Moralischer Instinkt

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Das menschliche Miteinander auf der Couch
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Ein führerloser Zug rast auf fünf Gleisarbeiter zu. Ihr Tod kann verhindert werden, in dem er in letzter Minute auf einen anderen Gleis umgeleitet wird, wo ein einzelner Mensch arbeitet und sterben würde. Oder aber man schubst den korpulenten Mann von der Brücke, der mit seinem Gewicht den Zug aufhalten und die fünf Gleisarbeiter ebenfalls retten würde.

Mit ähnlichen Szenarien wie diesem versuchen Forscher seit einigen Jahren sich dem Wesen der Moral zu nähern. Viele Menschen wurden zu diesem Dilemma befragt mit dem Ergebnis, dass die meisten die Weiche zugunsten der fünf Gleisarbeiter umstellen würden, während nur 15 Prozent den Mann von der Brücke stoßen würden, um das Leben der fünf Gleisarbeiter zu retten.

Eine wichtige Unterscheidung liegt dem Ausmaß des persönlichen Einschreitens zu Grunde. Wenn Probanden mit einem Szenario eines moralisch-persönlichen Typs konfrontiert wurden, regten sich Hirnregionen, welche mit der Verarbeitung von Emotionen assoziiert sind: medialer präfrontaler und posteriorer cingulärer Cortex sowie die Amygdala. Ein Folgeexperiment zeigte eine Reaktionsverzögerung von zwei Sekunden für diejenigen Teilnehmer, welche sich schweren Herzens für das Opfern des übergewichtigen Mannes zugunsten der fünf Gleisarbeiter entschieden. Bei moralisch-unpersönlich gefärbten Situationen war erwartungsgemäß keine Verzögerung zu verzeichnen.

Legen diese Ergebnisse nahe, dass wir einen „Moralinstinkt entwickelt (haben); eine Eigenschaft, die von Natur aus in jedem Kind wächst“, wie Hauser von der Harvard Universität vermutet? Die Fähigkeit moralische Prinzipien zu übernehmen, sei laut Hauser in jedem Menschen von Geburt an vorhanden: „Die einmal erworbenen moralischen Leitlinien seien auf immer neue Sachverhalte anwendbar und versetzten uns in die Lage, eine theoretisch unendliche Zahl von Normen und Regeln hervorzubringen.“ Die Aneignung neuer moralischer Grundsätze scheint ebenso schwierig wie das Erlernen einer Fremdsprache.

Am Schluß bleibt nur noch anzumerken: „Die abstrakte Ratio scheint in der Alltagsehtik eine deutlich kleinere Rolle zu spielen als unsere Emotionen.“ Oder um es mit den viel schöneren Worten des Philosophen Pascal zu sagen: „Das Herz hat Gründe, die die Vernunft nicht kennt.“

Quelle:
(1) Spiegel, Nr.51/18.12.2006 „Mit Anstand auf die Welt“
(2) Gehirn und Geist, Nr. 1-2/2008, „Erst die Gefühle, dann die Moral?

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Veröffentlicht von

Katja Schwab ist Diplom-Psychologin, Kommunikations- und Verhaltenstrainerin, systemische Körperpsychotherapeutin und zur Zeit in Ausbildung zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeutin.

4 Kommentare

  1. Moralisch entscheiden

    Das Beispiel hat seine Probleme im Detail. Wenn ich die Weiche umlege rette ich erst einmal fünf Leben. Im Hinterkopf bleibt die Möglichkeit, dass der Einzelne sich doch noch selbst rettet. Dagegen mache ich mich sofort schuldig wenn ich jemanden von der Brücke stoße. Habe ich eine Garantie ob die Anderen dann wirklich gerettet werden? Wäre nicht eine von mir unberücksichtigte Möglichkeit der Entwicklung der Ereignisse drin?
    Unser Bewertungssystem entscheidet viel detailierter als mit solch einfachen, reduktionistischen Beispielen abgefragt werden kann. Es wurde auch nicht berücksichtigt welche persönliche Beziehung zu dem Einzelnen und den fünf Personen unbewusst aufgebaut habe. Der Urmensch überlebte nicht allein. Die neuronale Basis der genetischen Anlagen heute berücksicht das gemeinschaftliche Leben in der Ursippe oder sagen Sie Überlegensgemeinschaft. Wer gehört zu unserer, also zu meiner Sippe? Tauschen Sie die Personen gegen Porzellantassen und die Bewertung wird rational. Die Bedeutung der Gegenstände sind für mich (Urmensch) identisch.
    Im realen Leben leisten wir uns Handlung die wesentlich folgenschwerer sind.
    Wir alle wissen, dass die materiellen Möglichkeiten in unserem Gesundheitssystem begrenzt sind. Stellen wir die Fragen, kann ich einen hoffnungslos Kranken auf der Intensivstation einfach von der Maschine abschalten obwohl seine Behandlung sehr teuer ist und kaum Aussicht auf Erfolg verspricht? Wir antworten wohl mit nein, auf keinem Fall. Formulieren Sie die Frage um: Verwenden wir die 100 000 Euro für die Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen dieser einen bedauernswerten Person für einige Tage oder Wochen oder verwenden wir das Geld für 10 vernachlässigte Kinder die in der X-Strasse im Y-Stadtteil wohnen. Sie bekämen eine realistische Chance ein vernünftiges Leben zu führen.
    Entscheidungen treffen wir meist unbewusst Aufgrund von Regeln die durch Einflüsse des Lebens in Gesellschaften entstanden sind. In anderen Gesellschaften entwickeln sich andere moralaische oder sagen Sie ethisch Regeln, es ist das selbe. Wie ließe sich sonst die Tötung aller unter 16 jährigen Kinder beim Tod des Inuit-Vaters oder die indischen Witwenverbrennungen erklären?
    Mehr Gedankengänge finden Sie auf der Seite: http://www.dpast.de/arbeitsblaetter.htm
    Ich freue mich auf eine rege Diskussion.
    Dieter Past

  2. Moralisches

    Liebe Frau Schwab,

    da haben Sie mir ja die Bewerbung meines eigenen Artikels vorweg genommen!

    Übrigens habe ich großen Wert auf das Fragezeichen im Titel gelegt bei “Erst das Gefühl, dann die Moral?”, das Sie vergessen haben. So einfach, wie viele das verstanden haben wollen, ist es leider (oder zum Glück?) nicht.

    Viele Grüße

    Stephan Schleim

  3. Ich glaube nicht, daß eine “fast dürftige” Versuchsreihe ausreicht, um solch elementaren gesellschaftlichen Fragen näher zu kommen. “Moralische Prinzipen zu übernehmen sei vorhanden” hat keine Aussage. Übernehmen kann man nur das, was einem zum übernehmen gegeben wird. Also: Erst wenn was moralisches falsches gegeben wird und dies abgelehnt wird, könnte man der Sache weiter nachgehen. Und dann gäbe es noch Berge vieler guter anderer Argumente, die gegenüber zu stellen wären.

  4. Moralischer Instinkt

    Das Thema Moral ist in all seiner Vielfalt hoch interessant und daher habe ich mich sehr über den Artikel in der aktuellen Gehirn und Geist Ausgabe gefreut.

    @ Stephan Schleim
    Eine “Bewerbung” Ihres Artikels ist doch in Ihrem Sinne? Dabei dachte ich, ihn noch gar nicht beworben zu haben, aber das hole ich hiermit nach ;): DEr Artikel setzt sich differenziert mit dem Thema auseinander und ist sehr lesenwert.

    Das Fragezeichen habe ich in der Quellenangabe ergänzt. Danke für den Hinweis.

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