Widerruf der Religion-Virus-Hypothese – Wie mich Susan Blackmore beeindruckte

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Die Explaining Religion-Konferenz in Bristol schlägt weiter wissenschaftliche Wellen. So räumte Susan Blackmore im britischen Guardian inzwischen ein, dass die populäre Religion-Virus-Metapher nach Kenntnis des Reproduktionsvorteils durch Religiosität nicht mehr haltbar sei. Ihr Artikel hier:

Why I no longer believe religion is a virus of the mind

The ‘Explaining religion’ conference has made me see that the idea of religious belief as a virus has had its day

Susan Blackmore ist dabei nicht irgendwer: Mit Büchern wie "Macht der Meme", das auch Teil meiner Doktorarbeit war, wurde sie zu einer der bekanntesten Vertreterinnen der Hypothese(n), die sie nun als widerlegt anerkennt. Und als Psychologin wusste sie auch, was auf sie zukommt: Einige derjenigen, die sich weltanschaulich in der Religion-Virus-Metapher eingerichtet hatten, werfen ihr nun mit scharfen, auch persönlichen Angriffen den Abfall vom wahren (Un-)Glauben vor. Ihre innere Stärke, wissenschaftliche Argumente auch anzuerkennen, wenn sie den eigenen Vorannahmen widersprechen, haben wenige. (Und das ist nun wirklich eine Erfahrung, die ich auch schon verschiedentlich machen durfte und darf.)

Persönlich beeindruckt

Mich hat Sue schon mit ihrer spontanen Reaktion auf der Konferenz und nun erst Recht mit ihrem Artikel wissenschaftlich und menschlich tief beeindruckt. Die von Richard Dawkins verbreitete Erzählung von einem Wissenschaftler, der nach einem Vortrag eingeräumt habe, sich über Jahre hinweg geirrt zu haben, hatte ich stets für eine unrealistische Fabel gehalten. Wer von uns würde schon über eine solche, innere Stärke verfügen? Nun habe ich es selbst erlebt – Susan Blackmore hat genau diese Stärke gezeigt.

* Englischer Post "The Acceptance of Evolutionary Sciences. How Susan Blackmore impressed me"

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

84 Kommentare

  1. Work in progress @Michael Blume

    Klasse! Da hast Du aber einen starken Impuls geliefert. Die Religion-Virus-Hypothese war m. E. sowieso nicht haltbar. Menschen sind nun mal keine Computer.
    An einen teuflischen Virus glaube ich aber schon, denn ein solcher hat kürzlich meinen Computer, einschließlich aller Daten, geschrotet und so beginne ich gerade wieder neu. Ächtz!

    • Sie hat sich geirrt? Na und, was macht das schon. Damit ist noch lange nicht bewiesen, das Religion kein Virus ist. Außerdem benannte Hr. Blume lediglich religiöse Menschen, die lehren anhängen, die keiner von uns ernst nimmt. Und wir sind keine Computer?, das muss mir erst einmal jemand beweisen. So wie ich`s sehe, ist eines jedenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit korrekt, nämlich das der leidige ANTHROPOZENTRISMUS des Menschen kaum noch ertragbar ist. Die Menschen haben durch die Religionen eines mit bekommen: Dummheit, Naivität, Unsicherheit, Kampf, Krieg, Bereitschaft anderen 77 mal die ewigen Höllenquallen zu wünschen, Kinder an den Felsen zu zerschmettern ( „Wohl dem, der deine Kinder packt und sie am Felsen zerschmettert« (Ps. 137; 8, 9) läßt er sein inspiriertes und autorisiertes menschliches Sprachrohr verkünden, und die nicht vollständige Ausführung dieser Ausrottungsbefehle wird ausdrücklich sanktioniert: „Sie rotteten die Völker nicht aus, wie ihnen der Herr einst befahl.“ (Ps. 106,34) und überall wo es geht zu lügen, zu betrügen, Frauen zu unterdrücken sowie ja auch dies: Pornografie zu perfektionieren,

      Ich bin ohnehin schockiert, wie man ernsthaft in noch irgendeiner weise einer Religionen, gleich welcher anhängen kann, denn die tatsächlichen 100 Milliarden Galaxien zeigen deutlich auf, wie unwichtig wir alle im kosmischen Maßstab sind. Vergesst das bitte nicht.

      Religion ist kein Virus…Also wieso denn nicht? Denn letztlich sind wir alle ein hochgewachsener Bakterienstamm. Eine der wohl aufsehenerregenden Behauptungen von Lynn Margulis betrifft die Evolution unseres Gehirns. Einige der frühesten irdischen Bakterien besitzen korkenzieherähnliche Fäden, die sich aus den gleichen winzigen Röhrenstrukturen (Mikrotubuli) zusammensetzen wie die Zellen unseres Nervensystems. Die amerikanische Biologin sieht darin und in weiteren Übereinstimmungen eindeutige Hinweise für ihre These, dass das menschliche Gehirn quasi eine riesige symbiotische und höchstorganisierte Bakterienkolonie darstellt!. Eine für manche zunächst vielleicht ziemlich schockierende Vorstellung, doch bekanntlich wurden ja auch Darwins Ideen über den Ursprung der Arten von der Öffentlichkeit nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen!. Wenn wir daran denken, dass unser gesamter Körper in letzter Konsequenz eine auf das Wunderbarste verwobene und funktionierende Symbiose von Myriaden einzelner Organismenzellen bildet, dann wird uns die fundamentale Bedeutung dieses biologischen Prinzips nur allzu klar bewusst.

      Symbiosen finden sich überall, meist ohne dass eine Verschmelzung oder Durchdringung der Individuen die unbedingte Folge sein muß. Nur ein Beispiel: Auf den Panzern der Einsiedlerkrebse setzten sich Seeanemonen fest. Durch die Bewegung des Krebses werden sie ständig mit frischen, sauerstoffreichen Wasser versorgt, während der Krebs selbst durch den „blumigen“ Bewuchs vor Räubern getarnt und geschützt ist. In einigen Fällen ist diese Verbindung sogar lebenswichtig, jeder der Partner würde bei einer Trennung zugrunde gehen – die denkbare beste Voraussetzung für eine lange Ehe also!.

      Also bin Ich überzeugt, das Religion in gewisser Hinsicht zwar Hilfreich sein kann, aber dennoch zu nichts führt, denn welchen Vorteil hat es denn Insgesamt? Schaut man sich die Geschichte an, würde ich meinen: gar keinen. Höchstens den Gedanken an eine KOSMISCHE RELIGIÖSITÄT.

      Und lassen wir doch bitte ENDLICH diesen nichtssagenden Monotheismus von Echnaton links liegen, denn was hat uns Aton schon gebracht?

      Nach den Überlieferungen hatten die Götter eine immense Angst, von Menschen erkannt zu werden. So in Exodus 33, 20: „Du Moses kannst mein Angesicht nicht schauen, denn kein Menschen bleibt am Leben, der mich schaut…und wenn ich dann meine Hand weghebe, darfst du mir nachsehen, aber mein Angesicht kann niemand schauen.“ Wäre mit dem Erkennen der Götter, mit dem Fallen der Maske, der Mythos vom überirdischen Wesen zerstört worden? Im Exodus 24 ff stoßen wir auf einen weiteren sehr interessanten Hinweis: Mose, Aaron, Nadab und Abihu dürfen mit 70 ältesten in den verbotenen Bereich Gottes eindringen. Sie alle haben die Ehre, Jahwe schauen zu dürfen – ob sie ihn in voller Gestalt sahen, bleibt dahingestellt. Vor ihm in den Staub geworfen, sahen sie vor allem den Boden zu seinen Füßen. Sie erkannten (Exodus 24,9) „unter seinen Füßen ein Gebilde wie aus Saphirplatten und glänzend wie der Himmel selbst in seiner Reinheit“.

      Man vergleiche diese Schilderung mit den Berichten – Ezechials und Henochs, die ebenfalls etwas wie Kristall in der Herrlichkeit Gottes erblickten. Schon die Tatsache allein, daß man von Füßen sprach und nicht etwa von der Unterseite, ließe den Schluß zu, jener Mann sei eine Person aus Fleisch und Blut gewesen. „Und sie aßen und tranken“, heißt es in Exodus 24,11. Zusammen? Das Buch Exodus gibt auch noch im folgenden interessante Hinweise. So gab ein Astronaut in der Nähe des Lagers in einem besonderen Zelt für das Volk Ratschläge. Jedes Mal war es ein Ereignis, wenn die Wolke mit dem Herrn sich herniederließ, ein Mann ausstieg und, nach Exodus 33,11, „mit Moses von Angesicht zu Angesicht redete, wie ein Freund zu seinem Freunde“. Muß das (angebliche) Buch der Bücher noch deutlicher werden?

      In Exodus 33,18ff bittet Moses, doch einmal die ganze Herrlichkeit des Herrn (Ufos) schauen zu dürfen, was abgelehnt wird (Geheimnis). Bisweilen kommt es zu einer Verwechslung der Herrlichkeit des Herrn mit dem Herrn selbst. So verbietet man Moses, alles zu sehen, da man sogar sein Tod befürchtet oder das auch nur vorgibt. Was mag man verheimlicht haben? Hatte man wirklich die Sorge, er könne sich durch Radioaktivität schädigen? Jahwes Schüler darf so wenigstens die Rückseite seines Gottes sehen, während dieser im vorher schützend die Hand über die Augen legte.
      Daß Moses aber dennoch etwas gesehen haben muß von der Gestalt Gottes, ist durch Deuteronomium 4,15 ff ausgedrückt. Gott warnt entschieden davor, sich ein Bild von ihm zu machen. Dort im 5. Buch Mose heißt es: „Nun nehmt euch – bei eurem Leben! – gar sehr in acht, da ihr ja damals, als Jahwe am Horeb mitten aus dem Feuer heraus zu euch redete, keinerlei Gestalt heraus wahrgenommen habt“. (Vertuschungen: Angst der Götter) Die Eingeweihten mussten als so tun, als ob sie ihren Herrn, dessen Gestalt und Aussehen sie kannten, nicht in irgendeiner Form gesehen hätten. Sie wurden weiter gewarnt, das Gesehen mit Tieren, wie Vögeln und Fischen, zu gleichen, und – was noch sehr bemerkenswert ist – auch vor den Gestirnen sollten sie nicht auf die Knie fallen und sie anbeten (Sterne). Man sah also etwas, das einem Fisch glich, aber wie ein Vogel vom Himmel, genauer von den Sternen, kam (Ufos, historisches?).

  2. @Markus

    Vielen Dank! Ja, Sue hatte ja schon auf der Konferenz so stark reagiert und dies nun auch öffentlich gemacht. Wobei ihr dies von einigen “Anhängern” übel genommen wird und auch bei mir die Zahl der “Hassattacken” gerade wieder merklich angestiegen ist. Die rationale, wissenschaftliche Decke ist bei einigen doch dünner, als sie sich selbst je eingestehen würden… Aber das gehört dann ja auch wieder in den Bereich der Psychologie. 😉

  3. @Mona

    Gerne! Und ich sage es ganz ernsthaft: Konstruktiv-kritische Menschen wie Du haben ihren Anteil an dem Ganzen. Ich denke, dass der Vortrag in Bristol nur deswegen so erfolgreich sein konnte, weil wir (auch) hier durch unzählige Debatten, Anregungen und Links die Beobachtungen und Hypothesen immer weiter geschärft haben. Ganz allein im kleinen Kämmerlein (ohne Uniseminare, Akademien und eben Blogs) hätte das sicher nicht geklappt!

    Und, hey, nicht von den “echten” Viren unterkriegen lassen! 🙂

  4. Ganz klar eine Stärke

    Mich hat der Artikel von Susan Blackmore auch beeindruckt. Ihre Haltung spricht ganz klar für Souveränität. Ich kann mir allerdings schon vorstellen, dass nun im Hintergrund die Sticheleien losgehen, denn wer die Virus-These bislang verfolgte, verliert hierdurch einen Teil seiner “Kompetenzen” (die eigenen Arbeiten verlieren an Akzeptanz), und wer nimmt das schon widerstandslos hin.

    Eine Scheibe abschneiden kann man sich einmal mehr am britischen Humor:

    “Being shown you are wrong is horrid, but this has happened to me often enough before (yes, you may make jokes if you like)…” Sehr hübsch.

  5. @ – Michael: Susan Blackmore

    Lieber Michael,

    herzlichen Glückwunsch! Schön zu hören, dass Deine Daten in Bristol Eindruck gemacht haben. Wenn ich den Artikel aus dem Guardian richtig verstehe, nimmt Susan Blackmore aber nur ihre Ansicht zurück, dass Religionen ein Virus des Geistes seien, der diejenigen, die von ihm befallen werden, schade. Nachdem sie aus Deinen demographischen Daten ersehen konnte, dass hohe Religiosität mit hoher Parität einhergeht, musste sie diese (aber auch nur diese! Annahme zurücknehmen.

  6. Antibiotika ?

    Ich verstehe gar nicht, warum von einigen Anhängern der Virus-These Blackmore das neue Bekenntnis nun übel genommen wird. Immerhin rückt sie ja letztlich nur ihr Bild zurecht:

    Religions still provide a superb example of memeplexes at work, with different religions using their horrible threats, promises and tricks to out-compete other religions, and popular versions of religions outperforming the more subtle teachings of the mystical traditions. But unless we twist the concept of a “virus” to include something helpful and adaptive to its host as well as something harmful, it simply does not apply. Bacteria can be helpful as well as harmful; they can be symbiotic as well as parasitic, but somehow the phrase “bacterium of the mind” or “symbiont of the mind” doesn’t have quite the same ring.

    Zynisch formuliert, könnten die Anhänger doch nun sagen, ob Menschen an einer bakteriellen oder viralen Religion leiden, ist letztlich kein großer Unterschied. Zur Behandlung helfen bei jener Variante nun vielleicht Antibiotika, die bei viraler Infektion unwirksam sind.

    Weniger zynisch würde ich sagen, eure Diskussion ist zumindest ein wichtiger Schritt sich über Mechanismen sowie Daten offen zu unterhalten. Dabei hilft zwar einerseits eine Sprache, die keine Seite verletzend findet, aber bildlich einprägend darf und sollte sie schon sein.

    @Mona

    Die Religion-Virus-Hypothese war m. E. sowieso nicht haltbar. Menschen sind nun mal keine Computer.

    Die Assoziation mit dem Computer finde ich ja interessant. Ich würde nie zuerst an Computervieren denken (Vorteil: Linux). Die Anhängern der Virus-Religion-These meinen das doch auch durchaus biologisch, oder irre ich mich da?

  7. @Edgar Dahl

    Vielen Dank für Deine Glückwünsche! Und, ja, Susan erkannte mit den Befunden an, dass Religiosität adaptiv sei und also die Metapher vom “Virus” fehlgehe, da ein Virus ja Maladaptivität impliziere. Stattdessen müsse man dann wohl von einem “Symbiont” sprechen.

    Wie auch ich es ja schon so oft erleben durfte, klammern sich jedoch viele an die Terminologien, die sie als vermeintlich wissenschaftlich in ihre Weltsicht eingebaut haben. Susan muss da gerade recht viel aushalten. Umso mehr bewundere ich ihren Mut und ihre Aufrichtigkeit – und bin gespannt, ob auch andere dazu in der Lage sind und sein werden. Bin mal gespannt, wie sich Richard Dawkins positionieren wird…

  8. @ – Michael: “Explaining Religion”

    Dawkins war also nicht da? War Pacal Boyer da?

    Ich bin gerade in Bombay. Vor meinem Hotel finden Prozessionen statt, in denen Ganesha ins Meer getragen wird.

  9. @Edgar Dahl

    Anwesend war von den beiden nur Pascal’s neues Buch, bald auch auf diesem Blog! 🙂

    Viel Freude in Indien! Und falls Du noch irgendwelche Zweifel daran gehabt haben solltest, dass Religiosität ein universales Merkmal des Menschen ist, dürften diese ja gerade verfliegen… 😉

    “O elephant-faced God, Ganesha,
    you are served by the attendants of Shiva
    and you eat forest apples and blackberries.

    You are Uma’s son, the destroyer of sorrows.
    I bow to the lotus feet of the remover of obstacles.”

    http://www.youtube.com/watch?v=NXruJrZ7Owg

  10. @Markus

    Nach meinem Eindruck hatte die Virus-Metapher vor allem zwei Vorzüge:

    1. Sie war leicht verständlich und bot damit eine web- und partyfähige, pseudo-wissenschaftliche “Erklärung”.

    2. Sie legte nahe, dass Religiosität schädlich sei.

    Nun versuchen einige (wie Dennett) etwas verzweifelt, die Metapher mit dem Hinweis zu retten, Viren könnten ja auch hilfreich sein. Dann wäre Religion ein “Symbiont des Geistes”, die zweite (abwertende) Bedeutung wäre dann aber weg.

    Man sieht an dieser Diskussion m.E. sehr schön, dass auch bei vermeintlich wissenschaftlichen Perspektiven auf Religion doch biografische und emotionale Aspekte eine große Rolle spielen. Wenigen gelingt es, von den eigenen Vorlieben los zu kommen – Sue ist es gelungen.

  11. Let’s party

    Partyfähige Erklärungen finde ich wunderbar! Ich denke wir brauchen solche ganz dringend in allen Bereichen der Wissenschaft.

    Pseudo-wissenschaftliche dürfen sie aber nicht sein. Aber das sind getrennte Dinge. Denn wenn sich nun die sehr partyfähige Virus-Metapher als falsch herausstellt, dann doch nicht weil sie zuvor pseudo-wissenschaftlich war, sondern weil Du diese mit Daten widerlegt hast. Oder?

    Newton’s Mechanik ist ja auch nicht pseudo-wissenschaftlich nachdem Einstein Relativitätstheorie kam. Die Hypothese, dass Religiosität nur schädlich sei, ist erst mal hinzunehmen und nicht völlig an den Haaren herbeigezogen. Und Blackmore scheint ja immer noch zu denken, dass Religiosität schädlich ist, sieht nun aber auch die andere Seite, dass sie nicht nur schädlich ist. Susan Blackmore hat ja nicht gestanden vorher pseudo-wissenschaftlich vorgegangen zu sein.

    Das jetzt der Dialog weiter geht, und zwar auf einer so bildlich einfachen Ebene auch für unbeteiligte verständlich und trotzdem mit Tiefgang finde ich gut. Denn auch Deine Daten und Erklärung sind ja party- bzw. Blog-fähig.

    Ich weiß natürlich, dass mit Metaphern auch unzulässig ja sogar niederträchtig umgegangen wird. Aber war das hier der Fall?

  12. @Markus

    Ich denke schon, dass die Mem-Metapher ihren ursprünglichen Wert hatte und ja auch intensiv getestet (und schließlich als empirisch testbare Hypothese weithin verworfen) wurde.
    http://www.chronologs.de/…mein-held-der-metapher

    “Pseudo-wissenschaftlich” wurde es erst danach: Wenn also Leute trotz der Datenlage an der Hypothese festhielten, weil ihnen dies weltanschaulich passte – und dies dann als vermeintlich wissenschaftlich ausgaben. Das wäre dann eben vergleichbar mit jenen (ja real existierenden!) Leuten, die heute noch die Einsteinsche Relativitästheorie als vermeintliche Verschwörung abtun, weil ihnen die newtonsche Physik “besser gefällt”…

    Die Kritik an der “Memetik” und an den Argumentationsfiguren von Richard Dawkins wurde und wird aber auch in religionskritischen Kreisen immer lauter, vgl.
    http://heathen-hub.com/blog.php?b=571

    Und insofern gebe ich Dir Recht: Umso mehr Menschen sich ernsthaft mit den Themen beschäftigen, umso eher werden sich wissenschaftlich valide Argumente und Begriffe herum sprechen. Partygespräche können ja ein guter Anfang für ernsthaftere Vertiefungen sein! 🙂

  13. Viren im Kopf @Markus A. Dahlem

    “Die Assoziation mit dem Computer finde ich ja interessant. Ich würde nie zuerst an Computervieren denken (Vorteil: Linux). Die Anhängern der Virus-Religion-These meinen das doch auch durchaus biologisch, oder irre ich mich da?”

    Nein, Sie irren nicht! Allerdings wird zum besseren Verständnis der “Virusplage” auch der Computer bemüht. “Religiöse Viren” sollen sich demnach wie Computerviren verhalten. Vielleicht hilft Ihnen dieser Text von Richard Dawkins weiter: http://wind.penzeng.de/Viren.htm

  14. @Michael Blume: Memetik

    “Die Kritik an der ‘Memetik’ und an den Argumentationsfiguren von Richard Dawkins wurde und wird aber auch in religionskritischen Kreisen immer lauter, …”

    Ich empfand die materialistische Kritik von Bunge/Mahner im Grunde schon vernichtend, da sie aufzeigten, dass die Memetik nicht mit naturwissenschaftlichen Grundannahmen vereinbar ist. Man müsste praktisch wieder an Gespenster glauben.

    Die Memetik – sofern man sie nun für gekippt hält – hatte aber einen entscheidenden Vorteil: Sie ist eine Evolutionstheorie. Deshalb wurde sie wohl auch von Philosophen wie Dennett angenommen.

    Auf welche Evolutionstheorie sollte sich die evolutionäre Religionsforschung sonst stützen? Auf die moderne Synthetische Evolutionstheorie? Sorry, aber die ist 100%ig biologistisch. Die definiert Fitness als relativen Reproduktionserfolg (der Begriff lässt sich folglich nur auf Systeme anwenden, die fortpflanzungsfähig sind, d.h. auf biologische Systeme). Ferner gehört zu den Grundannahmen der natürlichen Selektion (siehe Bücher von Mayr), dass der Fortpflanzungserfolg maßgeblich durch – in Relation zur Umwelt – günstige/ungünstige Genen verursacht wird. Dies hätte – gemäß Ihren eigenen Untersuchungen – zur Folge, dass Religiösitität doch irgendwie genetisch ist. Davon ist jedoch nicht auszugehen. Superreligiösität (Priester + Nonnen) müsste dann z. B. wieder ungünstig sein (und auch z. T. genetisch).

    Auf Dauer wird man nicht umhin können, sich auf eine Evolutionstheorie zu stützen, die auch soziokulturelle Evolutionen beschreiben kann. Die Memetik war immerhin ein Versuch in diese Richtung. Sie basiert auf der Grundüberlegung (auf dem Dawkinsschen Fehlschluss), dass Evolutionen durch Replikatoren angetrieben werden. Weil es solche bei der biologischen Evolution angeblich gibt (die Gene), wurden für die soziokulturelle Evolution einfach welche postuliert (die Meme).

    Ich finde weiterhin, dass wir den systemischen Evolutionsansatz zwingend benötigen. Ohne eine schlüssige Evolutionstheorie, die auf das vorliegende Fachgebiet anwendbar ist, dürften die empirischen Befunde auf Dauer nicht aussagekräftig genug sein.

  15. @Peter Mersch

    Nun, wenn ich Ihren Ansätzen, Begriffsbildungen und Empfehlungen auch nicht immer folgen kann, so bin ich doch gespannt, inwiefern sich der systemische Evolutionsansatz auf die Evolution von Religiosität und Religionen anwenden lässt. Auf Ihren dazu angekündigten Text freue ich mich schon!

  16. @Michael Blume: Evolution der Religionen gemäß Systemischer Evolutionstheorie

    Ich deutete es bereits an: Im Abschnitt “Die evolutionäre Bedeutung der Religionen” meines Artikels
    http://knol.google.com/…stische/6u2bxygsjec7/122
    findet sich eine erste Beschreibung der Evolution der Religionen mittels der Systemischen Evolutionstheorie. Sie ist systemtheoretisch (d.h. kompatibel zum emergenten Materialismus gemäß Bunge/Mahner) und natürlich Memetik-frei. Und sie argumentiert evolutionstheoretisch.

    Wie man sieht, wird hierbei davon ausgegangen, dass größere Religionsgemeinschaften “Superorganismen” sind. Das macht sie so leistungsstark (sie können dann z. B. aktiv missionieren). Der christliche Glaube verbreitete sich also nicht wie Viren von Gehirn zu Gehirn, sondern weil man frühzeitig eine Kirche gründete, die ein eigenständiges Reproduktionsinteresse besitzt.

    Begriffsbildungen hin oder her: Es ist m. E. der erste Ansatz, der die biologische und soziokulturelle Evolution völlig einheitlich zu beschreiben versucht. Und ich finde, dies sollte eine gute Evolutionstheorie auch können.

  17. Ist es in Deutschland überhaupt schon richtig angekommen?

    In deutschen Veröffentlichungen zu der Sache fand ich bis jetzt sehr wenig und noch weniger Qualifiziertes.
    Über “adaptiv” oder byproduct gab’s doch auch hier schon giftige Streitereien. Das dürfte jetzt offener diskutiert werden können – ergebnisoffen.
    Aber es scheint hierzulande noch ziemlich still zu sein. Brights und hpd schweigen, so viel ich sehe. Auch die sonstige Religionswissenschaft.
    Die Diskussion nach dem Guardian-Artikel versuchte ich zu überfliegen (dabei Daniel Dennetts Äußerung, von Blackmore aus einer Mail zitiert, aber auch nicht so furchtbar scharf) und fand auf Englisch sonst ein paar wenige kritisierende Kommentare.
    Aber ist es wirklich so scharf gegen Blackmore hochgekocht?
    Ja und Blackmores präzisierende Vergewisserungen, dass sie natürlich kein moralisch oder erkenntistheoretisch positives Urteil über Religionen fällt, sind natürlich in dieser Guardian-Diskussion auch spannend. Und wohl auch der Sache angemessen.

  18. @ – Peter Mersch: Memetik

    In welchem Buch von Bunge und Mahner findet sich die Kritik an Dawkins’ Memetik?

  19. @ – Michael: Adaptivität der Religiosität

    Lieber Michael,

    ich habe ja nie an der Universalität und Heredität der Religiosität gezweifelt. Das einzige, woran ich gezweifelt habe – und weiterhin zweifele – ist ihre Adaptivität!

    Indien bietet mir sogar ein weiteres gutes Beispiel. Hier in Bombay nimmt die Zahl der Hindus stetig zu, die Zahl der Parsen dagegen stetig ab. Du kannst den differentiellen Reproduktionserfolg nicht mit der unterschiedlichen Religiosität erklären. Denn die Parsen sind genauso religiös wie die Hindus.

    Der einzige und alles entscheidende Unterschied besteht in ihrer Politik. Anders als die Hindus kennen die Parsen keine Missionierung und nehmen auch keine Konvertiten auf.

    Kurz um: Es ist nicht die Religiosität als solche, die einigen Menschen zu einer höheren Kinderzahl verhilft, sondern die Moral, das Recht und die Politik ihrer Religionsgemeinschaft.

  20. @Peter Mersch

    Nun habe ich mir Ihren Text und Ihre Anwendung Ihrer Evolutionstheorie auf die Evolution von Religiosität und Religionen angeschaut – und muss leider feststellen, dass wir da doch in vielem weit auseinander liegen. Abgesehen vom derzeit wieder populären Schwachsinn der Eugenik (zu dem ich mich bei Gelegenheit einmal gesondert äußern werde), habe ich drei Hauptkritikpunkte:

    1. Sie erklären Religionsgemeinschaften als Superorganismen. Das ist ebenso simpel wie schlichtweg falsch. Die Evolution von Gemeinschaften mit exklusiver Zugehörigkeit (aka Kirchen) ist ein religionshistorisch sehr junges Phänomen und auch heute noch nicht die Regel: Buddhisten können z.B. problemlos Mitglied in mehreren “Gemeinschaften” sein. Und für die Jahrzehntausende der Evolution von Religiosität in Jäger-und-Sammler-Kulturen spricht nichts für “Superorganismen”: Vielmehr werden religiöse Mythen und Rituale über soziale Netzwerke weitergegeben, immer wieder neu kombiniert, tradiert. Und auch noch z.B. der römische Polytheist gehörte kaum je einer exklusiven Gemeinschaft an.

    2. Ihr Ansatz erklärt ja gerade nicht, warum Religiosität zur Formation von “Superorganismen” in der Lage sein sollte, z.B. säkulare Ideologien, Sport- oder Musikvereine aber nicht. Warum haben wir viele kinderreiche Religionsgemeinschaften, aber keine einzige säkulare Population, die auch nur ein Jahrhundert wenigstens die Bestandserhaltungsgrenze hätte halten können? Genau an solchen Fragen beginnt es doch erst spannend zu werden.

    3. Schließlich sehe ich einen logischen Widerspruch, wenn Sie dem Christentum vorwerfen, seine Lehren könnten zu “Überbevölkerung” führen, nur um wenige Absätze später massive politische Maßnahmen zur Steigerung der Geburtenraten zu fordern.

    Hier scheint mir überhaupt das Hauptproblem Ihres Ansatzes zu liegen: Sie changieren zwischen wissenschaftlicher Erklärung und (v.a. familien-)politischer Forderung. Beides passt aber nicht zusammen: Wissenschaftliche Arbeit muss immer ergebnis- und also erkenntnisoffen sein, sich z.B. auch – wie Susan Blackmore – korrigieren können. Wenn Sie aber von vornherein ein bestimmtes weltanschaulich-politisches Konzept vorschalten, geht genau diese wissenschaftliche Offenheit verloren.

    Und dies finde ich umso tragischer, weil ich viele Ihrer Gedanken und Begriffe sehr interessant finde und der Auffassung bin, dass Sie zur Evolutionsforschung einiges beitragen könnten – wenn Sie offen forschen würden, statt sich auf eugenische und familienpolitische Konzepte vorab festzulegen und diese dann nachträglich zu “beweisen”.

  21. @Hermann

    Mich wundert das eigentlich weniger. Wenige von uns Menschen haben ja den Schneid, so offen wie Susan zu erklären, dass sie mit einigen Hypothesen falsch lagen. Die viel häufigere Reaktion ist doch erst einmal das Zurückziehen, der Versuch, das einmal Vertretene doch irgendwie zu retten oder es schließlich stillschweigend (“Hab ich doch auch schon immer gesagt…”) zu korrigieren. Insofern gehe ich davon aus, dass es auch weiterhin lange dauern wird, bis die Adaptivität von Religiosität durchsickert. Und dann werden einfach (fast) alle behaupten, sie hätten es doch schon immer gewusst… C’est la vie! 🙂

  22. @Edgar Dahl: Kulturelle Evolution

    Vielleicht bietet Indien ja wirklich eine Chance für Dich, die Wechselwirkung aus biologischer und kultureller Evolution nach zu vollziehen! 🙂

    Du beobachtest richtig: Wo immer es religiöse Vielfalt gibt, gibt es einige religiöse Traditionen, die (auch aufgrund ihres Kinderreichtums!) wachsen und andere, die schrumpfen (z.B. die Parsen, die nicht nur auf Mission verzichten, sondern auch extrem wenige Kinder haben). So setzen sich im Prozess der kulturellen Evolution immer wieder (auch demografisch) erfolgreichere Varianten durch – und Menschen, die religiös sind, partizipieren am (durchschnittlichen) Reproduktionserfolg.

    Du kannst das mit jedem anderen kulturellen Produkt vergleichen, z.B. der Werkzeugherstellung. Sehr viele je hergestellte Werkzeuge sind nicht nützlich, andere (z.B. Steinschaber) waren es einmal, werden heute aber nicht mehr gebraucht. Weil sich aber erfolgreiche Werkzeugvarianten immer wieder durchsetzen, konnten jene Menschen, die sich auf die Herstellung und den Gebrauch von Werkzeugen verstanden, an diesem (durchschnittlichen) Nutzen partizipieren. Es ist ja auch eigentlich keine Überraschung: Kulturbezogene Fähigkeiten wirken sich erst über die Herstellung von (miteinander konkurrierenden) Kulturprodukten aus.

    Weitere Beispiele findest Du auch hier:
    http://www.chronologs.de/…iokulturelle-evolution

    Herzliche Grüße!

  23. @Edgar Dahl: Memetik – Bunge/Mahner

    Ganz besonders klar (mit ausdrücklicher Erwähnung der Memetik) wird die Kritik in “Über die Natur der Dinge” formuliert.

    Die Zitate finden ich insbesondere in meinem Artikel “Memetik contra Systemische Evolutionstheorie” (http://knol.google.com/…temische/6u2bxygsjec7/10), dort im Abschnitt “Naturalistische Einwände gegenüber der Memetik”.

  24. @ – Michael: Kulturelle Evolution

    Also gibst Du zu, dass die Religion lediglich ein Produkt der Kultur ist.

    Diejenigen Religionen, die ihre Mitglieder dazu auffordern, sich kräftig zu reproduzieren und emsig zu missionieren, breiten sich aus; und diejenigen Religionen, die dies nicht tun, sterben aus.

    Das ist kulturelle Evolution. Mit Biologie, geschweige denn, Adaptivität, hat das nichts zu tun.

    Dasselbe Spiel kannst Du mit Weltanschaungen betreiben: Wenn Kommmunisten in Sachen Reproduktion und Mission erfolgreicher als Liberale sind, breiten sie sich erfolgreicher aus. Aber niemand würde deshalb behaupten, dass der Kommunismus ein Produkt der natürlichen Selektion ist und adaptiv sei.

  25. @Edgar Dahl

    “Kurz um: Es ist nicht die Religiosität als solche, die einigen Menschen zu einer höheren Kinderzahl verhilft, sondern die Moral, das Recht und die Politik ihrer Religionsgemeinschaft.”

    Das würde ich auch vermuten.

  26. @Dahl: Biologie

    Religiosität ist u.a. auch wesentlich ein Ergebnis von Gehirntätigkeit. Sie hängt z.B. zum Teil eindeutig davon ab, wie unser Gehirn im Gedächtnis gespeicherte Erinnerungen verarbeitet. Damit hat sie nachvollziehbare biologische Ursachen – ist also das Ergebnis unserer Biologie.

  27. @Edgar Dahl

    Was für eine Begriffsverwirrung! 🙂

    Du fragtest: Also gibst Du zu, dass die Religion lediglich ein Produkt der Kultur ist.

    Was heißt denn hier “lediglich”? Jede Musik, jede Sprache, Wirtschafts-, Bildungs- und Staatsform, Wissenschaft, das Internet etc. – alles ist doch Teil unserer Kultur. Und zwar aufbauend auf unseren biologischen Fähigkeiten, und auf diese rückwirkend. Kann es wirklich sein, dass Du noch einen Gegensatz von Natur und Kultur vertrittst?

    Diejenigen Religionen, die ihre Mitglieder dazu auffordern, sich kräftig zu reproduzieren und emsig zu missionieren, breiten sich aus; und diejenigen Religionen, die dies nicht tun, sterben aus.

    Etwas platt, aber ja: Und so verbindet sich Religiosität mit einem Reproduktionsvorteil. Und verstärkt sich. Seit Jahrzehntausenden.

    Das ist kulturelle Evolution. Mit Biologie, geschweige denn, Adaptivität, hat das nichts zu tun.

    Lieber Egdar, wie hat sich wohl unser Sprachapparat entwickelt? Genau – weil die Herstellung und Beherrschung von Begriffen und schließlich Sprachen (Kulturprodukte!) erfolgreich war und auf die Biologie rückwirkte. Es wurde also vorteilhaft, dort mitmischen zu können – genau wie bei Religiosität auch. Ohne Kulturprodukte – kein biologischer Sprechapparat. Das alles wusste übrigens schon Darwin, der ebenfalls die biologischen Grundlagen von Religiosität und deren kulturelle Ausformungen in religiöse Traditionen unterschied:
    http://www.scilogs.eu/…eligiosity-and-religion-s

    Wundert mich immer wieder, dass auch selbsternannte “Darwinisten” dies immer wieder ignorieren.

    Dasselbe Spiel kannst Du mit Weltanschaungen betreiben: Wenn Kommmunisten in Sachen Reproduktion und Mission erfolgreicher als Liberale sind, breiten sie sich erfolgreicher aus. Aber niemand würde deshalb behaupten, dass der Kommunismus ein Produkt der natürlichen Selektion ist und adaptiv sei.

    Jetzt geht aber wirklich alles durcheinander… Könntest Du bitte erklären, was das Aufzählen von politischen Weltanschauungen der letzten zwei Jahrhunderte mit der Evolution von Sprache, Musik oder Religion ernsthaft zu tun haben soll – Merkmale, die es seit Tausenden von Generationen gibt? Und woher Du die Behauptung (?) nimmst, der Kommunismus wäre “reproduktiv erfolgreich” gewesen? Kannst Du uns eine entsprechende, über Generationen erfolgreiche Gemeinschaft nennen?

    Ich kann ja verstehen, dass es Dir schwerfällt, die vorliegenden Befunde zu akzeptieren oder einzuordnen. Aber es gibt inzwischen wirklich eine Menge Gelegenheiten, sich über den aktuellen Stand der Evolutionsforschung und über die Wechselwirkungen biologischer und kultureller Evolution zu informieren. Aktuell ist z.B. das sehr lesens- und sehenswerte GEO kompakt “Wie der Mensch die Erde eroberte” im Handel, in dem in Heft und DVD die Evolution des Menschen – einschließlich z.B. seiner Merkmale der Sprachfähigkeit, Werkzeugherstellung und Religiosität – thematisiert wird. Das alles ist ja wirklich kein Geheimnis mehr.

    Bitte habe Verständnis, dass ich auf diesem Blog nicht immer wieder Fragen beantworten möchte, die bereits unzählige Male beantwortet wurden.

  28. Kritik von Bunge/Mahner an Memetik

    Die naturalistische Kritik von Bunge und Mahner an der Memetik habe ich auch hier im Blog in deren Rezension vorgestellt:
    http://www.chronologs.de/…kung-des-materialismus

    Ich darf zitieren (“Über die Natur der Dinge”, S. 126):

    “”In Analogie zu Genen werden Ideen (Meme) als selbstreplizierende Entitäten aufgefasst, die Gehirne gleichsam als geistige Viren parasitieren und so weitergegeben werden. Die Anhänger der Memetik versprechen sich von ihrem Ansatz eine selektionstheoretische Erklärung der Weitergabe und Ausbreitung von Ideen. Die Memetik ist jedoch zum einen konzeptuell so unklar, dass sie an Sinnlosigkeit grenzt, zum anderen ignoriert sie praktisch die gesamte psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung zur menschlichen Kommunikation … Idealistische Fantasien werden nicht dadurch akzeptabler, dass sie in evolutionsbiologischem Gewande daherkommen.”

  29. @Michael Blume

    Blume: “Abgesehen vom derzeit wieder populären Schwachsinn der Eugenik …”

    Gemäß Darwinismus (bzw. der modernen Synthetischen Evolutionstheorie) ist Evolution nun mal ein eugenischer Prozess (wenn man eugenisch als Gegensatz zu dysgenisch und nicht als politisches Programm versteht).

    Blume: “1. Sie erklären Religionsgemeinschaften als Superorganismen. Das ist ebenso simpel wie schlichtweg falsch. Die Evolution von Gemeinschaften mit exklusiver Zugehörigkeit (aka Kirchen) ist ein religionshistorisch sehr junges Phänomen und auch heute noch nicht die Regel: Buddhisten können z.B. problemlos Mitglied in mehreren ‘Gemeinschaften’ sein.”

    Das ist doch völlig egal. Selbt wenn ich gleichzeitig Katholik und Protestant sein könnte, würde das nichts am Charakter dieser “Gemeinschaften” ändern.

    Blume: “Und für die Jahrzehntausende der Evolution von Religiosität in Jäger-und-Sammler-Kulturen spricht nichts für ‘Superorganismen’: Vielmehr werden religiöse Mythen und Rituale über soziale Netzwerke weitergegeben, immer wieder neu kombiniert, tradiert.”

    Die ja in dem Artikel von der Untersuchung explizit ausgeschlossen werden. Darin geht es nicht darum, die Entstehung der Religiösität zu erklären. Es geht darum, wie komplexe Religionsgemeinschaften evolvieren (z. T. trotz Zölibat).

    Blume: “Und auch noch z.B. der römische Polytheist gehörte kaum je einer exklusiven Gemeinschaft an.”

    Meinetwegen. Diese Gemeinschaften sind jedoch längst verschwunden.

    Blume: “Ihr Ansatz erklärt ja gerade nicht, warum Religiosität zur Formation von ‘Superorganismen’ in der Lage sein sollte, z.B. säkulare Ideologien, Sport- oder Musikvereine aber nicht. Warum haben wir viele kinderreiche Religionsgemeinschaften, aber keine einzige säkulare Population, die auch nur ein Jahrhundert wenigstens die Bestandserhaltungsgrenze hätte halten können? Genau an solchen Fragen beginnt es doch erst spannend zu werden.”

    Doch, genau das erklärt der Artikel im Detail, und zwar an den Beispielen des Christentums und unserer modernen säkularen Gesellschaft. Das Christentum hat nicht nur Regeln für ein besseres Zusammenleben aufgestellt, sondern für die Fortpflanzung auch. Deshalb ist die Schlussfolgerung des Artikels ja auch: Genau daran scheitern bislang alle säkularen Gemeinschaften. Die alternative “Welterklärung” des Nichtreligiösen ist bekanntlich die Evolutionstheorie. Meiner Meinung nach benötigen säkulare Gemeinschaften – wie die Religionsgemeinschaften – Vorstellungen darüber, wie die Nachwuchsarbeit zu organisieren ist, und die können dann nur auf der Evolutionstheorie fußen. Die Norm “Frauen und Männer gehen beide arbeiten und teilen sich die Familienarbeit” ist z. B. eine Ideologie, die zwangsläufig dazu führen dürfte, dass sich die Gemeinschaft “abschafft” (Sarrazin), da sie nicht mit der Evolutionstheorie vereinbar ist. Dieses Abschaffen erleben wir jetzt gerade. Würde man dagegen ein matriarchalisches Konzept wie die von mir vorgeschlagene Familienmanagerin gesellschaftsweit implementieren, sähe die Situation ganz anders aus. Meine Kernaussage ist: In Sozialstaaten ist die Reproduktion (anders als in der Natur) nichts Natürliches. Man muss sie gewissermaßen organisieren. Nichts anderes haben die Weltreligionen getan. Sogar die Honigbienen mit ihren komplexen Sozialstaaten waren genau dazu gezwungen.

    Blume: “3. Schließlich sehe ich einen logischen Widerspruch, wenn Sie dem Christentum vorwerfen, seine Lehren könnten zu ‘Überbevölkerung’ führen, nur um wenige Absätze später massive politische Maßnahmen zur Steigerung der Geburtenraten zu fordern.”

    Das Christentum führt ganz klar zu einer Überbevölkerung. Paare, die strikt katholisch leben (und somit keine Verhütungsmethoden anwenden) würden heute 10 Kinder durchbekommen. Nehmen Sie als Beispiel die Verfasser des Buches “Abenteuer Familie” (ein gebildetes christliches Ehepaar). Sie haben 10 Kinder. Oder U.v.d.Leyen. Oder Afrika. Wir sind jedoch keine christliche Gemeinschaft mehr, sondern eine säkulare Gesellschaft mit einem komplexen Wohlfahrtsstaat. Und nur für die fordere ich eine Erhöhung der Geburtenraten, weil alles andere schlimmster Kolonialismus wäre und somit ethisch verwerflich. Staaten müssen sich im Wesentlichen selbst reproduzieren, sonst begeht man Humankapitalplünderung.

    Blume: “Hier scheint mir überhaupt das Hauptproblem Ihres Ansatzes zu liegen: Sie changieren zwischen wissenschaftlicher Erklärung und (v.a. familien-)politischer Forderung. Beides passt aber nicht zusammen: Wissenschaftliche Arbeit muss immer ergebnis- und also erkenntnisoffen sein, sich z.B. auch – wie Susan Blackmore – korrigieren können.”

    Mein Artikel “Systemische Evolutionstheorie” ist eine wissenschaftliche Arbeit. Der von mir genannte Sarrazin-Artikel ist es ganz klar nicht. Darin skizziere ich nur erstmalig, wie ich mir die Evolution der Weltreligionen gemäß der Systemischen Evolutionstheorie vorstelle, um dann aber zu erwähnen, dass ich das mal in einer größeren Arbeit darstellen möchte. Ich käme nie auf die Idee, den Sarrazin-Artikel eine wissenschaftliche Arbeit zu nennen. Sehr wohl versuche ich darin, politische Forderungen wissenschaftlich zu begründen. Das ist eine übliche Vorgehensweise. Wenn wissenschaftlich zweifelsfrei festgestellt würde, dass der Mensch durch CO2-Ausstoß für eine Klimaerwärmung sorgt, dann könnte man auf dieser (wissenschaftlichen) Basis politische Forderungen stellen. Die politische Forderung wäre dann jedoch keine Wissenschaft mehr.

    Blume: “Wenn Sie aber von vornherein ein bestimmtes weltanschaulich-politisches Konzept vorschalten, geht genau diese wissenschaftliche Offenheit verloren.”

    Ich wüsste nicht, wo das vorgeschaltet wäre. Ich gehe in meinen Arbeiten eigentlich lediglich davon aus, dass alle Vorgänge des Lebens (inkl. Kultur) durch Evolution entstehen und dass Evolution = Kompetenzerhalt ist.

    Blume: “Und dies finde ich umso tragischer, weil ich viele Ihrer Gedanken und Begriffe sehr interessant finde und der Auffassung bin, dass Sie zur Evolutionsforschung einiges beitragen könnten – wenn Sie offen forschen würden, statt sich auf eugenische und familienpolitische Konzepte vorab festzulegen und diese dann nachträglich zu ‘beweisen’.”

    Das ist einfach nicht der Fall. Im Übrigen übersehen Sie vielleicht auch Ihre eigenen Grundannahmen. Nehmen wir einmal an, es würde die BGE-Petition, die Susanne Wiest vor dem Bundestag eingereicht hat, zumindest für Kinder beschlossen: 1.000 Euro BGE für jedes Kind. Dann gehe ich mit Ihnen jede Wette ein: Unsere säkulare Gesellschaft hätte schon bald eine deutlich höhere Fertilitätsrate als z. B. der Iran. Was hätte das für Konsequenzen für Ihre Religionsforschung? Überlegen Sie mal. Ferner: Wäre das für unsere Gesellschaft gut? Nein, sie würde auf diese Weise auf eine gewaltige Katastrophe zusteuern. Geburtenzahlen allein (und darauf beschränken sich Ihre Untersuchungen häufig) sagen überhaupt nichts über die demographische Leistungsfähigkeit einer Gemeinschaft aus. Ich wiederhole es gerne noch einmal: Hermaphroditen erreichen Bestandserhaltung bei 1 Nachkommen pro gebärfähigem Individuum, Männchen/Weibchen-Populationen dagegen erst bei 2 Nachkommen. Hermaphroditen sind also, was die potenzielle Zahl an Nachkommen angeht, viel leistungsfähiger als getrenntgeschlechtliche Populationen. Trotzdem haben sich letztere in der Evolution praktisch komplett durchgesetzt. Höhere Lebewesen gibt es im Grunde nur getrenntgeschlechtlich. Fragen Sie sich einfach mal warum. Und wenn Sie das beantwortet haben, dann fragen Sie sich, was das eigentliche demographische Geheimnis der Religionsgemeinschaften ist. Die reine Kopfzahl ist es jedenfalls nicht.

  30. @Michael Blume: Gen-Kultur-Koevolution

    “Du kannst das mit jedem anderen kulturellen Produkt vergleichen, z.B. der Werkzeugherstellung. Sehr viele je hergestellte Werkzeuge sind nicht nützlich, andere (z.B. Steinschaber) waren es einmal, werden heute aber nicht mehr gebraucht. Weil sich aber erfolgreiche Werkzeugvarianten immer wieder durchsetzen, konnten jene Menschen, die sich auf die Herstellung und den Gebrauch von Werkzeugen verstanden, an diesem (durchschnittlichen) Nutzen partizipieren. Es ist ja auch eigentlich keine Überraschung: Kulturbezogene Fähigkeiten wirken sich erst über die Herstellung von (miteinander konkurrierenden) Kulturprodukten aus.”

    Das Problem an der Sache ist (ich übersetze es einmal salopp): Heute bekommen die Menschen umso weniger Nachkommen, je höher ihre kulturbezogenen Fähigkeiten sind. Unter solchen Voraussetzungen kann es keine Gen-Kultur-Evolution geben. Das gilt sogar für die Laktose-Verträglichkeit. Stellen Sie sich vor, man führt in einen Sozialstaat (ggf. aus Not) erstmalig Milch als Grundnahrungsmittel ein. Viele Menschen vertragen sie nicht gut, sie bleiben kränklich und leben von der Sozialhilfe. Andere vertragen sie dagegen sehr gut, werden ungemein leistungs- und lernfähig und bekommen die gut bezahlten Jobs. Mit ihrem guten Einkommen kaufen sie sich Autos, Wohnungen und Urlaubsreisen. Allerdings bleiben sie kinderlos, da diese sie am Arbeiten hindern würden. Kinder bekommens stattdessen in erster Linie die Sozialhilfeempfänger, deren Kinder der Sozialstaat ernährt.

    Was wären die vermutlichen langfristigen Folgen für die Laktoseverträglichkeit im Sinne einer Gen-Kultur-Koevolution? Ich kann es Ihnen sagen: Bald würde die gesamte Bevölkerung laktoseintolerant sein. Und verarmen würde sie auf diese Weise auch. Sarrazin hat sich noch etwas drastischer ausgedrückt.

  31. @Peter Mersch

    Also soll nach Ihrer Auffassung Ihre spezifische Lesart des Evolutionsgeschehens die Religionen ersetzen! Sorry, von so etwas kann ich nichts halten. Seltsam finde ich auch die wilden Vergleiche zwischen Spezies. Algen haben viele Merkmale nicht, die wir Menschen haben – was doch nicht gegen die Merkmale spricht, sondern nach deren spezifischen Funktionen fragen laesst. Zum Missbrauch der Evolutionsforschung durch Thilo Sarrazin und zum Wahnsinn eugenischer Politikentwuerfe sind wohl doch eigene Posts notwendig.

  32. @Michael Blume

    “Also soll nach Ihrer Auffassung Ihre spezifische Lesart des Evolutionsgeschehens die Religionen ersetzen!”

    Es ist nun mal so: Entweder man glaubt daran, dass die uns umgebende Welt von einem Gott geschaffen wurde (ggf. mit einem Leben nach dem Tod), oder dass sie durch Evolution in einem eigendynamischen Prozess von selbst entsteht. Schöpfung oder Evolution sind die beiden großen vorstellungsmäßigen Paradigmen. Ich glaube an Evolution. Ich gebe zu, dass dies auch nur ein Glaube ist, denn beweisen kann ich das genauso wenig wie die Sache mit der Schöpfung. Ich finde allerdings, dass heute einiges für die Evolutionsvorstellung spricht.

    “Sorry, von so etwas kann ich nichts halten.”

    In meinem Artikel über die Systemische Evolutionstheorie (http://knol.google.com/…stheorie/1gkbevzlim11a/1) lautet das allerletzte Kapitel: “Ethische und politische Konsequenzen”. Darin gehe ich der Frage nach, welche politischen Konsequenzen sich aus der Systemischen Evolutionstheorie selbst ergeben. Die Antwort lautet: Eigentlich nur, dass eine Generation für Generationengerechtigkeit sorgen muss. Genau das fordert nun Sarrazin im Grunde ein. Leider hat man ihn nicht verstanden.

    “Seltsam finde ich auch die wilden Vergleiche zwischen Spezies.”

    Diese Vergleiche sind dann nicht seltsam, wenn man gleiche Problemstellungen miteinander vergleicht. Beispielsweise kann man durchaus Vögel und Flugzeuge bzgl. Flugtechnik miteinander vergleichen, ohne dabei Vögel zu beleidigen.

    Honigbienen haben das Problem, dass sie einen Sozialstaat betreiben, bei denen sowohl die Nahrungssuche und Feindabwehr (Produktion) als auch die Nachwuchsarbeit (Reproduktion) von Weibchen erledigt werden. Sie sammeln die Nahrung gemeinsam für alle. Gäbe es bei ihnen nur eine Individuensorte (eierlegende Arbeiterinnen), dann würden die Weibchen die meisten Nachkommen hinterlassen können, die am wenigsten oft auf Nahrungssuche gehen. Man kann leicht zeigen, dass der Sozialstaat dann nur auf eine Weise überleben wird: Es kommt zu einer Spezialisierung unter den Weibchen, nämlich in Arbeiterinnen und Königinnen: die einen gehen auf Nahrungssuche, die anderen bleiben daheim und legen Eier.

    Vor einem ganz ähnlichen Problem stehen menschliche Sozialstaaten, seitdem auch Frauen arbeiten gehen. Das Problem bedarf also einer Lösung. Ich habe dafür einen Vorschlag erarbeitet, der auf einer Opportunitätskostenrechnung beruht (so etwas hat sich in der Demografie ziemlich stark durchgesetzt). Das ist im Grunde schon alles.

    “Zum Missbrauch der Evolutionsforschung durch Thilo Sarrazin und zum Wahnsinn eugenischer Politikentwuerfe sind wohl doch eigene Posts notwendig.”

    Vielleich schreiben Sie gleichzeitig auch etwas zum Missbrauch soziologischer Forschung, z. B. durch den Feminismus.

    In der Emma las ich zum Thema Sarrazin das Folgende:

    “Die geschlossene Front gegen Thilo Sarrazins Thesen zur Integration ist fast ein wenig unheimlich – so viele gegen einen – was mag da alles dahinterstecken? Eines aber ist rundum erfreulich: Alle sind sich einig, dass das Thema Gene völlig irrelevant sei. Ob Menschen von ihren Genen bestimmt werden und wie das Verhältnis zwischen Angeborenem und Prägung eigentlich genau ist – das sei eine ganz und gar rückschrittliche Debatte. Zumindest, soweit es um bestimmte Bevölkerungsgruppen bzw. MigrantInnen geht. Bravo! So sieht EMMA das auch.
    Und wir möchten an dieser Stelle festhalten: Das gilt für alle Menschen, für Deutsche und Migranten, für Juden und Nichtjuden – ja sogar für Frauen und Männer.
    Wenn demnächst also zum hunderttausendsten Mal in den so seriösen Medien steht, dies und das sei den Frauen angeboren – wie zum Beispiel der Mutterinstinkt oder das Schlechteinparken – dann gehen wir davon aus, dass dieselben Stimmen wie in der Sarrazin-Debatte laut und vernehmlich protestieren und klarstellen: All dieses Gequatsche über die Gene ist reine Spekulation – nur auf die Prägung, auf Bildung und gleiche Chancen kommt es an. Jawoll!”

    Wenn Sie wissen wollen, warum immer mehr Kinder in Armut und Bildungsferne aufwachsen, dann haben Sie gerade die Antwort gefunden: Es sind solche geradezu kranken Ideologen, denen jegliche wissenschaftliche Grundlage fehlt, die das verursacht haben.

  33. @ – Michael: Kritik

    Lieber Michael, wie ich bemerken durfte, hast Du Dir einen neuen Ton im Umgang mit Deinen Kritikern zugelegt. Nun, ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte:

    Aus einer bloßen Korrelation zwischen Religiösität und Parität lässt sich keine biologische Adaptivität erweisen!

  34. @Peter Mersch

    Es ist in der modernen Geschichte noch immer schief gegangen, wenn sich Religion als Wissenschaft (z.B. Kreationismus) oder Wissenschaft als Religion (z.B. Sozialdarwinismus) ausgegeben hat. Darüber schrieb u.a. Friedrich August von Hayek und darauf gehe ich dann gerne noch einmal gesondert ein.
    http://www.chronologs.de/…-glaubens/fa-von-hayek

    Dass sich Evolutionstheorie und Gottesglauben ausschließen würden, hat schon Darwin zurückgewiesen. Sein Mitentdecker Alfred Russel Wallace blieb ebenso Theist wie z.B. Antoinette Brown-Blackwell, Teilhard de Chardin, Dobzhansky oder Michael Dowd mit “Thank God for Evolution”.
    http://www.chronologs.de/…gott-f-r-die-evolution

    Und unzählige jüdischer, christlicher, islamischer und anderer Gemeinden begehen längst z.B. den Evolution Day. Wenn Sie Wissenschaft und Religion für unvereinbar halten, kann ich das als Ihre persönliche Weltanschauung respektieren. Aber mit der gelebten Realität hat es m.E. doch eher wenig zu tun.

  35. @Edgar Dahl: Neuer Ton?

    Lieber Edgar,

    nein, so neu ist der Ton gar nicht. Ich habe in den vergangenen Jahren einfach festgestellt, dass Deutlichkeit im Netz einem auch vor vielem schützt. Und jedem Recht machen, von jedem gemocht werden, jeden überzeugen geht ja eh nicht – man verschwendet mit solchen Versuchen nur wertvolle Zeit. Also renne ich nicht jeder “Kritik” hinterher, sondern konzentriere ich mich auf die ernsthaften, wissenschaftlichen Diskussionen. Denn ich bin, bei allem Respekt vor allen Beteiligten, nun mal kein ehrenamtlicher Therapeut.

    Du hast nach Dutzenden von Stunden gemeinsamer Diskussionen inzwischen anerkannt, dass

    1. Religiosität teilweise genetisch heritabel

    und

    2. ein universales Merkmal des Menschen ist.

    Und auch 3. das empirische Fakt des durchschnittlich höheren Reproduktionserfolges religiös vergemeinschafteter Menschen hast Du als Ergebnis kultureller Evolution korrekt erkannt und, wenn auch etwas grob, beschrieben. Von wegen “bloße Korrelation”, wir haben auch schon stundenlang z-B. Fallstudien debattiert…

    Wenn es Dir jetzt immer noch – aus welchen Gründen auch immer – nicht gelingt, 1, 2 und 3 evolutions-logisch zu verknüpfen, nehme ich das mit Respekt und bedauerndem Achselzucken zur Kenntnis. Werde Deine Haltung aber wohl auch in weiteren Stunden der immergleichen Diskussionen kaum ändern, da bist Du schon selber gefragt. Und falls Du anderen eher glaubst: die empfohlene Geo Kompakt liest sich wirklich gut, der Film ist auch klasse! 🙂

  36. @Michael Blume und @Peter Mersch: Einwürfe 1

    Lieber Michael Blume, lieber Peter Mersch,
    ich finde Ihre Diskussion gerade sehr heiß und wage es kaum mich einzumischen. Da ich aber befürchte, dass sie bald abrupt enden könnte (und ich eh gerade sehr viel zu tun habe), will ich nur ab und zu ein paar sehr kurze Einwürfe ins Spiel geben (auch mit dem Hintergedanken, ein wenig zu provozieren). An jeden Partner geht jeweils ein Einwurf 😉

    Michael Blume schrieb:
    “Ohne Kulturprodukte – kein biologischer Sprechapparat.”
    Säugetiere, die ja einen biologischen Sprechapparat haben, auch wenn sie ihn nicht zum Sprechen nutzen, hätten demnach Kulturprodukte entwickelt?

    Peter Mersch schrieb:
    “(Wir sind) eine säkulare Gesellschaft mit einem komplexen Wohlfahrtsstaat. Und nur für die fordere ich eine Erhöhung der Geburtenraten.”
    Genau darin liegt das Problem – das kann man nicht fordern, Menschen sind keine abzuschaltenden AKWs, abzureißenden Bahnhöfe oder zu senkende Steuern (und übrigens auch keine Bienenvölker). Man kann es nur erzwingen. So wie China gerade das Gegenteil von seiner Bevölkerung erzwingt.

    Weitere Einwürfe folgen bestimmt.

  37. @Ralph Würfel

    Säugetiere, die ja einen biologischen Sprechapparat haben, auch wenn sie ihn nicht zum Sprechen nutzen, hätten demnach Kulturprodukte entwickelt?

    Dürfte ich um ein Beispiel bitten? Wenn ein Organ nicht zum Sprechen benutzt wird, sondern z.B. zum Musizieren (übrigens auch Kulturprodukte herstellend!), ist es per Definition auch kein Sprechapparat. Wenn aber Phänotypen begännen, das kulturelle Potential des Sprechens zu entwickeln, würde dies auf die Biologie rückwirken – wie es bei unseren Vorfahren geschehen ist.

  38. @Hermann, Edgar Dahl

    An einigen Stellen im Internet tobt die Debatte wild durcheinander, es macht (zeitweise) richtig Spaß, mitzulesen. Aber leider gibt es halt auch immer wieder die üblichen, persönlichen Angriffe gegen Susan, der einige wegen ihrer wissenschaftlichen Offenheit den Abfall vom (Un-)Glauben vorwerfen.

    So heißt es hier z.B.:
    “Sue Blackmore is going on what, 60 years old now? She’s entering a phase of her life where death is an increasingly frightening prospect. Don’t many people at this point in their lives turn to religion as a way of mitigating this despair? If you ask me, she’s a vulnerable host for such ideas.”
    http://www.metafilter.com/…-the-data-that-counts

    Leider gibt das Netz “Argumenten” auf solchem “Niveau” immer wieder Raum…

  39. Michael: Herzlichen Glückwunsch!

    Michael Blume schrieb:

    “Du hast nach Dutzenden von Stunden gemeinsamer Diskussionen inzwischen anerkannt, dass

    1. Religiosität teilweise genetisch heritabel

    und

    2. ein universales Merkmal des Menschen ist.

    Und auch 3. das empirische Fakt des durchschnittlich höheren Reproduktionserfolges religiös vergemeinschafteter Menschen hast Du als Ergebnis kultureller Evolution korrekt erkannt.”

    Lieber Michael, Du verstehst Dich wirklich gut darauf, die Wahrheit zu verdrehen! Ich habe nie an einem dieser drei Punkte gezweifelt. Jeder, der an unseren Diskussionen teilgenommen hat – von Lars über Ingo bis hin zu Martin und Rüdiger – weiß, dass ich lediglich die Adaptivität der Religiosität in Abrede gestellt habe.

    Auch Deine Daten habe ich nie in Zweifel gezogen. Wie sollte ich auch? Alles, was ich behauptet habe – und auch weiterhin behaupte – ist, dass sie nicht beweisen, was Du mit ihnen zu beweisen suchst: Die Adaptivität der Religiosität.

    Traurig zu sehen, dass Du Dich genau jener Tricks bedienst, die Du Deinen Gegnern unaufhörlich zum Vorwurf machst.

  40. @Edgar Dahl

    Nö, ich höre nur auf, jeden überzeugen zu wollen. Wenn ein Merkmal partiell genetisch heritabel ist und zu durchschnittlich höherem Reproduktionserfolg über mehrere Generationen hinweg beiträgt, ist dieses Merkmal per Definition adaptiv. Und wenn es um Werkzeug- und Waffengebrauch, Sprache, Musik usw. geht, stört das auch keinen. Nur bei Religion ticken halt manche (im Gegensatz z.B. zu Darwin) aus ideologischen Gründen aus.

    Susan Blackmore ist ja auch ganz ehrlich darin, zuzugeben, wie weh es tun kann, weltanschaulich unliebsame Befunde zu akzeptieren. Und als Psychologin weiß sie schon genau, warum sie von “distress” und “despair” schreibt. Mir macht es keine Freude, andere so zu fordern. Und ich hege auch keine Illusionen darüber, dass sich einige schlichtweg verweigern und alle möglichen Ausflüchte suchen werden. So sind wir Menschen nun einmal.

  41. Zustimmung

    Richtig – korrekt heißt es eigentlich Stimmapparat (Stimmlippen, Kehlkopf etc.)und Sprechwerkzeuge (Luftröhre, Zunge, Gaumen, Lippen etc.). Im Stimmapparat wird die Schallwelle erzeugt, mit den Sprechwerkzeugen wird sie zu Lauten geformt. Und zu meinem Leidwesen nutzen die Hunde in der Nachbarschaft diese Organe auch häufiger … *seuf*

  42. @Ralph Würfel

    Genau – und wenn auf der Basis vorhandener Merkmale neue Funktionen erschlossen werden (z.B. Federn statt zur Balz auch zum Fliegen eingesetzt oder Stimmbänder zur Produktion von Worten eingesetzt werden) kann eine Rückkoppelung einsetzen: Das Merkmal wird mit Reproduktionserfolg verknüpft und evolviert, die neuen Funktionen und das neue Potential erschließend.

    Ein spannendes Beispiel ist z.B. das Kochen, das sich – sobald entwickelt – auf Verdauung, Gehirn und viele andere Merkmale unserer Vorfahren auswirkte.
    http://www.stern.de/…en-fuers-gehirn-258381.html

    Natur und Kultur finden ja immer in der gleichen Welt statt – es ist eine, hoch komplexe Evolutionsgeschichte mit sich aufschaukelnden Wechselwirkungen. Und es macht einfach riesigen Spaß, diesem großen Geheimnis hinterher zu forschen und hinter jeder Antwort neue Fragen auftauchen zu sehen. 🙂

  43. @ – Michael

    Du siehst wirklich Gespenster! Dass man die Adaptivität der Religiosität in Abrede stellt, hat keineswegs ideologische Gründe. Es hat dieselben Gründe, die dafür verantwortlich sind, dass man auch der Musikalität jegliche Adaptivität abspricht.

  44. @Ralph Würfel: Einwürfe 1

    “Genau darin liegt das Problem – das kann man nicht fordern, Menschen sind keine abzuschaltenden AKWs, abzureißenden Bahnhöfe oder zu senkende Steuern (und übrigens auch keine Bienenvölker). Man kann es nur erzwingen. So wie China gerade das Gegenteil von seiner Bevölkerung erzwingt.”

    Das ist nicht richtig, und im Grunde geht auch jeder Familienpolitiker von etwas anderem aus. Man kann und sollte sicherlich nicht den einzelnen Menschen zwingen, aber man kann Maßnahmen beschließen, die für ausreichend viele Menschen so attraktiv sind, dass sie sich wie gewünscht verhalten.

    Man kann z. B. niemanden dazu zwingen, Polizist zu werden. Dennoch kann der Staat dafür sorgen, dass genauso viele Menschen Polizist werden, wie benötigt werden: Indem nämlich ausreichend viele Polizistenstellen ausgeschrieben werden, die attraktiv genug bezahlt werden.

    Kernbestandteil der von mir vorgeschlagenen Systemischen Evolutionstheorie sind 2 unterschiedliche Wettbewerbskommunikationen zur Erlangung von Ressourcen: Dominanz (Recht des Stärkeren) und Gefallen-wollen (Recht des Besitzenden).

    Haremsbildung ist Recht des Stärkeren (die Interessenten an der Ressource machen unter sich aus, wer die Ressource [=weibliche Fortpflanzungsfunktion] bekommt), sexuelle Selektion ist Gefallen-wollen (die aktuellen Ressourcenbesitzer entscheiden, wer die Ressource bekommt).

    Der Darwinismus hat dafür überhaupt keine Begrifflichkeiten. Ergo nimmt man bis heute an, Evolution beruhe auf dem Recht des Stärkeren. Die Eugeniker und Sozialdarwinisten schlossen auf der Basis sogar, man könne Krüppel sterilisieren oder “überlegene” europäische Seefahrer könnten über fremde Kulturen herfallen und sie ermorden oder versklaven, das wäre halt Evolution.

    Die Systemische Evolutionstheorie klärt erstmals den Unterschied zwischen Wildnis und Zivilisation. In meinem auf Knol befindlichen Artikel über die Systemische Evolutionstheorie mache ich das an einem Beispiel deutlich:

    “Eine Frau hat in einem Wäldchen mehrere Stunden lang Früchte gesammelt und befindet sich nun mit einem ganzen Korb reifer Beeren auf dem Weg nach Hause. In der Wildnis könnte sie dabei einem stärkeren Bären (oder Menschen) begegnen, der die gesammelte Nahrung nicht als ihr Eigentum akzeptiert, sondern von seinem Recht des Stärkeren Gebrauch macht (Dominanz).
    In Zivilisationen ist ein solches Verhalten nicht erlaubt. Allerdings könnte hier ein Entgegenkommender der Sammlerin ein attraktives Angebot machen (zum Beispiel 10 Euro), um auf diese Weise doch noch in den Besitz der Früchte zu gelangen (Gefallen-wollen; Recht des Besitzenden).”

    Die Akzeptanz von Eigentum (an Leben, der körperlichen und psychischen Unversehrtheit, den Dingen, die man bei sich trägt etc.) ist der Unterschied zwischen Wildnis und Zivilisation.

    Und deshalb kann man in Zivilisationen selbstverständnis nicht sagen: Du wirst dafür verdonnert, kein Kind zu haben und du da drüben musst dafür 4 Kinder in die Welt setzen.

    Nein, man kann nur mit Anreizen (attraktiven Angeboten = Gefallen-wollen) arbeiten. Und deshalb ist das von mir vorgeschlagene Familienmanager-Konzept ein humanistisches, “eugenisches” Konzept zur präzisen Bevölkerungsplanung. Warum die Menschheit jetzt endlich eine abgestimmte Bevölkerungsplanung braucht, habe ich hier geschrieben:
    http://knol.google.com/…gsplanung/6u2bxygsjec7/8

    Und dass das Familienmanager-Konzept ein ethisch einwandfreies Konzept, hat nicht nur der Familien- und Religionssoziologe Franz-Xaver Kaufmann (von dem ein Zitat auf dem Umschlag meines Buches “Die Familienmanagerin” stammt) so gesehen, sondern das erkennen zunehmend auch ausgesprochen kritische Humanisten. Lesen Sie sich zum Beispiel den obersten Kommentar zu http://knol.google.com/…echtigten/6u2bxygsjec7/2 durch.

  45. Einwürfe 2

    Michael Blume schrieb:
    “Vielmehr werden religiöse Mythen und Rituale über soziale Netzwerke weitergegeben, immer wieder neu kombiniert, tradiert.”
    Genau so. Und nicht nur religiöse, sondern alle Mythen und Rituale. Und so, wie sich die sozialen Netzwerke verändern, verändern sich die Mythen und Rituale.
    Anders als es etwa mit der Sprache oder der Musik, verspürt ein nicht zu verachtender Anteil der Menschheit – nämlich etwa ein Drittel – überhaupt gar kein Bedürfnis oder gar den Drang, Religion auszuüben oder Musik zu spielen oder zu machen. Anders (und überspitzt) gesagt – wo ist mein “religiöses Gen” denn bloß hin?

    Peter Mersch schrieb:
    “Nehmen wir einmal an, es würde die BGE-Petition, die Susanne Wiest vor dem Bundestag eingereicht hat, zumindest für Kinder beschlossen: 1.000 Euro BGE für jedes Kind. Dann gehe ich mit Ihnen jede Wette ein: Unsere säkulare Gesellschaft hätte schon bald eine deutlich höhere Fertilitätsrate als z. B. der Iran.”

    Das BGE geht nicht nur an Kinder – es geht an jeden Einwohner und ersetzt sämtliche Lohnersatz- und Sozialleistungen – angefangen vom Kindergeld und Elterngeld über ALG II und Krankengeld bis hin zur Rente. Sicher ist die angegebene Zahl sehr hoch gegriffen – aber das macht man bei Forderungen nun mal so: erst mal das maximal Machbare nennen, weniger wird’s später immer noch. Letztendlich wird es sich am ALGII-Satz orientieren (müssen).

  46. Oops, vergalloppiert … tschuldigung

    Korrektur (bin wohl zu müde)

    Genau so. Und nicht nur religiöse, sondern alle Mythen und Rituale. Und so, wie sich die sozialen Netzwerke verändern, verändern sich die Mythen und Rituale.
    Anders als es etwa mit der Sprache oder der Musik, verspürt ein nicht zu verachtender Anteil der Menschheit – nämlich EINE MILLIARDE – überhaupt gar kein Bedürfnis oder gar den Drang, Religion auszuüben – ABER FAST ALLE WOLLEN ODER MÜSSEN SPRECHEN oder Musik spielen oder HÖREN. Anders (und überspitzt) gesagt – wo ist mein “religiöses Gen” denn bloß hin?

    Zahlenquelle

    http://www.theology.de/…der-welt—statistik.php

  47. @Michael Blume

    “Es ist in der modernen Geschichte noch immer schief gegangen, wenn sich Religion als Wissenschaft (z.B. Kreationismus) oder Wissenschaft als Religion (z.B. Sozialdarwinismus) ausgegeben hat.”

    Man hat leider nie wirklich geklärt, was eigentlich der gedankliche Fehler am Sozialdarwinismus war. Ich finde, dass erst die Systemische Evolutionstheorie, die sich von einigen biologistischen Dogmen des Darwinismus löst und erstmalig soziologische Konzepte direkt in die Evolutionstheorie integriert, hier Klarheit schafft (siehe z. B. http://knol.google.com/…winismus/6u2bxygsjec7/13). Das wurde auch von dem renommierten australischen Biologen Rohde in einem separaten Artikel über die Systemische Evolutionstheorie ausdrücklich hervorgehoben.

    “Darüber schrieb u.a. Friedrich August von Hayek und darauf gehe ich dann gerne noch einmal gesondert ein.”

    Ich habe größte Probleme mit der sog. biokulturellen Evolution unter dem Paradigma der Darwinschen Evolutionstheorie. Es gibt einfach überhaupt keine Erklärung für diesen Mechanismus. Ich darf noch einmal daran erinnern, dass in unserer Gesellschaft die Menschen, die die höchsten kulturellen Fertigkeiten besitzen, die wenigsten Kinder bekommen. Ganz anders als Sie es in dem Artikel tun, müsste man dann nämlich sagen: Kulturelle Fertigkeiten erhöhen nicht den Reproduktionserfolg, sondern sie senken ihn. Und dann ist die biokulturelle Evolution sofort tot.

    “Dass sich Evolutionstheorie und Gottesglauben ausschließen würden, hat schon Darwin zurückgewiesen.”

    Ja, und das weise ich auch zurück. Aber es gibt ja zwei Seiten des Gottesglauben. Wenn man Gott auch als den Schöpfer unserer Umwelt ansieht, der u. a. Elefanten und Menschen geschaffen hat, dann ist eine solche Sicht mit der Evolutionstheorie unvereinbar. Ich habe auch kein Problem damit, einen Gott anzunehmen, der den Urknall ausgelöst hat und seitdem dem Leben auf der Erde zusieht. Es geht um die Frage, wie das menschliche Gehirn entstehen konnte und auf dessen Basis die menschliche Kultur. Wer hierfür Gott als unmittelbare Ursache ablehnt, dem bleibt im Grunde nur die Evolutionstheorie. Nur leider sieht es da aktuell schlecht aus: Der Darwinismus reicht mal gerade bis zu den Affen, beim Menschen ist schon alles umstritten und die Memetik als Mechanismus für die kulturelle Evolution ist gescheitert. Was also tun? Meines Erachtens bleibt aktuell nur die Systemische Evolutionstheorie, die einen anderen Ansatz als der Darwinismus gewählt hat, und die sogar über soziologische Komponenten verfügt.

    Kann der Darwinismus erklären, was der Unterschied zwischen Wildnis und Zivilisation ist? Kann ein Darwinist Hilfestellung bei der Beantwortung der Frage geben, ob man Krüppel sterilisieren oder Frauen (zum Zwecke der Verbreitung der eigenen Gene) vergewaltigen darf (und zwar mit den Mitteln des Darwinismus)? Nein, nicht die Bohne. Die Systemische Evolutionstheorie kann aber all das. Allein schon deshalb ist sie vorzuziehen.

  48. @Ralph Würfel: Einwände 2

    “Das BGE geht nicht nur an Kinder – es geht an jeden Einwohner und ersetzt sämtliche Lohnersatz- und Sozialleistungen – angefangen vom Kindergeld und Elterngeld über ALG II und Krankengeld bis hin zur Rente. Sicher ist die angegebene Zahl sehr hoch gegriffen – aber das macht man bei Forderungen nun mal so: erst mal das maximal Machbare nennen, weniger wird’s später immer noch. Letztendlich wird es sich am ALGII-Satz orientieren (müssen).”

    Deshalb schrieb ich ja ausdrücklich: Nehmen wir mal an, der Bundestag würde nur den Kinderteil der BGE-Petition verabschieden.

    Ich bin Mathematiker, und Mathematiker denken in Denkmodellen: “Nehmen wir mal an, morgen würde ein Meteorit… bla bla bla”

    Und eines dieser Denkmodelle war: Es wird auf niemanden Zwang ausgeübt, aber es wird beschlossen, dass jedes Kind in Deutschland 18 Jahre lang ein BGE in Höhe von 1.000 Euro erhält, auszahlbar an die Erziehungsberechtigten.

    Die deutsche Fertilitätsrate würde binnen weniger Jahre auf deutlich über 2 ansteigen. Und das über alle religiöse Einstellungen hinweg. Wetten?

  49. Die Wette gilt

    Lieber Peter Mersch,
    Sie schrieben: “Ich bin Mathematiker, und Mathematiker denken in Denkmodellen”.
    Mag sein, dass es für Sie nur ein Denkmodell ist. Für mich stellt es sich dar als “Ich nehms mir mal, wie ichs brauche, verunglimpfe es und dreh dem politischen Gegner dann einen Fallstrick draus.”

    Dann fragen Sie polemisch: “Wetten?” Ich heme die Wette an. Ich habe lange genug im Bereich ALGII (und zwar in Berlin-Kreuzberg) gearbeitet um zu wissen, dass es eben nicht die behaupteten “kopftuchtragenden, sich ständig vermehrenden” Menschen mit Migrationshintergrund und “angeblich arbeitsscheuen Verhütungsdussel” ohne Migratiosnhintergrund sind, die ALGII in erster Linie nutzen, sondern die (zumeist kinderlosen) in der Kreativwirtschaft tätigen, die maue Zeiten überbrücken müssen. Insofern haben wir heute schon ein Grundeinkommen – nur eben eines, dass an unwürdige Bedingungen geknüpft ist.

    Deshalb – ich nehme die Wette an!

  50. @Michael Blume: Zustimmung und Einwände

    Sie schreiben:
    “Natur und Kultur finden ja immer in der gleichen Welt statt – es ist eine, hoch komplexe Evolutionsgeschichte mit sich aufschaukelnden Wechselwirkungen. Und es macht einfach riesigen Spaß, diesem großen Geheimnis hinterher zu forschen und hinter jeder Antwort neue Fragen auftauchen zu sehen. :-)”

    Vollste Zustimmung! Wechselwirkungen, ja! Aber Ko-Evolution? Dies würde bedeuten, dass der Mensch die Evolution gezielt beeinflussen könnte. Denken wir an die Beschneidung – werden in beschneidenden Kulturen Männer ohne Vorhaut geboren? Ich meine, nein. Und welchen Einfluss hat die Verstümmelung der Füße chinesicher Mädchen auf ihre Extremitäten? Mir ist keine bekannt. Der Genuss von Alkohohl bringt keinen evolutionären Vorteil. Dennoch hat sich in Ländern mit einem solchen Problem keine Alkoholunverträglichkeit herausgebildet, sondern die AA …

  51. @Ralph Würfel

    “verunglimpfe es und dreh dem politischen Gegner dann einen Fallstrick draus …”

    Es ging nicht ums Verunglimpfen, sondern um die Beantwortung der von Michael Blume aufgeworfenen Frage, ob säkulare Gesellschaften bei den Nachwuchszahlen mit religiösen mithalten können.

    Meines Erachtens können sie. Sie müssen nur entsprechend attraktive Maßnahmen beschließen.

  52. @Ralph Würfel: Ko-Evolution

    “Dies würde bedeuten, dass der Mensch die Evolution gezielt beeinflussen könnte.”

    Es kann doch überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass der Mensch das kann. Er tut es doch in vielen Bereichen schon längst.

    Und wenn man Hunde und Pferde züchten kann, dann kann man auch Menschen züchten. Richard Dawkins hat darauf in einem Buch explizit hingewiesen.

    Das Problem menschlicher Sozialstaaten ist ja bereits, dass die Selektionsfaktoren menschengemacht sind, und diese machen dann – via Selektion – Menschen. Deshalb schreibe ich ja in meinen Texten: Bei der natürlichen Selektion ist die Natur der Züchter, bei der sexuellen Selektion sind es die Weibchen, und in menschlichen Sozialstaaten ist der Sozialstaat selbst der Züchter. So wie er Maßnahmen beschließt, so evolvieren die Menschen.

    Wenn Ursula von der Leyen ein Elterngeld einführt, um Berufstätigen zu einem Kind zu verhelfen, dann war das im Grunde eine Zuchtmaßnahme, wenn man es ganz abstrakt betrachtet, da sie versucht hat, die Selektionsfaktoren zu verändern.

  53. aus den augen, aus dem sinn

    Stimmt, das hatte ich völlig aus den Augen verloren – Zucht und Gentechnik und die paar Bomben, die alles Leben vernichten könnten. Da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens 🙁

  54. @Edgar Dahl: Man?

    Lieber Edgar,

    Du schriebst: Dass man die Adaptivität der Religiosität in Abrede stellt, hat keineswegs ideologische Gründe. Es hat dieselben Gründe, die dafür verantwortlich sind, dass man auch der Musikalität jegliche Adaptivität abspricht.

    Meine einfache Frage dazu wäre: Wer ist denn “man” und welche Argumente bringt “man” gegen die Adaptivität von Musikalität und Religiosität denn vor? Und welche Argumente oder Daten würde es denn brauchen, um Dich wissenschaftlich von der Adaptivität von Religiosität zu überzeugen? Just name your personal benchmark! 😉

  55. @all: Adaptivität

    M. Blume: “Meine einfache Frage dazu wäre: Wer ist denn ‘man’ und welche Argumente bringt ‘man’ gegen die Adaptivität von Musikalität und Religiosität denn vor?”

    Vielleicht sollte man zunächst klären, was man unter dem Begriff Adaptivität versteht. Ich habe die Befürchtung, dass dabei aneinander vorbeigeredet wird.

    Mit Musikalität können weder Vögel noch Menschen in der Natur auch nur ein Stück Nahrung mehr erlangen. Aber sie können ihren Fortpflanzungserfolg damit erhöhen. Bei den Vögeln ausschließlich dadurch, dass sie die Weibchen mit ihrem Gesang beeindrucken. Sie sind dann an die Präferenzen der Weibchen mehr oder weniger gut angepasst. Da die moderne Evolutionstheorie Fitness (unsinnigerweise) als relativen Fortpflanzungserfolg definiert, könnte man sagen, Musikalität ist bei Singvögeln adaptiv, da sie die Fitness erhöht.

    Beim Menschen gilt das analog. Hier rate ich ggf. zu einem Gespräch mit Julio Iglesias oder vielleicht auch mit “Tokio Hotel” zu der Frage, was ihre Konzertbesucherinnen denn mit der T-Shirt-Aufschrift “Bill, ich will ein Kind von dir!” wohl meinen könnten.

    Allerdings kann es beim Menschen auch indirekt laufen, indem man andere generell durch Musik beeindruckt, darüber dann Ressourcen (= Geld) gewinnt und somit in der Lage ist, in die Reproduktion zu investieren – sofern einem nicht die Opportunitätskosten von Kindern im Wege stehen.

    Religiösität und Adaptivität im obigen Sinne (= Erhöhung der Fitness im Sinne von relativem Fortpflanzungserfolg) scheint mir problematisch zu sein, da solches ja bislang nur für Gruppen nachgewiesen wurde. Bei Nonnen z. B. wäre Religiösität dagegen auf keinen Fall adaptiv (auf der individuellen Ebene also). Die Adaptivität von Gruppen ist aber in der Evolutionsbiologie noch immer so eine Sache.

  56. @Peter Mersch

    Es dürfte kaum ein Merkmal geben, das für jedes Individuum immer adaptiv ist. So wird auch mancher Vogel verspeist, weil er singt und Lungenatmer sind bei Überschwemmungen bedroht. Die evolutionsbiologisch entscheidende Frage für die Beurteilung von Adaptivität ist also nicht, ob durch die phänotypische Ausprägung eines Merkmals in jedem Einzelfall der Fortpflanzungserfolg erhöht wird – sondern ob ein Potential besteht, das sich im Durchschnitt auf die Zahl von Kindern, Enkeln (und weiterer Verwandter) auswirkt. Wenn negativ = maladaptiv, neutral = Beiprodukt, positiv = adaptiv. Und das Letztere ist bei Religiosität bzw. religiöser Vergemeinschaftung inzwischen so massiv und eindeutig belegt, dass es auch Susan Blackmore überzeugte. Und wenn dann auch noch eine (partielle) Heridität besteht, die ja auch @Edgar einräumt, ist die Ausbreitung entsprechender Merkmale im Genpool nicht mehr zu leugnen. Zumal wir entsprechende Funde erst seit einigen Jahrzehntausenden haben, heute aber (ebenfalls von @Edgar eingeräumt) das Merkmal bereits universell – unter allen Menschengruppen anzutreffen – ist. Zu kaum einem Merkmal ist die Datenlage so stark, deswegen kann ich weiteres Leugnen nur noch mit Achselzucken zur Kenntnis nehmen. Oder fragen, welche Belege denn noch genehm wären…

    Weitere Effekte etwa auf Verwandten- oder Gruppenebene(n) könnten zur o.g. Gesamtrechnung hinzu kommen und werden ja auch diskutiert, werden aber im Hinblick auf die Grundfrage der Adaptivität von Religiosität m.E. nicht mehr benötigt. Schon der direkte Reproduktionsvorteil ist ja empirisch und in Fallstudien massiv belegt. Der Bristol-Vortrag, der Susan überzeugte, übrigens hier (PowerPoint-Sheets):

    http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/ExplainingReligionBristol2010view.ppsx

  57. @Michael Blume

    “Es dürfte kein Merkmal geben, dass für jedes Individuum immer adaptiv ist. So wird auch mancher Vogel verspeist, weil er singt. Die evolutionsbiologisch entscheidende Frage ist also nicht, ob durch die phänotypische Ausprägung eines Merkmals in jedem Einzelfall der Fortpflanzungserfolg erhöht wird – sondern ob ein Potential besteht, das sich im Durchschnitt auswirkt.”

    Also damit tue ich mich schwer. Aus genau diesen Gründen macht die Systemische Evolutionstheorie (weil sie aus der Systemtheorie kommt) auch eine penible Unterschiedung zwischen unterschiedlichen “Evolutionsräumen”. Nehmen wir einmal die Pfauen. Bei der natürlichen Selektion besteht die Population aus allen Männchen und Weibchen, während die Umwelt die Natur ist (da findet die Pfauen die Ressourcen). Bei der sexuellen Selektion haben wir es dagegen mit einem sozialen Lebensraum zu tun (der Vorläufer unseres sozialen Lebensraums): Die Population besteht nur noch aus den Männchen, die Umwelt nur aus den Weibchen (die besitzen die Ressourcen, die die Männchen erlangen möchten).

    Ein großer Pfauenschweif ist dann überhaupt nicht adaptiv im ersten Evolutionsraum (Natur), aber hochgradig adaptiv im zweiten Evolutionsraum (Weibchen). Hierdurch kann es jedoch zu Trade-Off-Effekten kommen: Ein junger Pfau mit einem besonders beeindruckenden Schweif wäre möglicherweise der Star bei allen Weibchen geworden. Leider war er nun so schwerfällig, dass er schon vorher gefressen wurde.

    Darüber hinaus halte ich es generell für nicht ganz unproblematisch, von Adaptivität im Zusammenhang von erworbenen Eigenschaften zu sprechen. Beispielsweise besitzen Königinnen in Bienensozialstaaten einen gigantischen relativen Reproduktionserfolg. Das Merkmal Königin ist jedoch kein ererbtes, sondern ein erworbenes. Kann es dann noch adaptiv sein? Mir leuchtet das nicht unbedingt ein. Es wird in dem Sinne ja nicht vererbt.

    Gleiches gilt für die Religiösität (im Gegensatz zur Musikalität). Wird Religiösität vererbt? Ich möchte das bezweifeln. Aufgrund einer statistisch nachweisbaren höheren Fortpflanzungsrate bei religiösen Menschen bereits von Adaptivität zu sprechen, scheint mir problematisch zu sein (es sei denn, der Begriff wird auf ganz andere Weise verwendet, als ich das so kenne). Sonst ist man nämlich kurz davor, auch Armut (und Bildungsferne) als adaptiv einzuordnen.

  58. @Peter Mersch

    Selbstverständlich ist die Königinnenform von Bienen ein biologisches Merkmal – nämlich ein Potential, das sich unter bestimmten Bedingungen phänotypisch entfalten kann. Und genau das Gleiche gilt für andere Merkmale wie Sprachfähigkeit, Musikalität und eben Religiosität, die ebenfalls jeweils Potentiale darstellen.

    Armut – Wohlstand oder unterschiedliche Grade formaler Bildung beschreiben dagegen Umweltbedingungen, unter denen sich Phänotypen behaupten und fortpflanzen (oder eben nicht). Wobei ich noch einmal daran erinnern möchte, dass die längste Zeit der Humanevolution unter Jägern und Sammlerinnen stattfand, der moderne Sozialstaat dagegen unglaublich jung ist.

    Dass Sie sich mit der “systemischen Evolutionstheorie” einen eigenen Begriffsapparat geschaffen haben, finde ich originell. Überzeugt bin ich jedoch gerade auch im Hinblick auf Ihre Ausführungen zur Evolution von Religiosität und Religionen nicht und würde gerne erst einmal Ihren entsprechenden Text abwarten. Und wie würde man denn Adaptivität im Rahmen Ihrer “systemischen Evolutionstheorie” definieren?

    Und bin im übrigen gespannt, ob Edgar Dahl noch auf die Frage antwortet, wer “man” ist und welche Argumente oder Daten denn ihn überzeugen würden…

  59. @Michael Blume

    “Armut – Wohlstand oder unterschiedliche Grade formaler Bildung beschreiben dagegen Umweltbedingungen, unter denen sich Phänotypen behaupten und fortpflanzen (oder eben nicht).”

    Das wird nicht einheitlich so gesehen. Beispielsweise heißt es im Lehrbuch Faller/Lang:

    “Intelligenz ist die Fähigkeit zu höherer Bildung. Der IQ korreliert zu r=0,70 mit dem Bildungsniveau und ebenso hoch mit dem Berufsstatus. Da der sozioökonomische Status mittels Bildung und Beruf bestimmt wird, fließen hier Intelligenzunterschiede mit ein. Sozialer Status kann deshalb nicht ohne weiteres als Umweltfaktor interpretiert werden, sondern stellt gewissermaßen auch ein Persönlichkeitsmerkmal dar.”

    “Dass Sie sich mit der ‘systemischen Evolutionstheorie’ einen eigenen Begriffsapparat geschaffen haben, finde ich originell.”

    Dieser Begriffsapparat wird sich durchsetzen, da es z.B. bis heute nicht gelungen ist, zu beschreiben, was eigentlich das Problem am Sozialdarwinismus war. Der “originelle” Begriffsapparat der Systemischen Evolutionstheorie kann das aber mit Leichtigkeit.

    Solange man im Darwinismus noch immer meint, die sexuelle Selektion sei eine Form der Selektion, die Haremsbildung aber nicht, statt zu erkennen, dass die Bedeutung der sexuellen Selektion in der erstmaligen Akzeptanz von Persönlichkeitsrechten und Eigentum besteht, ist die Theorie für alles, was über den Affen hinausgeht (und damit für Kultur sowieso) nicht zu gebrauchen.

    “Und wie würde man denn Adaptivität im Rahmen Ihrer ‘systemischen Evolutionstheorie’ definieren?”

    Die Systemische Evolutionstheorie redet von Kompetenzen. Adaptivität gehört nicht zu ihrem Sprachgebrauch.

  60. Explaining Religion

    Die Sonne scheint – geht spazieren; dieser Gedanke kommt mir, – bei allem Respekt – wenn ich die bisherigen Diskussionsbeiträge lese.

    Da werden ´adaptiv, evolutionär, systemisch´ und andere Begriffe heftig gebraucht ohne das man den Eindruck hätte, dass der Schreiber überhaupt weiß, um was es geht.

    Es wird über Religiosität philosophiert – aber die Frage, was das überhaupt ist, wurde bisher nicht im Ansatz geklärt! Explaining Religion ist etwas anderes.
    Wie/Warum/Weshalb/Wodurch/Wobei entsteht Religiosität? Diese grundlegenden Fragen sollte man erst klären, bevor man über sie diskutiert.

  61. @KRichard

    Vielen Dank, dem stimme ich im Grundsatz zu! 🙂 Es macht einfach keinen wirklichen Sinn, auf Basis völlig unterschiedlicher Begrifflichkeiten über die Adaptivität von Religiosität zu “diskutieren”, zumal weder @Peter Mersch noch @Edgar Dahl ihre Definitionen von Adaptivität mitteilen konnten. Vielleicht müsste ich mir einfach abgewöhnen, auf jeden Kommentar zu antworten.

  62. @KRichard

    “Wie/Warum/Weshalb/Wodurch/Wobei entsteht Religiosität? Diese grundlegenden Fragen sollte man erst klären, bevor man über sie diskutiert.”

    Nun ja, zumindest der von mir genannte Artikel (http://knol.google.com/…stische/6u2bxygsjec7/122) beschäftigt sich in dem entscheidenden Abschnitt 5 mit nichts anderem. Aus evolutionärer Sicht (und um die geht es ja hier) muss Religiosität einen evolutionären Vorteil besitzen, sonst kann sie zwar vielleicht temporär entstehen, wird sich aber nicht durchsetzen.

    Die evolutionären Vorteile werden im Artikel aus meiner Sicht genannt:

    a) Religionen sorgen in vielerlei Hinsicht für eine Befriedung der Gesellschaft und ein besseres kooperatives Zusammenleben. Man könnte sagen, sie kommen mit einem Regelwerk (einer Moral) daher, das zwar nicht so komplex ist wie unser Rechtssystem, aber die Grundprinzipien des Handelns vorgibt, sodass jeder im Grunde weiß, woran er ist.
    b) Sie nehmen meist einen generationenübergreifenden Einfluss, in dem sie viele Aspekte des sogenannten Paarungssystems vorgeben. Man könnte sagen: Sie implementieren “eugenische” Paarungssysteme. Sie legen z. B. Dinge fest, ob Männer über den Frauen stehen oder ob Gleichberechtigung vorherrscht, ob man sich monogam oder auch polygam paaren darf, ob man eine Partnerschaft beenden und sich einen neuen Partner suchen darf, etc.

    Wenn die Regeln gut gewählt sind, führt dies dazu, dass sich das Darwinsche Selektionsprinzip, welches sich in der Natur von selbst im Kampf ums Dasein realisiert, auch im sozialen Zusammenhang verwirklicht. Es kann dann zu einer Gen-Kultur-Koevolution kommen, sonst nicht. Gen-Kultur-Koevolution setzt voraus, dass Menschen mit höheren kulturellen Kompetenzen im Mittel mehr Nachkommen hinterlassen als andere. Genau dafür sorgen erfolgreiche Religionen.

    Warum man dafür nun unbedingt einen Gott benötigt, weiß ich nicht. Aber möglicherweise war es einfacher, übergeordnete Regeln anzunehmen, wenn sie von jemandem stammten, der überzeugend behauptete, er habe sie von einer höheren Instanz (Gott), und somit seien die Regeln universell gültig.

  63. Temporöres Phänomen?

    Peter Mersch schrieb:
    “Aus evolutionärer Sicht (und um die geht es ja hier) muss Religiosität einen evolutionären Vorteil besitzen, sonst kann sie zwar vielleicht temporär entstehen, wird sich aber nicht durchsetzen.”

    Genau das ist der springende Punkt. Ich bin davon überzeugt, dass Religionen nur ein temporäres Phänomen sind und gerade auf dem Weg sind, sich zurück zu ziehen und Platz zu machen für etwas neues.
    Strng genommen existieren Religionen (insbesondere die drei großen monotheistischen) erst seit 3000 Jahren und sind also ein sehr junges Phänomen. Ich verweise hier gerne noch einmal auf die Erkenntnisse von Ken Wilber, die Geschichte der Bewußtseinsentwicklung betreffend.
    Er stellt – wie ich hier an andere Stelle bereist andeutete – diese Entwicklung in mehreren Stufen dar: von der archaischen über die magisch-mythische zur rationalen usw.
    Eigentlich sollten wir besser nicht von Religiosität, sondern von Spiritualität sprechen, denn das macht den Kern aller “religiösen” Phänomene aus – egal ob magisch, mythisch, Große Mutter, Gottkönigtum, polytheistsich oder monotheistisch (Großer Vater).

    Peter Mersch schrieb:
    “a) Religionen sorgen in vielerlei Hinsicht für eine Befriedung der Gesellschaft und ein besseres kooperatives Zusammenleben. Man könnte sagen, sie kommen mit einem Regelwerk (einer Moral) daher, das zwar nicht so komplex ist wie unser Rechtssystem, aber die Grundprinzipien des Handelns vorgibt, sodass jeder im Grunde weiß, woran er ist.
    b) Sie nehmen meist einen generationenübergreifenden Einfluss, in dem sie viele Aspekte des sogenannten Paarungssystems vorgeben. Man könnte sagen: Sie implementieren “eugenische” Paarungssysteme. Sie legen z. B. Dinge fest, ob Männer über den Frauen stehen oder ob Gleichberechtigung vorherrscht, ob man sich monogam oder auch polygam paaren darf, ob man eine Partnerschaft beenden und sich einen neuen Partner suchen darf, etc.”

    Das tun eigentlich nur die drei großen monotheistischen Religionen. Der Buddhismus zum Beispiel interessiert sich ja für die zivile Gesellschaft nur in der Frage, wie sie zu verlassen sei. Mir sind auch gesellschaftsumfassende Regelwerke aus den griechischen oder römischen Götterkulten nicht bekannt. Gesetzeswerke wurden hier zivil geschaffen. Um nur drei Beispiele zu nennen.

    Peter Mersch schrieb:
    ” … dass Menschen mit höheren kulturellen Kompetenzen im Mittel mehr Nachkommen hinterlassen als andere. Genau dafür sorgen erfolgreiche Religionen. Warum man dafür nun unbedingt einen Gott benötigt, weiß ich nicht.”

    Eben – ein guter ziviler Gesetzgeber tut’s auch. Besser gesagt: Sollte es eigentlich.

  64. @Ralph Würfel…

    …fragte: “Warum man dafür nun unbedingt einen Gott benötigt, weiß ich nicht.”

    Eben – ein guter ziviler Gesetzgeber tut’s auch. Besser gesagt: Sollte es eigentlich.

    Tja, leider (!?) sagen halt die empirischen Daten und Experimente etwas Anderes. Die Vorstellung eines überempirischen Akteurs, der unser Verhalten im Blick hat, scheint seine eigenen Wirkungen zu entfalten, die sich bislang nicht säkular substituieren lassen.

    Und: Religiöse Traditionen gibt es natürlich nicht erst seit wenigen Jahrtausenden, sondern mindestens seit einigen Jahrzehntausenden – und möglicherweise noch viel länger.
    http://www.chronologs.de/…-glaubens/urgeschichte

    Beste Grüße! 🙂

  65. @Ralph Würfel

    “Eben – ein guter ziviler Gesetzgeber tut’s auch. Besser gesagt: Sollte es eigentlich.”

    Tut er aber nicht. Dieser Teil fehlt. Ich wies darauf hin, dass es in der Sarrazin-Debatte ganz wesentlich um solche Themen geht. Das Thema “mehr Kinder von den Klugen” gab es im Christentum nicht. Da hätte man es als moralisch bedenklich angesehen, wenn ein gebildetes Paar keine Kinder bekommen hätte. Diese ganzen Themen werden dort über Moral geregelt.

  66. @Mersch, @Blume

    evolutionäre Vorteile, wie Sie sie nennen, wurden von Herrn Blume schon wiederholt untersucht. Aber diese Bewertung entspricht nur dem wissenschaftlichen Rahmen völkerkundlicher Studien (Z.B. Vergleich von Geburtenraten). Es ist deshalb auch korrekt, wenn auf Grund dieser Zahlen ein evolutionärer Vorteil von Religosität abgeleitet wurde.

    Will man aber Religiosität als solche wissenschaftlich erklären/beschreiben, dann muss man erst einmal definieren – was das überhaupt ist und wie sie entsteht. Beispiel: Behaupte ich, Religiosität/Spiritualität sei ein emergentes Problem von Gehirnaktivität – dann muss ich nachvollziehbare Argumentationsgrundlagen vorlegen. Behaupte ich, Religion sei genetisch vorgegeben, gilt das Gleiche. Und auch die Behauptung, Religiosität sei von Gott gegeben, müsste belegt werden.
    Erst wenn die Grundlagen definiert sind, kann man eine wissenschaftliche Sachdiskussion führen.

    @Blume: Ich finde Ihre Angewohnheit, lieber einmal zuviel als zuwenig auf Kommentare zu antworten – für richtig. Erstens ist es höflich und zweitens ergeben sich daraus doch wieder interessante Ansatzpunkte für den weiteren Diskussionsverlauf.

  67. @Michael Blume

    Michael Blume schrieb:
    “Die Vorstellung eines überempirischen Akteurs, der unser Verhalten im Blick hat, scheint seine eigenen Wirkungen zu entfalten, die sich bislang nicht säkular substituieren lassen.”

    Ich vermute, Sie beziehen sich hier auf das Phänomen der niedrigen Fertitilitätsrate. Dies ist ist nun wirklich ein sehr sehr junges Problem, und ich muss Ihnen recht geben – für das haben noch keine passende säkuläre Lösung gefunden. Aber wir arbeiten dran – vielleicht auch hier auf diesem Blog. 😉

    Michael Blume schrieb:
    “Religiöse Traditionen gibt es natürlich nicht erst seit wenigen Jahrtausenden, sondern mindestens seit einigen Jahrzehntausenden – und möglicherweise noch viel länger.”

    Korrekter Weise müsste es vor-religiöse Traditionen heißen oder besser Kulte und schamanisch-magische Rituale – in Ihren Beispielen geht es vermutlich um Vorformen des Kultes der “Großen Mutter”. Diese sind natürlich sehr viel älter als die Religionen, denn es sind eben VORformen. Sie sind nicht ausgestorben, exisitieren heute am Rande oder als Teil der kindlichen entwicklung oder in anderer Form (und zum Teil auch eingebettet in ihren Nachfolgerinnen) weiter.

  68. Buddhismus @Ralph Würfel

    Sie schrieben: “Der Buddhismus zum Beispiel interessiert sich ja für die zivile Gesellschaft nur in der Frage, wie sie zu verlassen sei.”

    So ist das nicht! Man setzt im Buddhismus zwar nicht auf Zwang, sondern auf Erkenntnis. Auch wenn es deshalb nur Gebote und keine Verbote gibt, so sind es doch auch ethische Regeln, die ein friedliches und tolerantes Zusammenleben fördern. Die fünf Silas (Pancasila) werden von allen buddhistischen Schulen als verbindlich angesehen:
    1. Kein Lebewesen töten oder verletzen.
    2. Nichtgegebenes nicht nehmen
    3. Keine unheilsamen sexuellen Beziehungen pflegen und sich im rechten Umgang mit den Sinnen üben.
    4. Nicht lügen oder unheilsam reden.
    5. Sich nicht durch berauschende Mittel das Bewusstsein trüben lassen.

    Der Edle Achtfache Pfad lehrt weitere Regeln zum rechten Leben.

    Allerdings wird der Buddhismus häufig eher als Philosophie und nicht so sehr als Religion angesehen, auch die “höhere Kinderzahl religiöser Gemeinschaften” betrifft ja überwiegend die drei großen monotheistischen Religionen.

  69. @KRichard

    Vielen Dank und Zustimmung – ich würde tatsächlich gerne auch mal eine Reihe zur Hirnforschung machen, aber komme schon jetzt kaum noch nach. Es ist einfach alles eine Zeitfrage, bräuchte wohl dringend mehr bloggende Religionswissenschaftler, die sich die Themen ein bissle teilen… 😉

  70. @Ralph Würfel

    Warum sollten wir z.B. einem Schamanen oder Aborigine Religion absprechen und erst Kirchen gelten lassen? Warum unsere Organisationsform zum Maßstab des Menschen schlechthin machen?

    Die (schon von Darwin angelegten) Definition von Religiosität als “Glauben an übernatürliche Akteure” schließt den Glauben an Ahnen, Geister und (sicher später) dann eben auch Göttinnen und Götter ein – und für diese Formen finden sich Jahrzehntausende alte Funde. Die (Stichwort: Große Göttin, Urmutter) interessanterweise prompt (auch) Themen der Fruchtbarkeit und des Leben-Schenkens thematisieren! 😉

    Also: Auch Musik ist doch Musik, bevor sie sich in Orchestern organisiert. Und wenn ein Aborigine den Traumpfad geht (und einige entsprechende Felszeichnungen sind Jahrzehntausende alt), ist auch das Religion. Und hat mit Sicherheit zum Erfolg unserer Spezies beigetragen. Vgl. das sehr schöne GEO kompakt “Wie der Mensch die Erde eroberte”, derzeit im Handel.

  71. Michael Blume schrieb:
    „Warum sollten wir z.B. einem Schamanen oder Aborigine Religion absprechen und erst Kirchen gelten lassen?“

    Weil es sich beim schamanischen Ritual eben um einen Kult handelt und nicht um eine Religion. Wenn Ihnen die Begriffsfindungen nicht gefallen, können wir Sie gerne diskutieren. Aber sie einfach mal zu vermischen, ist nicht sehr seriös.

    Hier mal ein paar Selbstbeschreibungen zu „Schamanismus“:

    “Schamanismus ist die älteste – uns bekannte – spirituelle Tradition der Welt. Er ist in allen Teilen der Erde nachgewiesen und in vielen nach wie vor aktiv praktizierte Spiritualität. Es handelt sich nicht um Religion.” (www.der-rote-weg.de)

    “Schamanismus ist das älteste der Menschheit bekannte Heilungssystem.”(www.schamanismus.net)

    “Schamanismus ist keine Religion, sondern eine Form der Wahrnehmung der Welt.” (www.schamanenstube.com)

    Auch lasse ich Religion nicht erst mit den Kirchen gelten, sondern setze Religion viel früher an (etwa 3.500 vuZ oder früher, also mit dem Aufkommen der ersten großen Reiche). Entscheidend ist eine bestimmte erreichte Bewusstseinsstufe, nämlich der Übergang vom mythischen Denken zum rationalen Bewusstsein.

    Michael Blume schrieb:
    “Die (schon von Darwin angelegten) Definition von Religiosität als “Glauben an übernatürliche Akteure” …”
    Religion ist nicht gleich Religiosität, sondern diese meint die Fähigkeit zur Ausübung jener. Im übrigen bevorzuge ich den Begriff „Spiritualität“ (zumindest in diesem Zusammenhang). Außerdem – wer sagt, dass Darwin immer und in allem Recht hat? Auch er ist/war nur ein Mensch …

    Michael Blume schrieb:
    “Also: Auch Musik ist doch Musik, bevor sie sich in Orchestern organisiert.”

    Natürlich – es ist aber eine andere Form von Musik. Und – das Stimmen der Instrumente ist eben (noch) keine Musik.

    Nein, lieber Michael, nicht jeder Kult und jede Magie und jedes Ritual ist Religion – auch wenn jede Religion etwas davon hat. Wie gesagt – jede Bewusstseinsstufe hat ihre eigene Form. Und erst mit Aufkommen des rationalen Bewusstseins ist der Mensch überhaupt in der Lage, etwas Komplexes wie Religionen überhaupt zu erfinden und zu gestalten.

    (Literatur: Jean Gebser „Ursprung und Gegenwart“, Erich Neumann „Ursprungsgeschichte des Bewusstseins“ und natürlich Ken Wilber)

  72. Blackmore-Diskussion

    Die Diskussion ist zwar inzwischen gelaufen, aber das Eine oder Andere möchte ich noch anmerken.

    Zunächst einmal sehe ich mich in meiner Vermutung bestätigt, dass Begriffe wie “Gen-Kultur-Koevolution” eher Verwirrung stiften als dass sie zur Klärung eines Sachverhaltes beitragen. Die Vorstellung, die dieser Begriff nahe legt, nämlich dass die Kultur in ähnlicher Weise evolviert sei wie die Träger der Kultur selbst, also durch Mechanismen, wie sie die Evolutionstheorie beschreibt, schafft offensichtlich mehr sachlogische Probleme, als dass sie welche löst.

    Peter Mersch wirft der modernen synthetischen Evolutionstheorie vor, sie sei zu 100% “biologistisch” (und könne darum die evolutionäre Religionsforschung nicht stützen). Das erstaunt mich. Denn das ist doch gerade die Stärke dieser Theorie, dass sie nämlich allein biologisch die evolutionären Prozesse beschreiben und erklären kann (zumindest dem Prinzip nach). Und zwar einschließlich der kulturellen Entwicklungen mancher lebender Systeme (freilich muss man dazu vom Natur-Kultur-Dualismus Abschied nehmen). Also, da muss Peter Mersch m.E. wohl noch ein bisschen nacharbeiten und vertieft darüber nachdenken.

    Die Frage der Adaptivität der Religiosität ist auch wieder aufs Tablett gekommen, also Adaptivität in dem Sinne, dass es heute deshalb religiöse Menschen gibt, weil diee in der Vergangenheit eine Reproduktionsvorteil gegenüber den Nichtreligiösen besaßen—und auch heutzutage noch besitzen, wenn man die demographischen Daten entsprechend interpretiert.
    Unbestritten ist wohl, dass die kognitiven Fähigkeiten, die auch Religiosität ermöglichen, eine Adaption an einstmals gegebene Umweltprobleme darstellen, also das Ergebnis natürlicher Selektionsprozesse sind. Inwieweit nun die Religiosität selbst eine Adaption ist, dürfte auch davon abhängen, wie man Religiosität definiert. Völlig offen scheint mir die Frage nach der Adaptivität der Religiosität in der heutigen modernen Umwelt zu sein, was die Frage nach der relativen Fitness eines biologischen Merkmals “Religiosität”, so es denn als Genvariante existiert, mit einschließt. Da gibt uns die Evolutionstheorie, die ja nur den Ursprung und den Wandel der Arten erklären kann, leider keine Auskunft. Über die Frequenz der relevanten (religiösen) Genvarianten in den verschiedenen Populationen und zu verschiedenen Zeiten ist ja nichts bekannt, soweit ich weiß.
    Darüber hinaus bin ich ganz bei Peter Mersch, der sagt, es läge vor allem an den sozialen Rahmenbedingungen, die überdurchschnittlich viele nichtreligiöse Frauen am Kinderkriegen hinderten.

    Gefragt wurde außerdem nach weiteren Stimmen, die wie Edgar Dahl an der aktuellen Adaptivität der Religiosität zweifeln oder diese gar bestreiten. Nun, solche findet man z.B. bei Rüdiger Vaas in:

    Fear of Fanatics: Why Stephen Hawking is Right, And We Should Not Contact Intelligent Extraterrestrials. http://journalofcosmology.com/Aliens114.html

    oder in:

    DER NUTZEN DES HIMMELS.
    http://www.bild-der-wissenschaft.de/…id=32128187

    Nachdem das geklärt ist, könnte ich eigentlich auch noch was zu Susan Blackmores vielfach bewunderten Rückzieher sagen.

    Offensichtlich war Blackmore bislang der Meinung, Religion bzw. Religiosität sei auf jeden Fall etwas Schädliches. Das finde ich schon verwunderlich, denn eigentlich hätte sie schon sehr viel früher drauf kommen können, dass dem nicht so ist. In manchen Köpfen richtet Religion Schaden an, in anderen nicht, in wieder anderen mag sie sogar Positives bewirken. Menschen sind nun mal verschieden, und zwar ganz besonders im Kopf. Jemand, der sich mit “Memen” beschäftigt, sollte das eigentlich wissen…
    Auch dass Religionsangehörige im Schnitt mehr Kinder bekommen, ist ja nun beileibe keine neue Erkenntnis, auch nicht in der Evolutionsbiologie. In 2001 zum Beispiel ist im angesehenen Journal ‘Evolution’ ein Paper über die fortdauernde natürliche Selektion beim Menschen erschienen. Darin wird mit Blick auf die reproduktive Fitness die Religionszugehörigkeit als störender Umweltfaktor betrachtet und bei den Rechenmodellen entsprechend berücksichtigt (Kirk et al. 2001).

    Kurzum, ich habe das Gefühl, dass Blackmore zum Teil aus den falschen Gründen einen Rückzieher gemacht hat. Zumal die Virus-Metapher für ansteckende Gedanken und Ideen, die sich wie eine Infektion in der Gesellschaft ausbreiten können, doch gar nicht so schlecht ist.

  73. @Balanus

    “Das erstaunt mich. Denn das ist doch gerade die Stärke dieser Theorie, dass sie nämlich allein biologisch die evolutionären Prozesse beschreiben und erklären kann (zumindest dem Prinzip nach).”

    Wieso Stärke?

    “Und zwar einschließlich der kulturellen Entwicklungen mancher lebender Systeme (freilich muss man dazu vom Natur-Kultur-Dualismus Abschied nehmen).”

    Das sehe ich nicht. Der Gesang der Lappenstare z. B. nicht. Und bei der Evolution der Technik kommt man mit der Synthetischen Evolutionstheorie sowieso nicht weiter.

    “Also, da muss Peter Mersch m.E. wohl noch ein bisschen nacharbeiten und vertieft darüber nachdenken.”

    Wenn Sie mir in einfachen Worten darlegen können, wie z. B. die soziokulturelle Evolution auf Basis von Darwin funktioniert, dann höre ich mir das gerne an. Betrachten Sie z. B. das Wikipedia-Lemma zur soziokulturellen Evolution: http://de.wikipedia.org/…ziokulturelle_Evolution
    Eine Evolutionstheorie mit präzise genannten Prinzipien wie bei Darwin sichte ich dort nicht.

    Sie müssten schon ein bisschen mehr bieten als ein paar hingeworfene Sätze.

  74. Evolution /@Peter Mersch

    » Wenn Sie mir in einfachen Worten darlegen können, wie z. B. die soziokulturelle Evolution auf Basis von Darwin funktioniert, dann höre ich mir das gerne an. […] Sie müssten schon ein bisschen mehr bieten als ein paar hingeworfene Sätze.«

    Gerne, ich sehe das so:
    Was Darwin beschrieben hat, ist die Herkunft und der Wandel der Arten. Darauf aufbauend wurde die synthetische Evolutionstheorie entwickelt. Evolution, also die biologische, ist demnach die (zum Teil) adaptive Veränderung der dynamischen Prozessstrukturen lebender Systeme in der Zeit, oder anders formuliert, die Änderung der Gen-/Allelfrequenzen in einer Population in der Zeit.

    Wenn heute Biologen von Evolution reden, dann meinen sie in der Regel diese biologischen Prozesse.

    Nun hat sich aber leider eingebürgert, kulturelle Entwicklungen ebenfalls als Evolution zu bezeichnen. Ich habe mich hier auf dem Blog davon überzeugen lassen, dass dies zulässig sei, weil Evolution nur “Entwicklung” bedeute.

    Wir haben es also nun mit zwei Formen von “Evolutionen” zu tun, die nach fundamental unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten ablaufen (einmal als ziellose Veränderung von Strukturen, einmal als gerichteter, z.T. geistiger Prozess). Nun kann man ja versuchen die biologische und die kulturelle Evolution evolutionstheoretisch unter einen Hut zu bringen. Begriffe wie “biokulturelle Evolution” oder “Gen-Kultur-Koevolution” scheinen auf den ersten Blick eine solche theoretische Vereinigung darzustellen, aber wie Sie schon richtig erkannt haben: dem ist nicht so. Gemeint ist mit diesen missverständlichen Begriffen die biologische Evolution unter dem Einfluss kultureller Entwicklungen. Das heißt, die im Zuge der biologischen Evolution hervorgebrachten Kulturprodukte beeinflussen als (neue) Umweltfaktoren die weiteren evolutiven Veränderungen, in welche Richtung auch immer.

    Evolutionstheoretisch sehe ich da also überhaupt keine Probleme. Aber ich bin ja auch Evolutionstheoretiker und lerne gerne dazu.

  75. Glueckwunsch!

    Da hat sich die ganze Arbeit aber gelohnt. 🙂
    Ich finde das zeigt wunderschoen, dass wir alle nur Menschen sind und unsere Ignoranz ablegen sollten. Wir sind gar nicht so verschieden, wohl eher unsere Vergangenheit und unser “Viren befallender” Rechner ist uns sehr viel aehnlicher als wir manchmal glauben moechten. 🙂
    Kurz gesagt: wir wissen nichts und machen uns ein Bild aus dem Fetzen Wissen. Entscheidungen sind dafuer da, um einen kurzfristigen (Fress-)Erfolg zu haben. Bitte weiter so!

  76. noch ein kleiner Zusatz…

    das was gestern noch schockierte und als freies denken galt, ist heute schon konservatives denken. 🙂

  77. @Tim

    Vielen Dank! Ja, ich sehe auch einen langsamen, aber zunehmend erkennbaren Fortschritt in der Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen. Vielen fällt es natürlich sehr schwer, von liebgewordenen Ansichten Abschied zu nehmen (und wem von uns nicht!?), aber einige zeigen eben doch auch dabei überzeugende Stärke.

  78. Schwachfug

    Man erkennt daran allerhöchstens, was Religion für verherrende Auswirkungen selbst auf intelligente Menschen haben kann, wenn jemand nachträglich derartiges einräumt. Diese angebliche Stärke ist genau genommen und richtig betrachtet eine unheimliche Schwäche!

  79. Pingback:toms sko

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