Planetenjägern über die Schulter geschaut

BLOG: RELATIV EINFACH

… aber nicht einfacher
RELATIV EINFACH

Vor einer halben Stunde war es soweit. Die Forscher von “Pale Red Dot” hatten ihr Spektrum aufgenommen; das folgende Bild zeigt es nicht in wissenschaftlicher Qualität, aber immerhin als (in diesem Falle getwitterter) Screenshot:Screen shot 2016-01-19 at 1.00.35 PM Worum geht’s bei dem Projekt? Die Kollegen nehmen Proxima Centauri auf’s Korn, den erdnächsten Stern also, und wollen schauen, ob dieser Stern von Planeten umkreist wird. Gäbe es einen solchen Planeten, dann würde er von ferne gesehen rötlich schimmern. Planeten sind im sichtbaren Licht ja nur deswegen sichtbar, weil sie das Licht ihres Sterns reflektieren, und bei Proxima Centauri handelt es sich um einen Roten Zwergstern, der seinem Namen entsprechend eine rötliche Farbe hat. Ein blässlicher roter Punkt wäre ein solcher Planet also, aus der ferne gesehen, in Anlehnung an Carl Sagans “Pale Blue Dot”, den blassblauen Punkt, als welcher die Erde 1990 von der Raumsonde Voyager 1 aus rund 6 Milliarden Abstand aufgenommen wurde.

Planetensuche im Sternspektrum

Für ihre Suche nach möglichen Planeten um Proxima Centauri benutzen die Astronomen die sogenannte Radialgeschwindigkeitsmethode: Sie teilen das Licht des Sterns (nicht des Planeten!) in tausende von Teilfarben auf (Spektralzerlegung), identifizieren darin die charakteristischen linienförmigen Bereiche, in denen besonders wenig Licht abgestrahlt wird (Spektrallinien, genauer: Absorptionslinien) und schauen, ob sich diese Linien mit der Zeit hin- und herverschieben, wie es zu erwarten ist, wenn sich Proxima Centauri periodisch auf uns zu und von uns weg bewegt (Dopplerverschiebung). Grund solcher Verschiebung kann sein, dass Proxima Centauri und ein Planet des Sterns um den gemeinsamen Schwerpunkt kreisen. Auf diese indirekte Weise können Planeten ihre Anwesenheit verraten.

Von 1995 bis heute sind mehr als 600 Exoplaneten auf diese Weise nachgewiesen worden – eine ganze Reihe davon mit dem Hochleistungs-Spektrografen HARPS am 3,6-Meter-Teleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) am La Silla-Observatorium in Chile, der auch bei Pale Red Dot zum Einsatz kommt. Zwei Netzwerke kleinerer Teleskope, BOOTES und LCOGT, unterstützen die Messungen, indem sie eng getaktete Helligkeitsmessungen an Proxima Centauri durchführen. Die Position der Spektrallinien kann sich nämlich noch auch aus anderen Gründen als die Anwesenheit eines Planeten verschieben – etwa durch Sternaktivität, Sternflecken und ähnliche Erscheinungen mehr. Helligkeitsmessungen helfen, zwischen den möglichen Gründen zu unterscheiden.

Koordiniert wird das Projekt von Guillem Anglada-Escudé, der hier in diesem Blog bereits 2012 im Zusammenhang mit dem Prioritätenstreit um den Exoplaneten GJ 667Cc vorkam.

Planetensuche (fast) live?

Besonders ist an diesem Projekt, dass es direkt an die Öffentlichkeit geht. Üblicherweise würden Sie von den Ergebnissen einer solchen Suche etwas mitbekommen, wenn die Messungen längst abgeschlossen sind, der zugehörige Fachartikel geschrieben und zur Begutachtung akzeptiert. (Das führt das Kriterium der Aktualität ein bisschen ad absurdum – für aktuelle Wissenschaftsmeldung dürfte eher die Regel als die Ausnahme sein, dass die betreffenden Messungen Monate bis Jahre zurückliegen.)

Stattdessen haben Anglada-Escudé und seine Kollegen die erste Spektrums-Aufnahme unter @Pale_red_dot live getwittert (mit leichten Unterbrechungen durch Twitter-Störung); im Zusammenhang findet man die entsprechenden Tweets sowie einige Blogbeiträge auf palereddot.org. Auch die weiteren Aufnahmen bis in den April hinein sollen getwittert werden, später dann ebenso Informationen zu ersten Auswertungen, zu den Hintergründen, später dann auch zu dem Fachartikel, den die Forscher einreichen werden.

Eine Erfolgsgarantie für die Suche gibt es dabei natürlich nicht. Möglich, dass dort kein Planet kreist – oder zumindest keiner, der mit den derzeit verfügbaren Instrumenten nachweisbar wäre.

Wissenschaft live kommuniziert

Ich bin gespannt nicht nur auf den Ausgang der Planetensuche sondern auch darauf, wie diese Form von Live-Wissenschaftskommunikation bei der Öffentlichkeit (bzw. den interessierten Teilgruppen) ankommt.

Wissenschaftlicher Fortschritt in Echtzeit ist ja eine ungewöhnliche Mischform von spannend und langweilig. Eben nicht wie die zeitraffenden Zusammenschnitte in Hollywoodfilmen, oder mit dem schnellen Tempo eines Raketenstarts, oder der live (sprich: nur mit lichtgeschwindigkeitsbedingter Verzögerung) übertragenen Landung einer Sonde. Und nicht mit den “pretty pictures”, die bei der Astronomie am Ende mit viel Aufwand aufbereitet werden, sondern mit screenshots, die zeigen, was die Wissenschaftler bei ihrer Arbeit wirklich am Bildschirm sehen.

Für mich und sicherlich auch andere hat so ein Blick hinter die Kulissen durchaus Faszinationspotenzial, und er vermittelt ein Bild vom Wissenschaftsalltag, das bei der üblichen medialen Aufbereitung unter den Tisch fällt. (Paradoxerweise haben die ESO-Kollegen übrigens einen Videocast zu PaleRedDot produziert, der mit dem üblichen schnellen Tempo von Wissenschaftssendungen daherkommt, atemlos-aufgeregter Sprechtext und spektakuläre Visuals inklusive.) Das Stichwort Authentizität hört man dieser Tage ja auch immer einmal wieder, und dass derartige Projekte erst dank Internet möglich sind, sollte man auch nicht vergessen.

Insofern würde mich eure Meinung interessieren: Seid ihr interessiert genug, Pale Red Dot die nächsten Monate mitzuverfolgen? Oder zu speziell bzw. zu langwierig oder -weilig? Sollten die Astronomen so etwas öfter machen? Rückmeldungen bitte in den Kommentaren!

 


 

Offenlegung: Das Haus der Astronomie ist deutscher Knoten des ESO Science Outreach Network (ESON); insbesondere kümmern wir uns, unterstützt u.a. von freiwilligen Helfern, um die deutschen Übersetzungen der PR-Texte der ESO. Am ESO-Hauptsitz entsteht derzeit mit der ESO-Supernova sozusagen das “Haus der Astronomie 2”; auch am Aufbau jenes Zentrum sind wir beteiligt. Dieser Blogartikel ist aber kein Teil meiner Zuarbeit für die ESO und nicht mit den Kollegen abgesprochen. Mit dem LCOGT kooperiert das Haus der Astronomie bei Beobachtungsprojekten für Schüler, welche die per Internet ansteuerbaren LCOGT-Teleskope nutzen.

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

3 Kommentare

  1. Wenn “PaleRedDot” eine Mitteilung in einer Serie von solchen Exoplanet-Untersuchungen ist, kann das schon interessant sein. Ein Interessierter möchte wohl das ganze Informaftionsumfeld um diese Einzelbeobachtung herum inspizieren können. Dazu gehören Informationen zu HARPS und zu Konkurrenzsensoren, sowie zu geplanten und zukünftigen Sensoren, die optischen/teleskopischen Voraussetzungen damit so eine indirekte Exoplanetbeobachtung mit der Radialgeschwindigkeitsmethode gelingen kann, die theoretischen Grenzen für ein solches Instrument, etc. etc. Dann auch welche Fragestellungen mit der Radialgeschwindigkeitsmethode überhaupt beantwortet werden können, ob man beispielsweise durch Beobachtung unserer Sonne herausfinden könnte wieviel Planeten unsere Sonne hat und was die Umlaufzeiten der gefundenen Planeten sind etc.,etc.
    Zusammen mit diesen Kontextinformationen könnte man die Forschungsmethode und die Challenges bei ihrem Einsatz besser verstehen, womit man dann auch PaleRedDot besser einordnen und estimieren könnte. Man wäre dann selber zum kleinen Forscher oder mindestens Forschungsversteher geworden.

  2. Ich denk mal, das ist für Laien zu unspektakulär.
    Der Hype(?) um Planet9 bekommt bestimmt mehr Aufmerksamkeit.
    Und dann sind da auch noch die Aliens von KIC 8462852.
    Ich wird mich dafür interessieren, wenn’s soweit ist.