Planck-Satellit und BICEP2: Gemeinsam keine Urknall-Gravitationswellen

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Jetzt ist es (fast) ‘raus: Analysiert man die Daten des BICEP2-Teleskops und des Planck-Satelliten gemeinsam, dann ergeben sich keine Hinweise auf das, was ich im Titel salopp “Urknall-Gravitationswellen” genannt hatte: Gravitationswellen, also sich wellenartig fortpflanzende kleine Störungen der Raumgeometrie, die im frühen Universum ganz kurz nach dem Urknall entstanden sind und uns Aufschluss über eben dieses frühe Universum geben könnten, darunter über so interessante Dinge wie die Inflationsphase, während derer sich das Universum den heute favorisierten Modellen zufolge Sekundenbruchteile nach dem Urknall besonders rasant (nämlich exponentiell!) ausgedehnt haben soll.

Hoffnungsvoller Anfang: BICEP2 findet urtümliche Gravitationswellen?

Ich hatte die Geschichte hier im Blog ja nachgezeichnet: das erste Ergebnis von BICEP2 (Beitrag vom 17. März 2014), das zu teils recht enthusiastischen Medienberichten und bei den Wissenschaftlern teils zu gleichermaßen enthusiastischen, teils damals schon zu eher skeptischen Reaktionen geführt hatte. Mein eigener Blogbeitrag liest sich durchaus optimistisch, aber wies natürlich auch darauf hin, dass jetzt erst einmal geprüft werden müsste.

Als die Diskussion auch online (und zum Teil auf Facebook direkt miterlebbar!) dann so richtig in Gang gekommen war, hatte ich am 23. März 2014 mit BICEP2-Update: Wie steht’s mit Inflation und Gravitationswellen? versucht, die wichtigsten Kritikpunkte zusammenzufassen. Die Bedeutung des Vordergrundes, also all der Signale aus unserer eigenen Galaxie (insbesondere Staub), die so ähnliche Daten hervorrufen können wie diejenigen, aus denen das BICEP2-Team auf die Gravitationswellen schloss, hatte ich aus heutiger Sicht unterschätzt (damals gestützt auf eine der BICEP2-Grafiken). Mein Fazit zu jener Zeit: “Von der Sache her: Eine Reihe von kritischen Nachfragen, aber zumindest bislang kein “Kaisers-neue-Kleider”-Moment. […] Die Chancen stehen aber offenbar, dem aktuellen Stand der Diskussion nach zu urteilen, gut.”

Als ich am 29. März in “BICEP2, Inflation, Kosmologie: Eine Expertenmeinung” wiedergab, was der Kosmologe und kosmische-Hintergrundstrahlungs-Experte Matthias Bartelmann uns am Max-Planck-Institut für Astronomie über die BICEP2-Messungen und ihre Hintergründe erzählt hatte, kam darin auch eine Information vor, die meine Einschätzung relativierte. Matthias wies daraufhin, dass die BICEP2-Grafik, auf die ich meinen Optimismus bezüglich der Wichtigkeit/Unwichtigkeit von (irreführender, galaktischer) Vordergrundstrahlung gestützt hatte, einen trügerischen Eindruck vermittle. Tatsächlich sei die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der Abweichung vom Vordergrundrauschen nicht um ein echtes Signal, sondern eine Zufallsfluktuation eben jenes Rauschens handle, nicht so groß, wie man das in der Physik üblicherweise beim Ausschluss zufälliger Übereinstimmungen fordere.

Vordergründe drängen sich, ähem, in den Vordergrund

Neue Kleider am Kaiser? Noch nicht unbedingt, aber die Vordergründe waren wohl doch nicht so unwichtig.

Weitere Bewegung kam in die Sache, als zwei neue Analysen erschienen, denen zufolge die Vordergründe tatsächlich ausreichen könnten, die beobachteten Signale zu erzeugen – ganz ohne frühe Gravitationswellen. (Ich bin am 30. Mai in BICEP2-Messungen: Der Vorhang vor der Kosmologie darauf eingegangen.)

Bis zu jenem Zeitpunkt hatten sich die Diskussionen an den online gestellten Texten des BICEP2-Teams orientiert, die aber noch nicht in einer Fachzeitschrift erschienen waren – und dementsprechend noch keinen “Peer review” durchlaufen hatten, jenen Prozess also, bei dem (meist anonym bleibende) Wissenschaftlerkollegen beurteilen, ob sie die Argumente eines Artikels für überzeugend, die Aussagen für durch die Daten gedeckt ansehen – und gegebenenfalls Nachbesserung von den Autoren fordern. Das änderte sich am 19. Juni: Urknall-Gravitationswellen: Der BICEP2-Artikel ist erschienen! (mein Blogbeitrag am Tag darauf). In der veröffentlichten Fassung schrieben dann auch die BICEP2-Autoren selbst, vermutlich auf kritische Nachfrage des Reviewers hin: Es lasse sich nicht ausschließen, dass das beobachtete Signal statt durch urtümliche Gravitationswellen durch Staub in unserer eigenen Galaxie erzeugt worden sei.

Während all dieser Diskussionen hieß es wiederholt: Alle warten auf die Daten des ESA-Satelliten Planck. Der nämlich sollte den durch Staub erzeugten Vordergrund gut genug vermessen können, dass sich dann beurteilen lassen würde, ob BICEP2 urtümliche Gravitationswellen gemessen hat oder eben Staub. Am 22. September 2014 war es dann soweit: Das Planck-Team veröffentlichte seine Ergebnisse zum Vordergrundstaub. Es sah nicht gut aus für die urtümlichen Gravitationswellen (BICEP2 und kosmische Inflation: Es sieht nicht gut aus). Der größte Teil der BICEP2-Beobachtungen, und womöglich die ganzen solchen Beobachtungen, ließen sich offenbar durch den Vordergrundstaub erklären.

Ich schrieb damals “Etwas sollten wir daher noch abwarten, bis wir BICEP2 unter ‘sorry, außer Staub nichts los’ abheften. Bis dahin gibt es mit den Planck-Resultaten aber einen gewichtigen Grund, sich nicht zu große Hoffnungen zu machen.” Ich hatte nämlich gehört, dass die Planck- und die BICEP2-Wissenschaftler parallel zu dem gerade erschienenen Artikel an einer gemeinsamen Auswertung säßen um zu schauen, ob sich das Gravitationswellen-Signal so vielleicht doch noch aus dem Vordergrund herausschälen ließe.

Klappe zu, urtümliche Gravitationswellen unterhalb der heutigen Nachweisgrenze

Genau zu diesem gemeinsamen Artikel ist jetzt eine ESA-Pressemitteilung erschienen: “Planck: Gravitational Waves Remain Elusive“.  Die gemeinsame Analyse von Planck-Daten und den Daten nicht nur von BICEP2, sondern auch von dem Nachfolger jenes Teleskops, des Keck Array, hatte ebenfalls keinen Hinweis auf die frühen Gravitationswellen ergeben. Das heißt nicht, dass es diese Wellen nicht gibt – sie könnten sich im Rauschen der Messunsicherheiten und Störeinflüsse verstecken. (Tatsächlich hatte an dem ursprünglichen Resultat ja durchaus überrascht, dass das Signal so unerwartet stark gewesen war!) Aber sie sind mit den derzeit besten Messgeräten eben nicht nachzuweisen.

Ganz abgeschlossen ist das Kapitel BICEP2-Resultate damit nicht. Damals (5. Juni) war ich auf die Frage eingegangen, ob BICEP2 seine Behauptungen zu früh veröffentlicht hatte. Die ESA-Kollegen sind da (vermutlich aus ähnlichen Gründen) nicht mit besserem Beispiel hinterhergegangen; hier erfolgte die Pressemitteilung, als der gemeinsame Fachartikel gerade bei der Zeitschrift Physical Review Letters zur Veröffentlichung eingereicht war. Aber die Kollegen werden sich vermutlich sehr viel Mühe gegeben haben, alles wasserdicht hinzubekommen – unwahrscheinlich, dass sich beim letzten Qualitätskontrollschritt, dem Peer Review, und damit bis zur Annahme zur Veröffentlichung etwas ändert.

Die BICEP2-Aufregung ist offenbar vorbei. Wir haben live erlebt, wie Wissenschaft funktioniert, wie ein Resultat kontrovers diskutiert wird, aber eben in diesem Falle auch, wie die Kritik an Gewicht gewinnt und am Ende eben nicht herauskommt, was wahrscheinlich die meisten Astrophysiker sich erhofft haben. Weil’s eben nicht um Hoffnung und Wünsch-dir-Was geht, sondern darum, was sich sinnvoll aus den Daten folgern lässt und was nicht.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

7 Kommentare

  1. Der Satzteil “urtümliche Gravitationswellen unterhalb der heutigen Nachweisgrenze” lässt nach natürlich sofort fragen, ob man sie dennoch einmal wird nachweisen können. Noch besser wäre eine Aussage der Art: Primordiale (inflationär bedingte) Gravitationswellen bis hinunter zur Stärke x könnten wir nun mit unseren Geräten nachweisen. Das würde wohl voraussetzen, dass man Staub als Ursache der Beobachtungen ausschliessen kann oder ein Kriterium findet um staubbedingte B-Mode Polarisationsmuster in der Mikrowellenhintergrundsstrahlung von inflationär (und synchrotronär) bedingten unterscheiden zu können.

    Es gibt übrigens weiterhin unerschütterlich an den Nachweis/Hinweis von primordialen Gravirationswellen durch BICEP2 Glaubende. So schreibt Luboš Motl:

    Well, I still think that the primordial gravitational wave signal is there because of the clear “local maximum” of various BB-spectra and cross-correlations near ℓ≈100 which no existing model without primordial gravitational waves seems to predict. Lensing of dust only gives one monotonic curves in this interval of ℓ.

  2. Eine Sache verstehe ich als Nicht-Physiker bei diesen Gravitationswellen-Nachweisen grundsätzlich nicht: Man sollte doch meinen, dass sowohl die ART als auch der innere Aufbau der relevanten astronomische Objekte (Pulsare, Neutronensterne usw.) gut genug verstanden ist, um die zu erwartende Stärke von Gravitationswellen ziemlich genau vorherzusagen. (Bei den hier angesprochenen “Urknall-Gravitationswellen” mag das deutlich schwieriger sein.) Dementsprechend müsste man doch auch sagen können, welche Messgenauigkeit erforderlich ist, um Gravitations-wellen bestimmter Objekte mit großer Sicherheit nachzuweisen (oder eben deren Existenz zu widerlegen). Statt dessen hört man seit mehr als fünfzig Jahren immer nur ein “vielleicht” oder “vielleicht demnächst”. Wie ist das zu erklären? Sind die theotetischen Grundlagen zur Beschreibung der Gravitationswellen doch noch nicht so ausgereift?

    • Im Bereich des direkten Nachweises mit Detektoren wie LIGO, GEO 600 und so weiter ist es vor allem die Seltenheit der gesuchten Ereignisse, die zu Unsicherheiten führt. Dass die Verschmelzung etwa eines Schwarzen Lochs und eines Neutronensterns zu detektierbaren Gravitationswellen führen sollte, ist in der Tat ziemlich sicher. Aber wann die nächste solche Verschmelzung in hinreichend geringer Entfernung von der Erde stattfinden wird, weiß niemand.

  3. Multifrequenzanalysen der Polarisation der primordialen Hintergrundsstrahlung (B-Moden) sollen genauere Aussagen zum maximal möglichen Anteil inflationär bedingter B-Moden machen können. Mehr als 15 Programme mit festinstallierten Instrumenten (ground based) sollen Multifrequenzanalysen der Hintergrundsstrahlung durchführen, darunter das im Vergleich zu BICEP2 präzisere BICEP3, daneben sollen 3 Ballonsonden eingesetzt werden. Dabei werden mehr als 20 verschiedene Frequenzen untersucht, die niedrigste liegt unter 20 Gigahertz, die höchste bei 600 Gigahetz. Genaueres dazu findet sich in B-modes: what’s next .
    Einige (eiinfache) Inflationsmodelle scheinen aber bereits durch die bis jetzt durchgeführten Untersuchungen unter Druck geraten:

    Impressive, isn’t it? These experiments should be soon sensitive to r~0.01, and in the long run to r~0.001. Of course, there is no guarantee of a detection. If the energy scale of inflation is just a little below 10^16 GeV, then we will never observe the signal of gravitational waves. Thus, the success of this enterprise crucially depends on Nature being kind. However the high stakes make these searches worthwhile. A discovery, would surely count among the greatest scientific breakthrough of 21st century. Better limits, on the other hand, will exclude some simple models of inflation. For example, single-field inflation with a quadratic potential is already under pressure. Other interesting models, such as natural inflation, may go under the knife soon.

    • Ich weiß, dass einige Blogger das anders sehen, möchte aber durchaus ermutigen, in solchen Fällen einfach kurz und knapp auf den Quellbeitrag zu verlinken – bei mir ist in solchen Fällen keine längliche Nacherzählung als Legitimation nötig.

    • Noch eine Frage: Ist der Nachweis eines Gravitationswellenhintergrunds der Beweis für die Inflation. Oder könnte es auch primordiale Gravitationswellen anderen Ursprungs geben?