Analogien und Bilder

BLOG: Quantenwelt

Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Dass The Greatest Show on Earth ein hervorragendes Buch über die Evolutionstheorie ist, brauche ich Leserinnen und Lesern der SciLogs wohl nicht erzählen. Lars Fischer hat es mir empfohlen, als ich mal nachfragte, was man von Richard Dawkins denn lesen sollte. Dawkins greift in einem Artikel ein Problem auf, mit dem ich mich schon öfter in diesem Blog beschäftigt habe: Welche Analogie ist dir richtige um eine Theorie zu erklären?

Im achten Kapitel erklärt Dawkins nicht die evolutionäre Entwicklung, sondern die embryonale Entwicklung eines Lebewesens. Und wie es sich für gute Populärwissenschaft gehört, macht er sich Gedanken, welche Analogien sinnvoll sind und welche Fallstricke das falsche Bild bereithalten könnte.

Cover von The Greatest Show on Earth

Richard Dawkins Buch The Greatest Show on Earth ist auch dann lesenswert, wenn man die Evolutionstheorie im Wesentlichen verstanden hat. Dawkins schreibt herausragende Populärwissenschaft.

Bauplan

Die DNA enthält den Bauplan des Lebens, lesen wir oft. Dawkins stellt dieses Bild infrage. Ein Bauplan enthält eine verkleinerte, vereinfachte Darstellung des Gebäudes oder Gerätes. Jeder Teil eines Bauplans kodiert einen bestimmten Teil des fertigen Produktes und wenn man an einer Stelle eines Hauses zum Beispiel eine etwas größere Tür braucht oder ein zusätzliches Fenster, dann ändert man eine bestimmte Stelle des Bauplans und nur dort wird sich das Gebäude ändern. Die Erbinformation ist etwas ganz anderes Sie ist kein linearisierter Bauplan und eine einzelne Veränderung an einem Gen kann sich auf den ganzen Organismus, auf einen eng begrenzten Teil, oder auch gar nicht auswirken. das Bild vom Bauplan ist nur begrenzt geeignet.

Kuchenrezept

Deutlich besser schneidet das Kuchenrezept als Analogie für den genetischen Code ab. Offenbar codiert die DNA die Zutaten, die ein Organismus für die embryonale Entwicklung braucht. Und sie codiert auch die Mengen und die zeitliche Abfolge, in der die Zutaten bereitgestellt werden müssen. Genau wie ein Kuchenrezept.

Interessanter als die Bilder selbst sind oft die Abweichungen des beschriebenen Mechanismus von den Bildern. Während Backwerk, Rezept und Backende/r getrennte Dinge sind, sind diese Aspekte in der embryonalen Entwicklung untrennbar verwoben. Die DNA wird nicht von einem unabhängigen Mechanismus ausgelesen, der dann die Proteine nach Anleitung erstellt und daraus einen Embryo fertigt. Der Mechanismus selbst ist in der DNA codiert und wird in der Entwicklung weiter ausgebaut.

Die Analogie zum Rezept endet außerdem, wenn man die Struktur eines Lebewesens erklären will. Hier bringt Dawkins das Bild vom Origami ins Spiel.

Origami

Die Analogie zur japanischen Papierfaltkunst erklärt nicht so sehr, was der genetische Code ist, sondern wie aus einer einzelnen Eizelle, die sich in zunächst identische Tochterzellen teilt, ein komplexer Organismus werden kann. Offenbar erklärt ein Kuchenrezept das nicht. Ein Kuchenteig ist eher weniger komplex als die Zutaten. Beim Origami wird dagegen aus einem einfachen Blatt Papier nach und nach ein strukturiertes Gebilde.

Ganz ähnlich entwickelt sich aus einer einfachen Zellkugel ein komplexes Lebewesen, indem es sich durch lokal schnelleres Wachstum und programmierten Zelltod immer weiter auffaltet, streckt und verändert. Das Bild vom Origami hat dieselbe Schwachstelle wie das vom Rezept: Es fehlt der äußere Faltende. Das Gewebe faltet sich aus sich selbst heraus.

Das perfekte Bild

Ich möchte hier gar nicht weiter auf diese Bilder eingehen. Das macht Dawkins sehr gut in seinem Buch. Mir geht es um den Umgang mit Bildern und Analogien in der Polulärwissenschaft. An diesem Beispiel erkennt man sehr gut, dass es keine perfekte Analogie geben muss. Der genetische Code ist kein Rezept und schon gar kein Bauplan. Die embryonale Entwicklung ist kein Origami. Aber Dawkins nutzt diese Bilder geschickt, um Aspekte der Biologie zu erklären.

An anderen Stellen verlässt er bewusst die Bildsprache um von der tatsächlichen Biologie zu sprechen. Manchmal ist es dann doch besser, die Eigenschaften der wissenschaftlichen These direkt zu beschreiben, als unter allen Umständen in der Analogie zu bleiben.

Die Bildersuche ist typisch für gute Populärwissenschaft. Seit ich an meiner Homepage arbeite, denke ich darüber nach, in welchem Bild man Quantenphänomene am besten beschreibt. Ich habe im November 2008 mal darüber geschrieben. Bekanntlich sind Elementarteilchen weder klassische Teilchen noch klassische Wellen. Sie haben Eigenschaften von beiden. Beide Bilder rufen unter Umständen falsche Assoziationen hervor und wenn man von einem Wellen-Teilchen-Dualismus schreibt, wird es sogar noch schlimmer. Dieser Begriff suggeriert, es gäbe zwei Phänomene, die irgendwie nebeneinander zugleich zutreffen.

Eine Zeit lang habe die Das Bild von Teilchen oder Welle vermieden und konsequent von Quantenobjekten geschrieben. Heute bin ich da entspannter und nutze meist Teilchen als Fachausdruck. Aber auf Analogien aus der klassischen Physik und darauf, auf Abweichungen hinzuweisen, können wir natürlich nicht verzichten.

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Veröffentlicht von

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

6 Kommentare

  1. Doppelfunktion

    Wahrscheinlich ist es eine gute Empfehlung, mit Bildern und Analogien zu arbeiten, jeweils aber sich und dem Publikum klar zu machen, in welchen Punkten eine Analogie sich vom beschriebenen Sachverhalt unterscheidet. So funktioniert es ja bei Dawkins offenbar.

    Max Weber hat für die Theorie der Sozialwissenschaften den Idealtypus entwickelt. Das ist auch eine Art Bild. Der entscheidende Punkt ist, dass der Forscher stets den Unterschied zwischen Idealtypus und empirischem Phänomen im Blick haben muss. So handelt es sich bei dieser Erklärungs-Technik nicht nur um eine Möglichkeit zur (populär)wissenschaftlichen Vermittlung von Forschungsergebnissen, sondern auch zur Erkenntnisgewinnung selbst.

    Tatsächlich denken wir ja nicht nur beim Erklären in Bildern, sondern auch beim Erkennen.

  2. Die Wellenfunktion als Realität

    Der Wellen-Teilchen-Dualismus oder das Quantenobjekt haben ihren Ursprung letztlich in der Wellenfunktion.

    Es gibt mehrere Arbeiten, die zeigen, dass die Wellenfunktion mehr ist als eine Wahrscheinlichkeitsangabe für das was in der Realität passiert, sondern dass sie eine echte Realität repräsentieren. Die Wellenfunktion ist eine vollständige Beschreibung. Sie enthält nichts was überflüssig ist und nichts was nicht nötig wäre. Dies ist auch der Inhalt des Artikels Does the quantum wave function represent reality?

  3. Lost in translation

    Leider hat der Ullstein-Verlag der deutschen Übersetzung den Titel “Die Schöpfungslüge” gegeben, in meinen Augen völlig daneben und nur dazu da, um auf den Gotteswahn-Zug (und Erfolg) aufzuspringen, obwohl dieses Buch eine andere Intention hat als “Der Gotteswahn”, und hilft, die vielen anderen Bücher zu vergessen, die er über Evolution geschrieben hat. Rein in die Schublade…
    “The Greatest Show on Earth” und “Die Schöpfungslüge”… kein kleiner Unterschied.

    Ich habe es in der Universität oft erlebt, dass Wissenschaftler, die auch “populärwissenschaftlich” publizieren, als nicht professionell gelten, man müsse das Wissen zu sehr runterbrechen, damit es “das Volk” (das mit seinen Steuern einen nicht geringen Teil zur Forschung beiträgt) versteht… was meiner Meinung nach nicht nur von Überheblichkeit zeugt, sondern auch von dem Unwillen, sich aus dem berühmten Elfenbeinturm zu wagen und seine Arbeiten “dort draußen” vorzustellen. Wir sind Elite….
    Deshalb finde ich, dass es mehr Wissenschaftler wie Dawkins geben sollte, die genau das tun, ohne sich zu kümmern, dass man ihre Reputation in Frage stellt -nach dem Motto: wer populärwissenschaftlich schreibt, hat es auf der Uni zu nichts gebracht. Wissen wird wertvoller, wenn man es teilt und es kann nicht jeder studieren – was jedoch niemanden von einer Bildung über das Galileo-Niveau hinaus ausschließen sollte.

    Ich freue mich, dass Du dieses Buch vorgestellt hast und meinen guten Eindruck bestätigt hast.

  4. Analogien an Zielpublikum anpassen

    Dawkins Buch richtet sich ans breite Publikum. Wer Quantenobjekte erklären will hat jedoch oft Schüler (z.B. der Oberstufe) vor sich und darf daher etwas mehr erwarten und kann auch mehr in adäquate Visualisierungen, Analogien und Modelle investieren.
    Hier zwei Beispiele für eine Didaktik der Quantenobjekterklärung:

    Wellen am Doppelspalt visualisiert die Wahrscheinlichkeitswellen
    Quantendimensionen scheint ein Oberstufenschldbuch mit vielfältigen Visualisierungen von Quantenobjekten zu sein.

  5. @Karina

    Ja, die Übersetzung des Titels ist missglückt. Das Buch zeichnet sich (zumindest im Original) durch einen sehr sachlichen Stil aus. Dawkins verzichtet hier bewusst auf Polemik gegen Kreationisten und lässt die Fakten für sich sprechen.

  6. @Karina

    Welche Bücher von Dawkins über Evolution halten Sie für vergessenswürdig? Ich frage, weil ich bisher so gut wie nirgens rein fachlich begründete Kritik an Dawkins gelesen habe.

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