Noch keine WIMPs gefunden

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Letzten Freitag erschien in Physical Review Letters, einem etablierten Wissenschaftsjournal ein Bericht der ATLAS-Detektor-Kollaboration Search for Dark Matter in Events with a Hadronically Decaying W or Z Boson and Missing Transverse Momentum in pp Collisions [..]. Der Anfang der Überschrift “Search for…” (Suche nach…) zeigte mir auf dem ersten Blick, dass die nichts gefunden haben. Aber weil auch negative Resultate Resultate sind und weil das so ein schöner Anlass ist, möchte ich hier kurz erklären, was es mit dieser Suche nach Dunkler Materie eigentlich auf sich hat.

Dass es Dunkle Materie gibt, ist durch astronomische Beobachtungen gut belegt. Aus der Rotationsgeschwindigkeit von Galaxien lässt sich ihre Masseverteilung abschätzen. Je massiver die Galaxie ist, desto schneller rotiert sie. Täte sie das nicht, so würde sie unter der Gravitationskraft zusammenbrechen. Eine weitere Abschätzung für den Massengehalt einer Galaxie ergibt sich aus ihrer Leuchtstärke. Gewöhnliche Materie besteht zum Großteil aus Wasserstoff, zu einem geringen Teil aus Helium und zu einem eher überschaubaren Teil aus schwereren Elementen. Sie leuchtet aus verschiedenen Gründen, zu denen Astronomen sicher viel mehr sagen können als ich.

Der Vergleich der Abschätzungen von leuchtender Materie und gesamter Masse in den Galaxien ergibt nun eine große Diskrepanz. Weniger als ein Fünftel der Materie ist sichtbar. Der Rest ist Dunkle Materie. Aus der Beobachtung der Galaxien lässt sich schließen, dass Dunkle Materie überall ist, also auch hier, und dass sie schwer ist, also an Gravitation teilnimmt. Mehr Eigenschaften der Dunklen Materie gibt die Beobachtung nicht her.

Heiße Kandidaten dafür, woraus Dunkle Materie besteht, sind WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles), also schwach wechselwirkende schwere Teilchen. Das schwach bezieht sich dabei auf die Schwache Kernkraft. Diese Teilchen sollten also außer an der Gravitation auch noch an der Schwachen Kernkraft teilnehmen. Das ist gut, weil die schwache Kernkraft trotz ihres Namens deutlich stärker ist als Gravitation und eine Chance eröffnet, die Teilchen hier auf der Erde zu beobachten.

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Existenz einer unbekannten Teilchenart nachzuweisen: Wir können nach Spuren von Teilchen suchen, die die Erde aus dem All erreichen, oder wir können versuchen, diese Teilchen in einem Teilchenbeschleuniger zu erzeugen.

WIMPs finden

Da Dunkle Materie überall ist, sollte sie auch ständig die Erde erreichen. Der Grund, warum sie bisher nicht gefunden wurde, ist dann ihre schwache Interaktion mit gewöhnlicher Materie. Wir kennen bereits Teilchen, die ebenfalls schwer zu beobachten sind, die Neutrinos. Auch Neutrinos gehen fast immer ungehindert durch die Erde durch und lösen nur selten in einem Atomkern der Erde einen Betazerfall aus. In großen unterirdischen Tanks kann das nachgewiesen werden.

Um WIMPs, wenn es sie denn gibt, nachzuweisen, gehen die Forscherinnen und Forscher etwas anders vor. WIMPs sollten so massiv sein, dass sie nicht von einem Atomkern gestoppt werden können. Sie stoßen mit ihm zusammen und setzen ihn dabei in Bewegung. Sie erzeugen einen Rückstoß. Solch ein Kernrückstoß kann in unterirdischen Blasenkammern und in Detektoren aus hochreinem Germanium nachgewiesen werden.

Das Experiment mit der Blasenkammer ist dabei am einfachsten zu verstehen: Ein Tank ist mit einer Flüssigkeit gefüllt, deren Temperatur oberhalb ihres Siedepunktes liegt. Sie müsste also eigentlich verdampfen. Da dieses Verdampfen aber einen Keim braucht, also irgendeine Unebenheit an der sich Dampf bilden kann, passiert das nicht. Damit sich Dampfblasen überhaupt bilden und vergrößern können, muss genug Energie lokal zur Verfügung stehen, um die Oberflächenspannung zwischen Gas und Flüssigkeit zu überwinden. Diese Energie kann ein Kernrückstoß oder eine andere Teilchen-Wechselwirkung aufbringen.

Findet irgend wo in dem Behälter eine Bewegung von Atomkernen statt, die ausreichend Energie hat um einen Blasenkeim zu bilden, so wächst um diese Bewegung herum sofort eine kleine Blase, die eine messbare Druckwelle1 erzeugt und sichtbar ist. Von außen kann das mit mit Mikrofonen und Kameras beobachtet werden.

Auch andere Wechselwirkungen erzeugen Blasen. Würde man solch eine Blasenkammer auf der Erdoberfläche betreiben, so würden kosmische Strahlen, also Myonen, ganze Spuren von Blasen erzeugen. Außerdem ist Radongas fast überall und kann sich in die Kammer einschleichen und kurze Spuren von Alpha-Strahlung erzeugen, die optisch nicht von einzelnen Blasen unterscheidbar sind. Zum Glück klingen die aber in den Mikrofonen ganz anders. Zu guter letzt erzeugen auch Neutronen, die bei radioaktiven Zerfällen und spontaner Kernspaltung entstehen können, Kernrückstöße, die von den durch WIMPs erzeugten ununterscheidbar sind.

Die COUPP Collaboration hat  eine mit vier Kilogramm Flüssigkeit gefüllte Blasenkammer betrieben und dabei vom September 2010 bis August 2011 zwanzig Kandidaten für durch WIMPs erzeugte Einzelblasen und drei Mehrfachblasen gefunden.

Diese Kandidaten sind mit etwas Vorsicht zu genießen, weil es einen Hintergrund gibt. Um diesen so gering wie möglich zu halten, fand das Experiment zwei Kilometer unter der Erde im unterirdischen Labor SNOWLAB in Kanada statt. Dieses Labor hat eine extrem geringe Umweltradioaktivität.

Trotzdem ergaben die Voruntersuchungen der Kollaboration, dass etwa acht Radonzerfälle täglich in der Kammer zu erwarten sind. In der Regel kann man die akustisch gut von WIMP-Rückstößen unterscheiden, aber dass die eine oder andere der zwanzig Blasen doch durch Radon erzeugt wurde, ist nicht unmöglich. Außerdem ließ sich auch der Einfluss von Neutronen nicht ausschließen. Abschätzungen ergaben, dass in dieser Messperiode etwa sechs Einzelblasen und ein bis zwei Mehrfachblasen durch Neutronen auftreten sollten.

Das COUPP Experiment macht also Hoffnung, dass es WIMPs tatsächlich geben könnte. Von einer Entdeckung sollten wir hier noch nicht sprechen.

WIMPs herstellen

Den zweiten Weg geht das eingangs erwähnte Experiment am ATLAS-Detektor im LHC am CERN und andere Experimente mit ähnlichem Gedanken. Wenn WIMPs existieren, lassen sie sich auch in einem Teilchenbeschleuniger erzeugen. Schließlich nehmen sie an der Schwachen Wechselwirkung teil. Teilchenerzeugungen durch Schwache Wechselwirkungen sind am Teilchenbeschleuniger Alltag.

WIMPs selbst sind für die Detektoren unsichtbar. Sie wechselwirken kaum mit anderer Materie und können deshalb vom Detektor nicht gestoppt werden. Wie ihre kleinen Verwandten, die Neutrinos, verlassen sie den ATLAS-Detektor ohne eine Spur zu hinterlassen. Würden bei einer Kollision von Teilchen im ATLAS-Detektor ausschließlich WIMPs entstehen, so wäre nichts zu beobachten. Wenn sie aber gemeinsam mit anderen Teilchen entstehen, machen sie sich durch einen fehlenden Impuls bemerkbar.

Das ist also die Strategie der WIMP-Suche am LHC: Gesucht wird nach Ereignissen, bei denen eindeutig die Produktion eines bestimmten Teilchens nachgewiesen werden kann und ein großer Teil von Impuls und Energie fehlt. Der fehlende Anteil ist dann ein WIMP-AntiWIMP-Paar2.

Im Vorliegenden Experiment ist das bekannte Teilchen ein W-Boson, dessen Charakteristik sehr gut bekannt ist und das deshalb identifiziert werden kann. Es wurden gut siebenhundert Ereignisse mit W-Boson und fehlender Energie über 350 Gigalelektronenvolt und knapp neunzig Ereignisse mit mehr als 500 Gigaelektronenvolt fehlender Energie gefunden. Allerdings lassen sich diese Zahlen durch Hintergrundereignisse gut erklären. Fehlende Energie gibt es nämlich auch in Prozessen, in denen Neutrinos den Detektor verlassen oder andere Leptonen unentdeckt bleiben.

Auch die vorliegenden Ergebnisse vom CERN weisen also nicht auf eine unmittelbar bevorstehende Entdeckung von WIMPs hin. Die Experimente gehen aber weiter, denn es handelt sich um Daten, die bei der weitergehenden Untersuchung des gefundenen Higgs-Bosons ohnehin anfallen.

Anmerkungen:
1. Eine Druckwelle in einer Flüssigkeit ist natürlich nichts anderes als Schall. Ein kurzes Klicken kann gemessen werden.
2. Es muss ein Paar sein, weil die WIMPs stabil sind. Irgendeine Erhaltungsgröße muss ein massives WIMP am sofortigen Zerfall hindern. So wie andere stabile Teilchen nur Paarweise als Teilchen und Antiteilchen entstehen können, erwartet man es auch von WIMPs.
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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

4 Kommentare

  1. Die Galaxien-Rotationsanomalie ist kein zwingender Hinweis auf dunkle Materie, sie könnte auch mit einem modifizierten Gravitationsgesetz erklärt werden. Inhomogene Gravitationsfelder, die in keiner Weise mit sichtbarer Materie in Verbindung gebracht werden können, sind dadegen wohl nur mit dunkler Materie erklärbar. Der Bullet Cluster, das Resultat einer Galaxienkollision zeigt  über schwache schwerkraftbedingte Linseneffekte, dass sich hier gravitativ wirksame Materie (wirksam über die Lichtablenkung) und sichtbare Materie getrennt haben, etwas was eigentlich nur mit dunkler Materie erklärt werden kann. Einen definitiven Nachweis von dunkler Materie wird aber wohl erst Gaia bringen, denn Gaia vermisst unsere Galaxie so genau, dass man wohl das Gravitationsfeld der Milchstrasse rekonstruieren kann. 
    Einiges spricht also bereits dafür, dass es dunkle Materie gibt. Mir ist nur ein Rätsel warum viele glauben, diese dunkle Materie müsse in der Form von WIMPS, also massiven Elementarteilchen mit einer Masse von 10 bis 1000 Protonenmassen, vorliegen. Suchen die Physiker einfach darum nach WIMPS, weil es gute Aussichten gibt, diese mit bekannten Messinstrumenten nachzuweisen? Machen also Physiker hier etwas ähnliches wie derjenige, der seinen verloren gegangenen Schlüssel unter der einzigen Strassenlampe sucht, die gerade brennt?

  2. Ich glaube ich finde es auch etwas übertrieben nach irgendwelchen, nicht näher bestimmbaren Teilchen zu suchen, obwohl man noch nicht einmal genau weiß was eigentlich im Inneren einer Galaxie passiert. Oder mal so gefragt: was passiert denn im Inneren der Erde? Wieso forscht man da nicht zuerst?

  3. Es werden nicht nur die WIMP’s nicht gefunden. Man sucht auch noch nach anderen theoretisch motivierten Möglichkeiten, es geht um eine Entscheidung für den weiteren Weg der Physik.
    Beispiele sind MACHO’s, WISP’s (Axionen, hidden Photonen) oder A’ (prime/schweres Photon).

    • Ja, das ALPS-Experiment (Any Light Particle Search) sucht nach WISPs (very Weakly Interacting Sub-eV Particles), wozu unter anderem as Axion gehört. Jetzt, nach Abschluss von ALPS I wird gerade ALPS II aufgebaut. Der Nachweis soll durch Light-shining-through-a-wall-Nachweis gelingen. Dabei wird angenommen, dass Licht an einer Wand in WIPs umgewandelt werden und hinter der Wand die Rückumwandlung in Licht stattfindet. Auch am CERN werden solche Experimente durchgeführt.
      Light-shining-through-a-wall: Wer weiss was das alles für Konsequenzen hat, wenn es nachgewiesen werden kann.

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