Astronomische Trugbilder: Das hier ist nicht Proxima Centauri!

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… aber nicht einfacher
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Kein Bild von Proxima Centauri.
Ceci n’est pas Proxima Centauri. Trotz Hubble-Weltraumteleskop. Bild: NASA and ESA

Fotos, die einzelne Sterne zeigen, sind fast immer astronomische Trugbilder. In diesem Sinne hier noch ein Nachtrag zur Berichterstattung über den Planeten, der Proxima Centauri umkreist, den der Sonne nächsten Stern.

Man kann zu den astronomischen Hochglanzbildern ja einiges kritisch anmerken, nicht zuletzt zu den häufig verwendeten Falschfarben und den massiv komprimierten Helligkeitswerten, die Galaxien oder Nebel so ganz anders aussehen lassen, als sie einem Astronauten oder einer Astronautin erscheinen würden, schwebten jene vor Ort über den betreffenden Gebilden. Aber bei den meisten astronomischen Bildern entspricht zumindest die Struktur dessen, was man da sieht, Eigenschaften des astronomischen Objekts.

Nicht so bei Sternen. Bis auf Ausnahmen, die man an einer Hand abzählen kann, sind Sterne für die Teleskope der Astronomen nicht von punktförmigen Lichtquellen zu unterscheiden. Sieht man im Teleskop mit bloßem Auge ein Sternscheibchen, oder in Kamerabildern ein Scheibchen mit vier markanten Zacken, dann sieht man Eigenschaften der Atmosphäre und des verwendeten Teleskops, aber nicht des Sterns. Astronomische Trugbilder, zumindest wenn das Ergebnis als Abbildung des astronomischen Zielobjekts präsentiert wird.

Teleskopeigenschaften im Bild

Genauer: Auf Aufnahmen von bodengebundenen Teleskopen ohne sogenannte Adaptive Optik wird die Größe des Sternscheibchens durch die Turbulenz in der Atmosphäre bestimmt. Der Stern springt im Laufe von Millisekunden wild hin und her; die Kamera zeichnet so etwas wie die Summe der Sternpositionen während der Belichtungszeit auf.

Bei Aufnahmen von Weltraumteleskopen und bei bodengebundenen Teleskopen mit Adaptiver Optik, also mit der Möglichkeit, die atmosphärischen Verzerrungen durch einen in Echtzeit verformbaren Spiegel auszugleichen, bestimmen dagegen Beugungseffekte das Bild. Die Welleneigenschaften des Lichts sorgen dafür, dass kein Teleskop Details unterhalb einer bestimmten Minimalgröße treu abbilden kann. Je größer die Öffnung des Teleskops – bei Spiegelteleskopen wie den heutigen Großteleskopen: je größer der Hauptspiegel – umso kleiner die Details, die noch abgebildet werden können.

Die scheinbaren Größen selbst der sonnennächsten Sterne liegen deutlich unter diesem “Beugungslimit”. Wer sein Teleskop auf einen solchen Stern richtet, erhält ein Scheibchen, dessen Größe und Helligkeitsverlauf nur vom Teleskopdurchmesser abhängen; bei perfekter Abbildung: ein Scheibchen mit konzentrischen, schwachen Ringen drumherum. Besitzt das Teleskop einen Sekundärspiegel, der typischerweise an vier Streben in einiger Entfernung vor dem Hauptspiegel angebracht ist, bekommt das Beugungsbild des Sterns zusätzlich noch vier Zacken. (Kleine Komplikation: es ist nicht so, dass jeder Strebe eine Zacke entspräche; tatsächlich trägt jede Strebe zu einer Strebe plus zu der gegenüberliegenden Zacke bei.)

Soweit, so unvermeidbar und legitim. Astronomische Trugbilder werden aus diesen Strukturen erst, wenn so getan wird, als handle es sich um Bilder astronomischer Objekte.

Historische astronomische Trugbilder

In den 250 Jahren zwischen den ersten astronomischen Beobachtungen und der Mitte des 19. Jahrhunderts wussten eine Reihe von Astronomen es schlicht nicht besser (die folgenden Informationen aus dem Artikel Graney & Grayson 2010): Für sie war die Größe des Sternscheibchens im Teleskop ein Maß für die Größe des Sterns. Im 17. Jahrhundert machten sowohl Simon Marius als auch Galilei bei ihren Aufzeichnungen Größenangaben zu den Sternscheibchen – naheliegend, lassen sich doch auch die Planeten selbst in kleinen Teleskopen als begrenzte Scheibchen beobachten.

Andere Astronomen bekamen mit, dass die Scheibchen nicht die physischen Sternkörer darstellen konnten: Christiaan Huygens etwa, bekannt insbesondere als Vertreter einer frühen Wellentheorie des Lichts, fiel auf, dass die Scheibchen nicht dunkler, sondern kleiner wurden, wenn man das beobachtete Sternenlicht mit einem (rußgeschwärzten) Filter abschwächte. Edmund Halley bemerkte, dass Sterne, vor denen der Mond vorbeizieht, abrupt verschwinden, nicht allmählich wie man es erwarten würde, wenn sich der Mond vor ein größeres Scheibchen schieben würde.

Anfang es 19. Jahrhunderts entwickelte der britische Mathematiker und Astronom George Airy dann das wellenoptische Modell, das erklärt, welches Bild sich ergibt, wenn man eine Punktquelle mithilfe eines Teleskops beobachtet. Ein paar Jahre dauerte es noch, bis Airys Erklärung sich in der Gemeinschaft der Astronomen durchgesetzt hatte, aber seither wissen wir, woher die Beugungsscheibchen stammen, die man erhält, wenn man sein Teleskop auf einen Stern richtet.

Aktuelle astronomische Trugbilder: Das hier ist nicht Proxima Centauri. Und das hier nicht Alpha Centauri A/B

Die Entdeckung eines Planeten um den sonnennächsten Stern Proxima Centauri hat zurecht ein beachtliches Medienecho erfahren. (Über einige Wissenschaftskommunikations-Aspekte hatte ich jüngst hier gebloggt, meine Kollegin Carolin Liefke hier, über die Grundlagen und die Frage, wie lange eine Reise dorthin dauern würde, SciLogs-Kollege Stefan Oldenburg hier.)

Eines der Bilder, das die Kollegen der Europäischen Südsternwarte ihrer Pressemitteilung beigefügt hatten, ist ein Komposit, das zeigt, wo Proxima am Himmel zu finden ist:

Bild das zeigt, wo Proxima Centauri am Himmel zu finden ist
Bild: Y. Beletsky (LCO)/ESO/ESA/NASA/M. Zamani

Da unten sind sie, die Nicht-Stern-Bilder: Links eines vom Alpha-Centauri-System, rechts eines von Proxima Centauri, aufgenommen mit dem Weltraumteleskop Hubble. Das Proxima-Bild hatte am 1. November 2013 sogar seine eigene Pressemitteilung.

Aber ein Stern wie Alpha Centauri A/B oder Proxima Centauri ist von der Erde aus gesehen eine punktförmige Lichtquelle. Die einzig Eigenschaft solch einer Lichtquelle, die man von der Erde aus messen kann, ist ihr Spektrum: die Verteilung des Lichts der Quelle auf die verschiedenen “Elementarfarben” (vgl. Astronomisches Grundwissen II). Mit einer herkömmlichen astronomischen Kamera nimmt man nur einen Ausschnitt aus diesem Spektrum auf, nämlich wie hell das Objekt erscheint, wenn man es durch ein bestimmtes astronomisches Filter betrachtet.

Die üblichen astronomischen Kameras sind dabei nicht kalibriert, sprich: Allein daraus, wie hell ein gegebenes Objekt in einem Bild ist, kann man noch gar nichts erschließen. Nur die relative Helligkeit des Zielobjekts im Vergleich mit einem weiteren, im selben Bild sichtbaren Objekt lässt sich daraus erschließen, wie hell jedes der beiden Objekte in dem betreffenden Bild erscheint.

Hier als Beispiel das Hubble-Bild von Alpha Centauri A und B, das rechtzeitig zur Proxima Centauri b-Entdeckung Bild der Woche auf der Hubblesite wurde:

Alpha Centauri A und B: astronomische Trugbilder im Doppelpack
Alpha Centauri A und B. Bild: ESA/Hubble & NASA

Die zwei Rohaufnahmen durch Filter B und R (normalerweise sind es drei Filter, ungefähr entsprechend den drei Grundfarben rot, blau, grün), die dem Bild zugrundeliegen, enthalten mithin zumindest einen kleinen Ausschnitt an Informationen über den Stern, der sich in Form von zwei Zahlenwerten ausdrücken lässt, welche erst einmal nur so etwas wie die relativen Helligkeiten von Proxima Centauri im Vergleich mit etwaigen anderen Sternen im gleichen Bild beschreiben. In diesem Falle also die Helligkeit der Doppelsterne A und B relativ yueinander.

Aber wenn die Teilbilder zu einem einzigen Farbbild kombiniert und den Farben rot, grün, blau zugeordnet werden, dann vielleicht noch ein Weißabgleich mit einem geeigneten Stern gemacht wird und die Kontraste unseren Sehgewohnheiten gemäß optimiert (“nichtlinear komprimiert”) werden, dann ist von der ursprünglichen spärlichen Information über Alpha Centauri A und B so gut wie nichts mehr übrig. Allenfalls den Winkelabstand der beiden im Bild sichtbaren Sterne voneinander könnte man aus dem Bild noch mit einiger Genauigkeit ablesen (hätte man denn eine Maßstabsangabe), aber keine ihrer intrinsischen Eigenschaften.

Die Scheibchen und ihr Helligkeitsverlauf, die Zacken, die farbigen Streifen: das sind alles Eigenschaften des Teleskops, mit dem die Aufnahme gemacht wurde (in diesem Falle des Weltraumteleskops Hubble), der Kamera und der Bildbearbeitung. Das hier ist nicht Alpha Centauri. Man kann noch nicht einmal behaupten, es sei ein Bild des Systems Alpha Centauri, ohne die Bedeutung des Ausdruckes “ein Bild von” bis zur Unkenntlichkeit zu verzerren. Das gleiche gilt für das eingangs gezeigte Proxima Centauri-Bild. Alles astronomische Trugbilder.

Was ist es nun wirklich?

Die korrekte Bezeichnung für das, was da jeweils beobachtet wurde, ist “Point-Spread-Function (PSF) des Weltraumteleskops Hubble”. In der als Bild veröffentlichten, nachbearbeiteten und in den Farbraum üblicher Print- oder Bildschirmdarstellungen transformierten Version ist die PSF weitgehend nutzlos, aber im Original ist sie für die Astronomen hochinteressant. Weiß man, wie das Teleskop eine Punktquelle darstellt, dann kann man versuchen, Verbreiterung, Halo und Zacken nachträglich herauszurechnen, um insgesamt detailschärfere Bilder zu erhalten (“Dekonvolution”).

Das Space Telescope Science Institute stellt dafür direkt Werkzeuge bereit, insbesondere den PSF-Simulator “Tiny Tim”, entwickelt von den Astronomen John Krist, Richard Hook und Felix Stoehr. Hier ein schönes Beispiel für den Unterschied, den diese Nachbearbeitung machen kann:

Astronomische Trugbilder können auch nützlich sein: Überrest der Supernova 1987a, aufgenommen mit dem Weltraumteleskop Hubble. Links das Rohbild, rechts das verarbeitete Bild, bei dem die PSF soweit wie möglich herausgerechnet ist.
Überrest der Supernova 1987a, aufgenommen mit dem Weltraumteleskop Hubble. Links das Rohbild, rechts das verarbeitete Bild, bei dem die PSF soweit wie möglich herausgerechnet ist. Abbildung 7 aus Krist, Hook und Stoehr 2011

Auf dem linken Bild ist das Licht von jedem Teil des Gebildes so verzerrt wie eine Punktquelle; dadurch verwischt das Bild. Auf dem rechten Bild ist diese Glättung weitgehend herausgerechnet. Ein deutlich schärferes Bild entsteht.

Es kommt halt auch bei der PSF darauf an, was man daraus macht: schärfere Bilder, oder aber astronomische Trugbilder.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

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