutzt: Wenn bei im Vortrag erwähnten Studien dann gleich der Link auf das Original herumgeschickt wurde, oder auch zu den Webseiten relevanter Projekte, oder den Siggener Aufruf. Und für längere Ausführungen ist eben nicht Twitter das Medium der Wahl, sondern z.B. die Form eines Blogbeitrags. Ich fand die Twitter-Timeline zwar durchaus interessant, aber noch interessanter finde ich, was die anderen Teilnehmer – oder auch
Autoren, welche den Workshop nur aus der Ferne mitverfolgt haben – aus Anlass oder im Umfeld des Workshops an längeren Texten geschrieben haben.

Hier ist eine kleine Auswahl aus den letzten Tagen – auf die meisten dieser Beiträge bin ich über Twitter oder Facebook aufmerksam geworden:

Josef Zens: wowk14-Nachtrag: Bedroht Kommunikation die Wissenschaft? (2.7.2014)

Lars Fischer: Was wollt ihr über Wissenschaft wissen – und wie? (2.7.2014)

Thomas Grüter: Wer darf über Wissenschaft berichten? (2.7.2014)

Markus Dahlem: Wissenschaftskommunikation heißt auch offene Arbeitsgruppe (2.7.2014)

Florian Freistetter: Was ist Wissenschaftskommunikation? (1.7.2014)

Nach dem meine Antwort an Sie jetzt doch Themen anschneidet, die auch allgemeiner von Interesse sind, werde ich diesen Text hier jetzt auch zu einem weiteren #wowk14-Blogbeitrag verarbeiten (ohne den Absatz, in dem es um Spezifika ihres Vortrags ging, und ohne Namensnennung).

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

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