Buchtipp: Regenerative Energien, quantitativ

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… aber nicht einfacher
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Vor einiger Zeit hatte ich einfache Abschätzungen zu den Geschehnissen in Fukushima angestellt, um die Probleme mit den dortigen Atomreaktoren quantitativ zu verstehen. Heute möchte ich ein Buch des britischen Physikers David MacKay vorstellen, in dem solche Überschlagsrechnungen für eines der wichtigsten aktuellen Themen präsentiert werden: den Umstieg auf regenerative Energien. Das Buch ist sowohl in gedruckter Form als auch, kostenfrei, online verfügbar. Ich kann das Buch jedem Leser dieses Blogs wärmstens empfehlen. Also, worum geht es?

Quantitatives Denken

Wer wissenschaftliche oder wirtschaftliche Themen und die damit verbundenen politischen Fragen verstehen will, muss quantitativ denken. Wie groß sind die Geldflüsse, die Kosten, der Energiebedarf, sind bestimmte Auswirkungen des Klimawandels? Einfaches quantitatives Denken – Wissen um die relevanten Größen und Größenordnungen, die Fähigkeit zum Skalieren und zum Umrechnen etwa von Gesamtsummen auf pro-Kopf- oder andere pro-Einheit-Größen – ist nötig, um unsere Welt zu verstehen, und um mitdenkend am politischen Leben teilzunehmen. Die Fähigkeit, solche Betrachtungen anstellen zu können, sollte zur Allgemeinbildung gehören. Leider wird mit dieser Art des einfachen Abschätzens an der Universität und erst recht in der Schule eher stiefmütterlich umgegangen. alt

Quantitative Abschätzungen zeichnen sich dadurch aus, dass es nicht auf Genauigkeit ankommt. Es geht um Orientierungswerte, um Größenordnungen, nicht um genaue Zahlenwerte. Dass eine grobe Abschätzung nicht den exakten Wert liefert, sondern durchaus um einen Faktor 2, einen Faktor 4 oder noch weiter danebenliegen kann, versteht sich von selbst und ist weitgehend nebensächlich. Um herauszufinden ob, sagen wir, Deutschland durch Solarzellen auf seinen Häuserdächern zum elektrischen Selbstversorger werden kann benötige ich zunächst einmal eine grobe Abschätzung. Läge die so erreichbare Leistung um einen Faktor hundert unterhalb oder oberhalb des Energiebedarfs, dann hätte ich meine Antwort, ohne groß ins Detail gehen zu müssen. Ergäbe meine Abschätzung, dass erreichbare und benötigte Leistung die gleiche Größenordnung haben, dann wüsste ich, dass sich eine aufwändigere, genauere Rechnung lohnt.

Ein großer Vorteil solcher Überschlagsrechnungen: Die dafür nötige Mathematik ist sehr einfach. Die Werkzeuge, die man braucht, um die entsprechenden Rechnungen genauer durchzuführen, können sehr kompliziert sein – von Computersimulationen bis Differenzialgleichungen; bei den Überschlagsrechnungen kommt man üblicher Weise mit den Grundrechenarten aus.

Regenerative Energien, quantitativ

Über regenerative Energien kann man nicht diskutieren, ohne quantitativ zu werden. Es geht ja gerade um Fragen wie: Wieviel Energie verbrauchen wir eigentlich? Wieweit ließe sich dieser Verbrauch senken – durch technischen Fortschritt, durch systematische Förderprogramme, durch Änderung des persönlichen Lebensstils? Und wo wir von Änderungen des Lebensstils reden: Muss jeder von uns sich nur ein wenig umstellen, oder müssen wir komplett umdenken, wenn wir nachhaltig leben wollen? Wieweit müssten regenerative Energien ausgebaut werden, um den jetzigen Energiebedarf zu decken? Wie ist es mit zukünftigem Energiebedarf, wenn unsere chinesischen und indischen Kollegen auch so leben möchten wie Europäer oder Amerikaner? Können regenerative Energien überhaupt soweit ausgebaut werden? Was ist realistisch?

Antworten auf diese Fragen passiv konsumieren kann jeder. Fernseh- und Radiosendungen, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Verlautbarungen von staatlichen Stellen, aus der Industrie oder von Umweltschutzverbänden gibt es zuhauf. Allerdings haben wir es nunmal mit einem sehr politischen Thema zu tun, und die Aussagen darüber, was möglich, machbar, wünschenswert, realistisch, finanzierbar ist gehen weit auseinander. Wer da nicht nach Bauchgefühl, politischer Überzeugung oder aufbauend auf das Vertrauensverhältnis zu seinem Lieblingsmedium entscheiden will, kommt nicht umhin, sich selbst schlau zu machen. Wer das tun will und bereit ist, dafür zumindest schulische Grundkenntnisse in Mathematik zu reaktivieren, der findet in David MacKays Buch Sustainable Energy – without the hot air den idealen Begleiter.

Hilfestellung zum Abschätzen

altIm ersten Teil des Buches geht es um die grundlegende Abschätzung: Wieviel Energie verbraucht ein einigermaßen typischer Einwohner von Großbritannien? Und wieviel Energie pro Kopf ließe sich in Großbritannien durch regenerative Energien erzeugen?

Die Rechnungen, die MacKay für diese Bilanz anstellt sind einfach, und sie lassen sich ohne Schwierigkeiten auf andere Länder übertragen. Das Buch richtet sich ausdrücklich auch an Leser, die sich nicht mehr daran erinnern, was sie im Physikunterricht über Begriffe wie Energie oder Leistung gelernt haben; solche Begriffe werden dort, wo sie benötigt werden, kurz eingeführt. 

Teil I ist ganz der erwähnten Bilanz gewidmet: In kurzen Kapiteln werden, bunt gemischt, die verschiedenen Beiträge zum Energiebedarf einerseits und zur möglichen regenerativen Energiewirtschaft andererseits behandelt: Autos etwa, Windenergie auf dem Lande und off-shore, der Energieverbrauch zur Produktion von Waren, die wir kaufen. Auf diese Weise wächst nach und nach die große Bilanz, die ich hier rechts abgebildet habe (aus Kapitel 18, hier).

Mag sein, dass das Ergebnis für die, die sich näher mit der Energieproblematik befasst haben als ich, ein alter Hut ist; mich hat dabei z.B. überrascht, dass Warenproduktion einen so großen Teil unseres Energiekonsums ausmacht, während Licht nur einen verhältnismäßig kleinen Anteil beiträgt. Und Flugreisen? Was hier in MacKays Bilanz eingeht, ist eine einzige Flugreise der Größenordnung “London nach Südafrika und zurück”. Und doch hat diese eine Flugreise einen ganz beträchtlichen Anteil am Gesamtverbrauch.

Auf der Plus-Seite zeigt der Überschlag, dass es mit Photovoltaik auf allen Hausdächern eben nicht getan ist.  Und dass bei Windenergie schon die Offshore-Windparks dazukommen müssen, wenn sich ein im Vergleich zum aktuellen Durschnittsverbrauch signifikanter Beitrag ergeben soll.

Was man tun kann

Die hier wiedergegebene Bilanz zeigt, dass der Umstieg auf regenerative Energien nicht leicht werden dürfte. Zumindest regenerative Energien im eigenen Lande reichen, trotz absichtlich optimistischer Annahmen über möglichen Nutzungsumfang und Effizienz, nicht ganz aus, um den heutigen Bedarf zu decken. Aber das ist, wie gesagt, der heutige Bedarf. Die nächsten Schritte findet der Leser in Teil II des Buches. Hier liefert MacKay beispielsweise einfache Rechnungen dazu, wieviel man etwa von gesteigerter Energieeffizienz im Verkehr erwarten kann – für mich besonders interessant die physikalischen Hintergründe dafür, dass bei Autos in punkto Effizienz noch recht viel, bei Flugzeugen dagegen recht wenig zu holen ist – aber auch um die Frage der Zwischenspeicherung. Außerdem werden hier die im vorangehenden Teil ausgeklammerten Energieformen (nämlich “grüne” Kohlekraftwerke und Kernkraft) behandelt, und die Betrachtungen, die sich ja bis dahin nur auf regenerative Energien im eigenen Land beschränkt hatten, werden auf den Import aus anderen Ländern (z.B. Sonnenenergie aus sonnigeren Regionen) ausgeweitet.

Das Beispiel Kernkraft zeigt eine weitere Stärke von MacKays Ansatz. Hier kann ich mich seinen Betrachtungen zur Sicherheit und zum Endlagerproblem nicht anschließen; der Umstand, dass er seine Argumente direkt darlegt, zeigt mir dann aber auch gleich, warum unsere Einschätzungen auseinandergehen. Auf solch einer Ebene lässt sich sachlich diskutieren.

Kapitel 27 präsentiert fünf mögliche Energiepläne für Großbritannien. Dass MacKay hier fünf Alternativen anbietet – mit unterschiedlichen Kernkraftanteilen, unterschiedlichen Anteilen von importierter Energie usw.  –, hat Methode. Ziel seines Buches ist gerade nicht, eine bestimmte Lösung zu erarbeiten, sondern die nötigen Fakten und Rechnungen zusammenzustellen, mit denen sich für beliebige Energiepläne einfach abschätzen lässt, ob sie im Prinzip funktionieren. In Kapitel 30 werden vergleichbare Überlegungen für Europa, Amerika und die Welt als Ganzes angestellt.

In diesem Teil des Buches spielen dann auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle, die in Teil I außen vor geblieben waren. Hier gefällt mir insbesondere Kapitel 28, das die Kosten der möglichen Umstellung diskutiert und, wie es sich für ein Buch über Größenordnungen gehört, in den Kontext der Dinge einordnet, die sonst noch in der Größenordnung von einigen Millionen Pfund kosten. 

In Kapitel 29 geht es konkret darum, was man sonst noch tun kann – zum einen, was die Gesellschaft als Ganzes tun kann (hier geht es u.a. um Probleme mit Ansätzen, das Umweltbewusstsein über Steuern zu beeinflussen), zum anderen darum, wie jeder einzelne seinen Energieverbrauch am effektivsten einschränken kann. 

Sonstiges

In Teil III geht es dann noch physikalisch zur Sache. Hier wird all das erklärt, was physikalisch interessierte Leser noch an Hintergrundinformationen brauchen können, was den Durchschnittsleser aber wahrscheinlich abgeschreckt hätte: Wie der Energieverbrauch von Landfahrzeugen oder Flugzeugen zustandekommt. Wie sich die Effektivität von Windmaschinen ergibt. Welche Wechselwirkungen und Wärmeflüsse dazu führen, dass Gebäude mehr oder weniger beheizt werden müssen. Gerade Physiklehrer dürften hier viele interessante Beispiele dafür finden, wie sich Stoff aus ihrem Unterricht direkt mit der aktuellen Diskussion zur Energiewende verknüpfen lässt.

Was bleibt sonst noch zu dem Buch zu sagen? Es ist klar strukturiert, bis hin zu einer Farbkodierung der Kapitel (rot für Energieverbrauch, grün für Energieproduktion). Es enthält viele hilfreiche Diagramme, und ist mit angenehm trockenem Humor geschrieben. Die Quellen für die verwendeten Zahlenwerte sind klar angegeben (und von meinem Fukushima-Artikel weiss ich, dass die Suche nach geeigneten Quellen eine der zeitaufwändigsten Arbeiten beim Verfassen eines solchen Texts ist). Zu jeder Online-Quelle gehört eine verkürzte URL (tinyurl). Bestimmte besonders nützliche Daten sind in einem Extrakapitel (Teil IV) zusammengestellt. Ein kleiner Wermutstropfen bei der HTML-Version ist, dass all diese URLs nicht vom Text aus verlinkt sind. 

Als Ergänzung zum Buch gibt es ein Wiki, und auch Freiwillige für online verfügbare Übersetzungen (auch ins Deutsche) haben sich gefunden.

Der Autor

David MacKay ist Physikprofessor an der Universität Cambridge. Dort leitet er die Inference Group, die sich, die Tätigkeitsbereiche von Physikern sind nun einmal sehr vielfältig, vor allem mit Maschinenlernen, mit Fehlerkorrektur bei Datenspeicherung und -übertragung und mit speziellen Schnittstellen für die Interaktion von Menschen und Computern beschäftigt. Neben seiner eigentlichen Arbeit hat MacKay dann genau das getan, was man als gesellschaftlich engagierter Wissenschaftler tun sollte: geschaut, wo er mit seinem Wissen dazu beitragen kann, die großen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, lösen bzw., als ersten Schritt, verstehen zu helfen. Seit Oktober ist er, und das hat sich offenbar direkt aus der Veröffentlichung des Buches ergeben, wissenschaftlicher Berater des britischen Ministeriums für Energie und Klimawandel.

Mir ist der Name zum ersten Mal über den Weg gelaufen, als ich mich nach Lesestoff zum Thema “Überschlagsrechnungen in der Physik” umgesehen hatte und dabei auf den Text Order of Magnitude Physics von MacKays (inzwischen: ehemaligem) Mitarbeiter Sanjoy Mahajan gestoßen war. Von dort aus fand ich mich recht bald auf MacKays Webportal zu seinen Überschlagsrechnungen zu regenerativen Energien wieder, und das Webportal mit der Online-Version des Buches landete auf meiner Liste “Unbedingt ansehen, aber nicht gerade jetzt”. Vor ein paar Tagen habe ich nun die gedruckte Version des Buches geschenkt bekommen und sofort verschlungen.

Viel zu wenig Resonanz!

In den herkömmlichen Medien scheint das Buch nicht allzuviel Beachtung gefunden zu haben. Der Economist hat es als Teil einer Sammelbesprechung sehr positiv besprochen (was mein positives Vorurteil gegenüber dem Economist bestätigt), im Guardian gab es eine Besprechung, aber das scheint es, den Buch-Webseiten nach, dann auch schon gewesen zu sein. Schnelles Googeln nach dem Motto [site:zeit.de “without the hot air”] ergab keine Rezensionen bei den größeren deutschen Zeitschriften und Zeitungen. Hier auf den Wissenlogs ist das Buch einmal in einem Gastbeitrag kurz empfohlen worden, allerdings in nicht sehr aussagekräftiger Weise.

Das ist jammerschade. Denn wenn jetzt in Deutschland wieder ernsthaft über die Energiewende berichtet und diskutiert wird, dann brauchen wir genau die quantitativen Informationen, die MacKays Buch bietet. Und wer sachlich und fundiert mitdiskutieren will, sollte genau die einfachen Rechnungen anstellen können, die MacKay vorführt. 

Also Leute, empfehlt das Buch weiter! Schreibt Rezensionen, und wenn ihr Bekannte habt, die ein größeres Publikum erreichen können: macht sie auf das Buch aufmerksam! Wer mitrechnen möchte: Auf dem Wiki zum Buch ist “Germany” auf der Seite Countries, wo die Rechnungen, die MacKay für Großbritannien durchführt, länderspezifisch angepasst werden können, noch ein undefinierter Artikel!

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

10 Kommentare

  1. Vorgerechnet: Weltweite Uranreserven

    Ein sehr interessantes Buch. Dankenswerterweise werden auf Seite 161 ff.die verfügbaren Uranreserven vorgerechnet, und zwar unter verschiedenen Annahmen, mit und ohne Nutzung des im Meerwasser gelösten Urans und mit und ohne Brutreaktortechnik.

    Dabei gibt der Autor unumwunden zu, dass die Nutzung der Reserven im Meerwasser schwierig ist, obwohl diese die in Landlagerstätten um das Tausendfache übertreffen, und dass Brutreaktoren sicherheitstechnisch problematisch sind.

    Aber man sieht, dass selbst ohne diese zusätzlichen Annahmen die auch in den scilogs nassforsch vorgebrachte Behauptung, die Welt stünde kurz vor dem Ende der Uranreserven, offenbar nicht zutrifft. Schön, dass es ein Kompendium gibt, wo man solche Zusammenhänge mal vorgerechnet bekommt.

  2. Danke Markus, dieses Buch werde ich mir bei Gelegenheit auch zu Gemüte ziehen.

    Der indirekte Energieverbrauch durch Konsum ist ein spannendes Thema (und ein Argument, diesen doch mal einzuschränken).

    Genau zu diesem Thema war ich letztes Jahr in einem sehr guten Vortrag von Prof. Josef Jochum, der sich an der Uni Tübingen mit Dunkler Materie beschäftigt (schon wieder so ein Physiker, der sich gerne zu vielen Dingen Gedanken macht).

    Standardisiert man eben mal unsere Energiequellen und den -verbrauch auf eine vergleichbare Einheit, lassen sich so einige Schlüsse ziehen. Etwa der Konsum von Mineralwasser, das eine ziemlich schlechte Energiebilanz hat. Würden wir alle nur noch Leitungswasser trinken, ließe sich genauso viel Energie einsparen wie durch die Ersetzung aller Glühbirnen durch Energiesparlampen.

    Die Folien gibt es noch online:
    http://www.pit.physik.uni-tuebingen.de/…_OO.html

    (Und ich sehe: McKays Buch gehört zu Jochums Quellen. Zumindest bei Physikern scheint es also angekommen zu sein.)

  3. @Karl Urban

    Würden wir alle nur noch Leitungswasser trinken, ließe sich genauso viel Energie einsparen wie durch die Ersetzung aller Glühbirnen durch Energiesparlampen.

    … also sehr wenig, wir wir aus dem Diagram im Artikel ersehen – bei deutlichem Komfortverlust. Mir schmeckt Mineralwasser einfach besser, angesichts der aufgetretenen Fälle von Bakterienverunreinigung im leistungswasser ist es wahrscheinlich auch gesünder. Wenn die leute vorsichtshalber Leitungswassererst abkochen oder wenn man die Folgen des Konsums verunreinigen Leitungswassers einberechnet, dann ist wahrscheinlich sehr schnell selbst auch noch dieser kleine potenzielle Gewinn mehr als aufgezehrt.

    Der Vorteil solcher Datensammlungen wie im Artikel beschrieben liegt darin, dass man schnell sehe kann, wo sich Einsparmaßnahmen lohnen und wo nicht.

    Übrigens werden in dem gezeigten Diagramm 200 Quadratmeter photovoltaische Kollektorfläche pro Person angenommen. Multipliziert mit der deutschen Bevökerung ergibt das 200 qm/Person x 82 Millionen Personen = 16400 Quadratkilometer. Das wären 128 x 128 km – 5% der Fläche der Bundesrepublik, und das würde nicht mal ein Viertel des Verbrauchs decken.

    Vielleicht ist deswegen das Buch nicht so sehr bekannt – es würde so mancher Vision schnell die Luft ‘rauslassen.

  4. Viel zu wenig Resonanz!

    Finde ich auch. Seid ich ‘Without the hot Air’ gelesen habe, empfehle ich es bei jeder Gelegenheit. Es untermauert mit Zahlen und genialen Vereinfachungen, was man eigentlich schon ahnen konnte: Ein Lebensstil, der sich innerhalb weniger Generationen komplett darauf eingestellt hat, dass Energie scheinbar fast nichts kostet, kann mit klimaneutralen und nachhaltigen Energien nicht so einfach aufrecht erhalten werden.

    So mancher wird seine lieb gewonnenen Vorurteile und ein damit verwobenes Weltbild nicht mit Fakten und Zahlen gefährden wollen.

    ‘Without the hot Air’ sollte zur Pflichtlektüre im Schulunterricht werden. Schön wärs.

  5. @Michael Khan

    Zum Energieverbrauch durch Mineralwasserkonsum:
    0,5 kWh/Tag*365*80.000.000 = ~14 TWh/Jahr

    Dafür könnten wir etwa das produktivste deutsche Kernkraftwerk Isar-2 direkt abschalten:
    http://www.verivox.de/…stromproduktion-8634.aspx

    Das Mineralwasser sollte übrigens ein Beispiel sein: Ich trinke lieber Mineralwasser, weil es mir besser schmeckt. Ich esse gern Erdbeeren zu Weihnachten, weil ich eben Lust darauf habe. Ich fahre lieber mit dem Auto zu Arbeit, weil ich mir im Zug nur die Grippe einfange. Ich fliege lieber nach Bali in den Urlaub, weil mir Südfrankreich zu spießig ist.

  6. @Michael Kahn; PV-Effizienz

    MacKay rechnet für seine PV-Farm wahrscheinlich mit Solarzellen niedrigen Wirkungsgrades (10%) und zudem mit der durchschnittlichen britischen Sonnenscheindauer.

    Nimmt man die Angaben aus Photovoltaik kommt man zu etwas anderen, flächengünstigeren Ergebnissen. Ich berechne wie gross die PV-Fläche pro Person und für ganz Deutschland sein müsste um den heutigen Energiebedarf der Deutschen mit PV allein abzudecken:
    1m^2 PV-Fläche => 100 kWh
    Pro-Kopf-und-Jahr Energieverbrauch D:45’000 kWh

    Pro-Kopf-PV-Fläche: 450 m^2
    PV-Fläche Deutschland: 36’000 km^2

    Das heisst, mit einem flächenminimierten PV-System bräuchte es 360km^2, also 10% der Staatsfläche Deutschlands um den gesamten heutigen Energiebedarf Deutschlands (wirklich alles) abzudecken

    MacKey begründet übrigens an einer Stelle im Buch die tiefe Flächeneffizienz seiner angenommenen PV-Farmen mit dem niedrigeren Preis.

    Für mich sind die Szenarien MacKeys für erneuerbare Energien besonders beeindruckend, wo er grosse Windanteile annimmt oder grosse PV-Anteile. Teilweise sind die Küsten in diesen Szenarion lückenlos mit Windturbinen gesäumt. Oder es sind eben mehrere Prozent der Staatsfläche von PV-Riegeln überdeckt.

    Fazit: Nicht nur ist Energiesystem, das auf Wind+Sonne basiert teuer und komplex (wegen Speichern,Netz,SmartGrid), es bedeutet auch einen gewaltigen Eingriff in die Landschaft und die Industrialisierung ganzer Landstriche.
    George Monbiot vom Guardian ist einer der wenigen Grünen, die den Verlust der Landschaft beklagen: Those of us who support renewables find ourselves in a difficult position: demanding the industrialisation of the countryside, supporting new power stations, new power lines and (for the electricity storage required) new reservoirs. Even offshore power, whose landscape impacts are much smaller, means more grid connections and more storage.

    Antwort von MP: MacKay rechnet mit 20% Effizienz, siehe hier. Dementsprechend kommt er ja sogar auf 0,5 kWh pro Tag pro Quadratmeter, also auf 180 kWh pro Quadratmeter PV-Fläche pro Jahr, mehr als bei Ihnen.

    Allerdings ergibt MacKays Abschätzung des pro-Kopf-und-Jahr-Energieverbrauchs einen deutlich höheren Wert als den von Ihnen angegebenen, nämlich 195 kWh pro Tag pro Kopf (hier), mehr als 70.000 kWh pro Kopf pro Jahr. Sind bei Ihrem Wert alle Beiträge mit drin, die auch MacKay mitzählt? Herstellung von Produkten, Flugreisen etc.?

  7. @Karl Urban

    Zum Energieverbrauch durch Mineralwasserkonsum: […]
    Dafür könnten wir etwa das produktivste deutsche Kernkraftwerk Isar-2 direkt abschalten:

    Nette Milchmädchenrechnung. Diese Aussage stimmt nämlich nur, wenn es das Leitungswasser, dass wir stattdessen trinken müssten, ohne Energieaufwand gibt. Das ist allerdings nicht der Fall, schon gar nicht, wenn noch weitere Nachbehandlung notwendig ist wie Abkochen. Dann kostet der Konsum von Leitungswasser sogar mehr Energie, und man hat ganz genau gar nichts gespart, sondern im Gegenteil.

    Das Mineralwasser sollte übrigens ein Beispiel sein:

    Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie man zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, je nachdem, was man für Annahmen macht.

    Der Rest Ihrer Anmerkungen klingt – ich muss es leider so sagen – etwas moralinsauer.

    Wenn man wirklich etwas verändern will, dann sollte man nicht dort anfangen, wo es erstens nichts bringt und zweitens mit Widerstand zu rechnen ist. Es gibt sicher bessere Ansatzpunkte.

  8. PV-Flächen und Pro-Kopf Energieverbrauch

    Zitat:Allerdings ergibt MacKays Abschätzung des pro-Kopf-und-Jahr-Energieverbrauchs einen deutlich höheren Wert als den von Ihnen angegebenen, nämlich 195 kWh pro Tag pro Kopf (hier), mehr als 70.000 kWh pro Kopf pro Jahr.

    Meine Berechnung geht dagegen von 45’000 kWh pro Kopf und Jahr aus, eine Zahl die ich auf einer Website mit dem Titel Durchschnittlicher Energieverbrauch pro Kopf in Deutschland und weltweit gefunden habe. 45’000 kWh pro Kopf und Jahr entsprechen übrigens in etwa einem Durchschnittsverbrauch von 5000 Watt pro Person; sie stehen also für eine 5000 Watt-Gesellschaft, was Deutschland nach dem Wikipedia-Artikel Primärenergieverbrauch ungefähr ist.

    Grossbritannien ist nach McKay eine 8000 Watt-Gesellschaft

    Wenn McKay mit 71’000 kWh pro Kopf und Jahr rechnet, so geht er von einem Durschnittsverbrauch von 8000 Watt aus, was deutlich mehr ist also Grossbritannien laut Artikel Primärenergieverbrauch verbraucht. McKey scheint also die sogenannt Graue Energie, die Energie, die in den konsumierten Waren steckt, mitgerechnet zu haben.

    Erneuerbare als Energiequelle in dichtbevölkerten Ländern (D,CH,GB)

    MacKeys Buch führt vor Augen, warum die meisten Energiepläne, die auf einen hohen Erneuerbaren-Anteil setzen(meist in Form von Wind+Sonne), auch massiv Energie einsparen wollen. Ohne massive Reduktion des Energiekonsums bedeuten vorwiegend einheimisch erzeugte Wind- und Sonnenkraft viele Stromerzeugungsanlagen (Panels,Windturbinen), die zudem grosse Flächen überdecken. Dies wiederum erhöht die Kosten direkt – Kosten für Solarpanel und Windturbinen – als auch indirekt – mehr intermittent erzeugte Energie benötigt auch mehr Speicher, mehr Backup und mehr Übertragungsleitungen.
    Mehr Windturbinen und Solarpanels verändern zudem nicht nur die Städte und Siedlungen (mehr Solarpanels auf dem Dach), sondern auch die Landschaft, die einen industriellen Charakter erhält.

    Fazit Wind+Sonne in dichtbevölkerten Ländern:
    A) Dichtbevölkerte Länder wie D, GB, CH, die nur auf Wind+Sonne im Inland setzen opfern damit mehr als 10% ihrer Fläche Energieerzeugungsanlagen
    B) Dichtbevölkerte Länder wie D, GB, CH, die A) realisieren, aber zu 2000 Watt-Gesellschaften werden kommen mit einem Drittel der Landfläche aus verglichen mit A)
    C) Dichtbevölkerte Länder, die nur auf Wind+Sonne setzen sollten den Import von EE-Energie in Erwägung ziehen (Desertec)

    Antwort von MP: Genau, Energie zur Produktion von Waren wird mitgezählt. Steht ja auch so im obigen Blogbeitrag; bei MacKay ist das entsprechende Kapitel hier. Lesen Sie das Buch von MacKay doch ruhig einmal; ich finde es sehr empfehlenswert.

  9. ich konnte durch google von diesem artikel erfahren und werde für meine schularbeit über “neue energien” von hier zitieren! sehr guter artikel danke!

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