Vorsicht, gefälschte Konferenz!

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… aber nicht einfacher
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Wie die meisten Kollegen bekomme ich immer einmal wieder per E-Mail Konferenzankündigungen, bei denen meine internen Alarmglocken dezent klingeln: Die Konferenztitel sind verdächtig generisch, haben oft mit meinem eigenen Spezialgebiet nichts zu tun, und trotzdem werde ich eingeladen, als ausgewiesener Fachmann doch am besten gleich eine ganze Sitzung auf der betreffenden Konferenz zu organisieren.

Jetzt bin ich auf ein lehrreiches Beispiel gestoßen, an dem man sehen kann, wie das ganze funktioniert. Aufmerksam darauf wurde ich über diesen Beitrag in der Facebook-Gruppe “Astronomers”; er ist leider nur für Leser mit Facebook-Konto sichtbar, aber die wichtigsten Aussagen daraus werde ich unten direkt wiedergeben.

In diesem Sinne: Willkommen zur International Conference on Astronomy & Cosmology, kurz “Astronomy 2013”, die dieses Jahr vom 14. bis 16. August in “Chicago-North shore, USA” stattfindet. Das Thema? “Understanding new breakthroughs in Astronomy and interdisciplinary sciences”, also neue Durchbrüche in Astronomie und den interdisziplinären Wissenschaften!

Auf den ersten Blick ist auf den Konferenzwebseiten alles so, wie man es vielleicht auch bei anderen wissenschaftlichen Konferenzen finden könnte.

Schon der zweite Blick führt allerdings zu Stirnrunzeln. Wieso sind die Medienpartner der Konferenz die Fachzeitschriften Nutrients und Journal of Microbiology, Biotechnology and Food Science (letzteres herausgegeben von der Slowakischen Landwirtschaftsuniversität in Nitra)? Beides sind ja nicht gerade die ersten Medien, die einem beim Stichwort Astronomie einfallen.

Warum ist das erste angepriesene Highlight der Konferenz die “Einführung in die Astronomie”? Und ein weiteres Highlight die “Meterorologie”?

Bei der Gliederung der Konferenz wird es dann immer sonderbarer. Dass eine von vier Sitzungen zum Thema “Beobachtende Astronomie” dem Thema “Lineare Regression in der Astronomie” gewidmet ist ergibt nicht viel mehr Sinn als es eine Sitzung zum Thema Grundrechenarten in der Astronomie tun würde. Dass die Meteorologie so seltsam prominent ist wie bei den Highlights kann schon nicht mehr überraschen. Und dass allgemeine Themen wie “Astronomie und Astrophysik” neben so speziellen wie “Galaxienpaare und wechselwirkende Galaxien” stehen, rundet den seltsamen Gesamteindruck gekonnt ab.

Sprich: Es macht nicht den Eindruck, als hätte da irgendjemand mit Fachkenntnis seine Hand im Spiel gehabt. Was uns direkt zu der Frage bringt: Wer hat das ganze organisiert?

Die Institution dahinter ist die “OMICS Group” – zu der später noch mehr. Ganz unten auf der Seite findet sich noch die Aussage, die Konferenz sei “Operated by Editors – Journal of Astrophysics & Aerospace technology”, also in etwa “betrieben/organisiert von den Redakteuren des Journal of Astrophysics & Aerospace technology”. Die sind auf der Konferenzseite auch mit (teils etwas verzerrten) Portraitfotos aufgelistet, und eine der abgebildeten Personen kam mir zumindest vom Namen nach bekannt vor: Moment mal, war das nicht eine der Doktorandinnen in der Internationalen Doktorandenschule, für die sich hier in Heidelberg Universität und Max-Planck-Institut für Astronomie zusammengetan haben?

Dann durfte Facebook zeigen, was es als soziales Netzwerk kann: Binnen zehn Minuten, nachdem ich ihr eine entsprechende Nachricht geschrieben hatte, kam als Antwort schon ein Kommentar der Ex-Doktorandin zu dem erwähnten Gruppenbeitrag: Wie sie zwar schon überrascht gewesen sei, als junge Astronomin eine Einladung bekommen zu haben, Redakteur einer Fachzeitschrift zu werden, sich aber gedacht habe: da fängt man halt klein an, und Erfahrung sammelt man so allemal. Wie sie dann bei näherem Hinsehen doch misstrauisch geworden war und zweimal versucht hatte, das ganze rückgängig zu machen. Und wie sie sich dann ohne ihr Wissen als Organisator der erwähnten sonderbaren Konferenz wiederfand. Anderen Kommentaren zu dem gleichen Beitrag nach zu urteilen war das kein Einzelfall.

Das alles könnte man als mäßig amüsant, aber nicht weiter schlimm abtun, aber die Vorstellung, dass sich vielleicht jemand doch für diese Konferenz anmeldet, finde ich ziemlich deprimierend. Denn eines ist an der Konferenz ganz zweifellos astronomisch: Eine zweitägige Konferenz, deren Gebühr mit Frühbucherrabatt stolze 600 Dollar kostet, liegt damit schon recht beträchtlich über dem üblichen Preisniveau. Bucht man im Paket noch das Hotelzimmer für 3 Nächte dazu, liegt man schon bei 1100 Dollar. Ach ja: Und wer ein Poster aufhängen will, kann das für den Schnäppchenpreis von 100 Dollar natürlich gerne tun. Womit einigermaßen klar sein dürfte, worin das Geschäftsmodell der Organisatoren bestehen dürfte.

Übrigens veranstaltet OMICS dieses Jahr offenbar insgesamt knapp 100 solcher internationalen Konferenzen.

Ich gebe zu: Ich konnte dann nicht widerstehen und habe mich dann auch auf die Webseiten der assoziierten Fachzeitschrift durchgeklickt. Das Journal of Astrophysics & Aerospace Technology, auch hier ein interessantes Nebenher recht disparater Themen, hat, soweit ich sehen kann, bislang einen einzigen Band herausgebracht, nämlich Volume 1, Issue 1.

Der Inhalt der Ausgabe besteht aus ganzen drei Editorials.

Ein Satz wie “In the field of Astrophysics and Aerospace technology, the knowledge is created by keen observers of nature. The nature has existed from time immemorial” gibt da schon einen recht guten ersten Eindruck. Und zeigt, dass mindestens einer der Redakteure der Zeitschrift tatsächlich der Meinung zu sein scheint, Astrophysik und Luft- und Raumfahrttechnologie sei ein einziges Fachgebiet. Aber dafür gibt es jeden Artikel als PDF und als Audiodatei zum Anhören, vorgelesen per Software.

Ach ja: Für jeden der Editors der Fachzeitschrift ist von dieser Seite hier aus ein ziemlich kitschiges Zertifikat verlinkt (unter “Network”, warum auch immer), das auf Goldhintergrund mit Schmuckband und Borte verkündet “This is to certify that [NAME] is the prestigious editorial board member of Journal of Astrophysics & Aerospace Technology”. Zum Ausdrucken und an die Wand hängen.

Dafür, dass die Fachzeitschrift noch keine richtigen Artikel veröffentlicht hat und bei der Auswahl seiner Redakteure doch recht sonderbar vorgeht, sind die 900 bis 1800 Dollar, die ein Wissenschaftler für die Veröffentlichung eines Artikels zahlen muss (ab dem zweiten Artikel gibt’s Rabatt!) dann doch recht stattlich. Und damit ist auch hier das Geschäftsmodell klar.

Eigenwerbung der OMICS Publishing Group: 200 Open Access-Fachzeitschriften (die meisten in den Bereichen Medizin/Life Science), Schnellbegutachtung in nur 21 Tagen, ein Team aus 20.000 Redakteuren, 2 Millionen Leser und mehr als 20.000 Fans auf Facebook.

Zumindest wer auf niedrigstem Niveau ein Open Access-Journal betreiben möchte, dürfte nicht viel investieren müssen. Webseiten sind billig – auch solche, deren Design schön professionell aussieht. Wenn ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin angebissen hat und publizieren möchte, dann bekommt er oder sie die anschließend eine Rechnung über Größenordnung 1000 Dollar Publikationsgebühren. Betreibt man hunderte solcher Fachzeitschriften parallel, muss man im Schnitt nicht viele Artikel pro Journal veröffentlichen, um gut davon leben zu können.

Jeffrey Beall, ein Bibliothekar an der University of Colorado Denver, beschreibt in seinem Blog Scholarly Open Access eine Vielzahl von Beispielen für diese dunkle Seite des Open Access aufgeführt, die er “predatory publishing” nennt – ein Begriff, der in der deutschen Übersetzung als “Raubverleger” im Kontrast zum “Raubkopierer” noch pikanter ist als im Original. Auch über OMICS gibt es da einen Beitrag.

Mein Lieblings-OMICS-Fachzeitschriftentitel ist Journal of Spine. Bei letzterem enthält die Homepage Google-generierte Webnachrichten; als ich da war, gerade die Meldung “Scientist Find Milky Way’s Spine“.

Das Journal of Spine ist im Band 1 immerhin schon bei Ausgabe 5: Vier Editorials und ein Forschungsartikel einer japanischen Gruppe der Medizinischen Hochschule Sapporo.

Bei der Open Access-Selbstbeschreibung der Fachzeitschrift heißt es

Journal of Spine under Open Access category aims to advance our understanding of the skull to the small of the back, enclosing the spinal cord and providing support for the thorax and abdomen; the backbone. The Journal of Spine is an international, peer-reviewed journal publishing an overview of human Spine on substance abuse which includes the contents skull to the small of the back.

Wie übersetzt man das originalgetreu? Vielleicht “Fachzeitschrift von Wirbelsäule unter Kategorie Open Access zielt darauf ab, unser Verständnis des Schädel bis zum Steiß, die das Rückenmark einschließt und Brustkorb und Unterleib stützt; das Rückgrat. Die Fachzeitschrift von Wirbelsäule ist eine internationale Fachzeitschrift mit Peer Review, die einen Überblick über menschliche Wirbelsäule bei Drogenmissbrauch welches einschließt die Inhalte Schädel bis zum Steiß.”

Kurt Schwitters hätte das gefallen.

 

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

4 Kommentare

  1. Erstaunlich

    Erstaunlich, auf welche Methoden manche Leute verfallen, um an anderer Leute Geld zu gelangen.

    Da lobe ich mir dann immer die IGNORANTIA 2013, den Fachkongress für angewandtes Desinteresse.

    Danke für den wirklich erhellenden Beitrag, der auch hier zeigt, dass eine gesunde Portion Skepsis immer angebracht ist.

  2. Link

    Ich habe hier noch einen interessanten Link gefunden – der Umstand, dass es einen Ratgeber zum Erkennen von “fake events” gibt, zeigt, dass das wohl in einigen Disziplinen ein nicht allzu kleines Problem ist.

  3. Show Me Your Spine…

    Das “Journal of Spine” ist so inspirierend das im schon 1987 ein Song gewidmet wurde:
    youtu.be/ZflAaRrqwIM

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