Thirty Meter Telescope vs. heiliger Berg und mehr

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… aber nicht einfacher
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Der Berg Maunakea auf Hawaii ist einer der besten möglichen Standorte für astronomische Teleskope auf der Erde, und das nutzen insbesondere die US-amerikanischen Astronomen weidlich aus. Die zwei Keck-Teleskope beispielsweise stehen dort, jedes davon mit einem segmentierten 10-Meter-Spiegel, das japanische Subaru-Teleskop und das Gemini-Teleskop, beide mit Spiegeln der 8-Meter-Klasse. (Hier gibt es eine Übersicht der Teleskope.) All diese Teleskope stehen in einer Umgebung mit wenig Lichtverschmutzung, vergleichsweise ungestörter Atmosphäre und bis zu mehr als 300 klaren Nächten pro Jahr.

Blick auf das Mauna Kea-Observatorium. Links das Subaru-Teleskop, in der Mitte die beiden kugelförmigen Kuppeln der Keck-Teleskope. Bild: Nutzer Sasquatch via Wikimedia Commons unter Lizenz CC BY-SA 2.5
Blick auf das Mauna Kea-Observatorium. Links das Subaru-Teleskop, in der Mitte die beiden kugelförmigen Kuppeln der Keck-Teleskope. Bild: Nutzer Sasquatch via Wikimedia Commons unter Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 2.5

Teleskope mit 8-10 Metern Spiegeldurchmesser sind die heutigen astronomischen Spitzeninstrumente. Auch ihr Flaggschiff-Teleskop der nächsten Generation, das Thirty Meter Telescope (TMT) wollen die US-Astronomen auf den Mauna Kea setzen. Beginn der Bauphase war Juli 2014, die eigentlichen Bauarbeiten hätten vor knapp zwei Wochen, Ende März, beginnen sollen.

Proteste auf einem heiligen Berg

Dazu ist es aber nicht gekommen. Es gab heftige Proteste von Anwohnern, die den Bau des TMT stoppen wollen und dazu die entsprechende Zufahrtsstraße blockiert haben (hier als Storify = Zusammenstellung von Twitter-Textchen). Auf Twitter sind entsprechende Meldungen zum Teil mit dem Hashtag #aoleTMT gekennzeichnet – zu deutsch so etwas wie “kein TMT!” – oder mit  #WeAreMaunaKea oder #ProtectMaunaKea. Vor einer Woche hat der Gouverneur von Hawaii, David Ige, einen einwöchigen Baustopp durchgesetzt.

In meiner Filterblase war ich auf die letzten Proteste zuerst über diesen Storify von Emily Lakdawalla gestoßen; aus der Rubrik “die Welt ist klein”: Die Haupt-Twitterin darin, Chanda Hsu Prescod-Weinstein, war eine der drei jungen Wissenschaftlerinnen in dem Video mit Brian Schmidt und John Mather, das ich in meinem letzten Blogbeitrag für die SciViews rezensiert hatte.

Vor rund einem halben Jahr hatte ich bereits per YouTube gesehen, wie die Protestanten die Zeremonie für den ersten Spatenstich blockiert hatten:

Der Konflikt hat viele Aspekte, die eine Lösung schwierig machen. Es geht um die Kolonisierung Hawaiis (dazu unten mehr), es geht um Wirtschaft und Geld, es geht mit dem Berg um etwas, das traditionellen Hawaiianern heilig ist. All das drückt bei vielen Menschen auf wichtige Knöpfe und schiebt den Konflikt in ungünstige Schubladen; je nach Einstellung und Hintergrund wird die Auseinandersetzung zu so etwas wie “böse machtvolle westliche Kultur gegen die Eingeborenen” (und damit zur Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus), “hinterwäldlerische Hawaii-Hippies behindern die Grundlagenforschung”, “Geldinteressen gegen die einfachen Menschen”, “religiöser Fundamentalismus gegen reine Wissenschaft” und noch einigem mehr.

Meine eigenen Vorurteile merke ich dabei auch deutlich, wenn ich mir die Tweets oder Blogbeiträge durchlese oder die YouTube-Videos ansehe. Sie finden ihren Niederschlag vor allem in skeptischen Gedanken gegenüber denen, die da protestieren: War Mauna Kea jetzt wirklich soooo heilig, oder wird das evt. etwas übertrieben? Meinen die das wirklich ernst mit ihrem “Aloha” und ihren Trommeln, oder ist das nur Ethno-Show für die Medien? Insbesondere der halbnackte junge Mann mit dem Umhang scheint doch sehr von sich selbst eingenommen zu sein. Und die Celebrities, die jetzt auf die Sache aufspringen? Jason Momoa, der in “Game of Thrones” den Khal Drogo gespielt hat, mit grimmigem Blick und “We are Mauna Kea” auf den durchtrainierten Brustmuskeln? Please!

Ansonsten zeigt sich die eigene Position natürlich vor allem an den Aussagen, an denen man hängenbleibt, bei denen im Kopf sofort kommt: Falsch! Ganz falsch! Konkret: “No science is worth taking away people’s culture” – als ob Wissenschaft nicht selbst ein wichtiger Teil einer – längst globalen – Kultur wäre. Und wer dem Thirty Meter Telescope gegenüber das entsprechende europäische Projekt ausspielt, das European Extremely Large Telescope, der hat offenbar vom Unterschied zwischen Nord- und Südhalbkugel keine Ahnung und hätte besser gar nichts gesagt. Dass “Zerstörung der Erde” offenbar Teil der Definition von wissenschaftlichem Fortschritt sei, finde ich beleidigend. Und “No telescope or science is more important than people” ignoriert, dass es Menschen natürlich auf beiden Seiten gibt – eben auch diejenigen, die einen Großteil ihrer Karriere und, ja, zum Teil auch gehörigen Idealismus in ein Projekt wie das TMT investiert haben.

Perspektivwechsel

So oder so ähnlich liefen in der Tat meine jeweils ersten Rezeptionsgedanken zu den erwähnten Kommentaren. Auf so einer Schiene des geringsten mentalen Widerstandes weiterzufahren, ist einfach. Zu versuchen, sich vorzustellen, wie dieselben Aussagen und überhaupt wie die ganze Situation auf diejenigen wirkt, die da protestieren, ist deutlich schwerer; hier mein entsprechender Versuch.

Für mich ist der Zusammenhang der Proteste astronomisch: Ich beschäftige mich beruflich wie privat intensiv mit Astronomie und Astrophysik; das TMT soll ein Werkzeug zur Beantwortung von Fragen werden, die mich ebenso wie viele andere interessieren und faszinieren; die Proteste, ganz unabhängig erst einmal von ihren Gründen, sind für mich ein Aspekt dieses großen Themenfelds. Für die meisten, die da protestieren, dürfte der Zusammenhang dagegen in ganz anderer sein, nämlich die Geschichte von Hawaii und die Unabhängigkeitsbestrebungen, die sich daraus ergeben haben.

Die hawaiianische Geschichte weist tatsächlich Elemente von Kanonenbootdiplomatie auf, die der Scherenschnittversion des Kolonialismus recht nahe kommen. Dass Mitte des 19. Jahrhunderts ein britischer Admiral das Königreich Hawaii eben mal so für sechs Monate annektiert, etwa. Rückgängig gemacht wurde die Annektion mit Vermittlung der Vereinigten Staaten, deren Rolle im Anschluss allerdings wenig ruhmreich ist: Rebellion der aus den US zugezogenen Minderheit gegen die hawaianische Königin, Landung von US Marines zum Schutz amerikanischer Interessen, die Abdankung der Königin unter Protest und eine Fraktion im US-amerikanischen Kongress, die Annektierung von Hawaii ein Jahr danach, nämlich 1894, zunächst als Territorium, ab 1959 als 50ter Staat der USA.

Die entsprechenden Vorgänge gehören an den Anfang einer Reihe von Wandlungen im Selbstverständnis der Vereinigten Staaten in Richtung immer größeren globalen Einflusses: Von einer eher selbstgenügsamen Rolle in der Welt über die Monroe-Doktrin 1823 (wenn europäische Staaten versuchen, im nord- oder südamerikanischen Raum neue Kolonien anzulegen, werten die USA das als Aggression) und aktives Eingreifen in der unmittelbaren Umgebung (Hawaii 1894, Eingreifen in den kubanischen Unabhängigkeitskrieg 1895-1898 mit Übergang in den Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898, nach dessen Ende die USA Puerto Rico, Guam und die Philippinen besaßen) bis zu den interkontinentalen Hilfestellungen im ersten und zweiten Weltkrieg und schließlich dem globalen Aktionsradius vom zweiten Weltkrieg an, im Kalten Krieg und bis heute.

Aber zurück nach Hawaii: Die Konflikte zwischen den ursprünglichen Hawaiiern, den aus den US Zugezogenen (die lange Zeit die Zuckerplantagen und damit einen überproportional großen Teil der Wirtschaftsleistung der Inselgruppe kontrollierten – Stichwort Big Five, mit durchaus oligarchischen Zügen), später auch der Arbeiter philipinischer und japanischer Herkunft, haben nie ganz aufgehört. Rein von der Herkunft her gehören die allermeisten Hawaiianer natürlich nicht mehr nur einer dieser Gruppen an – zumindest Segregation im großen Stile hat es dort nicht gegeben.

Einige Episoden stehen rassistischen Exzessen in den Südstaaten der USA in nichts nach. Im Vorlauf zum Massie-Prozess etwa hatte der (weiße) Navy-Offizier Thomas Massie den (dunkelhäutigen) Hawaiianer Joseph Kahahawai Jr., der – mit aus heutiger juristischer Sicht nicht eben überzeugenden Argumenten – beschuldigt war, zusammen mit anderen die Frau Massies vergewaltigt zu haben, mit Hilfe weiterer Navy-Angehöriger entführt. Die Entführer hatten mit Schlägen versucht, Kahahawai zu einem Geständnis zu zwingen; schließlich hatte einer der Entführer Kahahawai erschossen. Eine Jury fand die an Entführung und Mord beteiligten Personen im Jahre 1932 schuldig. Der Gouverneur des Territoriums wandelte die zehnjährige Haftstrafe in eine einstündige Strafe um – zu verbüßen in seinem Büro.

Die Proteste gegen solche Verhältnisse, zum Teil eher gegen die ungleiche Verteilung des Vermögens, zum Teil gegen Rassismus, zum Teil für mehr Arbeiterrechte haben Hawaii in den letzten Jahrzehnten begleitet. Auch heute noch gibt es eine durchaus umtriebige (und durchaus inhomogene) Unabhängigkeitsbewegung. Der Besetzung des Iolani-Palasts 2008 als Putschversuch zu bezeichnen, wäre wohl übertrieben, aber das Thema ist aber nach wie vor aktuell und in der öffentlichen Diskussion präsent – nicht nur am Rande, sondern durchaus auch in der Legislative: Wie jeder der US-Bundesstaaten wird auch hawaii im US-Senat durch zwei Senatoren repräsentiert. Von 1990 bis 2013 war einer davon Daniel Akaka, der sich seit dem Jahre 2000 bemühte, verschiedene Versionen des später nach ihm benannten Akaka-Gesetzes vom US-Kongress verabschiedet zu bekommen: Ziel des Gesetzes war es, den Nachkommen der ursprünglichen Hawaiianer ähnliche Rechte zu verschaffen, wie sie auch die Nachkommen verschiedener Indianerstämme haben; analog zu den Tribal Governments würde dann auch das Königreich Hawaii einen Teil seiner Souveränität zurückbekommen. Eine Version davon wurde 2010 vom Repräsentantenhaus angenommen, eine andere 2011 im US-Senat. Zu einer gemeinsamen Version und einer Verabschiedung ist es aber im US-Kongress nie gekommen. Für Widerspruch sorgten und sorgen insbesondere die Details der Regelungen, wer sich im Sinne des Gesetzes als Nachkomme der ursprünglichen Hawaiier betrachten darf; das träfe wohl nur auf rund ein Viertel der heutigen Einwohner Hawais zu.

Unabhängig davon hat im Sommer 2014 ein Verwaltungsvorgang begonnen, bei dem das US-Innenministerium prüft, ob die Nachkommen der ursprünglichen Hawaiianer den Kriterien für eine eigene Stammesregierung genügen – nicht auf legislativer Ebene, sondern auf Verwaltungsebene. Zunächst gab es dazu Anhörungen in Hawaii ebenso wie unter den bereits anerkannten Stammesregierungen. Eine Entscheidung ist zwischen Ende 2015 und Mitte 2016 zu erwarten.

Wie bei anderen Volksgruppen, die Teil eines größeren Staates sind, ist auch bei denen, die sich als Nachkommen der ursprünglichen Einwohner Hawaiis sehen, die kulturelle Identität wichtig: Man besinnt sich auf die Sprache der eigenen Volksgruppe – seit der Annektion bis in die 1970er Jahre zwar nicht verboten, aber insbesondere in zahlreichen Schulen nicht geduldet, auf die Traditionen, je nach persönlicher Veranlagung auch auf die traditionelle Religion.

Teleskope auf dem Berg

Bei der Besinnung auf die/kontinuierlichen Fortführung der Traditionen kommt der Berg Mauna Kea ins Spiel: Als Nabel der Insel, erstgeborener Sohn von Erdmutter und Himmelsvater, Stätte der Begräbnisse der Vorfahren, mit dem wiederum mit einem Gott assoziierten See Waiau, zu dem eine Reihe traditioneller Hawaiianer nach wie vor die Nabelschnüre ihrer Erstgeborenen bringen, mit 141 erfassten Schreinen und einer Gipfelregion, die so heilig ist, dass sie von den traditionellen Hawaiianern weitgehend gemieden wird (der Ort ist kapu, Hawaiianisch für “tabu”). Die Schreine sind zum Teil Familienschreine (ahu), die nach wie vor genutzt werden.

Astronomische Teleskope auf Maunakea gibt es ab den 1960er Jahren. Gegen das erste 30-cm-Teleskop, das im Zusammenhang mit dem Apolloprogramm entstand, gab es offenbar noch keine Proteste. Aber dann wurden die Weichen langfristiger gestellt: 1968 vermietete der Bundesstaat Hawaii einen Teil der oberen Regionen von Maunakea an die Universität Hawaii, etwas mehr als 11 000 acres oder 44 Quadratkilometer. Die Universität erhielt die Genehmigung, dort ein Observatorium zu errichten – ein dehnbarer Begriff, denn Observatorium ist ungleich Teleskop.

Eine Zeitlang scheint es auch, als hätten sich die dortigen Astronomen nicht ausreichend um Umweltverträglichkeit, kulturelle Belange, detaillierte Begründungen für jedes neue Teleskop etc. gekümmert. 1974 drückte der damalige Gouverneur von Hawaii, George Ariyoshi, seine Besorgnis darüber aus, wie Maunakea wissenschaftlich, aber auch für Freizeitaktivitäten genutzt wurde. Er wies das Department of Land and Natural Resources an, einen Masterplan zu entwickeln, der die Rahmenbedingungen der Landnutzung regeln sollte. Auch die Universität Hawaii entwickelte daraufhin einen Nutzungsplan, der die Weiterentwicklung des Observatoriums umwelt- und kulturverträglich gestalten sollte.

Ein Report des Hawaii State Auditors (der bundesstaatlichen Rechnungsbehörde) aus dem Jahr 1998 stellt den Astronomen allerdings gar kein gutes Zeugnis aus: Was dort an Kontrollmaßnahmen vorgesehen gewesen sei, wäre oft nur halbherzig (“weak”) und verspätet implementiert worden; die Bewahrung historischer Stätten sei vernachlässigt worden, Naturschutzbemühungen wären bruchstückhaft gewesen. Abfall, der während einiger Bauvorhaben angefallen sei, war im Widerspruch zu den Absprachen erst nach öffentlichen Beschwerden, Testausrüstung aus der Frühphase gar nicht entfernt worden. Planungsdokumente seien oft nur mit Verspätung abgeliefert worden.

Seit einer Insektenstudie von 1982 war klar, dass es in den Gipfelregionen des Maunakea die nur dort vorkommende Wekiu-Wanze gibt (die ein biologisch interessantes natürliches Frostschutzmittel im Blut hat, um bei den vorherrschenden niedrigen Temperaturen – zum Teil unter dem Gefrierpunkt – überleben und aktiv sein zu können). 1996 kam heraus, dass beim Bau des Subaru-Teleskops einige der Hauptlebensräume der Wanzen geschädigt worden war – genaueres zeigte eine Studie, die allerdings nur im Nachhinein durchgeführt worden war, nicht wie eigentlich nötig während der Planungsphase.

Die Universität, so der Grundtenor, habe sich vor allem auf die astronomische Forschung konzentriert und Natur- bzw. Kulturschutz vernachlässigt.

Als Reaktion auf diese Kritik legte die Universität Hawaii im Jahr 2000 dann einen Master Plan vor, einen langfristigen Entwicklungsplan für das Maunakea-Observatorium. Der sah ein Mauna Kea Management Board vor, das die lokale Community mit einbinden sollte, setzte aber gleichzeitig schon Ziele für erhebliche Erweiterungen: Wiederverwendung (Neubebauung) bei bis zu fünf bereits existierenden Teleskopen, vier bis sechs Hilfsteleskope für das Keck-Observatorium (die mit den 10-Meter-Keck-Teleskopen zu einem Interferometer zusammengeschaltet hatten werden sollen, um feinere Details unterscheiden zu können), 12 neue Antennen für das Submillimeter Array (das seine Antennenzahl damit verdoppelt hätte), ein zusätzlicher Standort für ein nicht näher beschriebenes neues Teleskop für sichtbares Licht bzw. Infrarot, und ein Standort für ein Großteleskop der nächsten Generation (wie jetzt eben das TMT).

Die Proteste und Gerichtsverfahren gingen entsprechend weiter, und 2006 wurden die Genehmigung für die geplanten Keck-Hilfsteleskope per Gerichtsbeschluss widerrufen. Der Richter schrieb den Astronomen ins Stammbuch, es sei nicht ausreichend, sich bei Anträgen für neue Teleskope nur auf die direkt genutzte Fläche zu beziehen – wer auf Maunakea bauen wolle, müsse mögliche Auswirkungen auf das gesamte Schutzgebiet berücksichtigen. Der allgemeine Master Plan war dazu nicht ausreichend.

Dass bei den früheren Bauvorhaben durchaus noch unschönere Dinge vorgefallen sein sollen, nämlich Begräbnisstätten, die während der Bauarbeiten entdeckt und deren Inhalte dann einfach unter der Hand entsorgt wurden, habe ich nicht nur von den Protestierenden, sondern auch von pro-TMT-Astronomen gehört; Dokumentation dazu habe ich dazu nicht gefunden.

…und das Thirty Meter Telescope?

Das TMT hat demnach kein einfaches Erbe. Astronomen haben sich auf dem Maunakea in der Vergangenheit mehr als einmal danebenbenommen. Und jetzt noch ein Teleskop? Und ein besonders großes noch dazu?

Immerhin scheinen die Astronomen in der Zwischenzeit dazugelernt zu haben. Sie haben sich nicht den astronomisch idealen Standort ausgesucht, sondern einen, der ein wenig weniger günstig ist, aber dafür die besonders heiligen Stätten vermeidet (bzw. von dort auch nicht sichtbar ist), keine Schreine enthält und nicht für spirituelle Praktiken genutzt wurde. Um das Grundwasser nicht zu gefährden, ist die Anlage so ausgelegt, dass das Abwasser vom Berg transportiert und andernorts entsorgt wird. Um direkt die Bildung vor Ort zu fördern, zahlt das TMT jährlich eine Million Dollar an entsprechende Stiftungen, die dann z.B. Stipendien für hawaiianische Schüler und Studenten anbieten.

Insgesamt geht es sowieso nur um einen kleinen Teil des von der Universität gemieteten Gebiets. Rund 40 acres (0,36 Prozent) des Wissenschafts-Schutzgebiets sind Bauland für Teleskope. Das TMT selbst wird 5 acres (0,02 Quadratkilometer) beanspruchen. Dazu kommen eine geeignete Zugangsstraße mit 3,6 acres Fläche und ein Staging Area etwas weiter unten mit 4 acres (nur während der Bauzeit), insgesamt knapp 13 acres und damit etwas mehr als 1/1000 des Wissenschafts-Reservats. Dass einige der heute noch in Benutzung befindlichen Observatorien komplett zurückgebaut werden, ist ebenfalls Teil des Plans: das Caltech Submillimeter Observatory zwischen 2016 und 2018, das Infrarot-Teleskop UKIRT ab 2033 und zwei weitere Radioteleskop-Anlagen ohne Zeitangabe (Board Report S. 12). Die Hauptlebensräume der Wekiu-Wanze vermeidet man auch. Während der Planungen gab es Anhörungen, bei denen die Anwohner ihre Bedenken äußern konnten; zu konkreten Einwänden hat man sich dann entsprechende Maßnahmen zur Abmilderung überlegt. Man hat Biologen und Historiker bei den Planungen ebenso einbezogen wie Menschen, die auf dem Maunakea ihre Religion praktizieren. Und dass die Astronomie für Hawaii ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, heißt auch, dass sie den Menschen dort ganz allgemein nützt, direkt oder indirekt Arbeitsplätze schafft. Es sieht schon so aus, als hätten die TMT-Leute sich bemüht, im Einzelnen alles richtig zu machen.

Aber gegen “Kein Teleskop auf unserem heiligen Berg!” ziehen die Argumente, man habe sich bemüht, die Schäden zu minimieren, Grundwasserprobleme zu verhindern und sich einen möglichst harmlosen Teil des Berges ausgesucht, natürlich nicht so ganz. In einigen der Texte zum Protest wird zum Vergleich sinngemäß gefragt: Würdet ihr den Felsendom in Jerusalem abreißen, um dort ein Teleskop zu bauen? Den Petersdom im Vatikan? Wenn nein, warum soll es dann auf den hawaiianischen heiligen Stätten OK sein?

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Anschuldigung, die hinter den Vergleichen steckt (“Ihr legt an uns andere Maßstäbe an als an euch selbst!”) zutrifft. (Das schließe ich aber weniger aus den Vergleichen selbst als aus anderen Vergleichszusammenhängen, etwa den drastisch unterschiedlichen Reaktionen auf die Charlie Hebdo- und die Boko Haram-Attentate.) Die Vergleiche selbst finde ich schwierig, weil ich nicht auf ein realistisches Szenario komme, in dem Felsen- oder Petersdom entsprechend zur Wahl stünden. Einfach abstrakt zu setzen, es wäre so, erlaubt mir nicht hinreichend, mich in die entsprechende Situation zu versetzen. Und darüber, ob Maunakea bereits durch eine Teilnutzung entheiligt wird, gehen auch die traditionell geprägten Meinungen auseinander – siehe z.B. dieses Argument eines alten Steinbruchs für Steinäxte an den Maunakea-Hängen.

Noch mehr an Zugkraft verlieren die Argumente der Astronomen, diesmal im Einzelnen alles richtig gemacht zu haben, dadurch, dass das TMT und die Proteste dazu längst Stellvertreter im Konflikt um Unabhängigkeit, kulturelle und politische Eigenständigkeit der Nachkommen der ursprünglichen Hawaiianer geworden ist. Wie die Betroffenen zum TMT stehen, hängt damit weitgehend nicht mehr mit TMT-spezifischen Sachargumenten zusammen, sondern mit der Haltung zu diesen allgemeineren Fragen.

Die Fronten verlaufen auch keineswegs “hie die Astronomen, dort die traditionell gesinnten Hawaiianer”. Es gibt sowohl Astronomen, die es vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte für das falsche Zeichen halten, das TMT auf Maunakea zu bauen, als auch traditionell gesinnte Hawaiianer, für die astronomische Forschung auf dem Maunakea eine Fortsetzung ihrer eigenen astronomischen Traditionen ist (hier ein auf YouTube aufgezeichneter Vortrag desselben hawaiianischen Astronomen).  Fortsetzung ihrer eigenen astronomischen Traditionen ist – als Nachkommen von meisterhaften Navigatoren, die von Polynesien aus nach Hawaii gelangten (siehe auch hier). Für andere war gerade die Spiritualität Grundlage der Navigationsleistungen – und die fehle der Pro-TMT-Seite. Für wieder andere macht es einen Riesenunterschied, ein Observatorium dort zu bauen als zum Beispiel einen Golfplatz. In Zeiten von YouTube kann man sich – wenn auch z.T. in arg bescheidener Wiedergabequalität – einige der Anhörungen zum TMT ansehen (z.B. hier, hier, hier)

Wie es weitergeht, ist ungewiss. Zunächst einmal geht es um das TMT, aber auch das Auslaufen des Mietvertrags im Jahre 2033 ist nicht mehr allzulange hin, und die Universität Hawaii bemüht sich bereits um Verlängerungen. Eine unangenehme Situation gerade, weil die beteiligten Astronomen in etwas hineingeraten sind, das mit Astronomie nur am Rande etwas zu tun hat – dafür viel mit der Vergangenheit Hawaiis.

 

 

[Nachträgliche Links, 22.4.2015:]

Mauna Kea Telescopes: The business of astronomy is not an easy one – Artikel im Honolulu Civil Beat insbes. über die wirtschaftliche Seite des Teleskopbetriebs

http://www.MaunakeaAndTMT.org/ – Infoseite der TMT-Befürworter

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

9 Kommentare

  1. Öffentliche Aufmerksamkeit ist heute DIE knappe Ressource geworden, knapper und wertvoller als das gelbe oder schwarze Gold. Was in den medialen Fokus gerät, das bewegt heute nicht nur einen kleinen interessierten Kreis sondern oft das ganze globale Dorf.
    Dies dürfte letztlich der Hintergrund für die Auseinandersetzungen auch beim TMT sein. Möglich wurde das erst dadurch, dass einige interessante Wissenschaftsgebiete mit ihren “Sakralbauten” – wie es sie für die Astronomie oder die Teilchenphyisk am CERN gibt – nun zu globalen symbolisch aufgeladenen Objekten, zu Fetischen geworden sind.
    Man spricht heute zurecht von der Ökonomie der Aufmerksamkeit, einem Begriff der erst in den 1990er Jahren von Frank und Lanham geprägt und in Sätze wie folgenden gegossen wurde

    „We live in an ‚information economy.’ But information is not in short supply in the new information economy. We’re drowning in it. What we lack is the human attention needed to make sense of it all. It will be easier to find our place in the new regime if we think of it as an economics of attention. Attention is the commodity in short supply.

    • Solche Aussagen wie “wertvoller als Gold” finde ich ohne Umrechnungsfaktor ziemlich vage. Und der Hintergrund ist, siehe mein Beitrag, der dortige Kolonialismus, und gerade nicht das TMT als deutlich sichtbare neue Klasse von Bauwerk, sondern als Nachfahre von vielen kleineren Teleskopen, um die es kontinuierlich Ärger gegeben hat. Neu ist allenfalls die Twitter-Facebook-Dimension des Ganzen. Die Proteste und Gerichtsverfahren nicht, wiederum: siehe den Beitrag.

      • Jeder Konflikt gewinnt im richtigen Kontext an Bedeutung. Ob man in den News auf Seite x oder Seite x+10 erscheint, macht einen grossen Unterschied aus.
        Das gilt heute sogar für private Dinge (von der Golden Gate Brücke springen ist besser als von der No Name Brücke), für alles politisch aufgeladene gilt das sowieso.

        Was die Geschichte und Rechte der Indianer und allgemein der Ureinwohner Amerikas betrifft, gibt es in den USA durchaus ein tief verankertes Bewusstsein für den Landraub und die Enteignung, denen sie unterworfen wurden. Als Kompensation erhielten die Indianer beispieslweise Kaliforniens das (Teil-)Monopol Kasinos zu führen. Mehrere Stammesführer wurden durch die Einnahmen steinreich und viele Indigene erhielten dort Arbeit.

        • Klar ist, dass es sich hier um eine Art Stellvertreterkrieg handelt. Man darf nicht vergessen, dass Hawaii am 12. August 1898 von den USA annektiert wurde.* Ich bezweifle daher auch, dass es in den USA ein “tief verankertes Bewusstsein für den Landraub und die Enteignung” indigener Völker gibt. Wie sonst ist es möglich, dass für die dreizehn bereits bestehenden Teleskope lediglich eine symbolische Pacht von einem Dollar pro Jahr gezahlt werden muss? Das soll sich zwar jetzt ändern, aber vielleicht braucht es zur Durchsetzung von Forderungen auch eine gewisse mediale Aufmerksamkeit. Zumal die Diskussion über die Zulassung neuer Teleskope ja schon seit etlichen Jahren läuft ohne das ein befriedigender Kompromiss gefunden wurde.

          *http://www1.wdr.de/themen/archiv/stichtag/stichtag3532.html

  2. Wenn es der Wissenschaft nach geht leben wir auf einem Rotationsellipsoid aus kondensierter Materie im Weltraum. Auf diesem Rotationsellipsoid gibt es durch geologische Prozesse entstandene Formationen (Berge). Durch ingenieur- und naturwissenschaftliche Erkenntnisse der letzten ~400 Jahre ist es uns möglich geworden, sehr leistungsfähige Teleskope zu bauen. Durch eine günstige Positionierung dieser Teleskope und ausgeklügelter Technologie kann man nun…. ihr könnt den Satz vervollständigen 😉

    Die Entdeckungen der letzten Jahre in der Astronomie waren einfach zu fantastisch. Allein was die Keck-Teleskope dank der adaptiven Optik leisten ist phänomenal. Allerdings gibt es auch in der Wissenschaft eine Inflation, worin die Geldgeber/Investoren mehr “Science per US-Dollar” erwarten. So könnte man z. B. auf die Idee kommen, weitere (Radio-)Teleskope zu installieren, nur um bestimmte Nischen befriedigen oder mehr Forschung aufgrund der sehr knappen Teleskopzeit zu ermöglichen. Letztendlich profitiert die Menschheit (aber nicht alle Menschen) von den gewonnenen Erkenntnissen.

    Andererseits…
    …ist dieser Berg für die Ureinwohner Hawaiis ein heiliger Ort. Bedingt durch die historische Entwicklung (Annektion durch England, spätere Annektion durch die USA etc. wie es im Artikel steht) haben diese Menschen einen Großteil ihrer Identität aufgrund von wirtschaftlicher und politischer Interessen der westlichen Zivilisation verloren oder aufgegeben.

    Ich finde, es ist keine gute Idee, weitere Teleskope auf dem Mauna Kea zu bauen (der TMT-Bau ist zwar längst beschlossen, aber für die Zeit danach). Zwar ist es ein exklusiver Platz für ein Observatorium, aber gleichzeitig ein Konfliktherd für soziale Spannungen zwischen den Ureinwohnern und den Behörden sowie der Wissenschaft. Gerade diese “Wissenschaft” sollte in der Pflicht stehen, die Vergangenheit aufzuarbeiten, sich gemachte Fehler einzugestehen und wiedergutzumachen. Aber stattdessen begegnet man den Ureinwohnern uneinsichtig, es wird geleugnet und gelogen. Eine Milliardeninvestition überwiegt religiöse Gefühle ums milliardenfache. Sie nehmen sich halt das Recht, wie vor 200 Jahren…

    @ Martin Holzherr
    Sehr interessant. Da die öffentliche Aufmerksamkeit durch die Medien beeinflusst wird, muss es zu einer Tragödie kommen, damit diese erregt wird. Erst dann sieht man “das Signal im medialen Rauschen”. Naja, ich hoffe nur, dass sich die alle Parteien friedlich einigen und kein Blut vergossen wird. Das ist es nicht wert.

    • ” Da die öffentliche Aufmerksamkeit durch die Medien beeinflusst wird, muss es zu einer Tragödie kommen, damit diese erregt wird”
      Genau so ist es. Hier muss ich Peter Sloterdijk recht geben, der von einer Sakralisierung des Terrorismus durch die Massenmedien spricht. Im Artikel Die Medien als Komplizen des Terrors liest man dazu;

      Terroristen seien “wildgewordene Medienbenutzer”, so Sloterdijk. “Wir berichten am breitesten über das Schlimmste. Der Terrorist hat verstanden: Wenn es so ist, dass ich die maximale Bestätigung für die maximale Scheußlichkeit bekomme, dann kann ich mit einer Scheußlichkeit den ganzen Apparat für mich arbeiten lassen. Die Mediengesellschaft ist ein Komplize des internationalen Terrorismus.” Die Gesellschaft müsse den Erregungsdienst an dieser Stelle verweigern. Es gebe in diesem Zusammenhang keine Informations-, sondern Beruhigungspflicht.

  3. Ich staune mal wieder über die Qualität Ihrer Beiträge. Hier wird ein vielschichtiges Thema von mehreren Seiten behutsam beleuchtet. Dazu liest es sich wie aus einem Guss und man muss nicht mal hinterher-googeln. Der grade entstandene Kommentar-Thread geht einem von vielen anderen spannenden und höchst aktuellen Aspekten des Themas nach.
    Beim TMT auf dem Mauna Kea kommt aber auch einiges zusammen, beinahe wie in einem etwas überladenen Drehbuch.
    Mich würde u.A. noch interessieren, was die irdischen Teleskope im Vergleich zu den Weltraumprojekten hergeben, oder auch umgekehrt.

    • Danke für die positive Rückmeldung! Für die Teleskope gilt: Weltraumteleskope sind störungsfreier (keine Atmosphäre dazwischen) und können bestimmte Wellenlängenbereiche nutzen, die von der Erde aus weitgehend unzugänglich sind (UV, Teile des Infrarotspektrums, Röntgen- und Gammastrahlung). Aber man kann sie (derzeit) bei weitem nicht so groß bauen wie irdische Teleskope – und größere Teleskope können nun einmal schwächer leuchtende Objekte besser nachweisen und, entsprechende Korrekturen des störenden Atmosphäreneinflusses vorausgesetzt (“Adaptive Optik”) auch feinere Details abbilden. Insofern braucht man in der Tat beide Arten von Teleskop.

  4. Würdet ihr den Felsendom in Jerusalem abreißen, um dort ein Teleskop zu bauen? Den Petersdom im Vatikan? Wenn nein, warum soll es dann auf den hawaiianischen heiligen Stätten OK sein?

    Das halte ich wirklich für einen ziemlich waghalsigen Vergleich.

    Es ist schon etwas Anderes, ob ein unwiederbringliches, historisches Bauwerk abgerissen wird, das wie der Felsendom aus dem 7. Jahrhundert stammt oder wie der Petersdom von den größten Künstlern der Renaissance entworfen und ausgeführt wurde, oder ob es sich um einen kahlen Gipfel eines Vulkans handelt.

    Ich gehe davon aus, dass es heutzutage keinesfalls möglich wäre, ein hawaiaanisches Kulturgut oder Bedeutung von vergleichbarer historischer Bedeutung abzureißen, um dort eine wissenschaftliche Einrichtung zu erbauen. Also ist der Vorwuf, dass mit zweierlei Maß gemessen wird, objektiv ungerechtfertigt.