Einstein-Jubiläum: 100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie

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… aber nicht einfacher
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Wir befinden uns mitten im hundertsten Jubiläum der Allgemeinen Relativitätstheorie: Am 4. November vor 100 Jahren hat Einstein in der Preussischen Akademie der Wissenschaft den ersten von vier Vorträgen gehalten, in denen er die Allgemeine Relativitätstheorie vorstellt: seine Theorie von Raum, Zeit und Gravitation, an der er zu jenem Zeitpunkt bereits 5 Jahre intensiv gearbeitet hatte.

[Nachträgliche Korrektur vom 20.11.: Richtig vorgetragen hat Einstein wohl nur in einem der vier Fälle, nämlich am 18. November. Die anderen Texte hat er bloß zur Veröffentlichung in den Sitzungsberichten eingereicht. Dank an Daniel Fischer, Rüdiger Vaas und (indirekt) Jürgen Renn für diese Information!]

Quellen zu dieser spannenden Endphase von Einsteins Arbeit, dem November 1915, stammen zum einen aus Einsteins Veröffentlichungen, zu anderem aus seinem Briefwechsel mit dem Mathematiker David Hilbert. Den hatte Einstein im Sommer 1915 in Göttingen besucht; Hilbert hatte sich bereits vorher mit der 1912/1913 von Gustav Mie formulierten “Theorie der Materie” beschäftigt, in welcher erstmals der Elektromagnetismus aus einer sogenannten Lagrangefunktion hergeleitet wurde, und hatte sich im Anschluss den von Einstein aufgeworfenen Fragestellungen zugewandt und sich dafür interessiert, wie eine auf der Raumzeit-Geometrie (genauer: den metrischen Koeffizienten) basierende Gravitationstheorie aussehen müsste – unter Einschluss der von Mie übernommenen Lagrange-Formulierung des Elektromagnetismus, als eine Art Vereinheitlichung von Gravitation und Elektromagnetismus.

Drei Wochen und vier Texte

Der Titel lautet sogar “Zur Allgemeinen Relativitätstheorie”. Die Originalarbeit kann man bei den Einstein Papers nachlesen; pünktlich zum Jubiläumsjahr hat Princeton University Press die gesammelten Schriften Einsteins ja für jeden online lesbar zugänglich gemacht.

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So ganz allgemein war die Relativität der Theorie, die Einstein da vorstellte, allerdings nicht. Im Gegenteil hingen einige der zentralen Eigenschaften der Physik, die er da beschrieb, vom gewählten Bezugssystem (Koordinatensystem) ab. Einem Brief Einsteins Hilbert nach hatte Einstein erst knapp vier Wochen davor erkannt, dass er in einem damals schon rund ein Jahr zurücklegenden Argument zur Verallgemeinerung seiner allgemeinen Relativitätstheorie einen Fehler gemacht hatte. Den meinte er jetzt ausgemerzt zu haben und hoffte, damit auch Hilberts Bedenken ausgeräumt zu haben, die ihm indirekt von Arnold Sommerfeld zugetragen worden waren. (Das liest sich jetzt schon fast wie eine Kurzzusammenfassung einer physikalischen Seifenoper.)

Aber Pustekuchen! Nur eine Woche später, am 11. November vor 100 Jahren, im zweiten Vortrag, hat Einstein dann eine wieder etwas andere Version vorgelegt, die unabhängig vom Bezugssystem, aber aus heutiger Sicht noch zu eingeschränkt formuliert ist. (Auch diesen Text gibt es natürlich bei den Einstein Papers Online.)Screen Shot 2015-11-15 at 14.19.00

Hilbert muss Einstein in der Zwischenzeit geantwortet haben; wahrscheinlich am 12. November schreibt Einstein jedenfalls – mit Bezug auf diese neue Version – einen Brief an Hilbert, in dem er die neue Entwicklung mitteilt. Hilbert antwortet (auf zwei sich ergänzenden Postkarten!), er habe – axiomatisch aufgebaut, wie es sich für einen Mathematiker gehört – auch Fortschritte bei Einsteins “großem Problem” gemacht und lädt Einstein ein, für seinen (Hilberts) Vortrag heute vor 100 Jahren nach Göttingen zu kommen.

Von jenem Vortrag gibt es keine zugehörige Veröffentlichung. Einstein ist nicht nach Göttingen gefahren; er sagt per Brief vom 15. November ab und verweist auf Übermüdung und Magenschmerzen. Übermüdung würde gut zu der höchst aktiven Phase passen, in der Einstein sehr und unmittelbar mit seiner Theorie am kämpfen ist. Später, in einem Brief an Michele Besso vom 17. November schreibt Einstein jedenfalls nach stolzer Auflistung des bis dahin Erreichten: “Gearbeitet habe ich schauderhaft angestrengt; sonderbar, dass man es aushält”. Das wundert ja auch weniger große Geister wie Einstein in weniger weltbewegenden Situationen, in denen die Arbeit nur so dahinrauscht (z.B. wundert es mich: wieso ist es jetzt auf einmal schon 0:34 Uhr?).

Eine Frage der Kommunikation

Einsteins Austausch mit Hilbert – der nachher noch wichtig werden wird – ist aus heutiger Sicht auch aus allgemeinerem Grunde interessant. Er geht vergleichsweise schnell: Einstein an Hilbert am 12. November, Hilbert an Einstein am 13., Einsteins Antwort am 15. November – das ist vielleicht nicht der direkte E-Mail-Austausch im Stundentakt, aber auch nicht weit davon entfernt. Davon abgesehen: Bei schwierigeren Fragen, die Nachdenken und Weiterrechnen erfordern, dürften auch aussagekräftige E-Mails nicht viel schneller ausgetauscht werden.

Als Begrenzung wichtiger ist die Textverarbeitung. Ein mehrseitiges Manuskript ist nicht so einfach mal abgeschrieben und einem Brief hinzugefügt; dieser Aufwand ist offenbar zu hoch im Vergleich zu dem Gewinn an Aktualität, den er bewirkte. Wobei man sagen muss, dass bereits die gedruckte Fassung der Akademie-Vorträge sehr schnell erscheint. Die hier besprochenen vier Einstein-Arbeiten, eingereicht jeweils am Tag des Vortrages, liegen jeweils eine Woche später veröffentlicht (und das dürfte ja wohl heißen: gedruckt) vor. Das ist keine allzu große Verzögerung; wo es noch schneller gehen soll, werden die Korrekturbögen verschickt, die dem Autor vor Veröffentlichung zugehen. Darum bittet auch Einstein in seinem Brief an Hilbert vom 15. November: “Schicken Sie mir bitte, wenn möglich, ein Korrekturexemplar Ihrer Abhandlung, um meiner Ungeduld entgegenzukommen.”

Sprich: Nicht so sehr das Vorhandensein von E-Mail macht den Unterschied zwischen damals und heute, sondern die Existenz elektronischer, versendbarer Dateien. Dann hätte Hilbert es vermutlich nicht bei Andeutungen belassen, sondern gleich einen Entwurf dessen geschickt, was er da ausgerechnet hatte. Und dann wäre dieser Teil der Wissenschaftsgeschichte etwas anders verlaufen.

Auch das schiere Pensum an Briefen Einsteins ist beachtlich. Neben den Briefen an Hilbert oder an Sohn bzw. getrennte Frau und anderer wissenschaftlicher Korrespondenz schreibt Einstein in der hier relevanten Zeit z.B. noch mehrmals an den Goethebund, zu dessen “vaterländischem Gedenkbuch” er einen Text zu seiner Meinung über den Krieg beigesteuert hatte, der einige ziemlich sarkastisch-scharfe Bemerkungen zum Thema Patriotismus enthält. Nicht gerade das, was der Goethebund mit seinem Büchlein bezweckte.

Kleine Abweichung bei kleinem Planeten

Als nächstes ist Einstein wieder mit dem Vortragen an der Reihe: Am 18. November spricht er vor der Akademie dann über die Periheldrehung des Merkur, eine winzige Abweichung der Merkurbahn von den Newton’schen Vorhersagen, die in der Allgemeinen Relativitätstheorie eine natürliche Erklärung findet (hier bei den Einstein Papers Online): eine Bestätigung “dieser radikalsten Relativitätstheorie”, wie Einstein schreibt:

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Am gleichen Tag schreibt Einstein an Hilbert über seine Rückkehr zu den vor Jahren bereits in Betracht gezogenen und dann aufgrund falscher Schlüsse (zur Unvereinbarkeit mit den Newton’schen Aussagen zur Gravitation) fallengelassenen, vom Bezugssystem unabhängigen (kovarianten) Gleichungen, dies sei offenbar genau das auch von Hilbert genutzte System. Hilbert muss demnach am 16. oder 17. November noch einen Brief oder an eine Postkarte geschrieben haben, die aber leider nicht erhalten ist.

Hilberts Antwort auf Einsteins Schreiben vom 18. wird postwendend bereits am nächsten Tag, dem 19. November abgeschickt, wiederum als Postkarte. Hilbert gratuliert Einstein zu seiner Merkuperihel-Rechung und fügt hinzu: “Wenn ich so rasch rechnen könnte, wie Sie, müsste bei meinen Gleichg entsprechend das Elektron kapituliren und zugleich das Wasserstoffatom sein Entschuldigungszettel aufzeigen, warum es nicht strahlt.”

So ganz war Einstein aber trotz Perihelrechnungen noch nicht fertig. Er ersetzt die am 11. November aufgestellten Gleichungen, welche die Raumzeitgeometrie in einiger Hinsicht noch eingeschränkt hatten, durch eine noch allgemeinere Version.

Endlich die richtigen Feldgleichungen!

Am 25. November stellt Einstein diese allgemeineren Gleichungen in der Akademie die Allgemeine Relativitätstheorie in jener Form vor, wie sie auch heute noch gelehrt wird. [Bzw. reicht sie an diesem Datum zur Veröffentlichung in den Sitzungsberichten ein, siehe oben.] Das ist der Abschluss des kühnen Baues, der heute als Allgemeine Relativitätstheorie gelehrt wird: das, was heute “Einstein’sche Feldgleichungen” heißt (hier ist die Online-Version): Screen Shot 2015-11-15 at 16.02.02

Ein kurzer Artikel nur, ganze dreieinhalb Seiten in den Sitzungsberichten, aber wie Einstein darin schreibt: “Damit ist endlich die allgemeine Relativitätstheorie als logisches Gebäude abgeschlossen.” Der Prozess, in dem Einstein über Jahre hinweg und mit einigen Irrwegen zur Allgemeinen Relativitätstheorie fand, war in der Tat vollendet. Wenn denn einen einzigen Tag als Geburtstag der Allgemeinen Relativitätstheorie auszeichnen möchte, dürfte der 25. November 1915 die beste Wahl sein.

Es gibt von dem US-amerikanischen Relativisten John Wheeler eine Kürzestversion der Einstein’schen Theorie, die sinngemäß lautet: Die Materie sagt Raum und Zeit, wie sie sich zu verzerren haben; verzerrter Raum und verzerrte Zeit sagen der Materie, wie sie sich zu bewegen hat. Die Einstein-Gleichungen sind die exakte Fassung des ersten Teils, denn sie stellen die Verbindung her zwischen den Gravitations-Quellen-Eigenschaften der Materie (Masse, Energie, Impuls, Druck) einerseits und den Verzerrungs-Eigenschaften der Raumzeit andererseits (Ricci-Tensor bzw. Einstein-Tensor). Und ihre Änderungsrate (kovariante Ableitung) spezifiziert den zweiten Teil, nämlich wie sich Materie in solch einer verzerrten Raumzeit bewegt (kovariante Ableitung des Energie-Impuls-Tensors ist Null).

Allerdings war auch Hilbert in der Zwischenzeit nicht müßig gewesen und hatte am 20.11. in Göttingen einen Vortrag über seine Gleichungen zu Gravitation und Elektromagnetismus gehalten – aus heutiger Seite die erste Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie in sogenannter Lagrange-Form. Die Frage, wem für die endgültige Form der Gleichungen Priorität gebührt, hat unter Wissenschaftshistorikern durchaus zu Kontroversen geführt. Ich neige zu der vorläufigen Meinung, dass es tatsächlich Einstein war; die Untersuchung der Prioritäts-Behauptungen ist allerdings ein wissenschaftshistorischer Krimi für sich, auf den ich später hier noch eingehen möchte. Vielleicht schaffe ich es bis zum 20.11., also dem hundertsten Jubiläum von Hilberts zweitem Vortrag?

Hundert Jahre Allgemeine Relativitätstheorie

Hundert Jahre später also haben wir es jetzt als jener schicksalhafte November. Zeit für Jubiläumsfeierlichkeiten, wenn auch bei weitem nicht so aufwändig wie im Einsteinjahr 2005, hundert Jahre nach Einsteins “Annus mirabilis” (Spezielle Relativitätstheorie und grundlegende Einstein-Arbeiten zu Photonen/Quantentheorie und statistischer Physik).

Dazu wird am Stichtag, dem 25. November, in der Urania in Berlin die Ausstellung “Einstein inside” eröffnet, deren wissenschaftliche Konzeption maßgeblich auf den inzwischen ja leider verstorbenen Hanns Ruder zurückgeht (siehe meinen Nachruf hier). Entsprechende Vorlesungen und Vorträge gibt es noch an zahlreichen anderen wissenschaftlichen und astronomischen Instituten.

Hier am Haus der Astronomie habe ich letzte Woche in unserer Vortragsreihe Faszination Astronomie an zwei Terminen einen Jubiläumsvortrag gehalten; kommende Woche, am 19.11., haben wir eine baden-württembergische Lehrerfortbildung Astronomie auf Einsteins Spuren, und eine Woche darauf, nämlich auch exakt am Stichtag 25.11., halte ich meinen Vortrag noch einmal im Planetarium am Insulaner in Berlin. Parallel dazu halten Björn Malte Schäfer und ich in diesem Semester eine Vorlesung Einsteins Astrophysik für Nicht-Physiker mit vertiefendem Programm. Und wer von mir noch etwas dazu auf Papier lesen will: mein Text “100 Jahre und quicklebendig” ist sowohl im November-Heft von Sterne und Weltraum als auch im neuen SuW-Dossier erschienen, das dieser Tage erscheint.

Vorteil des Einstein-Jahrs 2005 war, dass die entsprechenden Veranstaltungen zentral gesammelt wurden. Wer weitere Vorträge, Vorlesungen etc. aus diesem Anlass kennt: bitte in den Kommentaren melden!


An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Princeton University Press – die gesammelten Werke online zugänglich zu machen, ist ein sehr positiver und zeitgemäßer Schritt!

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

18 Kommentare

  1. Markus Pössel schrieb (16. November 2015):
    > Die Einstein-Gleichungen […] stellen die Verbindung her zwischen den Gravitations-Quellen-Eigenschaften der Materie (Masse, Energie, Impuls, Druck) einerseits und den Verzerrungs-Eigenschaften der Raumzeit andererseits (Ricci-Tensor bzw. Einstein-Tensor).

    Von einer „Verbindung“ würde man sprechen, falls „beide Enden“ von vorn herein einzeln bekannt wären. Die Einstein-Gleichungen, wie sie durch Variationsrechnung aufzustellen sind, verstehen sich wohl eher als (Mess-)Definition:
    aus gegebenen geometrischen Beziehungen ermittelt man die (wahrscheinlichste) Verteilung von bestimmten Erhaltungsgrößen, einschl. eventuellem „Potential“.
    (Worauf sich allerdings wiederum bestimmte Erwartungen hinsichtlich geometrischer Beziehungen stützen lassen, die in eventuellen folgenden Versuchen gefunden werden mögen.)

    > Und ihre Änderungsrate (kovariante Ableitung) spezifiziert […] wie sich Materie in solch einer verzerrten Raumzeit bewegt (kovariante Ableitung des Energie-Impuls-Tensors ist Null).

    Wie sich unterscheidbare Beteiligte gegenübereinander bewegt (und eventuell dabei auch getroffen) haben, bzw. in wie fern sie sich dabei beobachten konnten, drückt man (insbesondere dank Einstein) heutzutage koordinaten-frei durch die Intervallverhältnisse zwischen Ereignissen aus, an denen diese Beteiligten (einzeln oder gemeinsam) teilnahmen. Wie sich diese Beteiligten noch bewegen werden, müsste noch gemessen werden (unabhängig davon, dass und welche diesbezüglichen Erwartungen man hegen mag).

    • Dass dort schon vorher bekannte Größen – relative Beschleunigung von Körpern einerseits, Masse/Energie/Druck andererseits – verknüpft werden, ist bei den Einstein-Gleichungen ja auch durchaus der Fall.

      Bei der Bewegung geht es um die Bewegungsgleichungen, also darum, wie sich Materie (am einfachsten: Testteilchen) in einer gegebenen Situation nach Maßgabe der ART bewegen. Dass man nur durch Beobachtungen und damit nachträglich rekonstruieren kann, ob die Bewegung so wie vorhergesagt stattgefunden hat, steht auf einem anderen Blatt.

      • Markus Pössel schrieb (16. November 2015):
        > schon vorher bekannte Größen […], Masse/Energie/Druck andererseits

        Kenntnis der Verteilung von Masse/Energie/Druck gibt es erst und ausschließlich durch vorausgehende Messung des Einstein-Tensors, und Anwendung der Feldgleichungen.

        Ohne diese Grundlage liegt bestenfalls Kenntnis bestimmter anders definierter Messgrößen vor; und offenbar mangelhafte namentliche Unterscheidung der verschiedenen Messgrößen.

        > – relative Beschleunigung von Körpern einerseits

        Falls damit ein Vorhaben illustriert werden sollte, den Einstein-Tensors (bzw. „Krümmung“) zu messen … erscheint Synges „Fünf-Punkt Krümmungs-Detektor“ zumindest ausdrücklicher benannt, und dadurch sachdienlicher.

        > […] wie sich Materie (am einfachsten: Testteilchen) in einer gegebenen Situation nach Maßgabe der ART bewegen.

        Diese Darstellung unterstellt, dass eine „gegebene Situation“ hinreichend konkret charakterisierbar wäre, ohne die ART (als „Maßgabe“) bereits vorauszusetzten;
        dass es z.B. möglich wäre festzustellen, ob oder mit welcher Genauigkeit ein gegebener/identifizierbarer Beteiligter in einem bestimmten Versuch ein „inertes Testteilchen“ dargestellt hätte, oder nicht.

        Aber dem ist zu widersprechen: Die Maßgabe der ART besteht stattdessen darin, aus festgestellten Bewegungen (bzw. aus festgestellter Geometrie; und d.h. insbesondere „Lichtuhr“-Geometrie) eine bestimmte „Situation“ (wahrscheinlichste Verteilung von Ladungen, Masse/Energie/Druck usw.) überhaupt erst zu ermitteln.

        Dass man „Feldgleichungen“ aufgrund ihrer Herleitung in der Variationsrechnung auch „Bewegungsgleichungen“ nennt, steht auf einem anderen Blatt.

  2. Du schreibst “von vier Vorträgen” – aber wissen wir wirklich, dass Einstein jedes Mal da gestanden und die Texte komplett vorgelesen hat? So wie mir ein Sachkenner geschildert hat, war es zwar üblich, einen Vortrag zu halten und den Text gleich satzfertig dabei zu haben – *aber* es war auch gestattet, nur das Manuskript abzugeben und wieder zu gehen, und es erschien dann trotzdem als “Sitzungs”-Bericht.

    Wenn wir am 25. dieses Monats das Glas auf die ‘Veröffentlichung’ der Feldgleichungen und damit den formellen Abschluss der ART heben werden, dann wäre es doch schon interessant zu wissen, ob wir den Jahrestag eines Geschichte machen Vortrags – vor wem genau eigentlich? Und mit welchem Echo? – begehen … oder nur den Eingangsstempel auf einem Manuskript im Sekretariat der Preußischen Akademie.

    • Gute Frage. Mein Verständnis – ohne eine Quelle parat zu haben – war, dass man sich zu den entsprechenden Sitzungen schon zusammenfand, dass es aber kein Vortrag war, wie er heute stattfinden würde – alle sitzen, einer redet -, sondern dass die Herren zum Teil einfach plaudernd herumstanden und je nach Interessantheitsgrad der Vortragende nur eine sehr kleine Zahl tatsächlicher Zuhörer hatte.

      Dadurch, dass die Entwicklung so schnell ging – von einer Woche zur nächsten, und alles mit heißer Nadel gestrickt – dürfte der 25.11. dann aber doch wieder ein einigermaßen realistisches und nicht nur symbolisches Datum sein.

  3. Zur Entstehung von SRT und ART:

    Die ART gäbe es – mindestens in ihrer heutigen Form – kaum ohne Einstein. Aber erst Hilbert hatte die sogenannten vollständigen Feldgleichungen gefunden und vermutlich in einem Vortrag am 16. Nov. 1915, zu dem er Einstein extra eingeladen hatte, erstmals vorgestellt. Weil Einstein nicht zum Vortrag kam, schickte ihm Hilbert vermutlich am nächsten Tag eine Postkarte mit den entscheidenden drei Gleichungen, denn Einstein bedankte sich am 18. November dafür und schrieb unter anderem „Das von Ihnen gegebene [Gleichungs-]System stimmt – so weit ich sehe – genau mit dem überein, was ich in den letzten Wochen gefunden und der Akademie überreicht habe.“ Das hatte er aber missverstanden; auch schrieb er genau zu diesen der Akademie überreichten Aufsätzen am 28. Nov. an Sommerfeld: „Die letzten Irrtümer in diesem Kampfe habe ich leider in den Akademiearbeiten, die ich Ihnen bald senden werde, verewigt.“ Das alles findet man im Kapitel IV von Daniela Wuenschs Büchlein „zwei wirkliche Kerle“ aus dem Termessos-Verlag (2005); besondere Beachtung verdient darin ein Brief Max Borns an Hilbert vom 23. Nov. 1915 (Seite 73 unten und 74 oben). Das heisst aber, dass mit allergrösster Wahrscheinlichkeit nicht Einstein die Priorität bezüglich der vollständigen Feldgleichungen zukommt, sondern Hilbert. Zur Erklärung der Perihelverschiebung und der Lichtablenkung an der Sonne, die Einsteins Ruhm begründete, braucht man die vollständigen Feldgleichungen aber noch nicht. Hilbert hatte ehrgeizigere Ziele: Er wollte mit seiner „vereinheitlichten“ Theorie von Gravitation und Maxwell das Elektron erklären und verstehen, warum das Wasserstoffatom nicht strahlt. Heute müsste man aber nicht nur die ART, sondern schon Kepler/Newton durch die Galaxiendynamik und die (angeblich) beschleunigte kosmische Expansion als falsifiziert ansehen.

    Die SRT gäbe es auch ohne Einstein: Zur Entstehung und insbesondere zu den Quellen von Einsteins berühmter SRT-Arbeit von 1905 habe ich einen kleinen Aufsatz ins Netz gestellt, in dem ich zeige, dass Einstein nicht zu den Vätern der SRT gehört (vermutlich aber nur für Physiker verständlich bzw. nachvollziehbar), ja dass er bei Poincaré so gut wie sicher sogar abgeschrieben hatte: http://www.soso.ch/wissen/hist/SRT/Einstein_1905.pdf

    • Peter Wolff schrieb (19. November 2015 0:24):
      > Zur Entstehung und insbesondere zu den Quellen von Einsteins berühmter SRT-Arbeit von 1905 habe ich einen kleinen Aufsatz ins Netz gestellt […] http://www.soso.ch/wissen/hist/SRT/Einstein_1905.pdf

      Und dort:
      > [3] H. Poincaré, Sur la Dynamique de L’Électron, Rendiconti del Circolo matematico di Palermo, Band 21, März 1906
      > Poincaré war schon im Juni/Juli 1905 viel moderner als Einstein mit seinen Starrstäben
      > […] Der entscheidende Schlusssatz noch auf deutsch:

      “Zwei in dieser Theorie [SRT] gleiche Längen sind per definitionem zwei Längen, die das Licht in der gleichen Zeit durchläuft.“

      (vgl. https://fr.wikisource.org/wiki/Sur_la_dynamique_de_l%E2%80%99%C3%A9lectron_(juillet) .)

      Hat Poincaré überhaupt eine (nachvollziehbare) Methode angegeben, um zu entscheiden, ob solche “Lichtdurchlauf-Zeiten” (bzw. etwas richtiger: “Belegungs-Dauern von
      Signalstrecken”) in verschiedenen Versuchen gleich gewesen wären, oder nicht?

      Hat Einstein “seine Starrstäbe” etwa anders definiert, als (jeweils) ein Paar von Enden, die gegenüber einander konstante Pingdauern fanden? (Wenn auch nicht unbedingt gleiche Pingdauern.)

      Hat Einstein überhaupt eine (nachvollziehbare) Methode angegeben, um zu entscheiden, ob die Pingdauern eines bestimmten “Endes” gegenüber einem bestimmten anderen konstant geblieben wären? …

  4. Schöner jubilierender Text, vielen Dank!

    Wir feiern den Eingangsstempel. 😉 Vorgetragen hatte Einstein nur einen der vier November-Texte: den vom 18. November zur Erklärung der Merkur-Periheldrehung. Weil er hoffte, auch die Astronomen zu erreichen und zu überzeugen.

    Vielleicht darf ich bei dieser Gelegenheit auf mein gerade erschienenes Buch “Jenseits von Einsteins Universum – Von der Relativitätstheorie zur Quantengravitation” hinweisen.
    http://www.wissenschaft-shop.de/themenwelten/physik-mathe-chemie/ruediger-vaas-jenseits-von-einsteins-universum.html

    Gut die Hälfte davon beschreibt die detailliert die Wissenschaftsgeschichte incl. Hilbert und die späteren Überprüfungen der Theorie sowie auch naturphilosophischen Aspekte und Einsteins unterschiedliche Interpretationen in den darauffolgenden Jahren. Anschließend geht es um die Grenzen der Theorie und deren potenzielle Überwindung.

  5. Auch zum Link von Herrn Vaas.
    Dort steht:
    “Doch trotz ihrer Erfolgsgeschichte wird die Theorie der gekrümmten Raumzeit zunehmend in Frage gestellt. Aktuelle Erkenntnisse über den Urknall, die Schwarzen Löcher und die kosmische Dynamik sowie die Suche nach der Weltformel zeigen, dass es eine Wirklichkeit jenseits von Einsteins Universum geben muss.Bestehen Raum und Zeit aus elementaren Bausteinen? Ist die Schwerkraft nur eine Illusion? Einsteins Jahrhundertwerk steht auf dem Prüfstein – was wird ihm folgen?”

    Ich habe es mal so formuliert:
    Unter primärer Beachtung und exakter Würdigung des materiellen Befundes findet man die Ansätze für die Quantenphysik der Gravitation in der Mathematik der Relativitätstheorie.
    Die Quantenphysik müsste diesbezüglich erweitert werden, wenn man das Ziel der Vereinigung von RT und QP erreichen will.
    Die Schwerkraft ist keine Illusion. Sie ist quantenphysikalisch bedingt.

    • Da fängt die Irreführung ja schon in der kurzen Beschreibung hier im Kommentar an. Dass Sie in einem Skript einer Vorlesung an einer deutschen Hochschule einen Fehler zu finden meinen, ist ja nun nicht wirklich dasselbe wie “an einer deutschen Hochschule ist die Spez. Relativitätstheorie widerlegt worden”.

      Und dass Ihre Argumentation konsequent vermeidet, in das bewegte Bezugssystem zu wechseln und Effekte wie Relativität der Gleichzeitigkeit und Längenkontraktion mit einzubeziehen ist leider ein klarer Fall von: sorry, SRT nicht verstanden; angebliche Wiederlegung zeigt nur, dass klassische Physik und SRT zu unterschiedlichen Aussagen kommen.

  6. @ Rüdiger Vaas
    @ Joachim Blechle

    Einsteins Jahrhundertwerk, die Relativitätstheorie (im speziellen auch die ART), ist im Fernfeld sehr gut bestätigt. Nur im Nahfeld (innerhalb von 10 Schwarzschild-Radien) konnte sie noch nie getestet werden ! Und insofern sind auch alle Folgerungen auf Erscheinungen der ART innerhalb von 10 Schwarzschild-Radien bisher nur unbestätigte theoretische Modelle.

    Und genau in diesem Bereich sind noch Präzisierungen (Korrekturen) der Relativitätstheorie zu erwarten. Eine Möglichkeit zur Präzisierung ist auf der Seite :
    http://www.altenbrunn.de/wissen.htm
    beschrieben. Dort wird die Möglichkeit beschrieben, die Relativitätstheorie ohne Ereignishorizont und ohne Singularitäten zu betreiben. Diese Möglichkeit beruht auf der Berücksichtigung der Masse der potentiellen Energie. Bei Einstein wird diese Masse nicht berücksichtigt. Wenn man die Masse der potentiellen Energie berücksichtigt, verschwinden die Singulatitäten kann man Gravitationsfelder bis zur Punktmasse physikalisch ohne Singularitäten betrachten. Nur die Punktmasse im Nullpunkt selbst nicht. Aber Punktmassen gibt es ja nicht, und so gibt es auch keine Singularitäten mehr.
    In der Datei RELATIV.pdf ist die Relativitätstheorie ohne Singunlaritäten beschrieben.
    In der Datei MASEN.pdf sind Gesichtspunkte der Masse-Energie-Äquivalenz beschrieben.
    In der Datei FLUCHT.pdf ist die Fluchtgeschwindigkeit (auch reletivistisch) hergeleitet.
    In der Datei KOSROT.pdf ist die kosmologische Rotverschiebung hergeleitet.
    Diese Dateien kann man alle kostenfrei (für Privatanwender, also keine Verlage) herunterladen.

    Da die Relativitätstheorie innerhalb von 10 Schwarzschild-Radien noch nie getestet wurde, halte ich die Bemühungen der Wissenschaftler, die das Event-Horizon-Telescope (EHT) betreiben für sehr wichtig. Ich fürchte nur daß sie kein Schwarzes Loch finden werden, und bin jetzt schon gespannt auf die Begründung, warum man nichts findet. 40 bzw. 25 Mikrobogensekunden Auflösung reichen nicht aus, um die Materieansammlung oder das hypothetische Schwarze Loch im Zentrum von Sgr A* darzustellen. Nach meiner Meinung wird man eine relativ diffuse Verdunklung auf Grund extrem stark zunehmender Rotverschiebung finden, wenn man die Auflösung noch 2 Größenordnungen weiter steigert. Ich wünsche den Wissenschaftlern vom EHT viel Erfolg.

    Ist denn jemandem noch ein Test der Relativitätstheorie innerhalb von 10 Schwarzschild-Radien bekannt ?

      • Herr Senf schrieb (4. Januar 2016 20:39):
        > Mir [ist ein Test der Relativitätstheorie innerhalb von 10 Schwarzschild-Radien bekannt], oje287 – 3 SL-Radien.

        Sofern sich diese Behauptung auf das „Quasar QJ 287“ genannte (astronomische) Objekt anspielt, und auf diesbezügliche Messungen insbesondere von M. J. Valtonen und Kollegen (vgl. http://www.nature.com/articles/nature06896.epdf?referrer_access_token=-xMG7UTq7bqL8GzhKqFXfNRgN0jAjWel9jnR3ZoTv0PgfmQ88Bsg8AXvnStHvoHoVUig3A0smLcLxnHm0NkiEX94mEbpjwfK32jhTrO2YPy_ZGdAB1YAL5yUVmU8nTi7J0-KuKxCrhrEHOJOMj_-GUnbb7dZjtxCAmEwVTrRpnxQrnTfW8HvstbPLUZtrEwtuk5_7_AobymM8cUmipsXD4M9YtxKhvbVVyDKO4DgTE2FOgZ1Bi-vy6L1FO_sIb0k&tracking_referrer=www.spektrum.de
        und (natürlich) auch http://www.spektrum.de/news/quasar-qj287-bestaetigt-wieder-allgemeine-relativitaetstheorie/1390649 ):

        dabei handelt es sich offensichtlich um Tests des Modells, dass Valtonen et al. uns unter Einsatz (von Begriffen und Definitionen) der ART vom Objekt QJ 287 gemacht haben,
        nämlich (im Wesentlichen) als ein Binärsystem, dass durch (mit einiger Genauigkeit bestimmte) Parameter charakterisiert ist; z.B. die „Masse“-Werte des Primär- und auch des Sekundärbestandteils, und „Exzentrizität“ und „Präzessionsrate“ des Orbits sowie die „Entfernung“ des Sekundärobjekts vom Primärobjekt bei Passage der (primären) Akkretionsscheibe;

        es handelt sich deutlich nicht um Tests der Begriffe/Messgrößen „Masse“ oder „Exzentrizität“ oder „Präzessionsrate“ oder „Entfernung“ der ART; und erst recht nicht um Tests des Begriffes „Koinzidenz“, auf den die Definitionen der genannten Messgrößen und diesbezügliche Feststellungen von Messwerten wiederum hinauslaufen, sofern dafür die ART zugrundegelegt wird.

        Von einem angeblichen „Test der Relativitätstheorie“ kann also auch in diesem Fall keine Rede sein.

        • @ Frank Wappler

          Danke für die Klarstellung. Ich konnte mit “oje287” auch nichts anfangen. Ich halte auch nichts von solchen Kommentaren, in denen keinerlei Bezug, keinerlei Möglichkeit zur Einordnung gegeben wird (Senf). Dankeschön also auch für die angegebenen Links.