Die Rolle des Chefs

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Das menschliche Miteinander auf der Couch
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Gute Führung besteht zu einem großen Teil aus sozialer Kompetenz, denn Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource der meisten Unternehmen. Und viele von ihnen sind unzufrieden. Das attestiert derzeit eine aktuelle Umfrage (→pdf). Die Hälfte der Befragten schimpft über ihren Chef. Besteht die deutsche Führungsetage aus Versagern?

Auch in Trainings ist ein schwieriges Verhältnis zwischen Mitarbeiter und Führungskraft häufig ein Thema. Einige Teilnehmer sind überzeugt: Das Chefdasein verdirbt den Charakter.

Besonders schwierig wird es für alle Beteiligten, wenn ein Mitarbeiter aus einem bestehenden Team zum neuen Chef ernannt wird. Damit so ein Rollenwechsel gelingt, braucht es viel Fingerspitzengefühl. „Jetzt zeigt sie ihr wahres Gesicht.“ kommentierte eine Teilnehmerin das Geschehen. Viel wahrscheinlicher ist, dass hier die persönliche Disposition überschätzt und die Situation unterschätzt wird. Viele Aspekte, die Mitarbeiter an ihrem Chef bemängeln, liegen oftmals nicht in der Persönlichkeit des Chefs, sondern in der Rolle als Chef begründet. Ein Chef setzt andere Prioritäten, verfolgt andere Interessen. Durch den Rollenwechsel von Mitarbeiterin zu Chefin verändert sich die Situation, nicht die Disposition. Rollenspiele und Perspektivwechsel vollbringen hier Erstaunliches.

Strikte Hierarchien erzeugen eine Karriereleiter mit dem Chef als Kopf und entscheidende Instanz. Deshalb sollten hier alle Antworten zusammenfließen. Wissen und Fachkompetenz ist aber über mehrere Personen in den Organisationen verteilt. Und die Machtkonzentration an der Spitze führt sehr leicht dazu, dass das Wissen der Untergegebenen nicht mehr oder zu wenig genutzt wird (Offe, 1970). Da die Entscheidungsmacht letztlich in den Händen der Führungskraft liegt, fühlen sich Mitarbeiter in ihrer Fachkompetenz ignoriert. Oftmals treffen Führungspersonen auch keine besseren Entscheidungen als ihre Mitarbeiter (Van Vugt et al., 2008). Partizipative Maßnahmen sind hier die Lösung.

Auch die großen Einkommensunterschiede zwischen Chef und Mitarbeiter sind nicht förderlich für eine gute Beziehung. Mehr Geld bedeutet höherer Status und könnte leicht zur Überzeugung führen, alles zu wissen und sich mehr herausnehmen zu dürfen. Andererseits sind die Standards, welche von einer Führungskraft verlangt werden sehr hoch. Integrität, Hartnäckigkeit, Bescheidenheit, Kompetenz, Entschlossenheit und die Fähigkeit, die Mitarbeiter zu inspirieren, muss jeder Chef besitzen. Die meisten Führungskräfte sind aber auch nur Menschen, weshalb die Mitarbeiter glauben ihr Vorgesetzter sei nur eine weitere Fehlbesetzung auf der Leiter des Erfolgs. Wo wir wieder bei der Karriereleiter sind, denn befördert wird man in der Regel durch den Chef. Deshalb gebührt ihm die ganze Aufmerksamkeit, was zu unzufriedenen Mitarbeitern führt. Durch strikte Hierarchien, starke Einkommensunterschiede und Bürokratie kommt es zu einer Distanzierung von Mitarbeiter und Chef, die Motivation und gute Zusammenarbeit vernichtet – und die Zufriedenheit im Job.

„Auf dem höchsten Thron der Welt sitzen wir doch nur auf unserem Hintern." Michel de Montaigne

Quellen:
Schuler, H. (1993) „Lehrbuch der Organisationspsychologie“.
Zusammenfassung „7 Reasons Leaders Fail

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Veröffentlicht von

Katja Schwab ist Diplom-Psychologin, Kommunikations- und Verhaltenstrainerin, systemische Körperpsychotherapeutin und zur Zeit in Ausbildung zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeutin.

4 Kommentare

  1. Zu geringe Durchlässigkeit

    Ja, ganz klar: die deutsche Führungsetage besteht aus Versagern. Der wahre Grund hierfür liegt aber darin, dass Chefposten in Deutschland vererbt werden. Jeder Chef ist Sohn eines Chefs. Mit Kompetenz hat das nichts zu tun.

  2. Natürlich gibt es bei Entscheidungen von oben auch viele Fehlentscheidungen. Die möglich Alternative, Entscheidungen durch Gremien treffen zu lassen geht nach meiner Erfahrung mindestens ebenso oft schief. Vor allem wird dann die Entscheidung oft verzögert. Dabei ist oft der Zeitverlust oder Untätigkeit schlimmer als das Risiko, nur die zweit- oder drittbeste Entscheidung treffen.

  3. Chef werden ist nicht leicht

    “Das Chefdasein verdirbt den Charakter. Besonders schwierig wird es für alle Beteiligten, wenn ein Mitarbeiter aus einem bestehenden Team zum neuen Chef ernannt wird.” Das unterschreibe ich gern, obwohl ich hoffe, dass es nicht pauschal auf alle zutrifft! Aber es stimmt schon, dass viele, die plötzlich ein Quäntchen mehr Verantwortung haben, auf einmal abgehoben sind und komisch sind. Wieder andere wissen einfach nicht mit ihrer neuen Position umzugehen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, plötzlich etwas vor anderen durchzusetzen und von ihnen einzufordern, obwohl man vorher noch an der gleichen Stelle wie sie stand. Da wird man schnell zum “Buhmann”.

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