Lasst Quanten rechnen

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Ist euch eigentlich aufgefallen, wie schnell die Natur in der Lage ist, Abläufe zu realisieren, an deren Berechnung selbst sie leistungsfähigsten Großrechner scheitern? In einer Explosion bewegen sich unvorstellbar viele Atome und Moleküle in Bruchteilen einer Sekunde. Chemische Bindungen werden hier gelöst und dort gebunden, Elektronen verlassen ihren Molekülverband oder schließen sich einem anderen an, kleine und große Bruchstücke kollidieren miteinander, werden in Feldern abgebremst oder beschleunigt, in Rotation versetzt oder gespalten. All diese physikalischen Vorgänge kann man, richtige Modelle und ausreichende Kenntnis der Anfangszustände vorausgesetzt, mathematisch simulieren.

In der klassischen Mechanik braucht man für diese Simulation nicht mehr als die Bewegungsgleichungen für alle beteiligten Objekte und die Anfangsbedingungen. Bewegungsgleichungen geben die Geschwindigkeitsänderung eines Objektes in Abhängigkeit seiner Lage und seiner Geschwindigkeit an (wobei fast immer die Lagen der anderen Teilchen zu berücksichtigen sind). Die Anfangsbedingungen müssen für jedes Objekt angeben, wo es sich Anfangs befand und welche Geschwindigkeit und Rotation es hatte. In der Quantenmechanik ist alles sogar noch einfacher: Man braucht nur die Schrödingergleichung und die Viel-Teilchen-Wellenfunktion zu einem Zeitpunkt. Hier ist etwas Vorsicht geboten, denn was ein Zeitpunkt ist liegt im Auge des Betrachters. Die Relativitätstheorie kann auch hier nicht ignoriert werden.

Was sich aber schnell hinschreiben lässt, ist in der Praxis alles andere als schnell gemacht. Vergessen wir mal das Problem, den Anfangszustand genau genug zu bestimmen. Ignorieren wir die Problematik der Wechselwirkung vieler Teilchen über Stöße und Felder. Selbst die Schrödingergleichung eines einzelnen Elektrons ist, wenn das Feld einigermaßen kompliziert wird, nicht so einfach gelöst. Die Natur bringt es irgendwie zustande, eine Wellenfunktion in Sekundenbruchteilen durch ein Feld hindurchschwappen zu lassen, aber unsere modernen Rechner sind mit einer zeitabhängigen Schrödingergleichung leicht zu überfordern.

Wenn der Natur nun etwas leicht fällt, was wir unsere Rechner noch nicht können, warum dann nicht den Spieß umdrehen? Lasst doch die Natur rechnen.

Auf der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Hamburg hat Alain Aspect genau diesen Vorschlag gemacht und mich mit seinem schönen Vortrag fasziniert. Alain Aspect ist bekannt als einer der Physiker, die die Verletzung der Bellschen Ungleichungen erstmals nachweisen konnten und so zeigten, dass die Quantenmechanik nicht durch lokale verborgene Variablen ergänzt werden kann. Dass also die von Einstein abgelehnte spukhafte Fernwirkung tatsächlich existiert. Heute arbeitet er viel mit Bose-Einstein-Kondensaten und stellte auf der Tagung eine Methode vor, mit ihnen eine Schrödingergleichung experimentell zu lösen.

Die Schrödingergleichung gilt unverändert für alle möglichen Quanten. Die selbe Gleichung, die die Bewegung der Elektronen in einem festen Körper beschreibt, kann auch verwendet werden um die Bewegung von Protonen, Atomkernen, ganzen Atomen und Molekülen zu beschreiben. Diesen Umstand hat Alain Aspekt ausgenutzt um einen elektronischen Effekt in Isolatoren zu simulieren.

Isolatoren zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Elektronen nicht beweglich sind. Sie können keine Ladungen transportieren. Bei vielen Isolatoren, wie Salzen, liegt das einfach daran, dass die Elektronen jeweils fest an einem Atom gebunden sind. Wir Physiker nennen das lokalisiert. Andere Isolatoren binden die Elektronen über viele Atome. Das einzelne Elektron ist nicht am Atom gebunden, sondern wird durch einen Mechanismus in einem ausgedehnteren Bereich festgehalten. Einer dieser Mechanismen ist die Anderson Lokalisierung. Ein quantenmechanischer Effekt, 1958 von B. Anderson beschrieben, bei dem Elektronen in einem Feld zufällig verteilter Atome festgehalten werden.

Elektronen in einem Feld verteilter Atome sind schwer zu beobachten. Alain Aspect hat mit seiner Arbeitsgruppe deshalb ausgenutzt, dass die selbe Schrödingergleichung gilt, wenn man das Feld mit einem Laser erzeugt und ganze Atome statt Elektronen gefangen hält. Veröffentlicht hat er das letztes Jahr in der etablierten Fachzeitschrift Natur: Directobservation of Anderson localization of matter-waves in a controlled disorder .

Eine Besonderheit ist auch, dass hier ein Bose-Einstein-Kondensat Verwendung fand. Eine ganze Kollektion von Atome, alle mit der selben Wellenfunktion, wurde gleichzeitig dem selben Feld ausgesetzt. So konnte die Verteilung der ganzen Wellenfunktion auf einem Schlag gemessen werden. Die Atome wurden gekühlt und in einer Atomfalle in die selbe Wellenfunktion gezwungen, dann wurde mit einem Laser eine Feldverteilung generiert, wie sie auch ein Elektron in einem Anderson-Isolator erfahren würde und das Haltefeld der Atomfalle wurde ausgeschaltet. Die Atome konnten sich dann kollektiv so entwickeln, wie ein einzelnes Elektron es in einem Anderson-Isolator tun würde. Schließlich konnte man nach einer festgelegten Zeit die Felder ausschalten und nach Expansion der Atomwolke eine vergrößerte Abbildung der erreichten Wellenfunktion vermessen. Die Atome haben also die Wellenfunktion eines Elektrons im Isolator berechnet.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

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