Heimat und Identität: Weshalb Ureinwohner Wale und Robben jagen dürfen, aber nicht jedermann

BLOG: Öko-Logisch?

Umwelt sind Du und ich
Öko-Logisch?

Logo Heimat und Identität Der Protest gegen das Robbenschlachten und die Jagd auf Wale hat so manche Tierschutzorganisation groß gemacht. Auch heute zeigen die wenigsten Menschen Verständnis für das Treiben der Kanadier, respektive der Japaner, Isländer und Norweger. Deutlich leiser fällt der Widerspruch aus, wenn Inuit auf die Jagd gehen; zurecht, denn dabei handelt es sich um Traditionen, nicht um Kommerz – oder doch?

Seit etwa 5000 Jahren leben Menschen in Alaska, besiedelten den Norden Kanadas und Grönland. Ebenso lang leben diese Menschen von der Jagd auf die Land- und Meerestiere ihrer Region, darunter Robben und Wale. Sie jagen zur Selbstversorgung mit Fleisch und Fell bzw. Fleisch und Tran. Bedroht waren die Bestände zu keiner Zeit.

Anders wurde es erst, als die Europäer im 18. und 19. Jahrhundert das Robbenschlachten begannen (oder die „Ernte“, wie die Schlächter sagen), um ihren Pelz in Luxusartikel zu verwandeln. Heute kommt hinzu, dass das Fett der Tiere begehrte Omega-3-Fettsäuren erhält (deren gesundheitlicher Nutzen, nebenbei bemerkt, jüngeren Studien zufolge überbewertet ist). Ähnlich erging es ab dem 17. Jahrhundert dem Wal, der den Europäern fortan vor allem als Leuchtmittel, Seife und Speisefett begegnete.

Weshalb regt sich im einen Fall (kommerzielle Ausbeutung) der Protest, im anderen Fall (Eigenbedarf von Ureinwohnern) jedoch nicht? Im Wesentlichen dürfte es tatsächlich der Faktor „Heimat und Identität“ sein. Die Jagd gehört zur Tradition und damit zur Identität indigener Völker. Die Tiere leben in ihrer Heimat. Tier und Mensch sind gemeinsam Teil eines Ökosystems, das sich im Gleichgewicht befindet. Eine ähnliche Situation findet man auch bei Urwäldern und ihren Bewohnern, wie Blognachbar Daniel Lingenhöhl beschreibt.

Doch ist die Begründung hinreichend? Blickt man auf die Realität der Gegenwart, findet man nämlich ein Bild, das vom nachhaltig lebenden Ureinwohner abweicht. Während Greenpeace die kommerzielle Robbenjagd ablehnt, den Eigenbedarf der Inuit aber legitim findet, sind es ausgerechnet die Inuit, die sich gegen diese Position sperren – denn längst jagen auch sie kommerziell. Ist die Jagd noch Teil der historischen Identität, wenn sie kommerzialisiert wird? Und haben nicht auch Europäer eine Tradition als Jäger? Sollten wir das Treiben unserer Vorfahren und heutiger europäischer Jäger nicht ebenso legitim finden wie das der Inuit? Liegt es an den „unfairen“ Waffen, daran, dass wir das Kanu und den Speer gegen schwimmende Fabriken und Harpunen getauscht haben? Oder daran, dass wir längst nicht mehr nur in unserer Heimat jagen – denn die haben wir schon ziemlich geplündert?

Fasst man die Faktoren zusammen, die den meisten Menschen die Jagd auf niedliche oder bedrohte Tiere legitim erscheinen lässt, landet man beim Modewort Nachhaltigkeit. Decken Menschen ihren Bedarf an bestimmten Ressourcen durch die Lebewesen in ihrer Heimat, ohne deren Bestand und damit auch die eigene Lebensweise und Identität zu gefährden, ist das akzeptabel. So handhabt es die Menschheit seit Tausenden von Jahren. Wer sich nicht dran hielt, verschwand oft selbst von der Landkarte.

Doch wieder stellt die Realität eine kniffelige Frage: Kann man überhaupt noch von der Identität eines Volkes sprechen, wenn sich dessen Lebensweise stark gewandelt hat? Natürlich jagen die Inuit und andere indigene Völker noch immer die Tiere, die sie seit Ewigkeiten gejagt haben. Doch der Lebensstandard hat sich gewandelt, Robben dienen vor allem dem Gelderwerb, nicht so sehr als Rohmaterial und Nahrung. Damit entfällt die natürliche Schwelle, die das Ausmaß der Jagd begrenzte. Man kann nur endlich viele Mäntel tragen und sich den Bauch nicht endlos vollstopfen. Geld ausgeben kann man hingegen unbegrenzt.

Intelligente Lösungen setzen daher auf Quoten, die indigenen Völkern erlauben, auch bedrohte Tiere in dem Umfang zu jagen, der für ihre traditionelle Lebensweise notwendig ist. Doch solange für Produkte aus diesen Tieren ein Markt besteht, bleibt die Gefahr des Missbrauchs der Quoten für kommerzielle Zwecke. Wünschenswert wäre, dass entsprechende Kontrollen innerhalb der betroffenen Völker stattfinden, denn der Missbrauch gefährdet auch die Bewahrung der Identität. Werden rigorose Fangverbote nötig oder stirbt eine Art aus, ist es vorbei mit der Tradition. Und wo die Lebensgrundlage fehlt, verlassen die jungen Menschen die Heimat.

Manchmal erfordert die Bewahrung von Heimat und Identität daher auch den Wandel. Wer nicht traditionell, aber traditionsbewusst leben will, muss neue Wege finden. Ein solcher wäre der Ökotourismus. Lebendige Wale und Robben können so manchen Besucher anziehen. Abenteuerurlaub im Iglu mit Naturbeobachtung. Klingt doch reizvoll. Blutiger Schnee ist da weniger verlockend. Speziell im Fall der Wale gibt es noch einen weiteren Grund, eine Tradition zugunsten der Bewahrung der Heimat und der übrigen Identität zu opfern: Wale reichern in ihrem Leben Giftstoffe in sich an. Walfleisch überschreitet die Grenzwerte für Quecksilber, PCB und DDT teils um das 5000-fache. Volksgruppen, die Wal- und Delphinfleisch essen, leiden häufiger an Gedächtnisstörungen, Parkinson und Immunschwächen, wie eine Studie von Pro Wildlife und OceanCare im letzten Jahr gezeigt hat.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

www.buero32.de

Björn Lohmann ist freier Wissenschaftsjournalist und Trainer für Onlineredakteure. Sein Anliegen ist es, die wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen zu hinterfragen, die unser aller Leben maßgeblich beeinflussen - denn nicht immer sind die Prioritäten von Forschern, Unternehmern und Politikern die besten im Interesse der Gesellschaft. In seiner Freizeit rettet Björn Lohmann die Welt, weil er findet, dass es sich mit ihr einfach netter lebt.

4 Kommentare

  1. Wale jagen

    Ich würde gerne das Wale jagen verbieten, weil es sich hier um denkende fühlende Wesen handelt. Nachhaltigkeit und Fangquoten sind imho ganz und gar unwichtig.

    Das trifft natürlich auch für andere Tiere in einem geringerem Maß zu. Jeder muß selber wissen wo er seine Grenze zieht.

  2. @Arnd: Quälerei vs Tradition

    Das ist natürlich ein wichtiger Aspekt: Quält die traditionelle Jagd die Tiere? Noch deutlicher wird das vermutlich am Beispiel der Stierkämpfe. Hier handelt es sich um ein Kulturgut, das nicht dem Überleben, sondern der Unterhaltung dient. Entsprechend uneinig sind die Spanier bei diesem Thema. Wo eine tierquälerische Tradition gar nicht mehr dem Lebensalltag entspricht, sondern ein artifizielles Am-Leben-Halten ist, sollte in der Tat die Ethik Vorrang haben vor der Kultur.

  3. Parteipolitische Instrumentalisierung

    Besten Dank für diesen wichtigen Beitrag, sehr geehrter Herr Lohmann, auf den ich erst jetzt gestoßen bin. Wenn die Erde unsere Heimat ist, gehen wir nicht gerade freundlich mit ihr um. Das wird sich rächen, auch für uns. Und der Umweltschutzgedanke ist nicht nur was für grüne Parteien, auch wenn sich das erst langsam in den Köpfen festsetzt.

    Um so mehr habe ich mich aber gewundert, dass Sie ihre Zeit und Intelligenz einsetzen, um diese CDU-Propaganda zu unterstützen, für die die Natur bekanntlich bloß ein Wirtschaftsraum ist.

    Es wird ja nicht recht deutlich gemacht, aber dieses gesamte Heimattümelei-Bloggewitter ist ja eine Propaganda-Aktion des Staatsministeriums von Baden-Württemberg, bei Ihrem Mitblogger Michael Blume angesiedelt und wohl auch von ihm initiiert. Der ja auch sonst kräftig Propaganda hier macht, z.B. für das Stuttgarter Raubbau-21-Projekts seines Chefs. (Und das dann auch noch fadenscheinig ökologisch “verkauft” wird, obwohl es gerade das Gegenteil ist.)

    Ich finde es höchst bedenklich, dass die Scilogs hier Politikpropaganda Vorschub leisten, indirekte Wahlkampfhilfe betreiben (womöglich für Geld??) und diese lokalpatriotischen CDU-Verflechtungen nicht mal explizit machen! Noch bedenklicher finde ich es aber, dass sich viele Blogger dafür auch noch instrumentalisieren lassen. Wissenschaft sollte offen und kritisch und neutral bleiben, nicht parteipolitisch korrumpiert.

    Nichts für ungut, Ihre Beiträge gefallen mir trotzdem sehr.

  4. @Schwarzkopf: Parteien und Umweltschutz

    Bitte entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt zu einer Antwort komme.

    Ich denke, das Thema “Heimat und Identität” ist kein Propagandathema (solange es nicht mit nationalistischem Hintergrund behandelt wird, was ich bei dieser Aktion des Staatsministeriums von BaWü nicht gegeben sehe); zumal alle Scilogs-Blogger das Thema inhaltlich völlig frei und gelöst von CDU-Inhalten behandeln, “Wahlkampfhilfe” halte ich daher an dieser Stelle für abwegig.

    Was Stuttgart 21 betrifft, finde ich die Materie viel zu komplex für eine Schwarz-Weiß-Bewertung. Ich selbst habe fünf Jahre in Stuttgart gelebt und halte das Projekt für sich betrachtet für sinnvoll. Die berechtigte Frage lautet allerdings, ob man mit dem Geld nicht noch Sinnvolleres anstellen könnte – was dann aber zur Frage führt, ob das eine reale Alternative ist oder das Geld dann einfach nicht investiert würde. Ebenso taucht die Frage auf, warum man nicht Geld hat für dieses *und* weitere sinnvolle Projekte (im Nah- und Güterverkehr), denn gemessen am Straßenverkehr wird viel zu wenig in die Schiene investiert. Das aber nur als kurzer Exkurs. Vielleicht greife ich auch noch mal S21 separat auf.

    Was die Parteien und den Umweltschutz betrifft, sehe ich ebenfalls differenzierte Antworten. Sicherlich sind die Grünen in dieser Hinsicht am klügsten aufgestellt. Nicht umsonst hat die Financial Times Deutschland bei der letzten Europawahl eine Wahlempfehlung für die Grünen ausgesprochen, weil sie von allen deutschen Parteien das schlüssigste Wirtschaftskonzept haben. Aber auch wenn die SPD sich an die Kohle klammert, die CDU gemeinsam mit der FDP Konzernlobby über Regierungsverantwortung stellt, so gibt es auch in diesen Parteien kluge Köpfe mit ökologischen Ideen. Sie haben nur selten die Möglichkeit, sich damit auf Landes- oder Bundesebene durchzusetzen.

Schreibe einen Kommentar