Warum feiern wir eigentlich – Silvester? Was bedeuten die Rituale?

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Na – schon beim Vorbereiten? Ob Sie christlich sind, anders- oder nichtglaubend, die Chance ist groß, dass durchritualisierte Tage vor Ihnen liegen. Sie werden Menschen ein fröhliches “Guter Rutsch!” zurufen (Thema des letztjährigen Neujahrs-Blogpost). Sie werden sich, wenn irgend möglich, mit anderen zusammentun, um zu spielen, zu feiern, zu tanzen, zu quatschen. Sie werden gemeinsam essen (oft: Raclette), vielleicht einen Film sehen (oft: Dinner for One), vielleicht scherzhaft-magische Bräuche wie das Bleigießen oder Kaffeesatzlesen zelebrieren und gespannt Mitternacht erwarten. Die letzten Sekunden werden Sie gemeinsam herunterzählen (“…drei, zwei, eins – frohes Neujahr!”) – und sich dann in den Armen liegen und einander küssen, als hätten Sie gerade gemeinsam eine große Gefahr bestanden. Und dann werden Sie an einem Feuerwerk aktiv oder doch wenigstens schauend teilnehmen, in dem allein Deutsche jedes Jahr Dutzende von Millionen Euros in den Himmel blasen.

Wenn Sie wissen wollen, warum Sie das alles schon so oft “zu Silvester” getan haben und wieder tun werden, so informiert Sie dieser Blogpost.

Silvester – Ein heilig gesprochener Papst mit richtig viel Glück

Fangen wir mit der Tagesbezeichnung an: “Silvester” heißen Tag und Feier, weil 813 n. Chr. Papst Silvester I. in den römisch-katholischen Heiligenkalender aufgenommen wurde und sein Todestag, der 31. Dezember 335, für seine Verehrung reserviert wurde. Er hatte ziemliches Glück und wohl auch Geschick, denn er lebte zu genau der Zeit, als der römische Kaiser Konstantin das zuvor drei Jahrhunderte unterdrückte und verfolgte, dennoch kinderreich und missionarisch aufstrebende Christentum erst tolerierte, dann förderte und schließlich annahm. So konnte Silvester in Rom mit dem Bau der Petruskirche, dem Herzstück des heutigen Vatikan, beginnen und friedlich sterben, was nicht vielen Päpsten und keinem Heiligen vor ihm gelungen war.

  
Papst im Glück: Der Heilige Silvester und der römische Kaiser Konstantin.
Bild: Constitutum Constantini

Auch nach seinem Ableben machte Silvester von sich reden – so wurde seiner Amtszeit fälschlich die so genannte “Konstantinische Schenkung” zugeschrieben, auf die sich der frühe Vatikanstaat berief. Mit Neujahr hatte sein Gedenktag dabei eigentlich noch gar nichts zu tun: Wie der Name “Dezember” (Zehnter) schon sagt, war der Monat ursprünglich bis keineswegs der letzte im Jahreslauf. Erst mit den julianischen Kalenderreformen wurde der Dezember zum Schlussmonat – und mit weiteren, v.a. gregorianischen Reformen der Tag des Silvester zum Jahresendfest. Sein Name lautete dabei eigentlich mysteriöserweise „Waldmann“ (von lat. silva = Wald).

Warum die Rituale?

Nun ist aber doch unverkennbar, dass viele der Silvesterrituale – wie das Bleigießen oder das Böllern zum “Vertreiben böser Geister” – vorchristlich-magischen Ursprungs sind: Bannrituale. Warum haben diese sich an Silvester angelagert?

Weil uns Menschen Übergänge (wie Schulabschlüsse, Hochzeiten, Geburtstage usw.) mit einer Mischung aus Vorfreude und Furcht konfrontieren, die wir durch gemeinschaftliche Beschwörungs- und Bannrituale instinktiv zu bändigen versuchen. Das Ende eines Kalenderjahres ist ein solcher Übergang, den wir daher möglichst nicht alleine durchleben wollen. (Und ich darf daran erinnern, wie viele Menschen erst vor wenigen Wochen das Ende eines Maya-Kalenderzyklus mit Bangen und Hoffen auf eine vermeintliche Apokalypse durchlebten.) So haben Wiederholungen – der Partygäste, der Speisen, des Spiel- und Filmangebotes, der spielerischen Rituale zur Zukunftsdeutung etc. – an diesem Tag etwas Wohltuendes, weil sie uns gemeinsam versichern, dass wir auch diesen Übergang schaffen werden.

Sehr schön dargestellt wird dieser Umstand übrigens auch im Monatsnamen “Januar” – nach dem römischen Gott Janus, dem Gott des Überganges, der Gegenwart und Chancen, der Furcht und Hoffnung, der zugleich nach vorne und zurück schaut und auch in heutigen Begriffen wie “janusköpfig” fortlebt.

Der römische Gott des Beginns, Janus, mit dem gleichzeitig zurück und nach vorne schauendem Kopf. Römische Münze, 3. Jahrhundert vor Christus

Die Erleichterung beim “Frohen Neujahr!”

Und damit wissen Sie nun auch, woher diese seltsame Anspannung beim letzten Countdown (“Drei, Zwei, Eins…”) und die gemeinschaftliche, teilweise unbändige Erleichterung danach (“Frohes Neujahr! Lass Dich küssen!”) stammt. Wir haben gemeinsam rituell einen Übergang geschafft, dazu gratulieren wir einander – und jetzt bleibt nur noch, mit richtig viel Krach und Feuer “die bösen Geister” (Unsicherheiten) des neuen Jahres zu bannen.

Also, lassen Sie uns Silvester genießen – wir sind nun einmal alle durch die Evolution mehr oder weniger ausgeprägte Homo religiosus. Religiosität und die Sehnsucht nach Übergangsritualen gehören zu unserem weiter wachsenden, biokulturellen Erbe, das uns zu Menschen macht.

Allen Leserinnen und Lesern von Natur des Glaubens wünsche ich “A gude Rosch, hazlacha uwracha!” (Jiddisch-Hebräisch: Ein frohes Neujahr, Glück und Segen! Der Ursprung unseres: Ein guter Rutsch und Hals- und Beinbruch!)

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

9 Kommentare

  1. Nett und auflockernd,

    Dein Blogbeitrag zu Silvester. Danke. Bloß, bei manchen Ungenauigkeiten kann ich griffelspitzig werden. Das dürfte so nicht stimmen: „Erst mit der gregorianischen Kalenderreform durch Papast Gregor XIII. im Jahre des Herrn 1582 wurde der Dezember zum Schlußmonat – und Silvester zum Jahresendfest.“ Ich denke, dass es in Computus, der Julianische Kalender richtiger ist: Cäsar setzte den 1. Jan als Jahresbeginn. Volkstümlich lief’s oft anders. In christlicher Zeit gab es alle möglichen Alternativen. Für uns im Deutschland besonders interessant: 25. Dez als Jahresanfang. Im Spätmittelalter setzt sich wieder (gegen das europäische Wirrwarr?!) der 1. Januar durch. Das wurde dann 1691 dann päpstlich anerkannt, hat aber nur indirekt was mit dem gregorianischen Kalender zu tun und keinesfalls damit, dass erst da der 1. März als Jahresanfang aufgegeben worden wäre. Sondern bis dahin Konkurrenz zwischen 25. Dez. (und einigen anderen Terminen in Westeuropa) und 1. Januar – daher das „Zwischen den Jahren“. Und in einem alten Kirchenlied (1646): „Frieden und ein seligs Jahr“. Na ja, das bleibt auf jeden Fall ein frommer und ein nötiger Wunsch.

  2. @Hermann

    Vielen Dank für das liebe & strenge Peer-Review – und Du hast natürlich Recht, der obige Satz ist grob ungenau: Schon durch die julianischen Kalenderreformen rückte der Dezember zum Schlussmonat auf, nach Gregor wurde dann der Silvestertag zunehmend unangefochten zum Jahresendtag. (Wobei das Kirchenjahr natürlich weiterhin mit dem Advent beginnt, falls irgendjemand noch nicht ausreichend verwirrt sein sollte! 😉 ). Den Satz oben repariere ich entsprechend und hoffe, dass manche Leserin und mancher Leser die ganz spezielle Freude europäischer Kalenderfragen erspürt haben möge…

  3. Silvester

    Es ist so wichtig Bräuche zu haben. Was wäre ein Jahr ohne Ostern, die Adventszeit, Weihnachten und Silvester – alles wird dadurch schöner. Gerade wenn ein Jahr zu Ende geht und die Glocken von den Kirchtürmen erschallen, Menschen sich um die Arme fallen und sich ein glückliches neues Jahr wünschen, dann ist für mich Frieden auf Erden. Vielen Dank an den Papst Silvester!

  4. Frohes neues Jahr!!!

    Allen, die dies lesen! Wir haben den rituellen Übergang wieder einmal geschafft!!! 🙂 Auf ein fröhliches, gerne gemeinsames 2013!

  5. Einschwörung auf Evolutionäres?

    Religiosität und die Sehnsucht nach Übergangsritualen gehören zu unserem weiter wachsenden, biokulturellen Erbe, das uns zu Menschen macht.

    Sie vielleicht.

    Das mag etwas harsch klingen, aber es liegt darin ja implizit die Drohung, den Areligiösen das Menschsein absprechen zu wollen, die Berufung etwas höheres zu sein, ein snobistischer Anspruch.

    Seltsam, dass wir auf etwas, was angeblich qua Evolution an uns haftet wie die Haut an der Schlange, nochmal eingeschworen werden müssen.

    Und wie kommt es, dass im Moment, da wir uns der Religion kritisch gewahr werden diese auch schon von uns abfällt, und in welch rasantem Tempo?

    Was wissen wir schon groß von der Religiösität vor mehr als 10 000 Jahren? Reichlich wenig, oder? Und da liegen rd. 200 000 Jahre Menschheit.

    Weil uns Menschen Übergänge (…) mit einer Mischung aus Vorfreude und Furcht konfrontieren, die wir durch gemeinschaftliche Beschwörungs- und Bannrituale instinktiv zu bändigen versuchen. Das Ende eines Kalenderjahres ist ein solcher Übergang, den wir daher möglichst nicht alleine durchleben wollen.

    Rituale sind etwas kulturelles, nicht etwas angeborerenes, und daher ganz grundsätzlich nicht instinktiv. Instinktives Handeln ist nämlich qua definitionem angeborenes Handeln.

    Meine Erfahrung mit heterogenen Silvestergruppen die ganz unterschiedliche Rituale kennen sind auch derart, dass oft weder viel Wert auf bestimmte Rituale gelegt wird, dass man gerne mal etwas mitmacht, was ein anderer kennt, und dass die Weise, in der ein Ritual veranstaltet wird, von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich ist.

    Etwa beim Bleigießen – wer interpretiert, was der Bleiklumpen darstellt. Es ist selten mehr als Unterhaltung im Suff. Man kann es aber auch lassen, und etwas anderes machen. Ende einer Epoche und Vorahnung einer neuen mit Angst und Vorfreude kenne ich gar nicht. Welche Änderungen gehen denn mit dem Kalenderwechsel synchron? Mal ein, zwei Steuergesetze, Reformen der StVO – nichts, weswegen man schlecht schläft.

    Inwiefern versichern Wiederholungen, dass man den Übergang schaffen wird? Wieso sollten andere Speisen oder Gäste die Gewissheit erschüttern, dass man ins neue Jahr rutscht? Das ist doch Argumentationshumbug!

    Wenn überhaupt, dann vergewissert die Wiederholung doch allenfalls, dass sich nichts ändern wird, sondern alles bleibt wie es immer war.

  6. Übergang ins neue Jahr

    Der hervorstechendste gemeinsame Brauch zu Sylvester dürfte das Feuerwerk sein, das weltweit stattfindet und überall im Fernsehen übertragen wird. Dabei handelt es sich aber nicht um einen christlichen Brauch, denn das alte Jahr wurde, nach der Wintersonnenwende, von jeher mit Lärm und Feuern verjagt.
    Den Satz: “Religiosität und die Sehnsucht nach Übergangsritualen gehören zu unserem weiter wachsenden, biokulturellen Erbe, das uns zu Menschen macht.”, finde ich ebenfalls etwas seltsam. Wird hier Areligiösen das Menschsein abgesprochen?

    Die Zeitonline hat zu diesem Thema vor kurzem einen zweiseitigen Artikel veröffentlicht, in dem gefragt wird: “Wohin soll diese naiv-sentimentale religiöse Gemütlichkeitsreise gehen?”

    http://www.zeit.de/…t/2012-12/zeitgeist-religion

    Ich habe zwar keinen “rituellen Übergang” hinter mir, weil ich nicht an Traditionen hänge und froh bin auch mal was anderes machen zu können. Wer, wie ich, in einer rein kath. Gesellschaft aufgewachsen ist empfindet Rituale oft als sehr einengend, da sie kaum Raum für Kreativität lassen. Ich wünsche aber trotzdem allen ein gutes neues Jahr und auch den Mut sinnlose Gewohnheiten zu hinterfragen und offen zu bleiben für neue Gedanken, Erfahrungen und Erkenntnisse.

  7. @Wagner & @Mona

    Ein frohes, neues Jahr – mit guten, entspannten Gesprächen auch mit Andersdenkenden, sogar wenn sie es noch wagen, im alternden Europa religiös zu sein! 🙂

    Und alle Menschen sind Menschen – uns eint ein reiches, buntes, biokulturelles Erbe. So steht es geschrieben.

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