SciViews-Videorezension: Ein goldenes Zeitalter der Kosmologie?

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… aber nicht einfacher
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Beim Spektrum-Verlag befindet sich derzeit ein Videoportal namens SciViews in der (Alpha-)Testphase – freigeschaltet, aber noch nicht groß beworben und laufend weiterentwickelt. Zu den dort präsentierten Videos soll es auch Rezensionen geben; die folgende Rezension zum Video

Ein goldenes Zeitalter der Astronomie?

(Titel etwas irreführend – besser sollte es “…der Kosmologie” heißen) erscheint sowohl auf SciViews als auch hier auf meinem Blog. (Offenlegung: Für eine solche Rezension zahlt mir Spektrum ein kleines Honorar.)

Die Frage nach dem “Goldenen Zeitalter für X” ist eine Steilvorlage dafür, spannende aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen Revue passieren zu lassen – und dafür sind Brian Schmidt und John Mather keine schlechten Kandidaten. Mather gleich in zweierlei Hinsicht: zum einen durch seine nobelpreiswürdige Arbeit zur kosmischen Hintergrundstrahlung, die dieser Tage von Missionen wie Planck weitergeführt wird und jüngst ja über den behaupteten, dann aber doch weitgehend zurückgezogenden Nachweis von Urknall-Gravitationswellen nicht ganz so rühmlich wissenschaftliche und öffentliche Aufmerksamkeit bekommen hat, zum anderen als Projektwissenschaftler des James Webb Space Telescope, des im Bau befindlichen Nachfolgers des Hubble-Weltraumteleskops – trotz beachtlicher Kostensteigerung und Terminverzögerung ein vom wissenschaftlichen Potenzial her wegweisendes Weltraumteleskop, das die Zukunft der Astronomie maßgeblich mitbestimmen dürfte, sobald es dann (2018?) gestartet ist. Schmidt ist als Mit-Entdecker der Beschleunigung der kosmischen Expansion (dafür gab’s den Physik-Nobelpreis 2011) mit dafür verantwortlich, dass seit 1998 verstärkt – und leider nicht sehr erfolgreich – darüber gerätselt wird, was es mit dieser Beschleunigung und dem dafür eher als Platzhalter denn als Erklärung eingeführten Konzept der Dunklen Energie auf sich hat.

Leider gerät die Diskussion der zwei Nobelpreisträger mit drei Nachwuchsforscherinnen, die das 10-minütige Video dokumentiert, zu allgemein, um sonderlich interessant zu sein. Dass man immer erst im Nachhinein beurteilen kann, was ein Goldenes Zeitalter war, ist ein Allgemeinplatz. Dass wir Dunkle Energie und Dunkle Materie nicht verstehen, weiß jeder, der etwas über Kosmologie weiß – und wer es noch nicht weiß, erfährt in diesem Video nicht allzu viel darüber. Das ist aus mehrerlei Gründen schade. Erstens, weil man in einem 10-Minuten-Video deutlich mehr aus einem so spannenden Thema herausholen können sollte als hier geschehen. Allerdings würde das wohl nach größerem (oder zumindest effektiverem) redaktionellen Aufwand verlangen, als er hier betrieben wurde. Zweitens weil die Beteiligten – sowohl die zwei Nobelpreisträger als auch ihre jüngeren Kolleginnen – sicher viel Interessantes zu sagen gewusst hätten, allerdings eben nicht auf dem ganz oberflächlichen Level, auf dem das Video verbleibt, sondern mit etwas mehr konkreten Informationen. Paradebeispiel ist die Diskussionssequenz darüber, ob wir uns zumindest in einem goldenen Zeitalter der beobachtenden Astronomie befinden. Was die Diskutierenden darüber wissen und worauf sie ihre hier vorgetragenen allgemeinen Einschätzungen stützen – welche neuen Missionen? welche Weltraumteleskope? Entfernungsmessungen mit Gaia? welche neuen Durchmusterungen? – bleibt komplett ungesagt im Hintergrund.

Alles in allem: Prädikat schade; eine verpasste Chance.

 

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

6 Kommentare

  1. Das Video ist in Englisch, die Seite und auch diese Rezension auf Deutsch. Bin ich der einzige, der sich fragt, ob das so sinnvoll ist? Oder wird davon ausgegangen, dass sowieso jede(r) Englisch auf einem wissenschaftlichen Niveau versteht?

    • Vermutlich nicht der einzige; andererseits finde ich: Videos kuratieren kann ein ziemlicher Mehrwert sein; lässt man da die (nun einmal dominanten) englischsprachigen Videos ganz weg, verliert man im Schnitt mehr Nutzen als man an Übersichtlichkeit (für die nur deutschsprachigen Nutzer) gewinnt. Und gerade denjenigen Zuschauern, für die Englisch nicht ohne Anstrengung ist, nützt es doch, in einer bequem deutschsprachigen Rezension nachlesen zu können, ob sich diese Anstrengung lohnt, oder? Letztlich bleibt’s ein Kompromiss.

      • Ich meine dennoch, dass eine deutschsprachige Seite ihren Lesern auch deutschsprachigen Content (sic) anbieten sollte, d.h. englischsprachige Videos ggf. mit Synchronisation oder (besser und wohl auch einfacher) Untertiteln. Wenn am Ende doch nur (im Englischen normalerweise bewanderte) Wissenschaftler zuschauen, weil der Normalbürger mit seinem Schulenglisch wegklickt – Zielgruppe verfehlt…

        • Meines Erachtens helfen bereits englischsprachige Untertitel. In der Regel haben Leute mit “nur” Schulenglisch ja eher Schwierigkeiten mit dem Hörverständnis und nicht so sehr mit dem Leseverständnis. YouTube arbeitet bereits daran, automatisch erzeugte Untertitel für Clips zu kreieren. Manche Videos sind bereits mit Untertiteln versehen, so auch das Verlinkte. Allerdings muss man es dazu auf “YouTube.com” ansehen. Das dahin lässt sich bewerkstelligen, indem man das Wort “YouTube” unter dem Video anklickt. Sobald der Wechsel vollzogen ist, kann man auch die Untertitelfunktion nutzen. Das ist das vierte Symbol von rechts – vor der Uhr.
          Siehe dazu auch:
          http://www.heise.de/newsticker/meldung/Youtube-fuehrt-deutsche-Untertitel-ein-1759242.html

          • Das funktioniert erstaunlich gut – von einigen typischen Autoübersetzungsfehlern mal abgesehen.

            Ich finde aber dennoch: wenn man sich schon so viel Mühe macht, ein Videoportal für den deutschsprachigen Nutzer aufzubauen, dann muss man auch dafür sorgen, dass der eigentliche Inhalt des Portals in der Sprache der Zielgruppe vorhanden ist.

          • Ich habe die Kommentare mal an Thilo Körkel von Spektrum weitergeleitet – wie gesagt: das ist noch eine Alpha-Version; insofern können solche Rückmeldungen mit höherer Wahrscheinlichkeit etwas bewirken als bei einem etablierten Portal. Danke!