War Barack Obama ein gescheiterter Messias? Anmerkungen zu einem Problem säkular-politischer Kultur

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
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Wohl zum letzten Mal besuchte Barack Obama als US-Präsident die Bundesrepublik Deutschland. Dabei hielt er in Hannover auch eine Art “Abschiedsrede”, die neben Danksagungen an Angela Merkel vor allem den Wert und die Bedeutung der Europäischen Union im Angesicht neo-nationalistischer Strömungen unterstrich. (Und die Hoffnung, einmal als Nicht-mehr-Präsident das Oktoberfest besuchen zu dürfen.) Es ist eine durchaus bemerkenswerte Rede und ich hatte auch kurz mit dem Gedanken gespielt, sie (wie eine frühere) zu übersetzen. Ich kann sie nur empfehlen.

Doch ein Kommentar des SPIEGEL-(Mit)Erben und SPIEGEL-Online-Kolumnisten Jakob Augstein erinnerte mich an die zivilreligiöse Einsetzungsfeier in Washington 2009 und das breite und wichtige Thema Zivilreligion – den religiösen Überbau aus Mythen, Symbolen und Ritualen, den alle aktiven politische Körperschaften entwickeln (müssen). Augstein schrieb:

Barack Obama war in Deutschland. Abschiedstournee eines Mannes, der einmal der Messias war.

“Die Deutschen” hätten – so Augstein – Obama zunächst als “Messias” geglaubt und gefeiert. Und sich selbst einbeziehend urteilt er:

Aber der Messias ist am glaubwürdigsten, solange man auf ihn wartet. Sobald er sich zeigt, beginnt die Entzauberung. Und die Entzauberung des Barack Obama war gewaltig. Dieser Präsident war eine Enttäuschung.

Barack_Obama_family_portrait_2011_Pete_SouzaEin Politiker oder ein Messias? Offizielles Familienporträt der Familie Obama. Foto: Pete Souza (gemeinfrei)

Der Messias-Titel in “Politik” und “Religion”, in Welt- und Endzeit

Nun ist der Messias-Titel tatsächlich außerordentlich interessant und bezeichnet in der hebräischen Bibel als “Moschiach” den auch religiös – etwa durch Propheten – “gesalbten” König. Auch ein nichtjüdischer, aber dem Judentum freundlich gesinnter König wie der Perser Kyros kann in der Bibel noch mit diesem Begriff ausgezeichnet werden.

Später verschiebt sich der Messias-Begriff jedoch aus der Weltzeit in die Endzeit – der Messias wird zu einer Heilsfigur, die den Anbruch der gerechten Gottesherrschaft verheißt. So zählt auch Jesus – wie viele andere – zu denen, die von Jüdinnen und Juden für den Messias gehalten werden, wobei der Titel als “Christos” ins Griechische übersetzt wird.

Zumal Jesus jedoch gekreuzigt wird – laut biblischem Bericht verspottet als “König der Juden”! – und den Christinnen und Christen als auferstanden und bis zur endzeitlichen Wiederkehr entrückt gilt, wird der Messias-Titel noch über- und endzeitlicher.

Die Kreuzigung Jesu nach Vouet, 1622. Man beachte die lateinische Abkürzung INRI für “Jesus von Nazareth, König der Juden” an der Spitze. Quelle: NdG 2011

Auch im Koran wird Jesus unter Anderem als al-masih geehrt, in einigen Traditionen entwickeln sich darüber hinaus Hoffnungen auf eine muslimische Erlöserfigur, den “Mahdi”.

Die Re-Säkularisierung des Messias in den säkularen Weltanschauungen des Sozialismus und Nationalismus

Mit dem Aufstieg diesseitiger (“weltlicher”) Weltanschauungen wie dem Sozialismus und Nationalismus wird auch die Hoffnung auf Erlösung buchstäblich “säkularisiert” – also ins saeculum, ins Jahrhundert, die diesseitige Weltzeit, zurückgeholt. Links- und Rechtsideologen wollen sich nicht mehr auf einen religiösen Messias hin “vertrösten” lassen, sondern die Erlösung hier und jetzt, notfalls mit Zwang und Gewalt, erleben. Selbst in der beschaulichen Schweiz warnt Jeanne Hersch vor diesem Überschwang:

Die seit einigen Jahren modisch gewordene Forderung nach dem “vollen Glück, jetzt gleich”, nach einem unmittelbaren irdischen Paradies (“le bonheur, tout de suite!”, riefen die Studenten auf den Pariser Strassen im Mai 1968), ist nicht nur menschlich gesehen eine Phantasterei oder Schwärmerei, die jeder Wirklichkeit den Rücken kehrt, sondern sie schließt die Möglichkeit eines Sinnes aus.

Aus: Hersch, J. (2010): Erlebte Zeit. Verlag Neue Zürcher Zeitung, S. 46

Denn tatsächlich sind politische Messias-Hoffnungen – wie Augstein auch erkennt und beschreibt – zum Scheitern verurteilt. Mit den Mitteln menschlicher Politik lässt sich wohl eine Hölle, aber kein Himmel auf Erden schaffen. Daher sind gerade auch linksgerichtete Parteien (wie die SPD) meisterhaft darin, das eigene Spitzenpersonal schlechtzumachen – vor allem dann, wenn es in Regierungsämter gelangt ist. (Nicht zufällig sind Linkspopulisten wie Oskar Lafontaine und Gregor Gysi durch Rücktritte diesem Schicksal zuvorgekommen, haben sich damit ihre “Reinheit” als Hoffnungsträger bewahrt.)

In dieser Perspektive “musste” Obama also erst der Messias sein, der dann unvermeidlich “enttäuscht”. Denn Krisen und Konflikte mit dem Kongress, Kompromisse und auch die unvermeidlichen Fehler sind in politisch-säkularen Erlösungslehren nicht vorgesehen.

Wohl denen, die Messias-Ämter auf den religiös-endzeitlichen Bereich zu beschränken vermögen und also zwischen den “letzten” (transzendenten) und “vorletzten” (politischen) Fragen zu unterscheiden vermögen, wie es der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau (SPD, 1931 – 2006) formulierte. Dies ermöglicht die Chance, Politikerinnen und Politiker realistisch und kritisch-konstruktiv zu würdigen. Wer diese Unterscheidung nicht vermag und sich mehr oder weniger bewusst immer wieder auf die Suche nach “politischen Messiassen” macht, wird wieder und wieder zwischen Euphorie und Enttäuschung pendeln.

Das Barack Obama als Augsteins Messias gescheitert ist, muss ihn nicht bekümmern. Nur ein früher Rücktritt oder Tod hätte den US-Präsidenten vor diesem “Urteil” bewahren können…

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

13 Kommentare

  1. Hm… – 2 Fragen zur Politik:
    1) Wo ist denn die heutige SPD noch eine linke Partei? – Welches sind denn die Positionen die sie Links von der Union (oder der FDP) einordnen?
    2) Warum sollen die Herren Lafontaine und Gysi eigentlich Populisten sein? – Was macht sie dazu?

    ——

    Zu Obama: Es mag sein, dass einige in ihm eine Art Messias gesehen haben. Es gab vor seiner Wahl aber auch einen Artikel (ich weis nur nicht mehr genau, wo) indem auf einen damals noch nicht ganz so alten Artikel von ihm (also Obama) in Foreign Affairs *) hingewiesen wird und was er dort so an politischen Leitlinien beschreibt. Wenn ich das noch richtig erinnere, wollte er demnach zwar einiges anders machen als Bush Jr. aber einige Dinge sollten ähnlich bleiben. – So kam es dann ja auch.

    *) Foreign Affairs ist das “Infoblatt” des Council on Foreign Relations (CFR), einer Lobbyisten-Vereinigung, die manche als das heimliche Aussenministeium der USA sehen, weil die Herren des CFR auf Lobbyistenebene in allen Bereichen der Politik ihre Finger im Spiel haben.

    • Lieber @Hans,

      tja, das mit der SPD ist ja genau der Punkt: Sie versteht sich immer noch mehrheitlich als “linke” Partei, doch mit jeder Regierungsbeteiligung und vor allem mit Realpolitikern (Schmid, Schröder, jetzt Gabriel) verlor sie bis tief in die eigene Basis hinein an “Glaubwürdigkeit”. Nicht zufällig gibt es ja eine schmerzhafte, v.a. innerparteiliche Diskussion über die Frage, ob sie “ihre historische Mission erfüllt” habe – also den Teil der Utopien mitverwirklicht habe, der sich realistisch verwirklichen ließe. Die Linken stehen dort, wo sie Regierungsbeteiligungen erlangt haben, selbstverständlich vor ganz ähnlichen Fragen und Problemen. Interessanterweise wurden sozialistische Parteien früher oft auch als “Kirchenersatz” (samt eigener Mythen, Rituale, Symbole, Bestattungsbräuche etc.) analysiert, diese Funktionen vermögen sie jedoch offensichtlich immer weniger zu erfüllen.

      Interessanterweise wirbt der erklärt linke US-Demokrat Bernie Sanders mit dem Slogan “A Future to Believe in”…

      Als “populistisch” erachte ich das Vorbringen von Forderungen unabhängig von ihrer Realisierbarkeit. Man kann dies negativ bewerten, aber auch als notwendig, um Menschen anzusprechen und zu aktivieren, mithin die Bereiche des Möglichen überhaupt erst einmal auszuloten. Oskar Lafontaine hat sich in einem SPIEGEL-Interview (leider inzwischen hinter einer Paywall) auch selbst dazu bekannt:
      https://magazin.spiegel.de/SP/2016/16/144314342/index.html?utm_source=spon&utm_campaign=centerpage

      • Ooooh, da jauchzen die Konserven frohlockend, denn ihr Messias Trump ist kurz vor “Jump” auf den Olymp – ein Traum wird wahr, das Spiel ist bald vorbei, die Dummheit hat ihre “historische Mission erfüllt”, jede andere Dummheit im geistigen Stillstand seit der “Vertreibung” wurde erstickt 😉

        • Naja, @Horst – die US-Konservativen jubeln ganz und gar nicht; Trump hat vielmehr mit seiner Version des Populismus das republikanische Establishment direkt herausgefordert. Wie sagte doch einst der deutsche Erzkonservative F.J. Strauß zum “Vox populi”? 😉

          • Ist doch klar das die nicht jubeln – die sehen in den Spiegel und sind starr vor Schreck, wissen nicht ob sie sich das wirklich trauen sollen.
            Ich habe hier im Forum doch schon mal gesagt, daß Trump zur Zeit wohl der ehrlichste Politiker ist, der sagt was die anderen nur träumen sagen zu wollen.
            Und ich bin sicher der wird Präsident!

  2. Wer Jakob Augstein zitiert, isst auch HARIBO-Konfekt.

    Nein, im Ernst, Obama ist der am weitesten politisch linke Präsident der US-Geschichte, er konnte seine radikalen Ziele dank eines Systems der Checks & Balances aber nur in geringen Teilen durchsetzen.
    Deshalb gilt er Augstein jr. wohl als gescheitert, anderen genau deshalb als vglw. brauchbar, mal von der unseligen Kairoer Rede und der Evokation der Ablösung typischer arabischer Machthaber, Stichwort “Arabischer Frühling”, lol, abgesehen; das war desaströs.

    Zum Begrifflichen war natürlich alles angenehm, plausibel und so angemerkt, vielen Dank!

    MFG
    Dr. Webbaer

  3. Die Erwartungen welche man an Obama machten, war auch so groß, dass er dies nie erfüllen konnte. Als gescheitert würde ich ihn nicht nennen jedenfalls im Vergleich zu anderen Präsidenten.

  4. Es dürfte kein deutsches Phänomen sein, Heilserwartungen an Obama gerichtet zu haben – den Friedensnobelpreis hat er schließlich nicht von Herrn Augstein erhalten und nicht für vollbrachte Werke, sondern als Hoffnungsträger.

    Ich kann und mag ihn innenpolitisch nicht bewerten; aber außenpolitisch bleibt festzuhalten, dass sich die US-Politik unter ihm nicht geändert hat. (Dort, wo sie das tat, eher zum Schlechteren: Obama ist, das bleibt festzuhalten, ein vieltausendfacher Drohnenmörder.) Oder, liege ich falsch, wo hatte denn die Politik Obamas positive Effekte?

    • Nun, @Gerald Fix, viele Beobachter würden die Entspannungen im Verhältnis zu Iran & Kuba, den Rückzug von US-Truppen aus vielen Ländern sowie die kritischere Haltung sowohl gegenüber Saudi-Arabien wie gegenüber Israel als bemerkenswert benennen. Aber, klar: Die Wertmaßstäbe sind verschieden…

      • “Die Wertmaßstäbe sind verschieden…”

        Obama ist eben auch ein KONFUSIONIERTER … dieser Welt- und “Werteordnung”. Ihn auch nur annähernd als einen Messias zu bezeichnen, ist so “verschieden” wie …!? 😉

        Mich könnt ihr in die Nähe eines Messias verorten, denn ich möchte Wege beschreiten, wo ihr mich aufgrund eurer unveränderten / gepflegten / hierarchiesch-manipulierbaren Bewußtseinsschwäche im geistigen Stillstand auch gleich anfangs kreuzigen möchtet – was die Wundertätigkeit betrifft: Es wäre ein Wunder, wenn ich euch wenigstens mit einem Fuß auf den Weg der wirklich-wahrhaftigen / zweifelsfrei-eindeutigen und somit FUSIONIERENDEN Wahrheit bringen könnte 🙂

        • Wir können Sie also, @Horst, “in die Nähe eines Messias verorten”… Und tun dies nur nicht aufgrund unserer (aller?) “manipulierbaren Bewußtseinsschwäche”?

          Nun, einerseits fände ich einen “Messias @Horst” schon eine coole Sache, aber – leider, leider – benehmen Sie sich ganz und gar nicht wie ein Messias, sondern eher wie ein unfreundlicher Troll. Ich darf Ihnen zugleich versichern, dass niemand hier Sie “kreuzigen” möchte. Mir reicht es völlig aus, Ihre Kommentare immer wieder zu löschen, wenn sie allzu beschimpfend werden.

          Ihnen von Herzen alles Gute, inklusive einem realistischen Selbstbild! 🙂

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